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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,2.1900

DOI Heft:
Heft 15 (1. Maiheft 1900)
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Avenarius, Ferdinand: Zu viel
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https://doi.org/10.11588/diglit.7960#0102

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unsrer Zeitungen; nicht nur von den Anzeigcn schwcllcn sie bis zur Un-
förmlichkeit auf, sondern auch von den Lastcn an Tcxt, dcr heute vcr-
zchrt und morgen vergessen wird. Scit es die Technik crmoglicht, Bilder
für wenig Geld zwischen die Schrift zu geben, überbietet und übertrumpft
sich serner der Wettbewerb mit sogenannten Jllustrationen, die künstlcrisch
überhaupt nicht in Rede kommen, aber auch an erläuterndcm Nutzen
meist mindestwertig sind.

Dort selbst, wo man an Wort und Schrift bcsscres bieten will
und bietet, bleibt der Schaden des Zuviel bestehen. Es gibt eben nicht
cine solche Fülle des Guten, und wenn es sic gibt, so liegt sie nicht übcrall
zum Gebrauche so frei, daß man mit beidcn Händcn vom Besten schöpsen
könnte. Ach, könnte man das sogar, und breitete man vor Lesern und Be-
schaucrn einen Rcichtum des Herrlichsten aus — ob ihnen das zu wirk-
lichem Gewinn gediehe, blieb dennoch fraglich. Denn mo selbst die Gcbe-
fühigkeit unbegrenzt wäre, bliebe doch immer die Aufnahmefühigkeit begrenzt.

Vergessen wir's doch nicht, daß alles Aufnehmen eine Anstrengung
mit sich bringt, immer, auch dann, wenn wir nichts davon merken.
Jedes „Erfassen" setzt das erfassende Organ in Arbeit, und es braucht
nicht die Hand zu sein, — jedcs Aneignen verlangt ein Ausgeben von
Kraft. Das ist ja allbekannt, wir kennen die Müdigkeit nach Jubel nne
nach Schmerz, die nur bei Ueberreiztheit zunüchst ausbleibt, um dann
verdoppelt nachzukommen oder zu schweren Schädigungcn zu führen.
Ein jeder weiß es, daß keiner inehr als eine zugcmessene Summe von
Scelen- und Nervenkrast hat, die dann oder dann aufgebracht ist. Ein
jeder weiß auch, wie die Natur sich hilft, wenn ihr zu vicl geboten
wird, er wciß es aus seinen Schulstunden her, wo er zerstreut und un-
aufmcrksam ward, wenn der Kops genug hatte. Aber die Anwenduug
auf das Zuviel unsrer „künstlerischen Kultur" ziehen wir nicht. Wir
konkurrieren und renommieren weiter mit der „Fülle des Gcbotcnen",
getreu dem Satz nicht Goethes sondern seincs geschäftekundigen Theatcr-
direktors: „wer vieles bringt, wird manchcm etwas bringcn" und freuen
uns in bescheidener Selbsttäuschung wohl gar ganz ehrlich noch des
„Ragouts" von „Stücken", das uns dabei „glückt".

Derweilen jedoch wirkt die Ucberfüttcrung wcitcr. Die Fähigkeit,
sich zu sammeln und zu verticfen, wird nicht gebildct, nein, sie wird
geradezu aberzogen. Jmmer neue Eindrücke örängen sich uor, keiner
kommt dazu, recht ausgenossen zu werden. Und doch fördert überhaupt
nur der gründliche Genuß, n u r der Genuß mit ganzer, nnzerstrcutcr
Seele. Ein einziges kleines Gedicht Goethes oder Mvrikes, ein einzigcs
Liedchen Hngo Wolfs, ein cinziger Holzschnitt Dürers mit echter Ver-
senkung genossen, schafft einen Krystalli.sationspunkt des Kunstgenießens
und dcr reinen Daseinsfreude — man braucht gar nichts weiter zu
thun, es schießt unbewußt mehr und immer mehr daran aus nll der
der Schönheit her, dic aufgelöst im Leben schwcbt. ^Wie da alles zu-
zusammenhüngt und ineinandcrwirkt, das ist herrlich. Abcr freilich: nur
in dcr Tiefe hängt es zusammen, nur drunten im Erdreich bei den
Wurzeln und Qucllcn. Wessen Kunstgenuß an der Oberftäche dnhin-
schürft, dcr mag dabei Blätter und Blumen abschneiden so viel er will,
cr gcwinnt nur fürs Hcrbarium, es wüchst nichts weitcr bci ihm.

Runstwarl
 
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