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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

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Heft 2 (Oktober 1913)
DOI article:
Hoffensthal, Hans von: Marion Flora [2]: Roman : (Fortsetzung)
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https://doi.org/10.11588/diglit.54883#0211

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A Marion Flora

same Mädchengestalt, die ihm entgegen-
ging, war schön. Und doch, da sah er
rückwärts die Gestalt Gabrieles, ein wenig
voller, erblühter, nur ein geringes größer,
noch ebenmäßiger, kühner. Aber diese
Gestalt rührte sich für ihn nicht. Marions
liebes, braungoldenes Gesicht, das nun in
der Wiedersehensfreude warm und sonnig
strahlte, lächelte ihn an und war in seinem
Glück doppelt schön. Aber ein Stück da-
hinter, neben einem Stamm, blickte das
Gesicht Gabrieles ihn an, kühl, ohne Lächeln,
mit gleichgültigen Augen und jenen nur
so wenig geöffneten Lippen, die eben ge-
sagthatten: „Freundschaft? Die noch gar
nicht besteht."
Und so kühl, so anteillos diese Stimme
geklungen hatte, ihr gleichgültiger Ton ver-
drängte doch das glücklich warme Plaudern,
mit dem Marion ihn jetzt begrüßte, und
drängte sich zwischen die herzlichen Worte,
die sie, froh, ihn wiederzusehen, ihm
sagte.
Da nahm er sich mit festem Willen vor,
jenen Bann, den er aus der Ferne in sich
mitgebracht hatte, loszuwerden, und plau-
derte mit Marion so gütig und so herzlich
er nur konnte.
Lächelnd hörte sie ihm zu. Und da er
sie ein Stück weit begleitete und sich so teil-
nehmend nach allen ihren Interessen und
kleinen Freuden erkundigte, in einem Ton,
der ihr zeigen sollte, wie lieb er sie habe,
schwand bald vor ihrer Arglosigkeit die
jähe Angst, die sie bei seinen ersten, zer-
streuten Worten gepackt hatte. Und sie
schalt sich selbst und bat es ihm im stillen
ab, daß sie nur einen Augenblick gedacht
hatte, etwas Fremdes, Kaltes, Unheim-
liches sei mit einem Male zwischen ihnen.
R R R
Der Sommer geht dem Ende zu.
Die Linden haben ausgeblüht, tragen
ihre kleinen, kugeligen Früchte und setzen
dahinter schon wieder winzige Knöspchen
an, fürsorgliche, beruhigende Vorberei-
tungen für die nächste frohe Blüte. Das
Laub hängt ganz dicht, saftig und prall.
Nur ein bißchen andere Farbe hat es be-
kommen, ein wenig anders ist das Grün
geworden. Pflücke ein Blatt und schaue es
tausendmal an. Du findest den Unterschied
gegen früher nicht. Aber alle die Millionen
Lindenblätter zusammen sind miteinander

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übereingekommen, eine sattere Nuance von
Grün zu tragen und dazu ein Quentchen
Rot, und nun, wenn die Sonne im Unter-
gehen noch einmal durch alle die Äste
scheint, grüßt es rot und golden in all dem
grünen Schmuck zurück. Und dann ist es,
daß nicht nur die Dolomiten, sondern auch
die Bäume — die Linden und Lärchen am
allerschönsten — glühen.
Aber wenn die Zeit da ist, gehen manche
Freunde des Sommers mit diesem mit.
Die Speiern sind ja schon la rge fort, aber
nun fliegen auch die kleine? Schwalben.
Und eines Tages schweigt das Zwitschern
auf den Gesimsen und in den hohen Bäumen,
und eines Tages schweigt das Zwitschern
auf den Wiesen, auf allen Wegen und im
Wald, das muntere Lachen und Zwitschern
auf allen Kinderspielplätzen, und die Kinder,
die in die Schule mußten, zogen fort, hinab
in die Stadt und nahmen Eltern und Ge-
schwister, auch das plappernde, allerkleinste
Jungvolk von Schwesterchen und Brüder-
chen, für das noch keine Fibeln gelten,
mit.
Das Kinderlärmen ist verstummt, über
die Spielplätze trotten nur ein paar die-
bische Bauernbuben und suchen vergessene
Bälle — und doch sind noch genug Häuser,
auch solche, in denen sommerüber Kinder
mit roten, erhitzten Gesichtern aus- und ein-
stürmten, bewohnt. Vom Fließer sitzen
gleich drei Krausköpfe in der Schule, und
doch sind der Rudl Fließer und seine runde
Frau noch hier, die Wunderegger haben
ihre zwei lustigen Lausbuben, die Mölzer
ihren einzigen Kurt gerade installiert und
freuen sich nun mit den Thirler und Seeber
und Antholzer um die Wette der ruhigen
Stunden. Und wenn es auch Frau Hauen-
steiner zuerst für undenkbar hielt, ihr sieben-
jähriges Gretele allein Lisa, dem Kinder-
mädchen in Bozen, anzuvertrauen, ihr
Mann fand das Leben zu zweit, in dem
er nicht immer erst lang nach dem Kinde
kam, wieder einmal famos, und Frau
Babette Hauensteiner, geborene Zweifele
aus Bregenz, die gute Nachrichten von
Lisa erhielt, fand es auch.
Und mit ihr freuten sich alle die anderen
Mütter, die ihre Kinder versorgt und auf-
gehoben wußten, freuten sich alle die älteren
Frauen, deren Kinder schon alle Schulen
hinter sich hatten, freuten sich die jungen
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