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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,2.1900

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Heft 18 (2. Juniheft 1900)
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Erdmann, Karl Otto: Die Nebenwerte der Worte, [3]: Gefühlswert und Erkenntnissprache. Der Doppelcharakter des Aussage. Trägheit des Gefühlswertes
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.7960#0221

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haft sein, ob der Satz „cr ist ein Mann" nur die Thatsache vermitteln soll, das;
eine Person erwachsen und männlichen Geschlechts sei, oder ob es auch auf den
Ausdruck der Hochachtung vor gewissen körperlichen und seclischen Eigcnschastcn
ankommd Man vergleiche: „er war ein Mann, nehmt alles nur in allem" oder
„er ist kein Mann". Jn der Regel ist freilich eine völlige Trennung nicht durch-
führbar. Wohl wird man auch bei Aussagcn wie „der Mcnsch ist dumm"
meist aus Zusammenhang odcr Betonung erschlicßen, ob der Nedende in orster
Linie seincr Verachtung Ausdruck geben will, oder ob er nur die Absicht hat,
kühl und sachgemäß festzustellen, daß ein Mcnsch mangelhaft entwickelte geistige
Fähigkeiten habc; aber man wird dann doch nur sagen könncn, dasz einmal
die Beurtcilung, das andere Mal das objektivc Urteil im Vordergrunde
gcstanden habe, daß abcr doch strenge genommen immer beide ins Bewußt-
sein treten, wcnn auch das cinc nur leise mit anklingt. Bei Aussagen vollends
wie: „er stinkt", „er ist niedcrträchtig", „er ist tapfer", ist der objcktive That-
bestand ganz untrcnnbar mit einer Wertung verwachscn, Urteil und Bcur-
tcilung treten glcich stark ins Bewußtsein.

Der Doppclcharakter dcr Aussage wird verhängnisooll durch eine Er-
scheinung, die ich als die Träghcit des G e s ü h l s w e r t e s bezeichnen
müchtc. Jch meine die Thatsachc, daß cine Wertung sich mit einer gewissen
Zähigkcit und Gcdankcnlosigkeit dcrgestalt mit dem Sprachlaut verkettet, daß
sie sich unabhängig von dcn Grenzcn der Wortbedeutung erhält und — wenigstens
eine Zeit lang — auch dann am Worte haften bleibt, wenn sich der begrissliche
Jnhalt ändcrt, ja sclbst dann, wcnn man sich dieser Aenderung bewnßt wird.

Man vcrgegcnwärtige sich etwa dieWirkung von Wortenwie „Egoismus"
odcr „A l t r u i s m u s" u»d die mir ihnen vorgenommenen Spicgelfechtcrcien
Die alten und tauscndsach wiedcrholtcn Erwägungen, daß auch dem Selbstlosen
eigene Opfer geringeren Schmerz berciten, als der peinvolle Anblick fremden
Leids, daß auch der größte Altruist mit seinen Thaten, strcng genommen,
immer Unlust abwehrc oder eigene Lust, ^innere Befriedigung' crstrebe*,
schließcn fast immcr mit dcr Bchauptung: selbstlosc Handlungen existiertcn
„streng gcnommcn" übcrhaupt nicht, jede That sei eigentlich cgoistisch. Natür-
lich ist abcr mit eincr Acnderung dcr Wortgrenzen der fraglichc pspchologische
Thatbcstand auch untcr Beibchaltung dcr Worle „egoistisch" und „altruistisch"
zu charakterisiercn. Man könnte sagen, daß auch die selbstlose Handlung immer

* Charaktcristisch ist, daß man glcichzeitig meist auch das Trachten nach
dem Wohlbchagen des moralischcn Nachgesühls: dem Bewußlsein rreu erfüllter
Pflicht, der Scligkcit cines gnten Gcwissens, ofc auch das Streben nach „der
Ancrkcnnung allcr Gutgesinnien" anführt. Nian könnte dann ebcnso gut auch
ein Wohlchnn aus niedrigstcr Bcrechnung zu den selbstlosen Handlungen rechnen.
Die Scheidung zwischen nltruistischcn und cgoistischen Handlungcn hat doch nur
einen Sinn, wcnn sie auf Gruno dcr sreilich niemals gcnan zu ermittclndcn
und meist in gcmischtcr Form austretenden Motive erfvlgt. Ob jeman.>
vor und während eincr Handlung nur an andere denkt, odcr ob bcreits aie
Hossnung aus cin wohligcö Nachgesühl erst em bewnßtes Motiv für die SIus-
snhrung dcr Handlung wird, oder ob gar dcr erwarlele Lohn ausschlagatbcnd
ist — das sind doch unoerwischbarc Unterschiedc, für dcrcn Charaktcrisierung
in der Sprache handliche Ausdiückc bercit licgen müssen. Anch im ersica Falle
tann man natürlich sagen, dcm Handclnden bereite sremdes Leid llnlast, und
insosern cr diesc durch scine Thaicn zu bcscitigcn lrachtc, e r st r c b e ei Lust.
Man bcachte nbcr dabei die Vicldeutigkeit und das Atißverständlichc in dem
Ausdruck „crslrcbcn".

I.mihest syoo
 
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