218 Georg Wegener: Ein Tag bei mir
finements eines „Lebenden Leichnams". Und
ich Hause dabei in den vertrauten Räumen
einer jener modernen Mietwohnungen des
neuen Berlins, deren Komfort keine andere
Stadt Europas kennt, umgeben von altem,
mit Herz und Geschmack (dies bezieht sich
aufmeine Frau) gesammeltem Hausrat, einem
gewordenen, der die Geschichte unseres
gemeinsamen Lebens erzählt, von Bildern,
die ich liebe, und Sammlungsgegenständen,
die an unsere gemeinsamen oder gesonderten
Reisen erinnern. Dann aber des Abends
im Auto zum Bahnhof, das ganze Lichtmeer
versinkt mit einem Schlage hinter mir, ein
paar Stunden Fahrt durch die Nacht, und
wenn ich am Morgen aufwache, liegt die
Frühsonne auf uns'erm Scheunendach, wo
die Schwalben nisten, und über den flimmern-
den See klingen fein und leise die Schläge
der alten Turmuhr des Städtchens herüber. —
So war's auch heut früh. Der Vormit-
tag und der halbe Nachmittag ist nun in stiller
Tätigkeit dahingegangen; jetzt kommen Gäste:
Freunde und Freundinnen aus Lübeck und
Berlin. Englische Marineoffiziere sind nicht
darunter, aber ein deutscher zufällig doch:
der Marine-Oberstabsarzt vr. H., mit dem
ich ausgerechnet wirklich in der Südsee zum
ersten Male zusammengetroffen bin. Gern
erinnern wir beide uns des glorreichen Ta-
ges. Er war Arzt auf dem im Sommer
1900 mit dem „Kormoran" vor Apia auf
Samoa liegenden Kreuzer „Seeadler"; ich
kam just am 31. Mai jenes Jahres, meinem
Geburtstag, von San Francisco in Apia
an, dem Kapitän des „Cormoran", dem
heutigen Admiral a. D. E., von: Auswär-
tigen Amt bereits angekündigt. An Bord
des Kreuzers wurde ich nach der Hütte des
Königs Mataafa gewiesen, die unter Kokos-
palmen am Meeresstrande lag. Hier saß
der Kapitän und eine Anzahl Offiziere bei-
der Schiffe in ihren weißen Jacken im Halb-
kreis auf dem Mattenboden der Hütte, und
gegenüber im andern Halbkreis zwischen
Häuptlingen und blumengeschmückten Samoa-
nerinnen der hochgewachsene alte Würden-
träger. Ich wurde hineingebeten, und Ma-
taafa hielt mir eine lange samoanische Be-
grüßungsrede, die von dem englisch sprechen-
den Dolmetscher (damals gab es noch keine
deutschen) übersetzt wurde. Nun erklärte mir
Kapitän E., ich müsse antworten. Ich leugne
nicht, daß ich einen Schreck bekam, denn etwas
überraschend war die Situation immerhin.
Aber sie war doch auch ebenso berauschend
schön, hier in diesem tropischen Sonnenglanz
in der von Kokospalmstämmen getragenen
Rundhütte, am Ufer des schimmernden Mee-
res, vor mir in Lebendigkeit der berühmte
Häuptling, von dessen Kriegsruhm und ho-
merischer Würde ich soviel gehört, ich selbst
auf einer samoanischen Matte mit gekreuzten
Beinen und dem Bewußtsein sitzend, daß die
Heimat beinahe in geradliniger Verlänge-
rung meines Rückens unter 'mir, auf der
anderen Seite der Erde, lag. So faßte ich
mir ein Herz und sagte in der ersten Rede,
die ich je in englischer Sprache gehalten,
ganz einfach all das heraus, was ich fühlte.
Nachdem ich eine ganze Weile gesprochen
hatte — abschnittweise übertrug es der Dol-
metsch dem aufmerksam lauschenden Häupt-
ling —, fragte ich den Kapitän auf deutsch:
„Ist es nun genug?" — „Nein, Sie müssen
noch den lieben Gott mit hineinbringen. Das
gehört hier dazu." Ich redete also weiter, vom
lieben Gott. Was, weiß ich nicht mehr, aber
schwer war es ja in dieser wunderschönen
Lebensstunde nicht. „Jst's nun genug?" —
„Nein, nun müssen Sie noch mrna/ sagen,
d. h. ich bin fertig, sonst denkt Mataafa, es
kommt immer noch was." So sagte ich denn
mit einer schwungvollen Schlußwendung
„uma", Mataafa lächelte huldvoll, antwortete
noch einmal und schenkte uns dann als Gast-
gabe ein ganzes, großes, gemästetes Schwein.
So gut wurde es heut meinen Gästen
nicht. Auch eine Büffeljagd setzte ich für sie
nicht in Szene. Die krassen Städter unter
ihnen wurden aber wenigstens zu dem Schau-
spiel des Kühemelkens geführt. Die Haupt-
sensation des Abends war jedoch die Taufe
des Fohlens. Wir zogen allesamt zum Stall,
meine Frau hielt eine hübsche kleine Tauf-
rede, etwa folgendermaßen: „So taufe ich
dich denn auf den Namen ,FM (das bekannte
chinesische Amulettwort „Glück") zur Erinne-
rung an das Land, in dem ich so unvergeß-
lich schöne Zeiten verlebt habe. Mögest du
eine Brücke sein zwischen jenem Lande, das
meinem Herzen über alles teuer ist, und dieser
neuen Heimat hier, und mögest du auch hier-
her das Glück bringen, das uns dort ge-
lächelt hat." Dann spritzte sie ihm ein paar
Tropfen Sekt auf die verwunderte Nase, und
es wurde beschlossen, unfern Freund H., ehe-
dem Professor an der Kaiserlichen Univer-
sität zu Peking und jetzt erster Sinolog
der Königlichen Bibliothek zu Berlin, zu
bitten, mit dem Aufgebot seiner ganzen Kunst
und Wissenschaft uns ein schönes Fu-Zeichen
zu malen, das über der Krippe angebracht
werden soll.
Und nun verfließt der Abend, wie eben
schöne warme Maiabende auf dem Lande
verfließen, mit frischem Spargel und guter
Bowle, mit heiterem Plaudern und Lachen
und jener in Worte nicht zu fassenden Stim-
mung, die eine weiche, schon nordisch lange
Dämmerung gibt, in deren stiller, durchsich-
tiger Luft es gar nicht dunkel werden will.
Wunderbar fein steht in diesem blassen Licht
der rötlich-gelbe Schein der großen chine-
sischen Seidenlampions, die, leise pendelnd,
auf den Terrassen über dem See schimmern,
und die unvergleichlich edle Schwingung ihrer
Linien trägt in seltsamer Weise einen Hauch
uralter klassischer Kultur des fernen Ostens
in die Schönheit einer weißen norddeutschen
Sommernacht. —
Urna!
finements eines „Lebenden Leichnams". Und
ich Hause dabei in den vertrauten Räumen
einer jener modernen Mietwohnungen des
neuen Berlins, deren Komfort keine andere
Stadt Europas kennt, umgeben von altem,
mit Herz und Geschmack (dies bezieht sich
aufmeine Frau) gesammeltem Hausrat, einem
gewordenen, der die Geschichte unseres
gemeinsamen Lebens erzählt, von Bildern,
die ich liebe, und Sammlungsgegenständen,
die an unsere gemeinsamen oder gesonderten
Reisen erinnern. Dann aber des Abends
im Auto zum Bahnhof, das ganze Lichtmeer
versinkt mit einem Schlage hinter mir, ein
paar Stunden Fahrt durch die Nacht, und
wenn ich am Morgen aufwache, liegt die
Frühsonne auf uns'erm Scheunendach, wo
die Schwalben nisten, und über den flimmern-
den See klingen fein und leise die Schläge
der alten Turmuhr des Städtchens herüber. —
So war's auch heut früh. Der Vormit-
tag und der halbe Nachmittag ist nun in stiller
Tätigkeit dahingegangen; jetzt kommen Gäste:
Freunde und Freundinnen aus Lübeck und
Berlin. Englische Marineoffiziere sind nicht
darunter, aber ein deutscher zufällig doch:
der Marine-Oberstabsarzt vr. H., mit dem
ich ausgerechnet wirklich in der Südsee zum
ersten Male zusammengetroffen bin. Gern
erinnern wir beide uns des glorreichen Ta-
ges. Er war Arzt auf dem im Sommer
1900 mit dem „Kormoran" vor Apia auf
Samoa liegenden Kreuzer „Seeadler"; ich
kam just am 31. Mai jenes Jahres, meinem
Geburtstag, von San Francisco in Apia
an, dem Kapitän des „Cormoran", dem
heutigen Admiral a. D. E., von: Auswär-
tigen Amt bereits angekündigt. An Bord
des Kreuzers wurde ich nach der Hütte des
Königs Mataafa gewiesen, die unter Kokos-
palmen am Meeresstrande lag. Hier saß
der Kapitän und eine Anzahl Offiziere bei-
der Schiffe in ihren weißen Jacken im Halb-
kreis auf dem Mattenboden der Hütte, und
gegenüber im andern Halbkreis zwischen
Häuptlingen und blumengeschmückten Samoa-
nerinnen der hochgewachsene alte Würden-
träger. Ich wurde hineingebeten, und Ma-
taafa hielt mir eine lange samoanische Be-
grüßungsrede, die von dem englisch sprechen-
den Dolmetscher (damals gab es noch keine
deutschen) übersetzt wurde. Nun erklärte mir
Kapitän E., ich müsse antworten. Ich leugne
nicht, daß ich einen Schreck bekam, denn etwas
überraschend war die Situation immerhin.
Aber sie war doch auch ebenso berauschend
schön, hier in diesem tropischen Sonnenglanz
in der von Kokospalmstämmen getragenen
Rundhütte, am Ufer des schimmernden Mee-
res, vor mir in Lebendigkeit der berühmte
Häuptling, von dessen Kriegsruhm und ho-
merischer Würde ich soviel gehört, ich selbst
auf einer samoanischen Matte mit gekreuzten
Beinen und dem Bewußtsein sitzend, daß die
Heimat beinahe in geradliniger Verlänge-
rung meines Rückens unter 'mir, auf der
anderen Seite der Erde, lag. So faßte ich
mir ein Herz und sagte in der ersten Rede,
die ich je in englischer Sprache gehalten,
ganz einfach all das heraus, was ich fühlte.
Nachdem ich eine ganze Weile gesprochen
hatte — abschnittweise übertrug es der Dol-
metsch dem aufmerksam lauschenden Häupt-
ling —, fragte ich den Kapitän auf deutsch:
„Ist es nun genug?" — „Nein, Sie müssen
noch den lieben Gott mit hineinbringen. Das
gehört hier dazu." Ich redete also weiter, vom
lieben Gott. Was, weiß ich nicht mehr, aber
schwer war es ja in dieser wunderschönen
Lebensstunde nicht. „Jst's nun genug?" —
„Nein, nun müssen Sie noch mrna/ sagen,
d. h. ich bin fertig, sonst denkt Mataafa, es
kommt immer noch was." So sagte ich denn
mit einer schwungvollen Schlußwendung
„uma", Mataafa lächelte huldvoll, antwortete
noch einmal und schenkte uns dann als Gast-
gabe ein ganzes, großes, gemästetes Schwein.
So gut wurde es heut meinen Gästen
nicht. Auch eine Büffeljagd setzte ich für sie
nicht in Szene. Die krassen Städter unter
ihnen wurden aber wenigstens zu dem Schau-
spiel des Kühemelkens geführt. Die Haupt-
sensation des Abends war jedoch die Taufe
des Fohlens. Wir zogen allesamt zum Stall,
meine Frau hielt eine hübsche kleine Tauf-
rede, etwa folgendermaßen: „So taufe ich
dich denn auf den Namen ,FM (das bekannte
chinesische Amulettwort „Glück") zur Erinne-
rung an das Land, in dem ich so unvergeß-
lich schöne Zeiten verlebt habe. Mögest du
eine Brücke sein zwischen jenem Lande, das
meinem Herzen über alles teuer ist, und dieser
neuen Heimat hier, und mögest du auch hier-
her das Glück bringen, das uns dort ge-
lächelt hat." Dann spritzte sie ihm ein paar
Tropfen Sekt auf die verwunderte Nase, und
es wurde beschlossen, unfern Freund H., ehe-
dem Professor an der Kaiserlichen Univer-
sität zu Peking und jetzt erster Sinolog
der Königlichen Bibliothek zu Berlin, zu
bitten, mit dem Aufgebot seiner ganzen Kunst
und Wissenschaft uns ein schönes Fu-Zeichen
zu malen, das über der Krippe angebracht
werden soll.
Und nun verfließt der Abend, wie eben
schöne warme Maiabende auf dem Lande
verfließen, mit frischem Spargel und guter
Bowle, mit heiterem Plaudern und Lachen
und jener in Worte nicht zu fassenden Stim-
mung, die eine weiche, schon nordisch lange
Dämmerung gibt, in deren stiller, durchsich-
tiger Luft es gar nicht dunkel werden will.
Wunderbar fein steht in diesem blassen Licht
der rötlich-gelbe Schein der großen chine-
sischen Seidenlampions, die, leise pendelnd,
auf den Terrassen über dem See schimmern,
und die unvergleichlich edle Schwingung ihrer
Linien trägt in seltsamer Weise einen Hauch
uralter klassischer Kultur des fernen Ostens
in die Schönheit einer weißen norddeutschen
Sommernacht. —
Urna!