voir mir eingegangenen Kontrakte zu realisiercn, und Wilhelm stand ihr gcgen-
über immer als großmütigcr und uneigennütziger Schenkcr dn. Waren die
Früchte reif, ein Zeitpunkt, über den Kinder und Erwachsene bekanntlich wcit
von einander abweichen, so warf mein Gläubiger von seincnr Garten aus mit
Knütteln und Steinen dazwischon, während ich aufpaßte, ob auch jcmand käme,
und das Gefallene hurtig und ängstlich für ihn zusammcnlas. Wir wählten
gewöhnlich die Mittagsstunde dazu, und oft glückte es mir, mcine Schuld voll-
ständig abzutragen, bevor die allgenreine Obstlese cintrat, oft wurden wir abcr
auch von dieser übcrrascht oder sonst ertappt, und dann holte Wilhelm sich
ohne Erbarmen, und ohne srch darum zu künrmern, datz er zuweilen den grötzten
Teil des bcdungenen Preises schon eingestrichen hatte, in günstiger Stnnde seine
Sachen wieder, indem er rasch über den Zaun sprang und sie mir wegriß.
Dies alles hatte nun ein Ende, und die Folgen warcn anfangs recht bitter.
Zunächst wurden meine Eltern feierlich als „Hungerleider" eingekleidet, denn
es ist charakteristisch an den gcringen Leuten, daß sie das Sprüchwort: „Armnt
sei keine Schande!" zwar erfunden haben, aber keirrcswegs danach handeln.
Dazu trug nun nicht wenig nrit bei, daß meine Mutter etwas zurückhaltcnder
Natur war und auch jctzt noch nicht aufhörte, ihr oft ausgesprochenes Prinzip:
„Wegwerfen kann ich mich immer, damit hat cs keine Eilel" scst zu befolgen.
Dann fing man an, auf uns Kinder zu hacken. Die alten Spiclkameraden
zogen sich zurück oder ließen uns den eingctretenen Unterschied wenigstens
empfindcn; denn der Knabe, der einen Eicrkuchen iin Leibe hat, blickt den von
der Seite an, der sich den Magen mit Kartoffeln füllen muß; die neuen hün-
selten uns und zeigten sich widerwärtig, wo sic konntcn, ja, die Pflegehaus-
Jungen drängten sich heran. Diese, arme Waiscn, die auf öffentliche Kosten
in einem Mittelding von Mildthütigkeits-Anstalt und Hospital unterhaltcn
wurden, bildeten nämlich die allerunterste Klasse; sie trugen grauc Kittel, hatten
in der Schule, wie die Grafen in Göttingen, ihrc eigne Bank, nur aus andcren
Gründcn, und wurden von allen gemieden, so daß sie sich selbst als halbe Aus-
sätzige betrachteten und sich nur denr nüherten, dcn sie verhöhncn zu dürfcn
glaubten. Doch hatte das alles zulctzt schr guto Folgerr für nrich. Jch war
bis dahin ein Träumer gewesen, der sich am Tage gerrr hinter den Zaun odcr
den Brunnen verkroch, des Abcnds abcr im Schooß der Mutter oder dcr
Nachbarinnen kaucrte und um Märchen und Gespenstergcschichtcn bat. Jetzt
ward ich ins thätige Leben hineingetrieben; es galt, sich scincr Haut zu wehren,
und rvenn ich mich aus die erste Nauferei auch nur nach langcm Zögern und
vielen, keineswegs kühnen Rettungsversuchon einließ, so fiel sre doch so aus,
daß ich die zweite nicht mehr scheute und an dcr drittcn odcr viertcn schon
Geschnrack fand. Unsere Kriegscrklärungen waron noch lakonischer, wic die der
Römer oder der Spartiaten. Dcr Herausfordcrcr sah seinen Gegner währcnd
der Schulstunde, wenn der Lehrer für eine Minute den Rücken wandtc, crnst-
haft an, ballte die rechte Hand zur Faust rmd legte sie sich auf den Atund
oder vielmehr aufs Maul. Der Gcgner wiederholte das siinrbolische Zeichen
in der nächsten sichercn Minutc, ohne auch nur mit einem Blick auf cin aus-
führlicheres Manifest zu dringcn, uud Mittags wurde dcr Handel auf dcur
Kirchhof in der Nähe eines alten Grabkellers, vor denr sich cin grün bewachsener
Fleck befand, mit den Naturwaffen durch Ringcn und Hauen, im äußcrsten
Fall auch durch Beißen und slratzen bündig vor der ganzcn Schulc ausgc-
macht. Zch erhob mich zwar nie zum Nang eines eigentlichcn Triariers, dcr
seinc Ehre darein setzte, das ganze Jahr nrit blauem Augc oder vcrschwollcncr
lkunstwart
über immer als großmütigcr und uneigennütziger Schenkcr dn. Waren die
Früchte reif, ein Zeitpunkt, über den Kinder und Erwachsene bekanntlich wcit
von einander abweichen, so warf mein Gläubiger von seincnr Garten aus mit
Knütteln und Steinen dazwischon, während ich aufpaßte, ob auch jcmand käme,
und das Gefallene hurtig und ängstlich für ihn zusammcnlas. Wir wählten
gewöhnlich die Mittagsstunde dazu, und oft glückte es mir, mcine Schuld voll-
ständig abzutragen, bevor die allgenreine Obstlese cintrat, oft wurden wir abcr
auch von dieser übcrrascht oder sonst ertappt, und dann holte Wilhelm sich
ohne Erbarmen, und ohne srch darum zu künrmern, datz er zuweilen den grötzten
Teil des bcdungenen Preises schon eingestrichen hatte, in günstiger Stnnde seine
Sachen wieder, indem er rasch über den Zaun sprang und sie mir wegriß.
Dies alles hatte nun ein Ende, und die Folgen warcn anfangs recht bitter.
Zunächst wurden meine Eltern feierlich als „Hungerleider" eingekleidet, denn
es ist charakteristisch an den gcringen Leuten, daß sie das Sprüchwort: „Armnt
sei keine Schande!" zwar erfunden haben, aber keirrcswegs danach handeln.
Dazu trug nun nicht wenig nrit bei, daß meine Mutter etwas zurückhaltcnder
Natur war und auch jctzt noch nicht aufhörte, ihr oft ausgesprochenes Prinzip:
„Wegwerfen kann ich mich immer, damit hat cs keine Eilel" scst zu befolgen.
Dann fing man an, auf uns Kinder zu hacken. Die alten Spiclkameraden
zogen sich zurück oder ließen uns den eingctretenen Unterschied wenigstens
empfindcn; denn der Knabe, der einen Eicrkuchen iin Leibe hat, blickt den von
der Seite an, der sich den Magen mit Kartoffeln füllen muß; die neuen hün-
selten uns und zeigten sich widerwärtig, wo sic konntcn, ja, die Pflegehaus-
Jungen drängten sich heran. Diese, arme Waiscn, die auf öffentliche Kosten
in einem Mittelding von Mildthütigkeits-Anstalt und Hospital unterhaltcn
wurden, bildeten nämlich die allerunterste Klasse; sie trugen grauc Kittel, hatten
in der Schule, wie die Grafen in Göttingen, ihrc eigne Bank, nur aus andcren
Gründcn, und wurden von allen gemieden, so daß sie sich selbst als halbe Aus-
sätzige betrachteten und sich nur denr nüherten, dcn sie verhöhncn zu dürfcn
glaubten. Doch hatte das alles zulctzt schr guto Folgerr für nrich. Jch war
bis dahin ein Träumer gewesen, der sich am Tage gerrr hinter den Zaun odcr
den Brunnen verkroch, des Abcnds abcr im Schooß der Mutter oder dcr
Nachbarinnen kaucrte und um Märchen und Gespenstergcschichtcn bat. Jetzt
ward ich ins thätige Leben hineingetrieben; es galt, sich scincr Haut zu wehren,
und rvenn ich mich aus die erste Nauferei auch nur nach langcm Zögern und
vielen, keineswegs kühnen Rettungsversuchon einließ, so fiel sre doch so aus,
daß ich die zweite nicht mehr scheute und an dcr drittcn odcr viertcn schon
Geschnrack fand. Unsere Kriegscrklärungen waron noch lakonischer, wic die der
Römer oder der Spartiaten. Dcr Herausfordcrcr sah seinen Gegner währcnd
der Schulstunde, wenn der Lehrer für eine Minute den Rücken wandtc, crnst-
haft an, ballte die rechte Hand zur Faust rmd legte sie sich auf den Atund
oder vielmehr aufs Maul. Der Gcgner wiederholte das siinrbolische Zeichen
in der nächsten sichercn Minutc, ohne auch nur mit einem Blick auf cin aus-
führlicheres Manifest zu dringcn, uud Mittags wurde dcr Handel auf dcur
Kirchhof in der Nähe eines alten Grabkellers, vor denr sich cin grün bewachsener
Fleck befand, mit den Naturwaffen durch Ringcn und Hauen, im äußcrsten
Fall auch durch Beißen und slratzen bündig vor der ganzcn Schulc ausgc-
macht. Zch erhob mich zwar nie zum Nang eines eigentlichcn Triariers, dcr
seinc Ehre darein setzte, das ganze Jahr nrit blauem Augc oder vcrschwollcncr
lkunstwart