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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

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Zobelitz, Fedor von: Mein Bruder Hanns
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https://doi.org/10.11588/diglit.54883#0097

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Mein Bruder Hanns 73

die auch manches Autobiographische enthalten.
Z. B. schilderte er in dem Roman „Auf mär-
kischer Erde" seine Spiegelberger Jugend, im
„Sieg" seine Erlebnisse während des fran-
zösischen Krieges. Und gerade diese beiden
Romane haben nicht nur dem Publikum am
meisten gefallen, sondern auch im hohen Maße
die Gunst der zünftigen Kritik gefunden. Be-
sonders über den Kriegsroman war sie des
Lobes voll, und in der Tat liegt seine Be-
deutung ebensosehr in der frischen, aus un-
mittelbarer Kenntnis geschöpften Anschau-
lichkeit der Darstellung wie in der ehrlichen
Wärme des vaterländischen Gefühls, das hier
zum dichterischen Ausdruck kommt.
Nun steuert Bruder Hanns in die Sech-
ziger hinein. In den letzten Jahren ist er
etwas stiller geworden. Früher war er erheb-
lich lauter: ungemein lebhaft, und seine Stimme
hatte immer etwas Donnerndes. Er sprach
so, als ob er nur taube Leute um sich hätte.
In der Gesellschaft galt er für einen Kleber,
d. h. er war ständig der letzte. Wenn er
zu mir kam, drehte ich schließlich das Licht
aus: sonst ging er nicht. Er verstand sich
auf das Pokulieren und rauchte viel; er war
ein Gourmet (hat auch mancherlei aus dem
Bereich der Gourmandise geschrieben), erfand

zuweilen selbst einzelne Spezialgerichte und
galt als firmer Bordeaurkenner. Schöne
Frauen hatte er gern. Jetzt blinzelt er nur
noch, wenn er solche sieht; es ist ein ver-
gnügtes, wenn auch entsagungsvolles Blinzeln.
Der Arzt hat ihm das Rauchen beschränkt;
er muß täglich mit einer halben Flasche Wein
auskommen; er klebt nicht mehr, weil er die
Gesellschaften meidet. Der Arzt sagt, um
die Sechzig herum müsse man anfangen, vor-
sichtig zu werden (auch ein Memento für
mich — es ist gräßlich). Dafür ist er nun
sozusagen „häuslich" geworden. Früher bum-
melten wir manchmal gemeinsam, und das war
immer sehr hübsch. Nun regiert die Solidität.
Ach Gott — ich habe ja nichts dagegen! ...
Hanns hat eine behagliche Häuslichkeit, ein
reizendes Heim, eine liebe Frau, prächtige
Kinder. Das erleichtert die Solidität...
Damit wäre ich am Ende. Ich denke mir,
viele, die ihn und seine Bücher liebgewonnen
haben, werden ihm am 9. September gratu-
lieren. Ich möchte mit diesem Artikelchen
der erste sein. Ich verpflichte mich auch,
lieber alter Hanns, in zehn Jahren noch
Schöneres über dich zu schreiben — und in
zwanzig noch viel Schöneres. Wenn wir
es beide erleben . . .



Moderne Graphik:

Auf dem Markusplatz in Venedig. Zeichnung von Paul Paeschke
 
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