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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

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Zobelitz, Fedor von: Mein Bruder Hanns
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72 llLLLLLEEELLLLI Fedor von Zobeltitz:

und auch mannigfache Iugendschriften für
den Verlag verfaßt — und nun erschien eines
Tages Herr Johannes Klasing mit der An-
frage bei ihm, ob er nicht in die Redaktion
seiner Blätter eintreten wollte ... Es ist für
einen alten Offizier immer schwer, sich von
dem bunten Rocke zu trennen. Mein Bruder
war Hauptmann geworden und hoffte auf
den Eeneralstab; die Aussichten für seine
Karriere waren gut. Auch meiner Schwägerin
wurden die Augen naß, wenn sie an den
Abschied dachte. Sie hatte gewissermaßen
„mitgedient" ... Also nun kamen die beiden
zu mir, und da gab es denn eine längere
Aussprache. Hanns war bis dahin mit gan-
zem Herzen Soldat gewesen. Zivil trug er
nicht gern: eigentlich nur, wenn er einmal
mit mir bummelte. Und im Bürgerrocke
sah er gewöhnlich so zerknautscht aus, daß ich
ihn immer erst zurechtzupfen mußte, wenn ich
mit ihm ausging. Für die Faltenlage der
Krawatte hatte er gar kein Verständnis und
für den Sitz der Hose fehlte ihm jegliches
Begreifen. So bat ich ihn denn auch u. a.
flehentlich: „Hanns, wenndu quittierst, schaffe
dir einen guten Schneider an." Das ver-
sprach er und tat er. Das „Räuberzivil"
war das letzte Geschenk an seinen Burschen.
Sein Entschluß stand fest. Die Vorge-
setzten rieten freilich ab und erschöpften
noch einmal ihre Beredsamkeit: sie wollten
den tüchtigen Offizier nicht missen. Aber
Hanns schwankte nicht länger. Noch am
Abend unserer entscheidenden Unterredung
schrieb er sein Abschiedsgesuch: es war eine
bange Stunde im Hause. Dann traf der
Abschied ein: in allen Ehren, mit der üb-
lichen Dekoration und der Erlaubnis zum
Tragen seiner alten Regimentsuniform, der
Garde-Füsiliere, mit denen er zusammen im
Felde gestanden hatte. Der hübsche Rock
mit dem silbergestickten Kragen brauchte also
nicht für immer in die Ecke gelegt zu werden.
Ich glaube, als Hanns in Sonnenburg zum
Rechtsritter des Johanniterordens geschlagen
wurde, hat er die Uniform zum letzten Male
getragen. Und nun trat er mit frischen Kräf-
ten in das neue Leben. Die Redaktion der
beiden großen Velhagen LKlasingschen Blät-
ter, des „Daheim" und der „Monatshefte",
war damals von Leipzig nach Berlin verlegt
worden: Hanns hatte also nicht nötig, sich erst
in einer ihm fremden Stadt einzuleben. Die
Redaktionstätigkeit interessierte ihn fabelhaft;
er war mit Feuer und Flamme bei der Sache.
Bei den sogenannten Familienblättern be-
reitete sich um diese Zeit eine gewisse Wand-
lung vor. Der Kreis ihrer Mitarbeiter war
immer ein ziemlich beschränkter gewesen;
man hatte bisher an der alten Schablone
festgehalten und aus Neigung zum Konser-
vatismus sich nicht recht getraut, darüber
hinauszugehen. Aber nun war allgemach
eine Jugend auf den Plan getreten, die man
doch nicht mehr beiseite schieben wollte; es
wurde zur gebieterischen Notwendigkeit, daß
auch die Familienblätter eine engere Fühlung

zu der zeitgenössischen Literatur nahmen.
Durch die Begründung der „Monatshefte"
war dem alteingeführten „Daheim" ein mo-
dernerer Genosse beigesellt worden; beiden
Blättern gehörte die ganze Liebe meines
Bruders. Theodor Hermann Pantenius und
Paul von Szczepanski haben damals gemein-
sam mit ihm redlich daran gearbeitet, dem
Genre des „Familienblatts" eine zur Höhe
führende Erneuerung zu geben, so daß heute
die besten Namen der deutschen Schriftsteller-
welt dem Mitarbeiterkreise der Zeitschriften
des Hauses Velhagen L Klasing angehören.
Eine täglich sechsstündige Redaktionszeit
ist eine starke geistige Inanspruchnahme. Der
Leser, der das fertige Blatt vor sich hat, ahnt
kaum, welche Mühe die Herstellung gekostet
hat. Vorangegangen ist die Lektüre und
Auswahl der Manuskripte, die Korrektur und
Revision der Druckfahnen, sind Konferenzen
mit den Kollegen und artistischen Beiräten,
probeweise Einfügungen der Illustrationen,
ist eine Fülle von Arbeit, die auch eine völlige
Beherrschung des Technischen verlangt. Da-
zu kommt die Bewältigung der täglichen Ein-
gänge, die natürlich sorgfältig geprüft werden
müssen, komnrt die Fülle der Briefschaften,
die Korrespondenz mit den Mitarbeitern, mit
Verlag, Druckerei, Künstlern, Illustrations-
anstalten, kommen Besuche und Reisen. Dem
Redakteur Hanns blieben eigentlich nur die
Abendstunden für die eigene Arbeit, und die
nutzte er fleißig aus. Bei seinem Roman
„Senior und Junior" ließ er zum erstenmal
sein Pseudonym fallen; von da ab schrieb
er unter seinem Namen. Nun schriftstellerten
also zwei Zobeltitze und wurden im Publikum
natürlich beständig verwechselt und werden
es noch heute. Wenn mir jemand mit freund-
licher Miene erzählt, er hätte neulich ein
wunderschönes Buch von mir gelesen, so ist
tausend gegen eins zu wetten, daß er einen
Roman von Hanns meint, dem es umgekehrt
häufig ähnlich ergeht. Am nettsten machte
es einmal eine amerikanische Zeitung, die
einen meiner Romane abdruckte, dazu ein
Porträt von Hanns als Autor brachte und
mich folgendermaßen beschrieb: auffallend
groß, schlank, mit schon gelichtetem Haupt-
haar und langem, wehendem, schwarzem
Schnurrbart. Indes bin ich nur mittelgroß,
etwas rundlich, habe einen kleinen, blonden
Schnurrbart und Gott sei Dank noch leidlich
volles, wenn auch angenehm angegrautes
Haar. Dagegen paßt die obige Beschreibung
wiederum auf Hanns, wenn ihm die Notiz von
dem „schon gelichteten Haupthaar" auch un-
angenehm ist. Doch will ich hinzufügen, daß
er trotzdem noch eine ganz passable Erschei-
nung ist, zumal in der Dämmerung ...
Nun könnte ich ihn eigentlich unter die
kritische Lupe nehmen und seine Literatur
besprechen. Doch sagte ich schon zu Anbeginn
dieser Plauderei, daß ich ihm seinen sechzigsten
Geburtstag nicht vergällen will. Die Leser
dieser Hefte und der Schwesterzeitschrift „Da-
heim" kennen zudem die meisten seiner Romane,
 
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