Die Lustbarkeit in der Komödie betonte
man so laut, datz das Wehmütige, was
doch auch auf dem Grund der Kreuzel-
schreiber ruht, beinahe erstickt wurde.
Was die Gäste uns sonst vom lite-
rarischen Wien boten, das freilich er-
klärte, warum bildsame Talente nicht
zu straffer, voller Kraftübung erzogen
werden. Hier mutz aber die Ein-
schränkung gemacht werden, dah den
Wienern dreiStücke, Tolstojs „Macht
der Finsternis", „dieFamilieWawroch"
von Adamus und der „letzte Knopf"
von Gans von Ludassy, von der
Berliner Zensurbehörde verboten wur-
den. Um den letzten Knopf entstand
sogar ein „gefährlicher" Krieg in der
Berliner Freien Bühne. Ludwig Fulda,
der Vorsitzende, hat eigenmächtig, wie
es scheint, dem Wiener Verfasser die
Aufführung durch denVerein zugesichert,
die Vorstandsmitglieder wollten da-
von nichts wissen, weil sie wohl den
letzten Knopf, einen Nachzügler der
naturalistischen Komödie nicht für wert-
voll genug hielten; und Ludwig Fulda
legte sein Amt nieder. Die Freie Bühne
ist ja doch nichts lebendiges mehr;
also hat die Sache weiter nicht viel zu
bedeuten. Jch bin keinerlci Vereins-
mensch; aber aus Gastlichkeit, so meine
ich, und weil man jeden Anlah zum
Protest wider die Uebermacht der
Zensur ergreifen sollte, hätte man den
Wienern recht gut die Freie Bühne zur
Verfügung stellen können.
Für die verbotenen Dramcn war
uns durch die Aufführung des Masken-
spiels „König Harlekin" von Rudolf
Lothar ein Ersatz gegeben worden.
Diese Komödie war nämlich durch die
Wiener Zensurbehörde für Wien ver-
boten worden. Dem Tiefsinn der Zen-
soren nachzuspüren, ist vergebene Mühe.
Dem Maskenspiel von Lothar wurde
durch Nebenumstände eine Bedeutung
geliehen, die dem inneren Wert des
kalt-witzigen Stücks nicht entspricht.
König Harlekin gehört zu den Schau-
spielen, die aus keinem anderen Drang,
Uunstwart
als aus mahlosem Ehrgeiz entstanden
sind. Der Verfasser hat einen ver-
blüsfenden Kontrast gefunden;und nun
grübelt er mit überhitztem Raffinement,
wie er das Verblüffende zu einem
Lebenssymbol gestalten könnte. Mit
Raffinement baut er dann endlich etwas,
wie eine Märchen-Handlung auf. Aber
dem Märchen fehlt alle Naivetät und
jeglicher Tiefsinn. Der Märchenheld
wird, wie jeder andere kluge Peter,
ein unsagbar nüchterner und verstän-
diger Patron; und er kramt selbstge-
fällig die bunten Weisheiten und Ten-
denzen des Herrn Autors aus. Wenn
man über dem Kunstwerk den Meister
vergessen soll, so ist es hier umgekehrt.
So laut spricht der Meister, dah sein
Kunstwerk in nichts verrinnt.
Ein Harlekin hat in Qual und wil-
der Eifersucht einen fürstlichen Unhold,
der Colombinen nachstellte, ermordet.
Weil er dem Getöteten an Gestalt
gleicht und oft in wüsten Liebeshän-
deln die Rolle feines königlichen Herrn
spielen muhte, so gibt der Mörder Har-
lekin sich selüst für den König aus.
Er spielt seine Rolle sicher und gut;
es könnt' der Harlekin den König lehren.
Nun führt der Autor die Kontrastidee
nicht weiter, sondern er bricht fie will-
kürlich entzwei. Plötzlich cntdcckt der
Harlekin, dah ihm „die Königsrolle
nicht liege", wie man im Komödianten-
jargon sagt. Verrat und Gift be-
drängen ihn; und der verdammt kluge
Harlekin denkt: ei, da gehe ich den eklen
Dingen lieber aus dem Wege. Jn
einem Maskenspiel vom wiedergefun-
dencn Harlekin macht sich dcr Schein-
könig noch über seine Königswürde
lustig, läht einige allgcmein liberale
witzige Tiraden wider die Hofschranzen
los und entslieht mit Colombinchen.
So endigt mit frostigem Spah, was
wie eine Märchentragödie beginnen
wollte. Jmmer wieder verdrieht bei
diesen Dingen die spielerische Manier.
So jäh vcrfliegt ihr blinkenderReiz,und
man hungcrt dabei- L. Schönhoff.
2L8
man so laut, datz das Wehmütige, was
doch auch auf dem Grund der Kreuzel-
schreiber ruht, beinahe erstickt wurde.
Was die Gäste uns sonst vom lite-
rarischen Wien boten, das freilich er-
klärte, warum bildsame Talente nicht
zu straffer, voller Kraftübung erzogen
werden. Hier mutz aber die Ein-
schränkung gemacht werden, dah den
Wienern dreiStücke, Tolstojs „Macht
der Finsternis", „dieFamilieWawroch"
von Adamus und der „letzte Knopf"
von Gans von Ludassy, von der
Berliner Zensurbehörde verboten wur-
den. Um den letzten Knopf entstand
sogar ein „gefährlicher" Krieg in der
Berliner Freien Bühne. Ludwig Fulda,
der Vorsitzende, hat eigenmächtig, wie
es scheint, dem Wiener Verfasser die
Aufführung durch denVerein zugesichert,
die Vorstandsmitglieder wollten da-
von nichts wissen, weil sie wohl den
letzten Knopf, einen Nachzügler der
naturalistischen Komödie nicht für wert-
voll genug hielten; und Ludwig Fulda
legte sein Amt nieder. Die Freie Bühne
ist ja doch nichts lebendiges mehr;
also hat die Sache weiter nicht viel zu
bedeuten. Jch bin keinerlci Vereins-
mensch; aber aus Gastlichkeit, so meine
ich, und weil man jeden Anlah zum
Protest wider die Uebermacht der
Zensur ergreifen sollte, hätte man den
Wienern recht gut die Freie Bühne zur
Verfügung stellen können.
Für die verbotenen Dramcn war
uns durch die Aufführung des Masken-
spiels „König Harlekin" von Rudolf
Lothar ein Ersatz gegeben worden.
Diese Komödie war nämlich durch die
Wiener Zensurbehörde für Wien ver-
boten worden. Dem Tiefsinn der Zen-
soren nachzuspüren, ist vergebene Mühe.
Dem Maskenspiel von Lothar wurde
durch Nebenumstände eine Bedeutung
geliehen, die dem inneren Wert des
kalt-witzigen Stücks nicht entspricht.
König Harlekin gehört zu den Schau-
spielen, die aus keinem anderen Drang,
Uunstwart
als aus mahlosem Ehrgeiz entstanden
sind. Der Verfasser hat einen ver-
blüsfenden Kontrast gefunden;und nun
grübelt er mit überhitztem Raffinement,
wie er das Verblüffende zu einem
Lebenssymbol gestalten könnte. Mit
Raffinement baut er dann endlich etwas,
wie eine Märchen-Handlung auf. Aber
dem Märchen fehlt alle Naivetät und
jeglicher Tiefsinn. Der Märchenheld
wird, wie jeder andere kluge Peter,
ein unsagbar nüchterner und verstän-
diger Patron; und er kramt selbstge-
fällig die bunten Weisheiten und Ten-
denzen des Herrn Autors aus. Wenn
man über dem Kunstwerk den Meister
vergessen soll, so ist es hier umgekehrt.
So laut spricht der Meister, dah sein
Kunstwerk in nichts verrinnt.
Ein Harlekin hat in Qual und wil-
der Eifersucht einen fürstlichen Unhold,
der Colombinen nachstellte, ermordet.
Weil er dem Getöteten an Gestalt
gleicht und oft in wüsten Liebeshän-
deln die Rolle feines königlichen Herrn
spielen muhte, so gibt der Mörder Har-
lekin sich selüst für den König aus.
Er spielt seine Rolle sicher und gut;
es könnt' der Harlekin den König lehren.
Nun führt der Autor die Kontrastidee
nicht weiter, sondern er bricht fie will-
kürlich entzwei. Plötzlich cntdcckt der
Harlekin, dah ihm „die Königsrolle
nicht liege", wie man im Komödianten-
jargon sagt. Verrat und Gift be-
drängen ihn; und der verdammt kluge
Harlekin denkt: ei, da gehe ich den eklen
Dingen lieber aus dem Wege. Jn
einem Maskenspiel vom wiedergefun-
dencn Harlekin macht sich dcr Schein-
könig noch über seine Königswürde
lustig, läht einige allgcmein liberale
witzige Tiraden wider die Hofschranzen
los und entslieht mit Colombinchen.
So endigt mit frostigem Spah, was
wie eine Märchentragödie beginnen
wollte. Jmmer wieder verdrieht bei
diesen Dingen die spielerische Manier.
So jäh vcrfliegt ihr blinkenderReiz,und
man hungcrt dabei- L. Schönhoff.
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