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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

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Hart, Hans: Wunderkinder [1]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.54883#0155

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Wunderkinder 119

förmlich in die Tasten, daß sein Braun-
kopf fast auf den ab- und zuhuschenden
Händen lag. Er spielte herzlich schlecht.
„Was hast du denn?" fragte die
Mutter.
„Die — die dummen Septimen im
Baß liegen so unbequem," log er in seiner
ratlosen Angst.
„Hast du etwas mit der Martha ge-
habt?"
„O nein."
„Sie schrie aber vorhin mit dir?"
Statt aller Antwort hämmerte Karl
Maria mit voller Kraft eine Pianissimo-
stelle heraus, und Frau Lisbeth fragte
nicht weiter. Als Karl Maria am Ende
des Stückes den Kopf an ihre Brust
schmiegte und mit heißen Kinderaugen zu
ihr aufschaute, fragte sie leise: „Kannst du
auch schon lügen, Karl Maria?"
Da weinte er laut, doch seine Lippen
blieben stumm. —
Mit finstergerunzelten Brauen sagte er
abends zur Schwester: „Um deinetwillen
bin ich schlecht. Hilf mir wenigstens, daß
ich irgendwo vorspielen darf."
Martha lächelte freundlich. „Das wird
schon werden."
Sie kannte einen eleganten Lebejüng-
ling, der zwar gar nichts gelernt hatte und
darum als kleiner Rechnungsbeamter in
einem Ministerium saß, dafür aber eines
wirklichen Ministers Sohn war. Nach dem
angelte die geschickte Martha, und Karl
Marias Geigenspiel sollte der Köder sein.
Feierlich wie zwei Verschworene hockten
die junge Arglist und der reine Tor nun
Abend für Abend beisammen und tauschten
flüsternd ihre Geheimnisse. Die dumme
Eitelkeit des Knaben bettelte um das Ge-
schenk, das die Schwester längst bereit hielt.
Endlich sagte sie großartig: „Morgen sollst
du ihn kennen lernen."
„Darf ich auch die Geige mitnehmen?"
„Nein. Das kommt erst später."
Karl Maria zog ein schiefes Mäulchen,
ging aber doch zur Mutter und log, daß
er an einem Schulausslug teilnehmen
wolle. Martha aber ließ den langweiligen
Postdienst und meldete sich wieder einmal
krank. So zogen Bruder und Schwester
hinaus in die Auen an dem großen Strom.
Beim Bootshaus an einem toten Arm
trafen sie die lustige Gesellschaft, einen

vornehmen alten Herrn und zwei junge
Elegants mit grellen Krawatten und küm-
merlichen Schnurrbärten, dann zwei sehr
bunt und prächtig gekleidete ältere Damen,
die Fräulein Emilie und Fräulein Coralie
genannt wurden, und schließlich ein dunkel-
haariges Mädchen, schlank und schön, et-
wa zwei Jahre älter als Karl Maria. Sie
hieß Trix.
Dem Knaben gefielen der hübsche Name
und das kecke Gesichtchen der Kleinen, die
ein gelbes Spitzenkleidchen und einen
schwarzen Vindehut mit gelben Schleifen
trug. Die großen Damen hatten die Lip-
pen gerade so rot bemalt wie Martha
Tredenius, und Karl Maria hielt das für
besonders fein. Der alte Herr aber war
sicher noch feiner, er war ein richtiger
Graf und hieß Rothenwolff. Mit lauter
Kommandostimme trieb er die Paare zu
den Booten. „Tu, Kleiner, und du, Trix,
ihr kommt zu mir."
Da kreuzte die hübsche Trix die Arme
und sagte bestimmt: „Wir beide wollen
allein fahren."
Fräulein Coralie, die Trix Tante
nannte, packte den kleinen Eigensinn am
Arm und zürnte: „Gleich gehst' mir her!"
„Schrei' nur nicht so mit dem Mäderl,
Coralüh!" wehklagte Fräulein Emilie
ganz außer Atem. „Siehst du nicht, wie
sie dem seligen Aribert gleichschaut?"
Karl Maria fragte frischweg: „Wer ist
der selige Aribert?"
Graf Rothenwolff hatte ein ganz be-
sonderes Lächeln. „Mein Vetter."
Trix aber sagte mit ihrer gleichgültigen
Kinderstimme: „Das war mein Papa. Der
ist lange tot."
Fräulein Coralie, schien es, ließ der selige
Aribert sehr kühl. Dumme alte Geschichten!
„Wirst du gleich folgen, Trix!" zankte sie
unverdrossen.
„Nein!" schrie die Trix, lief zu einem
Boot, warf die Ruder aus und rief: „Karl
Maria, zu mir!" Keck sprang der Bub in
das Schifflein, ihm nach aber leider ein
Bootsmann, den der Graf rasch heran-
gewinkt hatte. Doch der alte Schiffer
ließ die Kinder ganz ungestört, er blies
seinen Tabakrauch geruhsam von sich und
bewegte lässig die Ruder. So schossen
die vier Kähne den toten Flußarm hinauf.
Silbergrün schimmerte das Wasser, tief-
 
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