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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,2.1900

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Heft 15 (1. Maiheft 1900)
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Binzer, Ina von: Die Frauenfrage im Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.7960#0105

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ebenso gewiß wie seiner Zeit die Verfasser der Arbeiterromane billigcrer
Sorte, wenn sie dem edel und vornehm gesinnten Mann aus dem Volke
den feigen und grausamcn Schurken von Brotherrn entgegenstellten. Nur
datz hier an Stelle des Mannes aus dem Volke die Dame aus der Ge-
sellschaft trat. Das Prinzip, nach dem man arbeitete, war dasselbe, und
dic Sache war den Romanschreibern noch nicht übermäßig schwer gemacht.

Aber äus den Frauenfraglerinnen, die einfach nach dem Magen
ihrer Klientinnen fragtcn, wurden Frauenrechtlerinnen, die schon
einen grotzen Schritt weiter gingen. Sie fragten nicht mehr: Was kann
ich thun?, sondern sie sragten: Was will ich thun? und verlangten,
das sie das, was sie wollten, auch durften. So kam die Frauen-
bedrängnis allmählich immer mchr aus der Sentimentalität und der
unfruchtbaren Betrübnis heraus und wurde ernster und heischender. Man
stellte bestimmte Forderungen, man sormulierte Anträge und Resolutionen,
man litt nicht mehr still und verzweifelt, man rührte sich, man ging
zum Angriff über und machte es den Männern unbehaglich. Und zur
Strafe — oder auch weil es ihnen wirklich zu wenig gefiel — schrieben
die Männer keine ernsthasten Romane über das streitbare Weib, sondern
begnügten sich mit Satircn oder niedlichcn Geschichten, in denen die
Widerspenstigen bezähmt den Doktorhut an den Nagel hingen, um artig
unter die ehelichc Haube zu kriechcn, die immerhin doch schon Jahr-
hunderte lang ihre guten Dienste gethan hatte. Die Frauen ihrerseits
hatten alle Händc voll zu thun mit Schreibcn von kriegcrischen Broschürcn,
in denen sie die Männer heruntermachtcn und zugleich verlangten, ebenso
sein zu dürfen wie sie.

Es war unerguicklich und jedcr Poesie bar, und die Romankunst zog
sich mürrisch von diescr Frau im Reformkleide zurück, die ihr keine ästhetische
Anrcgung bot, und mit der sie im Ernst nichts Rechtes anzufangen wußte.

Da kam Jbsen und schrieb „Nora", und nun wußte man in der
dichtcnden Kunst auf einmal wieder, woran man war. Außer dem
knurrenden Magen und dem vielumstrittenen Gehirn — man erinnerte sich
plötzlich daran — hatte die Frau ja auch noch eine Seele. Der weise alte
Skandinavier wies mit ausgestrccktcm Zeigefinger auf eben dicse Seele
hin — und siehe da, sie sah ganz anders aus als das subalternc Ding,
das seit Schopenhauer als die Frauenseele gegolten hatte.

llnd so wurde in aufstcigender Folge festgesetzt, daß die Frau ein
Necht hattc, sich satt zu essen, daß sie ihr Gehirn füllen konnte, womit
sie wollte, und daß sie cine Seele besaß und ein Necht auf sich selber.

Hatte dic hungernde Frau eine ganze Kohorte von Nomanschreibern
ernährt, und wußten mit der aggressiven Frau wedcr die Sentimentalen
noch die Ernsten etwas anzufangen, so hatte Jbsen nun der Roman-
kunst die Wege gewiesen, auf denen man derZeitfrage, welche „die Frau"
hieß, zu Lcibe gehcn konnte.

Scitdem habcn wir recht eigcntlich erst den „Roman der Frau",
Gcschichtcn übcr das, was sich in dcr Seele der Frau abspielt, in der
Seele des modernen, differenzierten, feinsaitigen Weibes, neben dem sich
das hungernde Edelsrüulein ausnimmt wie ein verblaßtes Modebild aus
dem vorigen Jahrzehnt, und die das auf praktischen Doppelsohlen und
im Büstenhalter cinhcrschreitende Reformweib crscheinen lnßt wie den
nüchterncn Alltag ncbcu eincr scltsam irriticrcndeu Mrfftericnfeier.

I. Maiheft ^Zoo
 
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