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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,2.1900

DOI Heft:
Heft 23 (1. Septemberheft 1900)
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Göhler, Georg: Max Reger
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https://doi.org/10.11588/diglit.7960#0415

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den. Sehr lobenswert ist der glänzend geglückte Versuch, die Melodie nicht
immer in der Oberstimme zu behalten, sondern, analog dcm Gcbrauch des
zs. und ;s. Jahrhunderts auch im Tenor einzuführen, ja auch in den Baß
und Alt zu verlegen. Das gibt Reichtum und Mannigfaltigkeit. Dcr Einfluß
dieser Studien zeigt sich übrigens auch in Regers eigenen Werken, am deut-
lichsten in dem Volkslied, op. Z? Nr. 2, das den Volkston ganz ausgezeichnet
trifft.

Auch diesem Einflusse mag der Komponist aber nicht dermaßen sich hin-
geben, daß er anfängt, zu kopieren. Viellcicht wäre es günstig, wenn er die
Herausgabe von Werken eine Zeitlang nicht in dem rapiden bisherigen Tempo
sortsetztc und dadurch, daß er das Komponicren nicht als eine crnsthafte ob-
jektiv-mustkalische Thätigkcit auffaßte wie bisher, sondcrn als eine subjektive
Auseinandersetzung mit Menschheit, Leben, Welt und Natur, den persönlichen
Grundton in seinem Schaffen wesentlich verstürkte. Sein musikalisches Können
ist hcrvorragend. Ob er zu den Künstlern gehört, die uns wirklich etwas zu
sagen haben, das mehr als interessant und brav und gut ist, muß die Zukunft
lehrcn.

Nachtrag. Seit die vvrstehenden Zeilen geschrieben sind, hat Reger im
Verlage von Aibl eine Reihe neuer Werke erscheinen lassen, die hier gleich noch
mit angczeigt werden sollen. Aus der Zahl der Werke: ox>. Z8, 7 Männer-
chöre; op. 29, z sechsstimmige Chöre; op. -^o, 2 Phantasicn für Orgcl, op.
z. Sonate für Violine und Pianoforte; op. ^2, 4 Sonaten für Violine allein;
op. 42, Acht Lieder; op. Zehn kleine Vortragsstücke) ersieht man, daß keine
Aussicht vorhanden ist, der eben ausgesprochene Wunsch nach einer weniger
raschcn Produktion wcrde sich erfüllen. Jch halte ihn aufrecht, obwohl sich
unter den Werken einige bedeutende Gaben befinden. Das Beste sind die beiden
Phantasien für Orgel, dcnen die Choräle »Wie schön leuchtct der Morgenstern"
und „Straf mich nicht in Deinem Zorn" zu Grunde liegen. Jn der Art, die
Mclodie den zugehörigen Textworten cntsprechend durchzuführen und mit immcr
neuen Kontrapunkten zu umklciden, in dcr kühnen Kunst des Ocgelsatzes hat
Reger keinen Rivalen. Seine eminente musikalische Veranlagung spricht aus
jeder Seite der gewaltig angelcgten Werke. Vielleicht bieten diesc sogar den
Schlüssel zu seincr Künstlerpersönlichkeit überhaupt; denn am größten ist er
thatsächlich immer da, wo er das motivische Material vorfindet odcr nach
großen Mustern bilden kann und nur zu bauen braucht; er gehört eigentlich
in eine Zeit, in der, wie im Anfange der kontrapunktischen Musik, nicht das
Erfinden, sondern das Setzen die eigcntlichc Aufgabe des Künstlers war. Seine
Erfindung, seine melodieschaffcndc Phantasie ist gering, seine Stärke ist die
Unerschöpflichkeit der Umbildungskraft, der Reichtum an rhythmischen und
harnronischen Einfällen, der Sinn für Steigcrung durch Variation. Das Gleiche
zeigt sich in den Violinsonaten op. -^2. Sie sind ohne Bach undcnkbar, gehcn
ihrem Vorbild bis in Einzelheiten nach, abcr sie machen erstaunen durch die
spiclcndc Beherrschung des musikalischen Elements. Unsere Virtuoscn werden
gut thun, mit den Stücken ihr mangelhaftes Repertoire für Solo-Violine etwas
reicher zu gcstalten. Wer freilich sagt, Bach gcnügt dafür eigcntlich vollständig,
dcr hat schließlich auch Recht. Aber vielleicht helfen dic Regerschen Solo-
Sonaten die Virtuosen-Schmarren verdrängen. Das wäre doch auch ein Ver-
dienstl Dic Chörc op. zg und 39 zeichnen sich durch harmonischen Reichtum
und Schwierigkeit aus. Die Männerchöre sind mir zu übcrladen, zu massig
im Satz und unnötig schwcr. Tie crsten Tenöre und die zweiten Bässe sind

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