Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,2.1900

DOI Heft:
Heft 17 (1. Juniheft 1900)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Unsere Lyrik und Mörike
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.7960#0172

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
dessen Gedichten unser Volk dreißig oder vierzig Auflagen, wenn nicht
noch mehr, durchgemacht hat:

Die weite Stadt auf nacktem Fuße
Durchwandert sie von Haus zu Haus
Und bietet scheu mit blödem Gruße
Des Lenzes liebste Kinder aus:

„Maiblumen kauftl kauft aus Erbarmen,

Auf Stroh der Vater sterbend licgt,

Die Mutter auf den welken Armen
Ein schmachtend Kind in Thränen wiegt!"

Das die Situation, nun kommen die Betrachtungen als das tabnla ctoast:
Jst das des Frühlings erstes Grüßen,

Ein Wcheschrein der bittern Not?

Sie feilscht mit seinem Duft, dem süßen,

Um oinen Bissen trocken Brot;

Lduard Mörike. Iugendbildnis von Schreiner.

Maiglöckchen, Perlen, die voll Liebe
Der Braut ins grüne Haar er slicht,

Wie, darum sproßten eure Triebe,

Daß ein verhungernd Kind sie bricht?!

Und so fort, noch geschlagene weitere vierundzwanzig Verse. Das Ge-
sühlchen wird hergenommen, gut bethränt, rveich geknetet, nudeldünn ge-
walzt, daß es jeder durchschauen kann, noch einmal verzuckert, in Scha-
blonen gestanzt und zu Theeküchelchen solid ausgebacken, — dann kann
es geliefert werden fertig zum in den Mundstecken, wer's mag. Der
Vergleich hinkt: es gibt hier auch nichts zu kauen noch zu verdauen
mehr, es ist schon vorgekaut und chemisch vorverdaut.

Jch fühle mich versucht, dem Trägerschen Gedicht noch einige Por-
tionen aus andern lyrischen Modeküchen der Zeit zu gesellen, um durch
das Beispiel zu zeigen, was einen Mörike im Dunkel hielt. Aber man
kann zu viel besseren Leuten hinauf gehen, und findet immer noch Schön-
Kunstwart
 
Annotationen