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Kunstwart und Kulturwart — 33,3.1920

DOI Heft:
Heft 20 (Augustheft 1920)
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Popert, Hermann: Deutscher Pazifismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.14991#0403

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zu erobern. Diesen günstigen Zufall lieserte ihm die Torheit der Dynastie
Habsburg, die sich durch eine von Rußland unterstützte und gedeckte serbische
Mordtat verleiten ließ, an Serbien ein, angesichts der tatsächlichen Macht--
verteilung in Europa, höchst unzweckmäßiges Ultimatum zu stellen. Ruß-
land benutzte dann, wie geplant, diese Gelegenheit, um den Brand zu ent-
fesseln, in den Deutschland, weil es österreich-Rngarn nicht fallen lassen
konnte, mit hineingezogen wurde, ebenso Frankreich, das an das zaristische
Rußland gefesselt war, und ja übrigens, wie gesagt, den Krieg seit s87s
geschoben hatte. Der Krieg brach erst aus, nachdem Deutschland sein Bestes
und England wenigstens viel getan hatte, um das Anheil zu verhindern;
die Friedensbemühungen beider Mächte scheiterten an dem unbedingten
Kriegswillen Rußlands und der in Frankreich tatsächlich herrschenden
Männer^ der große Franzose Iaures, der den Willsn hatte, und viel-
leicht die Macht gehabt hätte, der Kriegstreiberei in Rußland und Frank-
reich zu widerstehen, wurde ermordet, unmittelbar, ehe er einen von ihm
vorbereiteten, wahrscheinlich entscheidenden Schlag für den Frieden tun
konnte; wir alle Haben erlebt, wie das Verfahren gegen seinen Mörder,
der noch am selben Abend ergriffen wurde, über vier Iahre lang hinaus-
gezögert wurde, und nach was für einer Art Verhandlung und unter welchen
Vorwänden der Mörder dann freigesprochen worden ist. Das ist die ge-
drängte Darstellung der unmittelbaren Vorgeschichte des Krieges; die nähe-
ren Belege für die Richtigkeit dieser Auffassung finden sich in meinem
Aufsatze „Deutscher Pazifismus" im ersten Septemberhefte des „Vor-
trupp". Schon ganz allein die beiden Tatsachen des russischen Kriegs-
beschlusses vom 2s. Februar (9^ und der Lrmordung Iaures' erledigen
für jeden Arteilsfähigen ein für allemal das Bestreben der Richtung
Fried-Gerlach, uns aufzureden, Deutschland habe den Weltkrieg veran-
laßt, oder, wie sie es ja sogar ausdrücken, Deutschland (oder doch die
frühere deutsche Regierung) träfe die „Schuld am Kriege". Eine dritte
Tatsache, die, auch schon sür sich ganz allein, endgültig in der gleichen
Richtung wirkt, ist das Schicksal der „deutsch-englischen Friedensformel",
von der in meinem letzterwähnten Aufsatze des näheren die Rede ist.

Ich wiederhole, daß es mir niemals einfallen wird, die sehr großen
Verdienste, die sich Alfred H. Fried um den Pazifismus, und damit ins-
besondere auch um unser deutsches Volk, erworben hat, irgendwie ver-
kleinern zu wollen. Aber ebenso bestimmt betone ich, daß die von ihm
(und namentlich auch von Gerlach) jetzt beliebte Taktik dem Fortschritte des
Pazifismus die allergefährlichsten Hindernisse in den Weg wirft. Diese
Taktik kann in Deutschland wohl kleinere oder größere Konventikel hinter
sich bringen, sie hat sich, durch den Einfluß einiger Hypnotiseure, auch die
Mehrheit des 8. Deutschen Pazifistenkongresses dienstbar gemacht, der in-
folgedessen dann Beschlüsse gefaßt hat, die ich bereits mehrfach öffentlich
als die Schande des Pazifismus bezeichnet habe. Dagegen werden für
eine derartige Taktik irgendwie beträchtliche Teile des deutschen Volkes
und der deutschen Intelligenz niemals zu gewinnen sein; sie werden sich
dazu niemals anders als schroff feindlich stellen — nnd das mit Recht. Ganz
gewiß kann, wie Fried in seiner Gegenschrift gegen mich „Auf hartem
Grund" (Pfadweiserverlag, Hamburg) geschrieben hat, „der Pazifismus
nur international sein, kann er nur verwirklicht werden durch die auf
Vertrauen beruhende Zusammenarbeit aller Völker". Aber zu diesen „allen
Völkern" gehören eben, und nicht ganz nebensächlich, auch wir Deutschen,

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