der verschicdencn Zeitumstände und nationalen Eigcntnmlichkciten; dcr kirnst-
lerische Gchalt, der unbckümmert um allen Zeitenwechsel seincn inneren Gc-
setzen folgt, werde übergangen. Das größere Thema der „Kunsl" hat die
historische Kunstrvissenschaft in der That fast ganz aus den Händen gegeben und
einer von ihr gesonderten Kunstphilosophie überlassen, der man andererseits
schon so und so oft die Daseinsbercchtigung abgesprochen hat. „Das Natürliche
wärc, daß jede kunstgeschichtliche Monographie zugleich ein Stück Aesthetik ent-
hiclte." Wir brauchen nicht erst darauf hinzuwciscn, daß das durchaus dem Stand-
punkte entspricht, den der Kunstwart von jeher eingenommen hat. Wölsslins
Absicht gcht nun dahin, insbesondere den künstlerischen Jnhalt der klassischcn
Kunst Jtalicns herauszuheben. Er thut es mit einem Feingefühl, das den
Absichten der Künstler bis in ihre kleinsten Verzrveigungen gerecht wird, er
thut es mit einer so ehrlichen Wärme und Kunstbegeisterung, daß man ihm
bei seinen Darlegungen mit voller Teilnahme und allermeistens mit freudiger
Zustimmung folgt. Nur eine Einschränkung ist dabei zu machen: die Farbe
ist in den Darlegungen Wölfflins unberücksichtigt geblieben. Es ist richtig, daß
die Farbe in der klassischen Kunst Jtaliens eine Nebenrolle spielt, indeß hätte
sie doch auch in dieser Nebenrolle gewürdigt rverden sollen. Dabei möchten
wir auch Anton Springers gedenken. Jn seinen Vorträgen wußte er uns in
ganz ähnlicher Weise, wie es Wölfflin thut, die Augen zu öffnen für dic wescn-
haften Eigentümlichkeitcn und Schönheiten der italienischen Kunst. Jn'seinen
Büchern kommt das wcit weniger zum Ausdruck.
Wölfflin stellt sich mit seinem Buche einer starken Zeitströmung cntgegen.
Denn Künstler wie Raffael, Andrea del Sarto, Fra Bartolommeo wurden
wohl um die Mitte dcs 19. Jahrhunderts zu Zeiten der Klassizistcn bis in die
70er und 8vcr Jahre hincin als die ersten Künstler aller Zeiten hochgcschätzt,
aber seitdem hat sich der Geschmack dcr tonangebenden Krcise unter den Kunst-
historikcrn wie unter den bilderkaufenden Kunstfreunden und nicht minder unter
den Snobs, die stets auf den äermer cri schwören, den Primitiven zugewendet.
Rassael ist nichts mehr, Botticelli alles; man will nicht mehr das Grotz-
zügige, das unpersönlich in sich Harmonische, das Fcierliche eines zum Er-
habenen gesteigerten Daseins, man will das Naive und Unbefangcne, das
Frische, Herbe, ja Unbeholfcne, alles Eigenschaften, wie sie das Quattroccnto
der italienischen Kunst im Gegensatz zum Cinquecento aufwcist. Dicsem primi-
tivcn Geschmack tritt Wölfflin kampflustig entgegen. Jhm ist das Quattro-
cento das Unvollkommene, die Zeit des Werdens, der Vorberoitung; das
Cinquecento bringt die Reife, die Vollendung der durch nichts unterbrochenen
Entwickelung und demgemätz auch das Höhere gegenüber dor trotz aller Vor-
züge niedrigeren Stuse im Quattrocento. Wer nicht Partei genommen hat in
diesem Strcite, der wird vielleicht mit den von Wölfflin Bekämpsten die Quattro-
centisten nnd mit Wölfflin die Klassikcr schätzen und lieben. Wir leben wedcr
zu Beato Angelicos oder Donatellos noch zu Raffaels oder Michelangelos
Zcit, wir könncn aber jederzeit die Entwickelung der Renaissance von Giotto
bis Raffacl von neuem durchleben, und unser historischer Sinn erlaubt uns,
uns bald an dcr frischen Unbefangenhcit odcr herben Schärfe des Quattro-
cento, bald an der klassisschcn Harmonie des Cinquecento zu erfrcuen.
Wölfflin gibt im ersten Teile seines Buches nach einer kurz zusammon-
fassenden Charakteristik der Zeit von Giotto bis zum tö- Jahrhundcrt Würdi-
gungen der sechs grohcn Meister Lionardo, Raffael, Andrea del Sarto,
Michelangelo und ihrer Hauptwerke, im zweiten Teile aber fatzt er die Einzel-
Scxtemberheft tyoo
lerische Gchalt, der unbckümmert um allen Zeitenwechsel seincn inneren Gc-
setzen folgt, werde übergangen. Das größere Thema der „Kunsl" hat die
historische Kunstrvissenschaft in der That fast ganz aus den Händen gegeben und
einer von ihr gesonderten Kunstphilosophie überlassen, der man andererseits
schon so und so oft die Daseinsbercchtigung abgesprochen hat. „Das Natürliche
wärc, daß jede kunstgeschichtliche Monographie zugleich ein Stück Aesthetik ent-
hiclte." Wir brauchen nicht erst darauf hinzuwciscn, daß das durchaus dem Stand-
punkte entspricht, den der Kunstwart von jeher eingenommen hat. Wölsslins
Absicht gcht nun dahin, insbesondere den künstlerischen Jnhalt der klassischcn
Kunst Jtalicns herauszuheben. Er thut es mit einem Feingefühl, das den
Absichten der Künstler bis in ihre kleinsten Verzrveigungen gerecht wird, er
thut es mit einer so ehrlichen Wärme und Kunstbegeisterung, daß man ihm
bei seinen Darlegungen mit voller Teilnahme und allermeistens mit freudiger
Zustimmung folgt. Nur eine Einschränkung ist dabei zu machen: die Farbe
ist in den Darlegungen Wölfflins unberücksichtigt geblieben. Es ist richtig, daß
die Farbe in der klassischen Kunst Jtaliens eine Nebenrolle spielt, indeß hätte
sie doch auch in dieser Nebenrolle gewürdigt rverden sollen. Dabei möchten
wir auch Anton Springers gedenken. Jn seinen Vorträgen wußte er uns in
ganz ähnlicher Weise, wie es Wölfflin thut, die Augen zu öffnen für dic wescn-
haften Eigentümlichkeitcn und Schönheiten der italienischen Kunst. Jn'seinen
Büchern kommt das wcit weniger zum Ausdruck.
Wölfflin stellt sich mit seinem Buche einer starken Zeitströmung cntgegen.
Denn Künstler wie Raffael, Andrea del Sarto, Fra Bartolommeo wurden
wohl um die Mitte dcs 19. Jahrhunderts zu Zeiten der Klassizistcn bis in die
70er und 8vcr Jahre hincin als die ersten Künstler aller Zeiten hochgcschätzt,
aber seitdem hat sich der Geschmack dcr tonangebenden Krcise unter den Kunst-
historikcrn wie unter den bilderkaufenden Kunstfreunden und nicht minder unter
den Snobs, die stets auf den äermer cri schwören, den Primitiven zugewendet.
Rassael ist nichts mehr, Botticelli alles; man will nicht mehr das Grotz-
zügige, das unpersönlich in sich Harmonische, das Fcierliche eines zum Er-
habenen gesteigerten Daseins, man will das Naive und Unbefangcne, das
Frische, Herbe, ja Unbeholfcne, alles Eigenschaften, wie sie das Quattroccnto
der italienischen Kunst im Gegensatz zum Cinquecento aufwcist. Dicsem primi-
tivcn Geschmack tritt Wölfflin kampflustig entgegen. Jhm ist das Quattro-
cento das Unvollkommene, die Zeit des Werdens, der Vorberoitung; das
Cinquecento bringt die Reife, die Vollendung der durch nichts unterbrochenen
Entwickelung und demgemätz auch das Höhere gegenüber dor trotz aller Vor-
züge niedrigeren Stuse im Quattrocento. Wer nicht Partei genommen hat in
diesem Strcite, der wird vielleicht mit den von Wölfflin Bekämpsten die Quattro-
centisten nnd mit Wölfflin die Klassikcr schätzen und lieben. Wir leben wedcr
zu Beato Angelicos oder Donatellos noch zu Raffaels oder Michelangelos
Zcit, wir könncn aber jederzeit die Entwickelung der Renaissance von Giotto
bis Raffacl von neuem durchleben, und unser historischer Sinn erlaubt uns,
uns bald an dcr frischen Unbefangenhcit odcr herben Schärfe des Quattro-
cento, bald an der klassisschcn Harmonie des Cinquecento zu erfrcuen.
Wölfflin gibt im ersten Teile seines Buches nach einer kurz zusammon-
fassenden Charakteristik der Zeit von Giotto bis zum tö- Jahrhundcrt Würdi-
gungen der sechs grohcn Meister Lionardo, Raffael, Andrea del Sarto,
Michelangelo und ihrer Hauptwerke, im zweiten Teile aber fatzt er die Einzel-
Scxtemberheft tyoo