162 Hans von Hoffensthal:
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„Ja, wenn Wasser- und Durchfahrts-
recht mir zugesprochen werden?"
„Unmöglich."
„Gesetzt den Fall — dürfte ich dann
jemals wieder zu Ihnen zum Tee kommen?"
„Nein," sagte sie und bemühte sich dabei
recht ernst auszusehen.
„Es wäre also ein für allemal mit
unserer Freundschaft aus."
„Freundschaft? Die noch gar nicht be-
steht?"
„Weil Sie so widerspruchsvoll sind."
„Nein Sie, ganz abscheulich rechthabe-
risch sind Sie."
„Und möchte so gern nachgeben."
Er hatte während des Gespräches immer-
zu auf ihren Mund gesehen, einen Mund,
der dem Gesicht den entscheidenden Aus-
druck gab. Er war groß, auch in der
Mitte nicht ganz voll, gegen die Winkel
zu aber von einer solchen Weichheit, die
noch besonders dadurch gesteigert wurde,
daß sie die Lippen nur sehr ruhig und
wenig öffnete. Und es schien, als ob alles,
was sie sagte, auch das, was ein wenig
herb klang, aus einer ganz gleichmütigen
und anteillosen Seele käme, einer Seele,
unfähig, sich jemals zu erregen.
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Der Bezirksrichter in Kaltern hatte den
Erben nach den Freiherr von Hessingschen
Gütern das alleinige Wasserrecht auf dem
Valentinbüchel zugesprochen und den Jsser-
schen Erben die Durchfahrt durch Gandegg-
sche Güter abgesprochen, in beiden Fällen
also zugunsten Gabrieles entschieden.
Walter von Jsser hatte den Urteilsspruch
fast ein wenig lächelnd, mit einem — so
schlecht ihm als dem Unterlegenen das
stand — triumphierenden Seitenblick auf
seine schöne Gegnerin entgegengenommen,
hatte ihr nach der Verhandlung spöttisch
zu ihrem „unverdienten Erfolg" gratuliert
und war nach höflichem Verabschieden von
der Baronin und Gabriele wieder auf den
Ritten zurückgekehrt.
Aber damit war die Angelegenheit noch
nicht beendet. In sein Leben, in dem bis
vor kurzem die Frauen keine nennenswerte
Rolle gespielt hatten, waren innerhalb
weniger Wochen zwei Mädchengestalten
getreten, Marion Flora, deren anmutiges
und gütiges Bild in ihm eine süße Ver-
liebtheit erregt, und Gabriele von Hessing,
deren herbe, kühle Schönheit auf ihn einen
so sonderbaren Eindruck gemacht hatte, daß
er sich so rasch nicht zurechtfand. Hatte
er schon beim ersten Zusammensein mit
Marion den freundlichen Zauber gespürt,
der von diesem hübschen und feinsinnigen
Mädchen ausging, und bald schon, nach
wenigen Worten, sich gewünscht, sie wäre
ihm gut, sich gesehnt, diese liebe Stimme,
das Lächeln dieser schönen Augen gelte ihm,
in viel kürzerer Zeit, viel gewaltsamer
und heftiger hatte Gabrieles Erscheinung,
ihr stolzes, selbstbewußtes Auftreten, die
Unnahbarkeit ihres Wesens, eine kühle Art,
die von Entgegenkommen und Zärtlichkeiten
nichts zu wissen schien, auf ihn eingewirkt.
Unddas,wasernochnievoreinemMädchen,
trotz aller Verliebtheit auch nicht vor
Marion empfunden hatte, empfand er
dunkel und wie ein Unbehagen: Lieben zu
müssen, auch wenn nie Gegenliebe dafür
ihn lohnte. Noch war er sich dieser Gewalt,
die auf ihn eindrang, nicht bewußt, und
da er an Marion noch zärtlich dachte, schien
es ihm, als hätte ihn der Anblick Gabrieles
nur flüchtig erschreckt, ein wenig aus seiner
Ruhe aufgerüttelt, so wie ein Sturm irgend-
wo mitten in einem See ausbricht, den
friedlichen Spiegel vorübergehend trübt,
dann aber wieder verebbt und den alten,
sonnig Hellen Bildern wieder ihr gutes
und freundliches Recht gibt. Und so
wehrte er denn, um die bisher genossene
glückliche Ruhe wieder ungestört zu emp-
finden, recht mit Absicht alle Gedanken und
Erinnerungen an das schöne Mädchen von
Gandegg gewaltsam ab und nahm sich vor,
ihr Bild in sich zu verwischen und damit
zu vergessen. Und in der leisen Angst, ob
ihm das wohl gelingen könnte, redete er
sich ein, das sei nur in den ersten Stunden,
nachdem er unmittelbar von dem verfüh-
renden Bilde kam, noch schwer, dann aber,
wenn er erst Marion wiedergesehen hätte,
ganz mühelos und leicht wie eine Selbst-
verständlichkeit.
Aber gerade darin täuschte er sich vollends.
Denn als er Marion wiedersah und mit
all der Freude, sie wiederzusehen und in
ihrem Anblick Glück und Ruhe des Ge-
fühls wiederzuerhalten, auf sie zuging, da
versagten alle die Kräfte, auf deren Hilfe
er gebaut, ihren Dienst.
Marions Gestalt, diese weiche, schmieg-
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„Ja, wenn Wasser- und Durchfahrts-
recht mir zugesprochen werden?"
„Unmöglich."
„Gesetzt den Fall — dürfte ich dann
jemals wieder zu Ihnen zum Tee kommen?"
„Nein," sagte sie und bemühte sich dabei
recht ernst auszusehen.
„Es wäre also ein für allemal mit
unserer Freundschaft aus."
„Freundschaft? Die noch gar nicht be-
steht?"
„Weil Sie so widerspruchsvoll sind."
„Nein Sie, ganz abscheulich rechthabe-
risch sind Sie."
„Und möchte so gern nachgeben."
Er hatte während des Gespräches immer-
zu auf ihren Mund gesehen, einen Mund,
der dem Gesicht den entscheidenden Aus-
druck gab. Er war groß, auch in der
Mitte nicht ganz voll, gegen die Winkel
zu aber von einer solchen Weichheit, die
noch besonders dadurch gesteigert wurde,
daß sie die Lippen nur sehr ruhig und
wenig öffnete. Und es schien, als ob alles,
was sie sagte, auch das, was ein wenig
herb klang, aus einer ganz gleichmütigen
und anteillosen Seele käme, einer Seele,
unfähig, sich jemals zu erregen.
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Der Bezirksrichter in Kaltern hatte den
Erben nach den Freiherr von Hessingschen
Gütern das alleinige Wasserrecht auf dem
Valentinbüchel zugesprochen und den Jsser-
schen Erben die Durchfahrt durch Gandegg-
sche Güter abgesprochen, in beiden Fällen
also zugunsten Gabrieles entschieden.
Walter von Jsser hatte den Urteilsspruch
fast ein wenig lächelnd, mit einem — so
schlecht ihm als dem Unterlegenen das
stand — triumphierenden Seitenblick auf
seine schöne Gegnerin entgegengenommen,
hatte ihr nach der Verhandlung spöttisch
zu ihrem „unverdienten Erfolg" gratuliert
und war nach höflichem Verabschieden von
der Baronin und Gabriele wieder auf den
Ritten zurückgekehrt.
Aber damit war die Angelegenheit noch
nicht beendet. In sein Leben, in dem bis
vor kurzem die Frauen keine nennenswerte
Rolle gespielt hatten, waren innerhalb
weniger Wochen zwei Mädchengestalten
getreten, Marion Flora, deren anmutiges
und gütiges Bild in ihm eine süße Ver-
liebtheit erregt, und Gabriele von Hessing,
deren herbe, kühle Schönheit auf ihn einen
so sonderbaren Eindruck gemacht hatte, daß
er sich so rasch nicht zurechtfand. Hatte
er schon beim ersten Zusammensein mit
Marion den freundlichen Zauber gespürt,
der von diesem hübschen und feinsinnigen
Mädchen ausging, und bald schon, nach
wenigen Worten, sich gewünscht, sie wäre
ihm gut, sich gesehnt, diese liebe Stimme,
das Lächeln dieser schönen Augen gelte ihm,
in viel kürzerer Zeit, viel gewaltsamer
und heftiger hatte Gabrieles Erscheinung,
ihr stolzes, selbstbewußtes Auftreten, die
Unnahbarkeit ihres Wesens, eine kühle Art,
die von Entgegenkommen und Zärtlichkeiten
nichts zu wissen schien, auf ihn eingewirkt.
Unddas,wasernochnievoreinemMädchen,
trotz aller Verliebtheit auch nicht vor
Marion empfunden hatte, empfand er
dunkel und wie ein Unbehagen: Lieben zu
müssen, auch wenn nie Gegenliebe dafür
ihn lohnte. Noch war er sich dieser Gewalt,
die auf ihn eindrang, nicht bewußt, und
da er an Marion noch zärtlich dachte, schien
es ihm, als hätte ihn der Anblick Gabrieles
nur flüchtig erschreckt, ein wenig aus seiner
Ruhe aufgerüttelt, so wie ein Sturm irgend-
wo mitten in einem See ausbricht, den
friedlichen Spiegel vorübergehend trübt,
dann aber wieder verebbt und den alten,
sonnig Hellen Bildern wieder ihr gutes
und freundliches Recht gibt. Und so
wehrte er denn, um die bisher genossene
glückliche Ruhe wieder ungestört zu emp-
finden, recht mit Absicht alle Gedanken und
Erinnerungen an das schöne Mädchen von
Gandegg gewaltsam ab und nahm sich vor,
ihr Bild in sich zu verwischen und damit
zu vergessen. Und in der leisen Angst, ob
ihm das wohl gelingen könnte, redete er
sich ein, das sei nur in den ersten Stunden,
nachdem er unmittelbar von dem verfüh-
renden Bilde kam, noch schwer, dann aber,
wenn er erst Marion wiedergesehen hätte,
ganz mühelos und leicht wie eine Selbst-
verständlichkeit.
Aber gerade darin täuschte er sich vollends.
Denn als er Marion wiedersah und mit
all der Freude, sie wiederzusehen und in
ihrem Anblick Glück und Ruhe des Ge-
fühls wiederzuerhalten, auf sie zuging, da
versagten alle die Kräfte, auf deren Hilfe
er gebaut, ihren Dienst.
Marions Gestalt, diese weiche, schmieg-