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Kunstwart und Kulturwart — 33,3.1920

DOI Heft:
Heft 20 (Augustheft 1920)
DOI Artikel:
Popert, Hermann: Deutscher Pazifismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.14991#0402

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gegen sein Gewissen gehe, wenn er losschlug, sobald das Interesse seines
Staates es ihm zu gebieten schien. Napoleon I. hat darin nicht airders
gehandelt als Friedrich der Große, Peter der Große genau wie Bismarck
und der englische Minister Ioe Chamberlain beim Burenkriege genau
wie sie alle. Das Bewußtsein der politisch Leitenden aller Staaten der Erde
wußte bisher eben nichts davon, daß es irgendeine Rechts- oder Gewissens-
pflicht gegen einen andern Staat geben könne — es gab ja auch bisher
tatsächlich keine den Staaten übergeordnete Rechts- oder Moralordnung.
And ebensowenig wußte jenes Bewußtsein etwas davon, daß Menschen-
blut (der fremden oder auch der eigenen Menschen) irgendeine Rolle
spiele, sobald das eigene „Staatsinteresse" nach Meinung der politisch
Leitenden in Frage kam. Erst der Weltkrieg mit seinen durch die Entwick-
lung der Technik bedingten, ungewohnt grauenhaften, geradezu namenlosen
Scheußlichkeiten hat Hier eine Anderung angebahnt. Wie schon gesagt, ich
glaube, daß sie sich durchsetzen wird. Iknd zwar trotz aller Hindernisse, die
insbesondere das durch und durch antipazifistische Frankreich dem Ausstiege
des Rechtsgedankens in der Menschheit in den Weg legt. Darum ist es also
unerlaubt kindisch, wenn ernsthafte Menschen — indem sie Grundsätze, die
(hoffentlich) in Zukunft Geltung haben werden, auf die Vergangenheit
anwenden — sich verleiten lassen, nach einer „Schuld am Weltkriege" zu
fragen. And hätte selbst Deutschland den Weltkrieg als einen alldeutschen
Eroberungskrieg begonnen, oder hätte selbst England den Weltkrieg be-
gonnen, um in Deutschland einen unbequemen Wettbewerber zu vernichten —
eines ist so unwahr wie das andere. Deutschland oder England hätte
dann immer nur kraft althergebrachter und im Iahre (9(^ noch in allen
Staaten der Erde in unbeschränkter Anerkennung stehender Anschauung
seine Interessen durch Krieg wahrgenommen: von „Schuld" könnte selbst
dann weder so noch so gesprochen werden. Diese Erkenntnis ist schlechthin
jgrundlegend wichtig: Die pazifistische Bewegung, von deren Erfolge jetzt
das Heil der Welt und besonders auch das Heil Deutschlands abhängt,
muß klar erkennen, daß alle Voraussetzungen, unter denen das Wort „Schuld
am Weltkriege" einen Sinn haben kann, bis jetzt nicht vorhanden waren
und erst von der pazifistischen Bewegung selbst (eben durch Begründung
einer Rechtsordnung zwischen den Staaten) geschafsen werden müssen.
Sonst baut sie auf Moorgrund. Sinn hat — was den Arsprung des
Weltkrieges angeht — nur die Frage, wer ihn veranlaßt hat, wobei
also, wie dargelegt, den Veranlasser keine „Schuld" trifft.

Träfe aber, was also nicht der Fall ist, den Veranlasser des Weltkrieges
eine „Schuld", so wäre doch ganz gewiß nicht Deutschland der Schuldige,
sondern dann wären die Schuldigen Frankreich und das zaristische Rußland,
denn diefe haben den Krieg veranlaßt, nicht Deutschland (noch auch England)
hat das getan. Die Vorgänge waren so: Frankreich, dessen herrschende Clique
es nicht ertragen wollte, daß Frankreich (87( ein umstrittenes Grenzland mit
durchweg deutscher Bevölkerung hatte aufgeben müssen, schob deswegen seit
(87( Europa planmäßig in den Krieg hinein. Es gelang ihm, als es in der
ganzen Welt nach Bundesgenossen dafür suchte, das zaristische Rußland
für seine Zwecke einzufangen, dem es mit 22 Milliarden Francs seine
Rüstungen bezahlte, und das, wie ja Maxim Gorki am (H. Februar (9(8
in der Zeitung „Nowaja Shisn" aufgedeckt hat, bereits am 2(. Februar (9(-(
amtlich beschloß, bei dem ersten dafür günstigen Zufall einen europäischen
Krieg zu entsesseln, um dabei seinerseits Konstantinopel und die Meerengen

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