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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,2.1900

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Heft 20 (2. Juliheft 1900)
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Nachträgliches zur Gutenberg-Feier
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https://doi.org/10.11588/diglit.7960#0299

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herrschende Verkehrte und Schlechte zu bestehen hat; das Märtyrertum
sast aller wahren Erleuchter der Menschheit, fast aller großen Meister,
in jeder Art und Kunst, abschildertc, uns vorführte, wie sie, wenige
Ausnahinen abgerechnet, ohne Anerkennung, ohne Anteil, ohne Schüler,
in Armut und Elend sich dahingequält haben, während Ruhm, Ehre und
Reichtum den Unwürdigen ihres Faches zu teil wurden, rn s. w.

Jst, oder war, etwa eine unter den Literaturzeitungen, welche
sich rühmen kann, nie die nichtswürdigste Schreiberei gelobt, nie das Vor-
trefsliche getadelt und herabgesetzt oder verschmitzterweise, um die Blicke
davon abzulenken, es als unbedeutcnd behandelt zu haben? ist eine,
welche stets die Auswahl des Anzuzeigenden gewissenhaft nach der Wichtig-
keit der Bücher, und nicht nach Gevatterrekommandationen, kollegialischen
Rücksichten, oder gar Verlegerschmiergeld getroffen hat? Sieht nicht jeder,
der kein Neuling ist, sobald er ein Buch stark gelobt oder sehr getadelt
findet, fast mechanisch sogleich zurück nach der Verlegerfirma?

Jn der Literatur ist die Höslichkeit, welche aus der Gesellschaft
stammt, ein fremdartiges, sehr oft schädliches Element, weil sie ver-
langt, daß man das schlechte gut heißt und dadurch den Zwecken der
Wissenschaft, wie der Kunst gerade entgegenarbeitet. Freilich könnte eine
Literaturzeitung wie ich sie will, nur von Leuten gcschrieben werden,
in welchen unbestechbare Nedlichkeit mit scltenen Kenntnissen und noch
seltenerer Urteilskraft vereint wäre; demnach könnte ganz Deutschland
allerhöchstens und kaum Eine solche Literaturzeitung zustandebringen, die
dann aber dastehen würde als ein gercchter Areopag, und zu der jedes
Mitglied von den sämtlichen andern gewählt sein müßte u. s. w.

Vor allen Dingen müßte jenes Schild aller literarischen Schurkerei,
die Anonqmität dabei wegfallen. Jn Literaturzeitungen hat zu ihrer
Einführung der Vorwand gedient, daß sie den redlichen Rezensenten, den
Warner des Publikums, schützen sollte gegen dcn Groll des Autors und
seiner Gönner. Allein gegen einen Fall dicser Art werden hundert sein,
wo sic bloß dient, den dcr, was er sagt, nicht vertreten kann, allcr Ver-
antwortlicheit zu entziehen, oder wohl gar, die Schande dessen zu ver-
hüllen, der feil und niedcrträchtig genug ist, für ein Trinkgeld vom Ver-
leger cin schlechtes Buch dem Publikum anzupreisen. Oft auch dient sic
bloß, die Obskurität, Jnkompetenz und Unbedeutsamkeit des Urteilenden
zu bedccken. Es ist unglaublich, welcher Frechheit sich der Burschen be-
mächtigt, und vor welchen literarischen Gaunereien sie nicht zurückbeben,
wenn sie unter dem Schatten der Anonymität sich sicher wissen.

Die in Deutschland endlich erlangte und sogleich auf das ehrloscste
mißbrauchte Preßsreiheit sollte wenigstens durch ein Verbot aller
Anonymität und Pseudonymität bedingt sein, damit jeder für das, was
er durch das weitreichende Sprachrohr der Presse öffentlich verkündet,
wenigstens mit seincr Ehre verantwortlich wäre, wenn er noch eine hat,
und wenn keine, damit sein Namc seine Ncde neutralisierte ....

:. Iulihcst 1900
 
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