isoliertes Jndividuum, sondern um Herrscher und Führer, deren Schicksal
mit dem Geschick großer Jnstitutionen des sozialen und geschichtlichen
Lebens verflochten ist. Die Naturkraft, das Chaos, erstreckt sich eben
auch in das geschichtliche Leben hinein, wo es als Masse auftritt und
seine Feuerbrände schleudert. Auch hier kann das Licht vom Abgrund,
der Heros von der gegenwirkenden ungeheuren Menge nicht getrennt
werden. Davon waren Hebbel und Nietzsche vollauf durchdrungen.
Jedoch, die Sache hat eine Stelle, wo die Aehnlichkeit auf einmal
sehr gründlich aufhört. Denn da ist etwas, womit Hebbel im besten
Fall nur unter großen Vorbehalten, in keinem Fall unbedingt ein-
verstanden gewesen wäre: Nietzsches „Herren- und Sklavenmoral."
Hebbel war allerdings der Meinung, daß der große und hochstehende
Einzelne sich in bestimmten Fällen über den moralischen Durchschnitt
hinwegsctzen durfte und sogar mußte: Herzog Ernst darf Agnes opfern
und sogar ein Herodes den Bruder seiner Frau beseitigen. Noch mehr:
Hebbel wußte, daß die große und außerordentliche Menschennatur ganz
unter dem Zwang ihres dämonischen Genies und Jnstinktes steht und
darum eigentlich unverantwortlich auch für ihr „Böses" ist — Holo-
fernes! Aber was hilft das? Dic Welt begehrt das Maß, weil sie
des Maßes bedarf, und so wird das Maßlose, mag es in seiner Art
auch eine Naturnotwendigkeit sein, durch einen gleich starken Naturzwang
ausgestoßen und vernichtet. Und nur, ein wunderüar seltener Glücksfall,
wenn sich die gewaltige Kraft zu tragisch-heroischer Humanität empor-
geläutert hat, wie im jungen Gygcs, kann sie von der Masse ertragen
werden. Denn in Beziehung auf Held,, und Volk, auf Einzelnen und
Masse, hielt Hebbcl, wie sonst überall/" auf Harmonie, auf Gleichmaß
und Gleichberechtigung. Er wußte freilich, daß auch hier das Ebenmaß
ein schwankendes war und immer erst aus einem Urgrund tief tragischer
und tief notwendiger Kämpfe herauswuchs. Nietzsche aber wußte das
nicht nur nicht, sondern wollte es nicht einmal wissen. Er wollte nicht
Ebenmaß in der Beziehung zwischen der Masse und dem großen Einzelnen,
sondern Vernichtung oder absolute Wertlosigkeit dieser Masse, die er
haßte und als eine organischc Notwendigkeit nicht zu begreifen vermochte.
Und weil er hier eine falsche Stellung einnahm, so gelangte er auch an
anderen Orten, wo er es offenbar wollte, nicht zum vollen Ebenmaß.
Sein „Uebermensch" schwankt thatsächlich sehr unsicher zwischen einem
naturwilden Chaos und heroischer Humanität hin und her: zwischen
Holofcrnes und Gyges. Das ist der große Unterschied, der ihn und mit
ihm auch cinen großen Teil des modernen Geisteslebens von Hebbel
noch trennt.
Aber die Welt ist rund und dreht sich. Nietzsche war der elementare
Gegensatz zum Sozialismus, diescr großen Massenbewegung und Massen-
theorie, die das Seelenleben des Einzelnen vollstündig aufzusaugen drohte.
Dafür, im grimmigen Haß, ncgierte er die Menge, fast schon alles
Soziale schlcchthin. Das alles war sehr begreiflich, doch diese Zeit ist
vorüber. Wenn nicht alle Zeichcn trügen, namentlich nicht die innere
Wandlung und Umformung der sozialen Frage, dann beginnt die absolute
Feindseligkcit zwischen Mann und Masse zu schwinden. Man fühlt, man
gehört zusammen. Freilich wird der Kampf weiter gehen, wird sich
sogar in gewisser Hinsicht vertiefen. Aber das schadet nichts. Der
2. LcxteliiLerhest tZoo
mit dem Geschick großer Jnstitutionen des sozialen und geschichtlichen
Lebens verflochten ist. Die Naturkraft, das Chaos, erstreckt sich eben
auch in das geschichtliche Leben hinein, wo es als Masse auftritt und
seine Feuerbrände schleudert. Auch hier kann das Licht vom Abgrund,
der Heros von der gegenwirkenden ungeheuren Menge nicht getrennt
werden. Davon waren Hebbel und Nietzsche vollauf durchdrungen.
Jedoch, die Sache hat eine Stelle, wo die Aehnlichkeit auf einmal
sehr gründlich aufhört. Denn da ist etwas, womit Hebbel im besten
Fall nur unter großen Vorbehalten, in keinem Fall unbedingt ein-
verstanden gewesen wäre: Nietzsches „Herren- und Sklavenmoral."
Hebbel war allerdings der Meinung, daß der große und hochstehende
Einzelne sich in bestimmten Fällen über den moralischen Durchschnitt
hinwegsctzen durfte und sogar mußte: Herzog Ernst darf Agnes opfern
und sogar ein Herodes den Bruder seiner Frau beseitigen. Noch mehr:
Hebbel wußte, daß die große und außerordentliche Menschennatur ganz
unter dem Zwang ihres dämonischen Genies und Jnstinktes steht und
darum eigentlich unverantwortlich auch für ihr „Böses" ist — Holo-
fernes! Aber was hilft das? Dic Welt begehrt das Maß, weil sie
des Maßes bedarf, und so wird das Maßlose, mag es in seiner Art
auch eine Naturnotwendigkeit sein, durch einen gleich starken Naturzwang
ausgestoßen und vernichtet. Und nur, ein wunderüar seltener Glücksfall,
wenn sich die gewaltige Kraft zu tragisch-heroischer Humanität empor-
geläutert hat, wie im jungen Gygcs, kann sie von der Masse ertragen
werden. Denn in Beziehung auf Held,, und Volk, auf Einzelnen und
Masse, hielt Hebbcl, wie sonst überall/" auf Harmonie, auf Gleichmaß
und Gleichberechtigung. Er wußte freilich, daß auch hier das Ebenmaß
ein schwankendes war und immer erst aus einem Urgrund tief tragischer
und tief notwendiger Kämpfe herauswuchs. Nietzsche aber wußte das
nicht nur nicht, sondern wollte es nicht einmal wissen. Er wollte nicht
Ebenmaß in der Beziehung zwischen der Masse und dem großen Einzelnen,
sondern Vernichtung oder absolute Wertlosigkeit dieser Masse, die er
haßte und als eine organischc Notwendigkeit nicht zu begreifen vermochte.
Und weil er hier eine falsche Stellung einnahm, so gelangte er auch an
anderen Orten, wo er es offenbar wollte, nicht zum vollen Ebenmaß.
Sein „Uebermensch" schwankt thatsächlich sehr unsicher zwischen einem
naturwilden Chaos und heroischer Humanität hin und her: zwischen
Holofcrnes und Gyges. Das ist der große Unterschied, der ihn und mit
ihm auch cinen großen Teil des modernen Geisteslebens von Hebbel
noch trennt.
Aber die Welt ist rund und dreht sich. Nietzsche war der elementare
Gegensatz zum Sozialismus, diescr großen Massenbewegung und Massen-
theorie, die das Seelenleben des Einzelnen vollstündig aufzusaugen drohte.
Dafür, im grimmigen Haß, ncgierte er die Menge, fast schon alles
Soziale schlcchthin. Das alles war sehr begreiflich, doch diese Zeit ist
vorüber. Wenn nicht alle Zeichcn trügen, namentlich nicht die innere
Wandlung und Umformung der sozialen Frage, dann beginnt die absolute
Feindseligkcit zwischen Mann und Masse zu schwinden. Man fühlt, man
gehört zusammen. Freilich wird der Kampf weiter gehen, wird sich
sogar in gewisser Hinsicht vertiefen. Aber das schadet nichts. Der
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