Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,2.1900

DOI Heft:
Heft 15 (1. Maiheft 1900)
DOI Artikel:
Binzer, Ina von: Die Frauenfrage im Roman
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7960#0104

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
sache, daß ob es zwar immer Frauen gegeben hat, eine Frauenfrage
doch erst in neuerer Zeit eine große Rolle spielt.

Ungefähr ebenso lange tritt sie denn auch als merkbares Agens
in der Romanliteratur auf. Und je länger, je mehr.

Nach Laura Marholm sind Keller und Heyse die ersten deutschen
Romandichter geweseu, die das Weib wahr, vollblütig und menschenhaft
geschildert und der Frau gezeigt haben, was die Frau sein konnte.
Aber die Frauenfrage als Zeitfrage und einen bcwutzteu Konflikt
haben diese beiden Meister nicht berührt; als Künstler faßten sie das
Weib rein künstlerisch als Menschheitsfrage auf. Die Frauenfragc aber
setzt eben gerade da ein, wo das Weib sich nicht mehr damit begnügcn
will, ein Wesen lerninivi Asnsris zu sein.

Die Wiederspiegelung der Frauenfrage als Zeitfrage beginnt viel-
mehr mit den Romanen einer Frau, welche die spnteren Frauen-
rechtlerinnen schwerlich je in Gedanken zu deu ihrigen gezählt haben,
und die selber jedenfalls mehr aus instinktivem Drang denn aus be-
wußter Ueberlegung heraus schrieb — mit der Marlitt. Was damals
jung war, verschlang gierig diese Romane des thüringischen alten Fräu-
leins mit ihrer faustdicken Romantik und ihren bühnengerecht redenden
Personen, und die klugen Leute schüttelten die Köpfc und begriffen nicht,
worin der Zauber lag. Und auch keine der Siebzehnjährigen, die sich
mit der „Alten Mamsell", der „Goldelse" oder „Amtmanns Magd" in
eine Jasminlaube verkrochen. begriff, daß unter den Ranken dieser oft
fast exotischen Romantik ein verborgen Werdendes, ein Neues an sein
junges Menschenherz pochte, und daß es eben dieses Neue war, was
das jugendliche Herz schneller schlagen und vor einem unklar Gcfühlten,
das kommen mußte, erzittern ließ. Wenn Keller und Heysc zeigten,
wie Frauen ihrem Wesen nach waren, so zeigte die Marlitt, fast ohne
daß es Jemand merkte, was Frauen im üußeren Leben thun konnten.
Jhre Frauen erlebeu nicht bloß Schicksale, sie arbeiten an ihren
Schicksalen mit. Dieses neue Gewürz, das niemals vorschmeckte, dns
garnicht aufdringlich war, war es dennoch im letzten Grunde, was, hüben
und drüben unbewußt, der Marlitt ihren ungeheuren Erfolg verschaffte.

Als die Marlitt schrieb, war die Frauenfrage noch nicht so
dringend geworden, und als sie es dann wurde, da murde sie es zu-
nächst rein äußerlich, als Magenfrage. Das war der Anfang, und so
spiegelte sie sich auch anfangs im Roman. Das arme junge Mädchen
der besseren Stände war es zunächst, um das sich die Frage drehte, im
Leben sowohl wie in der Dichtung. Wir bekamcn eine Hochflut von
Geschichten, deren Heldin die „arme Vornehme" war, und in denen sich
der Konflikt um den Widerstreit eben dieser bcidcn schwer vereinbaren
Eigenschaften drehte. Arm und vornehm — das war ein Konslikt, der
auch außerhalb der Frauenfrage schon öfter vorgckommen war, er war
unschwer zu behandeln und bot eine Menge bcquemer Handhaben, leicht
verständlicher Situationen, fast von selbst gegebenen „Szenen". llnd
wenn der Autor — oder meist war cs eine Autorin — die Erzieherin
oder Gesellschafterin oder was immer sie sein mochte, eine Generals-
tochter und ein Edelfrüulein sein ließ uud ihre Arbeitgeberin unter den
dicken, satten Parvenüs-Gattinnen suchte, die sie danu noch rcichlich mit
Herzensrohheit und Brillanten ausstattete, so war sie ihres Erfolges
>»n„siwart
 
Annotationen