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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,2.1900

DOI issue:
Heft 18 (2. Juniheft 1900)
DOI article:
Schultze-Naumburg, Paul: Künstlerische Photographien
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https://doi.org/10.11588/diglit.7960#0216

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gelingen? Dcr Entwicklnngsgang- des deutschcn Volkes auf ästhetischem
Gebiet, der ganz ohne Zwcifel im besten Gange ist, verbürgt uns das
fast mit Sicherheit. Die Zahl derer, die sich nicht mehr zufrieden gcben
mit dem Pracht-Büffet voll anfgelcimter Renaissaneeherrlichkeit ist im
schnellen Steigen, nnd wenn erst eine ebenso große Zahl sich nicht mehr zu-
friedcn gibt mit der Kunst der Herren Hofphotographen, wie sie meistens
sind, so wird nach dem alten Satze von Nachfrage und Angebot bald
ctwas Anderes und Bcsseres Bodcn gewinnen.

Man hat schon viel hin- und hergestritten, ob Photographie eine
Kunst sei oder nicht. Man muß da vor allem eine Scheidnng vor-
nehmen: es gibt Photooraphien, die täuschend einer Handzeichnung oder
der Reprodnktion emes Gemäldes ähncln. Schließlich erführt man aber,
daß, was man der Photogräphie nicht zutrauen wollte, in dcr That
auf zeichnerischem Wege — hicr nennt man's „Netouche" — hinzuge-
kommen ist. Gut, aber das Hinzugethane gehört dann eben llicht mehr
zur Photographie, sondern ins Gebiet der bildenden Kunst. Die Frage
kann nur dahin gehn, ob eine Photographie, die auf rein mechanischem
Wege entsteht, ein Kunstiverk ist. Aber anch jetzt ist die Antwort schwcr
zu finden, weil unser Begriff von Kunst sür solche Bestimmungen noch
lange nicht genügend feststeht. Wenn ein ganz außerordentlich begabter
Mann — und da ist's nun ganz gleich, ob er von Beruf Maler odcr
Tischlcr ist — einen ganz außerordentlich guten Stuhl macht —- ist das
dann ein Kunstwerk? Manche sagen darauf: er braucht es nicht zu scin,
er kan n es aber sein. Sie ziehen eine Grenzlinic, dcren Ucberschreitnng
ins Gebiet dcr Kunst führt. Das gilt nun ganz gcnau ebenso nnch
in der Malerei. Die mcisten Oclbilder könnten ihrem Material und
der Art ihrer Entstehung nach Knnstwerke sein, sind es aber durchaus
nicht. So kommt man der Antwort nicht nüher. Denn dcr Straß-
burger Münster ist ohne allc Zweisel ein großes Kunstwcrk, abcr jene
Villa dort drüben ist ganz und gar kein Kunstwerk, und beide sind doch
Werke der Architektur. Es bleibt schließlich als einziger Ausiveg dcr,
einer Reihe von mcnschlichen Thätigkeiten die Bezeichnnng des „Arbeitens
mit künstlerischen Mitteln" zn gebcn, bei dem Wort „Kunst" jedoch einen
weiteren und cinen engeren Wortsinn zu unterscheiden. Wir würden
dann den Begriff Kunst im engeren Sinne nur bei Leistungen anivenden,
in denen einmal die Technik die Möglichkeit einer ganz freien individuellen
Aussprache zuläßt, in denen zum zweiten aber anch eine selbständige
geistige Persönlichkeit etwas Wertvolles thatsächlich ausspricht.

Jn diesem engeren Sinnc des Wortes, glaube ich, werden wir
die reine Photographie als solche, die Arbeit des Photographen also, so-
weit er sich ausschließlich mechanischer Mittel bcdient, nicht zur Kunst
im engeren Sinne des Wortes rechnen können, mag der be-
treffende Photograph an sich auch noch so sehr als echter Künstler ver-
anlagt sein. Ganz gewiß: er kann durch seinc Mittel das Bild
der Natur innerhalb eines viel größeren Spielraums abwandeln,
als der Laie gewöhnlich ahnt — darüber ist ja im Kunstwart des öftern
gesprochen wordcn. Aber frei gegenüber dem Gegenstande ist er doch
nicht, mit ihm schalten und walten ganz nach dem inneren Schauen
sciner Phäntasie, das kann cr nicht. Man mißverstehe mich nicht so,
als meinte ich, seine Arbeit werde dadurch degradiert. Gcrade die
Kunstwart

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