Ein Tag bei mir 217
als er irgend ermessen konnte. Wundervoll
war mein Leben in diesen langen Reisejahren,
unerschöpflich reich an immer neuen Eindrücken
und unendlich bewegt durch immer neues
Erleben. Dies Erleben ist nicht gerade so
gewesen, wie sich der Knabe gedacht hat:
Indianer z. B. habe ich wohl kennen gelernt,
aber ich brauchte meinen Skalp nicht vor
ihnen zu flüchten. Mit chinesischen Seeräu-
bern habe ich keinen Strauß gehabt, wenn
ich schließlich auch einmal gerade zu recht
piratengefährlicher Zeit den chinesischen West-
fluß hinaufgereist bin auf einem mit Eisen-
gittern verwahrten Dampfer, den geladenen
Browning Tag und Nacht in der Hosentasche.
Gefahren mit „wilden Tieren", wonach man
zu Hause immer zuerst gefragt wird, habe
ich nie eine einzige zu bestehen gehabt —
wenn ich nicht diejenigen wilden Lebewesen
nennen will, die eigentlich die wirklich ge-
fährlichen in den Tropen sind, die Bazillen
der Malaria, des gelben Fiebers, der Pest usw.
Vor denen haben mich aber keine drama-
tischen Taten, sondern nur Vorsicht und vor
allem ein großes Glück immer bewahrt. Von
Fährnissen anderer Art, bei Schiffbruch, Ge-
fechten, Vulkanbesteigungen usw., würde ich
natürlich mancherlei zu berichten haben, wie
das in einem langen Reiseleben nicht an-
ders möglich ist. Aber die „Gefahren" spielen
ja unter den Dingen, die das Reiseleben so an-
ziehend und reich machen, im allgemeinen eine
so sehr viel geringere Rolle, als der Laie denkt.
Kommt man wirklich einmal in eine solche,
so ist man meist nicht im mindesten roman-
tisch gestimmt, sondern denkt nur instinktiv
und mit überraschender Nüchternheit das
eine: ,Wie kommst du da heraus?'
Auch hat mir der Zar von Rußland keine
Wisents zu schenken geruht. Das einzige
persönliche Geschenk, das ich je von einem
mehr oder minder regierenden Monarchen
erhalten habe, ist eine lange, nachtschwarze
Zigarre gewesen, die mir der König von
Kambodscha in Hinterindien eigenhändig aus
einem goldenen, juwelenbesäten Kästchen
hervorsuchte — Schuh und Strümpfe hatte
er aber dabei nicht an. Sonst habe ich mit
erotischen Fürsten ja wohl mancherlei zu tun
gehabt, habe im Zenanapalast des Maha-
radschas von Jaipur seine Bajaderen tanzen
sehen, auf den Elefanten des Rana von
Udaipur geritten, vom Goldgeschirr des Ni-
zam von Haiderabad gegessen, dem Sultan
von Djokjakarta in seinem Kraton die Hand
geschüttelt usw. Mit europäischen Fürstlich-
keiten bin ich aber nur herzlich wenig in
nähere Berührung gekommen — mit einer
großen und schönen Ausnahme, die dauernd
eine wertvolle Erinnerung in meinem Leben
bilden wird, meiner Reise mit unserem Kron-
prinzen durch Indien.
Kinder habe ich Gott sei Dank nicht (dies
Gott sei Dank sage ich vor allem im Namen
dieser Kinder). Aber eine Frau habe ich
wirklich bekommen. Und Gott sei Dank keine
solche, die man mit vier Worten in einer
Versenkung verschwinden lassen und nachher
vergessen könnte. Nein, meine Freunde
wissen vielmehr, wie unendlich viel von dem
Besten, was ich bin und was mir mein
Leben wertvoll macht, ihr gebührt. Und
viel, viel mehr weiß ich es selbst. Sogar
der Lindenhof gehört dazu, denn er ist eigent-
lich ihr Eigentum.
Auch zu einem Dichter hat mich der Him-
mel sich nicht entfalten lassen, und nicht den
kleinsten Preis habe ich von irgendeiner
„Dichterhalle" erhalten. Und nur eine ein-
zige Novelle habe ich seit meiner Schülerzeit
noch zu verfassen gewagt. Ich gab sie seiner-
zeit meiner Braut zu lesen — oder war sie
damals schon meine Frau? Sie lieferte sie
mir zurück mit der Erklärung, bis Seite 37
des Manuskripts hätte sie es gebracht, aber
weiter hätte sie nicht gekonnt; es sei zu
langweilig! Und man bedenke, wenn das
eine Braut schon sagt (hm — sie muß doch
wohl schon meine Frau gewesen sein).
Eine Bibliothek ist mir im Laus der Jahre
erwachsen, und der Knabe hat richtig vor-
ausgeahnt, welch ein köstlicher Schatz eine
solche ist. Macht sie nicht jenes alte Mär-
chen zur Wirklichkeit, wo einer ein ganzes
Traumkönigreich, in ein kleines Kästchen zu-
sammengedrängt, sein eigen nennt? Wenn
er ganz still und allein ist, stellt er das Käst-
chen auf den Tisch, öffnet den Deckel, und
nun steigt das Königreich daraus hervor,
breitet sich um ihn aus mit Hügeln und
Seen, Schlössern, Wiesen und Rosenlauben
und einer Geliebten schließlich auch noch
darin. Ist nicht so in diesen Bücherreihen
die ganze Welt, soweit ich sie selbst durch-
wandert habe, und noch viel weiter, wo auch
meine unersättliche Sehnsucht nicht hinge-
kommen, noch einmal hineingebannt und
steigt daraus empor und umgibt mich, so-
bald ich nur will, und sage: „Sesam, öffne
dich!"
Aber diese Bibliothek ist nicht auf dem
Lindenhof, sondern steht natürlich in der
Stadtwohnung in Berlin, wohin ich jede
Woche auf mehrere Tage muß, um meine
Vorlesungen und Übungen an der Berliner
Handelshochschule abzuhalten. Hieraus er-
sieht der Leser, daß sich auch die akademische
Lebensrichtung, die dem Knaben vorschwebte,
verwirklicht hat und mein eigentlicher, mit
so besonderer Freude umfaßter Berus ge-
worden ist.
Dieses Doppeldasein, das ich infolgedessen
jetzt führe, dieses Hin und Her zwischen der
Reichshauptstadt und dem entlegenen Dorf
am See ist für meine Natur von höchstem
Reiz. Auch das hat etwas Märchenhaftes.
Für ein paar Tage umgibt mich die brau-
sende Lebensintensität der jüngsten und fie-
berndsten Großstadt der Alten Welt, mit den
Menschenströmen, auf denen man dahintreibt
wie ein Blatt im Niagara, mit der allabend-
lichen Feerie der blitzenden Lichtreklamen auf
den Straßen, mit „Bach-, Beethoven-,
Brahms"-Konzerten oder den szenischen Raf-
als er irgend ermessen konnte. Wundervoll
war mein Leben in diesen langen Reisejahren,
unerschöpflich reich an immer neuen Eindrücken
und unendlich bewegt durch immer neues
Erleben. Dies Erleben ist nicht gerade so
gewesen, wie sich der Knabe gedacht hat:
Indianer z. B. habe ich wohl kennen gelernt,
aber ich brauchte meinen Skalp nicht vor
ihnen zu flüchten. Mit chinesischen Seeräu-
bern habe ich keinen Strauß gehabt, wenn
ich schließlich auch einmal gerade zu recht
piratengefährlicher Zeit den chinesischen West-
fluß hinaufgereist bin auf einem mit Eisen-
gittern verwahrten Dampfer, den geladenen
Browning Tag und Nacht in der Hosentasche.
Gefahren mit „wilden Tieren", wonach man
zu Hause immer zuerst gefragt wird, habe
ich nie eine einzige zu bestehen gehabt —
wenn ich nicht diejenigen wilden Lebewesen
nennen will, die eigentlich die wirklich ge-
fährlichen in den Tropen sind, die Bazillen
der Malaria, des gelben Fiebers, der Pest usw.
Vor denen haben mich aber keine drama-
tischen Taten, sondern nur Vorsicht und vor
allem ein großes Glück immer bewahrt. Von
Fährnissen anderer Art, bei Schiffbruch, Ge-
fechten, Vulkanbesteigungen usw., würde ich
natürlich mancherlei zu berichten haben, wie
das in einem langen Reiseleben nicht an-
ders möglich ist. Aber die „Gefahren" spielen
ja unter den Dingen, die das Reiseleben so an-
ziehend und reich machen, im allgemeinen eine
so sehr viel geringere Rolle, als der Laie denkt.
Kommt man wirklich einmal in eine solche,
so ist man meist nicht im mindesten roman-
tisch gestimmt, sondern denkt nur instinktiv
und mit überraschender Nüchternheit das
eine: ,Wie kommst du da heraus?'
Auch hat mir der Zar von Rußland keine
Wisents zu schenken geruht. Das einzige
persönliche Geschenk, das ich je von einem
mehr oder minder regierenden Monarchen
erhalten habe, ist eine lange, nachtschwarze
Zigarre gewesen, die mir der König von
Kambodscha in Hinterindien eigenhändig aus
einem goldenen, juwelenbesäten Kästchen
hervorsuchte — Schuh und Strümpfe hatte
er aber dabei nicht an. Sonst habe ich mit
erotischen Fürsten ja wohl mancherlei zu tun
gehabt, habe im Zenanapalast des Maha-
radschas von Jaipur seine Bajaderen tanzen
sehen, auf den Elefanten des Rana von
Udaipur geritten, vom Goldgeschirr des Ni-
zam von Haiderabad gegessen, dem Sultan
von Djokjakarta in seinem Kraton die Hand
geschüttelt usw. Mit europäischen Fürstlich-
keiten bin ich aber nur herzlich wenig in
nähere Berührung gekommen — mit einer
großen und schönen Ausnahme, die dauernd
eine wertvolle Erinnerung in meinem Leben
bilden wird, meiner Reise mit unserem Kron-
prinzen durch Indien.
Kinder habe ich Gott sei Dank nicht (dies
Gott sei Dank sage ich vor allem im Namen
dieser Kinder). Aber eine Frau habe ich
wirklich bekommen. Und Gott sei Dank keine
solche, die man mit vier Worten in einer
Versenkung verschwinden lassen und nachher
vergessen könnte. Nein, meine Freunde
wissen vielmehr, wie unendlich viel von dem
Besten, was ich bin und was mir mein
Leben wertvoll macht, ihr gebührt. Und
viel, viel mehr weiß ich es selbst. Sogar
der Lindenhof gehört dazu, denn er ist eigent-
lich ihr Eigentum.
Auch zu einem Dichter hat mich der Him-
mel sich nicht entfalten lassen, und nicht den
kleinsten Preis habe ich von irgendeiner
„Dichterhalle" erhalten. Und nur eine ein-
zige Novelle habe ich seit meiner Schülerzeit
noch zu verfassen gewagt. Ich gab sie seiner-
zeit meiner Braut zu lesen — oder war sie
damals schon meine Frau? Sie lieferte sie
mir zurück mit der Erklärung, bis Seite 37
des Manuskripts hätte sie es gebracht, aber
weiter hätte sie nicht gekonnt; es sei zu
langweilig! Und man bedenke, wenn das
eine Braut schon sagt (hm — sie muß doch
wohl schon meine Frau gewesen sein).
Eine Bibliothek ist mir im Laus der Jahre
erwachsen, und der Knabe hat richtig vor-
ausgeahnt, welch ein köstlicher Schatz eine
solche ist. Macht sie nicht jenes alte Mär-
chen zur Wirklichkeit, wo einer ein ganzes
Traumkönigreich, in ein kleines Kästchen zu-
sammengedrängt, sein eigen nennt? Wenn
er ganz still und allein ist, stellt er das Käst-
chen auf den Tisch, öffnet den Deckel, und
nun steigt das Königreich daraus hervor,
breitet sich um ihn aus mit Hügeln und
Seen, Schlössern, Wiesen und Rosenlauben
und einer Geliebten schließlich auch noch
darin. Ist nicht so in diesen Bücherreihen
die ganze Welt, soweit ich sie selbst durch-
wandert habe, und noch viel weiter, wo auch
meine unersättliche Sehnsucht nicht hinge-
kommen, noch einmal hineingebannt und
steigt daraus empor und umgibt mich, so-
bald ich nur will, und sage: „Sesam, öffne
dich!"
Aber diese Bibliothek ist nicht auf dem
Lindenhof, sondern steht natürlich in der
Stadtwohnung in Berlin, wohin ich jede
Woche auf mehrere Tage muß, um meine
Vorlesungen und Übungen an der Berliner
Handelshochschule abzuhalten. Hieraus er-
sieht der Leser, daß sich auch die akademische
Lebensrichtung, die dem Knaben vorschwebte,
verwirklicht hat und mein eigentlicher, mit
so besonderer Freude umfaßter Berus ge-
worden ist.
Dieses Doppeldasein, das ich infolgedessen
jetzt führe, dieses Hin und Her zwischen der
Reichshauptstadt und dem entlegenen Dorf
am See ist für meine Natur von höchstem
Reiz. Auch das hat etwas Märchenhaftes.
Für ein paar Tage umgibt mich die brau-
sende Lebensintensität der jüngsten und fie-
berndsten Großstadt der Alten Welt, mit den
Menschenströmen, auf denen man dahintreibt
wie ein Blatt im Niagara, mit der allabend-
lichen Feerie der blitzenden Lichtreklamen auf
den Straßen, mit „Bach-, Beethoven-,
Brahms"-Konzerten oder den szenischen Raf-