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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,2.1900

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Heft 15 (1. Maiheft 1900)
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Avenarius, Ferdinand: Zu viel
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Binzer, Ina von: Die Frauenfrage im Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.7960#0103

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Freilich, hicr spricht ein Todfeind echter Kunstcrzichung bcsonders
uns Deutschcn mit darein, unsre Ucberschätzung dcr Kenntnissc. Es
gehört ja bci uns zur „Bildung", nicht nur so und so viele Künstler-
namcn und Jahreszahlen und Merkmale zu kennen, sondern auch so
und so vicl Bücher gelesen, Tonstücke gehört und Bilder gesehen zu
haben, von denen man „etwas wissen" muß. Thät' es das
»Wissen" hier, die altcn Hellenen hättcn die jämmerlichste ästhetische
Kultur gehabt, denn sie wußten bekanntlich nicht cinmal von Renaissance
und Rokoko etwas! Das Erfassen muß dem Wissen vorhergehn, dann
rciht sich Glied an Glied, bis das Verstehen als Frucht reift. Ging
das Erfassen nicht vorhcr, so besagcn die allcrschönstcn Kenntnissc von
tauscnd altcn odcr neuen und allcrneucsten Dichtcrn, Musikcrn, Malcrn
und Büchern, Partituren und Bildern nicht mehr, als cine noch so
trefflich eingebundene und ziemlichst geordnete Bibliothck von Büchern in
fremden Sprachen, die wir nicht lesen könncn.

Also: wer's ernst nimmt mit der ästhetischen Erzichung unsres
Volkes, die so unsäglich wichtig ist, der trete auf seinem Gebiet dem
Schaden entgegen. „Sein Gebiet" wird groß genug sein bei cinem
jcden, denn auf allcn Gcbieten der Künste brauchen wir heutzutage dcn
Ruf Iimltum non rnulta, weil wir ihn auf allen Gebietcn des Lebens
brauchen, dessen Ausdruck sie sind. Es ist ein Schcinreichtum, den wir
jctzt hcimbringen zu überzierten Wänden und überputzten Möbeln von
dcm Durchstöbern der Zeitungen, dem Durchblättern der Bücher, dem
Durchlaufen dcr Ausstellungcn, dem Durchhetzcn dcr Premieren her. Jst
unscr Jdeal der Fürst, dcr hundert Güter hat, aber auf keincm dic
Bäumc kcnnt? .Erwirb, um zu besitzen" — nur, was unsre Secle
durchdringcn kann, das eignet ihr wirklich. llnd wcnn wir uns jeden
Monat nur mit zwei, drei Kunstwerken innig vertraut machen, so
sammeln wir damit cinen reicheren Schatz cin, als wcnn wir täglich an
Dutzcnden mit cinem „tadcllos!" odcr „großartig!" vorübcrgehn. Nicht
einen rcichcren, wir sammeln nur so übcrhaupt cinen ein. A.

Die Frauenkrage im Nomnn?

Jcncr Teil dcr sozialen Frage, den man die Arbciterfrage ncnnt,
hat den Noman Jahrzehnte lang stark beeinflußt, aber ihn als Ganzcs
niemals beherrscht. Man kann ebcn Romane schrciben, ohne daß
Arbeitcr oder Proletarier darin eine wcsentliche Rollc zu spielen brauchen.
Einem andcrn Teil dcr sozialen Frage aber wird man in der Roman-
kunst ivcniger lcicht aus dem Wege gchen, weil man ihren Gegenstand
weniger leicht entbehren kann: cs läßt sich ein Noman ohne Arbeiter
schreiben, aber kaum ein Roman ohne Frauen. Wir könnten deshalb
auch wohl sagen, daß wir eincn „Arbcirer-Roman" gchabt habcn, abcr
wir könncn streng genommen nicht von cincm bcsondcren .Fraucnromane"
sprechcn, dcnn diesen haben wir im allgemeinstcu Sinne ja immcr.
Schcn mir trotzdem in dem „Romane dcr Frau" eine bcsondere, eine
ncuere Erscheinung, so dürfen wir das immcrhin, eingcdcnk der That-

Vgl. Hcft XIII. L. 455.

I. tltaibeft lyoo
 
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