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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,2.1900

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Heft 23 (1. Septemberheft 1900)
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Bartels, Adolf: Marie von Ebner-Eschenbach: geb. am 13. Sept. 1830
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https://doi.org/10.11588/diglit.7960#0408

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übrigens Religiosität keineswegs ausschlieht, erobert demgemäß als Dichterin
auch nicht durch ihr Temperament, sondern gewinnt durch ruhige Betrachtung
dem Leben ab, was sie oftmals mit leisem überlegenen Lächeln, hie und da
auch mit etwas karikierendem Humore darstellt. Die Droste-Hülshoff kann man
sich trotz einer bestimmten Altjüngferlichkeit mit im Sturme sliegendem Haare
auf dem Turme der Meeresburg sehr wohl vorftellen, Maric von Ebner-Eschcn-
bach aber paßt ganz und gar nicht in eine solche Situation. Dic Ballade und
das fast leidenschastlich intime Naturbild sind daher die Gattungen, in dcncn
die Westfälin groß ist, Marie von Ebner-Eschenbach ist Erzählerin schlichtweg.
Zwar auch Annette von Droste hat Erzählungen geschrieben, aber man vcr-
gleiche ihr bekanntestes Stück, „die Judenbuche", mit dem düstersten der Ebner-
Eschenbach, etwa „Er laßt die Hand küssen" — realistisch sind sie beide, aber welch
ein Unterschied des Realismusl Bei der Droste, die durch ein unheimliches
Verbrechen gleichsam aufgestörte Natur, alles fast peinigend, bei der Ebncr-
Eschenbach rein soziale Verhältnisse, die uns mit Weh und vielleicht mit Er-
bitterung erfüllen, aber nicht mit Grausen.

Sehr merkwürdig, jedenfalls denkonswert ist dio Entwicklung der Oester-
reicherin, über die wir sreilich, trotz eines längeren Selbstgeständnisses, noch
immer nicht genug wissen. Eine geborene Gräfin Dubskp, also doch wohl nicht
ganz ohne slavische Blutbeimischung, erhielt Marie von Ebner-Eschenbach zu-
nächst eine französische Erziehung, lernte dann abcr sozusagen noch deutsch um
und empfing darauf durch das Wiener Burgtheater entscheidende Eindrücke, die
sie wohl auch in ihren jüngeren Jahren, als sie cbcn vermählt war, der
dramatischen Produktion zuführten. Als ihren eigentlichen dichterischen Lehrer
niöchte ich — ich habe dafür freilich keinen üußeren Anhalt — Adalbert Stiftcr
bctrachten; von seinen Erzählungen, namentlich den späteren, wie „Ein frommcr
Spruch" und der „Kuß von Sentze", die Marie von Ebner-Eschenbach recht
wohl in den sechziger Jahren, wo sie zuerst erschienen, frisch gcnossen haben
kann, führt eine gerade Linie zu ihrer cigenen Produktion hinüber, freilich nur
eine ästhetische. Ein stärkerer Einfluß kann dann spüter auch noch von Luise
von Fran?ois, der norddeutschen Erzählerin, gekommen sein, die Maric von
Ebner-Eschenbach sehr verehrt und auch persönlich gekannt hat: Ein von ihr
geschriebener Aufsatz über die Verfasserin der letzten „Reckenburgerin" ist mir
nicht zur Hand, aber ich gehe wohl schwerlich fehl, wcnn ich annehme, daß
der starke, lebensvolle und lebensfühige Jdealismus der Oesterreichcrin, der
im Boden der Wirklichkeit wurzelt, sich zum Teil aus dcn Werkcn der Fran^ois
herleitet. Eine so scharfgeprägte Persönlichkeit wie Luise von Franpois ist
Marie von Ebner-Eschenbach nicht, aber eine poetischere Natur, weiter, wärmer,
licbenswürdiger, wciblicher, auch, wie es sich von selbst versteht, moderner.
Das untorscheidet sie sehr scharf von Stiftcr, mag er im Erzühlorischen auch
ihr Lehrer gewesen sein: daß sie sich energisch auf die Menschen wirft und dem
Naturquietismus keinen Raum in ihren Werken gestattet, und von den reli-
giösen Problemen der Franeois ist sie zu den sozialen fortgeschrittcn.

Eino östcrreichische Aristokratin als soziale Dichtcrin neben ihrcn dem
Volke entsprossenen Landslcuten Anzcngrubcr und Nosegger — cs ist doch am
Endc etwas um die Macht der „moderncn" Gedanken. Aber ich fürchtc, cs sind
nicht die Gedanken, die Marie von Ebner-Eschenbach zur sozialcn Dichtcrin
gemacht habcn, sondern es ist etwas ganz anderes, es ist das, was, wie man
sagt, überhaupt den Poeten macht: das „Herz", und so sollen sich dic politischcn
Parteien hüten, sie für sich in Anspruch zu nehmcn. Ja, sic ist ohne Zweifel
Auustwart
 
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