Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (1/2) — 1920

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44126#0041
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim, Eppingen, GSerbsch, Mosbach, Buchen, Adelsheim, Boxberg,
TauberSischsfsheim und Wertheim.

BepWPeeks: Monatlich einschl. Trögerlohn 2.so Mk, Mnzeigenprekfe:
Die eiustatüge Hettizekle (36 rnrn breit) 4«) pfg., Rettamc-Lknzelgen
(»3 «,-ri breit) 2. - Mk. Lei Wiederholungen Nachlaß nach Taris.
Geheimmittel-Sin zeigen werben nicht ausgenommen.
Geschäftssinn den: 8-'t,6llhr. Sprechstunden derRedattion: 11-42 Uhr.
PostscheckkontoKarweubeNr.22577. Tel.-Adr.: VolkszeitungHeideiberg.

Heiöslbsrg, Montag, 1.2. Lanusr ^920
M. 9*2. Iahrgüng
" - .- —- —---—p-

Verantwort: Mir innere u. äußere Politik, Volkswirtschaft u.Muiilrton: Dr.
E. Kraus) für Kommunales u. soziale Rundschau: I. Kahn: für Lokales:
O. Geibel) für die Anzeigen: H. Hoffmann, sämtlich in Heidelberg.
Druck und Verlag der llnterbadischen Verlagsanstalt G. m. b. H., Heidelberg.
Geschäftsstelle: Schröderffraße 39.
Fernsprecher: Anzeigen-Annahme 2623, Redaktion 2648.

Der Frieden in Kraft getreten.

Die Ratifikation. — Heimkehr
der Gefangenen.
Paris, 1v. Ian. Heute nachmittag 4 Uhr unterzeichneten im
Kabinett des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten Mini-
Acriakdirektor von Simfon und Freiherr von Lcrsner in Anwesenheit
der Mitglieder des Obersten Rates das Protokoll vom 11. Novem-
ber: Sodann übergab Clemenreau die Bestätigung über die Herab-
setzung der Schadenersatzsorderungen für Seapa Flow. Damit ist
der Kriege in Kraft gefetzt. Llemenceau erklärte, daß noch heute
abend der Befehl zur Heimjendung der deutschen Gefangenen unter-
schrieben werde.
. Berlin, 10. Ian. Der Minister Loucheur und Generalsekretär Du-
tasta erklärte dem Freiherr von Lersner auf Anfrage, daß alle Vorberei-
tungen für die Heimschaffung der deutschen Kriegsgefangenen in ein-
gehender Weise getrosten wprdcn feien und daß der Abtransport am
Tage des Inkrafttretens des Fnedcnsvertrages (also am Samstag. Die
Red.) sofort beginnen werde. Der gesamte Heimtranspork aller Gefan-
genen dürfte ohne Unterbrechung aufs schnellste durchgcführt werden.
* »
Der Friedensverlrag von Versailles ist in Kraft gesetzt. Eine
für uns inhaltsschwere Tatsache. Heute srcueu wir uns, daß über-
haupt endlich Friede ist, daß die Periode der ewigen Angst vor
Neuen Kriegsrepresialien unserer Gegner vorüber ist, daß die diplo-
matischen Beziehungen wieder ausgenommen werden, datz wir we-
nigstens wieder einigermaßen auf festen greifbaren Tatsachen unsere
Zukunftsrechnung aufbauen können. AU allem aber freuen wir
uns, datz endlich unsere Brüder, die nvck^o lange drüben in schwe-
rer Gefangenschaft geschmachtet haben, heimkehren dürfen. Welcher
Jubel und weieye Freude wird das für so manche Familie, für
manche Mutter, Gattin, Braut und Kinder sein. Weicker Schmerz
aber auch für alle die, die immer noch gehofft haben, ihren Vermiß-
ten doch noch unter den Heimkehrenden begrüßen zu können und die
jetzt vergebens harren. Schwere Wunden bluten agfs Neue.
Jetzt gilt es tapfer und mutig in die Zukunft zu blicken. Leicht
werden wirs nicht haben. Wo es möglich ist, müßen wir den Ver-
trag erfüllen. Wo es nicht möglich ist, muh er revidiert werden;
dazu- diene uns der Völkerbund, in den wir eintreten wollen und
müssen. Jetzt gilt es, innen- und außenpolitisch das Vertrauen der
Welt wieder zu erobern.
Kundgebung der Reichsregierung.
Berlin, 11. Ian. Der Reichspräsident und die
Regierung haben folgende Kundgebung an die deut-
sch e B e v ö l k e r u n g der aus dem Reichsverband ausscheidenden
Landesstellen erlaßen:
Der unglückliche Ausgang des Krieges hat uns wehrlos der
Willkür der Gegner preisgegeben und legt uns unter dem Titel des
Friedens die schwersten Opfer auf. Das schwerste aber, das man
uns aufzwingt, ist der Verzicht auf deutsche Gebietsteile im Osten,
Westen und Norden. Unter Nichtachtung ihres Rechtes auf n a -
tionale Selbstbestimmung werden hunderttausende deut-
scher Volksgenossen fremder Staatsgewalt unterstellt.
DeutscheBrüderunddcutsche Schwestern!
Nicht nur in der Stunde des Abschiedes, sondern immerdar
wird die Trauer über diesen Verlust unsere Herzen erfüllen und
wir geloben Euch im Namen des gesamten deutschen Volkes, daß
wir Euch nimmer vergeßen werden. Auch Ihr werdet das ge-
meinsame deutsche Mutterland nicht vergessen,
dessen sind wir gewiß. Ueber die zerrißene Staatsgemeinschaft
hmaus werden Eure Herzen Treue halten der deutschen Stammes-
und Kulturgemeinschaft, die der Nährquell Eures geistigen Lebens
war und jederzeit bleiben wird. Sind wir uns in dieser schweren
Stunde des Verlustes des Köstlichen bewußt, was uns als gemein-
sames Gut bleibt und was keine sremde Macht uns rauben kann:
Gemeinsam bleibt uns dieSprach e, die uns die Mutter gelehrt
hat, gemeinsam die Welt der Gedanken, der Worte, der Töne und
der Bilder, in denen die großen Geister unseres Volkes nach dem
höchsten und edelsten Ausdruck deutscher Kultur gerungen haben.
Mit allen Fasern unseres Lebens und ganzen Seins bleiben wir
verbunden. Was auf unserer Seite geschehen kann, um Euch die
Muttersprache, die deutsche Eigenart und den innigen geistigen
8 usammenhang init dem Heimatlande zu erhalten,
das wird geschehen. Wie es schon, soweit Verhandlungen möglich
waren, unsere vornehmste Sorge war. Euch trotz Trennung Eure na-
llonalen Lebensrechle zu bewahren, werden wir nicht aufhören, dafür
Nnzurreien, daß die vertraglich gegebenen Zusagen gehalten werden.
Unsere Schulen aber und alle unsere Einrichtungen für die
Bildung des Geistes und für die Pflege der Wissenschaften und
Künste sollen auch fernerhin wie bisher offen stehen. Herüber und
Hinüber soll jeglicher Austausch gepflegt und jedes seelische Band
geschützt und gestärkt werden. Der unermeßlike u. unversiegbare
Schatz an geistigen Gütern, den das deutsche Volk besitzt, gehört
uchmil. Seine nationale Bindekraft wird sich bewähren.
Seit Jahrhunderten schon war es das Schicksal unseres Volkes,
daß zahlreiche Deutsche außerhalb des deutschen Staatsverbandes
Unter frem der Herrschaft gestanden haben. Wo auch im-
mer inmitten fremden Volkstunis ihre Siedlungen standen, sie haben
°ie deutsche Eigenart, den geistigen Zusammenhang mit dem Mutier-
ende in den schwersten Zeiten bewahrt und sie kraft ihrer nationalen
Kultur über weite Gebiete ausgestrahlt. Ihre Arbeit wird Euch
vorbildlich sein für die schweren Aufgaben, die ein herbes Geschick
^uch auserlegt. Deutsche Herzen verzagen nicht und deutscher Wille
nndet den Weg, sich zu behaupten. Seid gewiß, daß unsere Teil-
nahme, unsere Sorge und unsere heiße Liebe Euch unverbrüchlich
srholten bleiben. In diesem gegenseitigen Vertrauen wollen wir
M der schwersten Stunde der äußeren Trennung uns unserer unlös-
baren inneren Gemeinschaft in erhöhtem Maße bewußt werden.

Aufhebung der Militärgerichtsbarkeit.
Berlin, 11. Ian. Wie wir von zuständiger Stelle erfahren,
wird der Gesetzentwurf über die Aufhebung der Militärgerichtsbar-
keit, der bereits vor einigen Tagen vom Kabinett verabschiedet wor-
den ist, heute veröffentlicht.
Die Reichsregierung gegen
Streikmitzbrauch.
Berlin, 12. Ian. (W.B.) Die Reichsregierung zusammen
mit der preußischen Staatsregierung erlassen eine Kundgebung in
der das Vorgehen der Eisenbahnarbeiter verurteilt wird, daß die
Folgen einer Ausdehnung des Eisenbahnerstreiks katastrophale Wir-
kungen haben würde. Die Regierung fordert die Arbeiter auf, sich
von den Führern des Streiks, die diesen mißbrauchen, loszusagen,
da sonst beim Verharren de? Streiks der Ausnahmezustand verhängt
werden würde.
Die Oftfeeblockade ausgehoben.
Stettin, 12. Ian. stW.B.) Nach einer von der Marinekommis-
sion eingetroffenen Drahtung ist die Ostfeeblockade seit gestern nach-
mittag aufgehoben. Das erste deutsche Schiff ist bereits ausgelaufen.
Der Reichsernährungminister über die
Lage.
Berlin, 12. Ian. (W.B.) Reichscrnährungsminister Schmidt
entrollte gestern vor einer Versammlung von Berliner Mehrheits-
sozialisten ein umfangreiches Bild der Ernährungslage, um Ueber-
treibuugen entgegenzulreten Der, Minister gab die Versicherung/
daß wir durchkommen werden, wenn keine gewaltsamen Äörungen
eintreten.
Norwegen als Mandatarstaat für
Armenien.

Annapolis, 10. Ian. Durch Funkspruch. Newyork Times mel-
det: Wenn die Vereinigten Staaten das Mandat für Armenien
ablehnen, werde vielleicht Norwegen aufgefordert werden, es zu
übernehmen. — Das Staatsdepartement gibt, bekannt, daß die Na-
tionalversammlung von Panama am 8. Januar einstimmig den
Friedensvertrag mit Deutschland ratifizierte.


lieber alle Grenzpfähle hinaus bleibt der deutsche Volksstamm
ein einziges Ganzes! Seid stark mit uns in dem Glauben: das
deutsche Volk wird nicht untergehen! Aus der tiefen Trübsal dieses
Krieges wird cs sich emporarbeiten. Von der schwer errungenen
freiheitlichen Grundlage aus wird es durch die Entfaltung aller
guten Kräfte den Aufstieg gewinnen zu höchster politischer, wirt-
schaftlicher und sozialer Kultur.
Volksgenossen! Mit der gewaltsamen Trennung ist Euch und
uns hartes Unrecht geschehen. Das Recht der Selbstbestimmung ist
der deutschen Bevölkerung versagt worden. Wir werden die Hoff-
nung nicht aufgcben, daß auch Euch eines Tages dieses nationale
Grundrecht zugesprochen werden wird. Darum wollen wir uns
trotz allen Schmerzes voll Hoffnung und Zuversicht in dieser Ab-
schiedsstunde zurufen:
Treue um Treue! Für das Rechts unseres Volkstums wollen
wir mit einander einstehen allezeit nnd mit ganzer Kraft!
Der Reichspräsident: Ebert.
Die Reichsregierung: Bauer, Schiffer, Koch, Dr. Bell,
Dr. Mayer, Dr. David, Müller, Erzberger, Noske, Dr. Geßler,
Schlicke, Giesberts, Schmidt.


Badische Politik.
Preße und Berichterstattung.
Aus Karlsruhe schreibt uns unser xr.-Mitarbeiter:
Es liegen verschiedene Meldungen vor, wonach die Presjeberichter-
statter. in einzelnen Städten ihre Tätigkeit eingestellt haben, wenn die
Sitzungen der Biftgerausfchüsse mehr als vier Stunden dauerten.
Diesem Beispiele sind, wie wir hören, die Schriftleiter der Zeitungen
inKonstanz in den letzten beiden Bürgerausfchutzsitzungen gefolgt. Wir
glauben im Sinne der gesamten Preße zu sprechen, wenn wir dieses Bei-
spiel zur Nachahmung empfehlen. Insbesondere wären für den B a d i -
scheu Landtag ähnliche Normen am Platze. Besonders wäre dies
notwendig, um solche Nachmittagssitzungen kürzer zu gestalten, die nach
einer bereits stattgehabten Vormitlagssitzung statlfinden. Aehnliche For°*
dcrungen sind für die N a ch mi t t a g s s i tz u n g en des Bad. Land-
tages überhaupt generell aufzustcllen. Bekanntlich hat der badische Mi-
nister des Innern verfügt, daß in den Wirtschaften nur von sieben bis
acht Uhr abends warmes Essen verabreicht wird — eine Verfügung, die
anscheinend dem Präsidenten des Bad. Landtages nicht bekannt ist, da
sonst um sieben Uhr die Sitzungen vertagt würden. Für die in Karls-
ruhe mit Familie ansässigen Abgeordneten und Journalisten, sowie auch
für Selbstversorger von außerhalb spielt nun dieser ministerielle Erlaß
keine allzu große Rolle; auf die übrigen auswärtigen Abgeordneten und
auf manche Journalisten hat er jedoch eine stärkere Wirkung — wenn sie
nicht, die Wirtschaften in die Versuchung bringen, das Regierungsverbot
zu umgehen, was nicht gerade die Autorität stärken würde. Wir glauben
es daher für wünschenswert zu halten, wenn der Bad. Landtag seine
Abendsitzung um 7 Uhr vertagt, womit sicherlich neben der
Preße auch die Abgeordneten sehr befriedigt wären.

Die Sozialdemokratie und das Volk
im Lichte kaiserlicher Randglossen
(Ein Beitrag zur Psychologie Wilhelms ll.)
Von LinusScheibe.
Trotz des großen Interesses, das wegen der außenpoli-
tischen Wirkung durch das neue Kautskysche Buch: „W jeder
Weltkrieg entstand" an den Randglossen des Kaisers er-
weckt worden ist, darf dessen i n n e r p o l i k i s ch e s Streben in
bezug auf die Sozialdemokratie nicht vergessen werden. Es soll
hier nicht von der aller Welt bekannten Stellung des ehemaligen
Kaisers gegen die Sozialdemokratie in der Vorkriegszeit die Rede
sein. Die hat so viel Kopfschütteln verursacht und die Partei zu
so starken Protesten herausgerufen, daß man, um auch dies nickt
zu vergessen, nur daran zu erinnern braucht.
Reu und interessant aber muß die Stellung des Mannes er-
scheinen, in dessen Hand das Geschick unseres Volkes lag, die er
während des Krieges zur deutschen Sozialdemokratie und der inne-
ren Politik eingenommen. Weil darüber die wenigsten wissen,
sei sie an der Hand von Randglossen, die er in einem geheimen
Be richt des ehemaligen Ministers v. Loebell über die inner-
politische Entwicklung während des Krieges gemacht hat, gezeigt.
Dieser, der Oeffenilichkeit noch völlig unbekannte Bericht ist vom
25. November 1915 datiert, vom Kaiser am 13. 12. 15 in Echaulen
glossiert und trägt am Eingang sein „vollkommen einver-
st a n d e n" und am Schluß das Prädikat: „vorzügli ch", sowie
außer einer Reihe Randbemerkungen Betrachtungen über die Stel-
lung deA Volkes zum Krieg und den Friedenszielcn, wie sie sich
eben nur in diesem Kopfe malen tonnten. Die ihm wichtig erschie-
nenen Stellen der geheimen Denkschrift hat er unterstrichen und
meist glossiert. Wir werden sie wiedergeben, um einen Einblick in
seine Gedankengänge zu gestatten zu einer Zeit, als nach beinahe
einundemhaibjähcigem bluugcm Ringen sich die Folgen im' Lande
schon ganz merkbar zeigten und die Friedenswünsche schon ganz
offenbar wurden.
Nachdem der geheime Bericht eingangs die Widerstände auf-
zeichnet, die vor dem Kriege der Sozialdemokratie entgegenstanden,
wird dargelegt, wie der internationale Gedanke von der nationalen
Flut hinweggeschwemmt worden sei, um damit zu beweisen, daß
unser gesamtes Volk im Kerne durchweg immer national gewesen
sei. Diese Beweisführung wird dem Kaiser mit folgenden servilen
Redensarten plausibel zu machen versuchl:
„Der gerade und einhellig gegen das Ausland gewandte nalivnale
Wille fand noch immer gegenüber dem eigenen Staate fein natürliches
Widerspiel in einem unvermittelt und manchem unvermutet auftom-
inenden Glauben an die Autorität, insbesondere an die
Kraft und das alleinige Vermögen der Monarchie zur
Führung. Mit dem Augenblick, in dem das Volk verstand, daß es
galt, die gesammelten moralischen und physischen Kräfte Deutschlands
nach außen cinzusetzcn, fand es zurück zu der Unterordnung unter die
Monarchie, die dem Deutschen von je in Fleisch und Herz gelegen hat,
die durch die von der preußischen Monarchie in Deutschland erfüllten
Aufgaben in der modernen deutschen Geschichte neues Leben gewonnen
hat . . . Wenn bei Kriegsausbruch dem Deutschen Autorität und
Monarchie sogleich eins wurden, so sprach neben dem alterprobten
monarchischen Gefühl maßgebend mit, daß die Krone selbst im ent-
scheidenden Augenblick entschlossen die Führerschaft an
sich nahm."
Womit dann weiter bewiesen werden soll, daß zwischen den
Parteien und der Volksmeinung (immer unter Hervorkehrung der
Sozialdemokratie zu ihr) kein Zusammenhang mehr bestanden hätte
und dieser sich erst später wiederfand unler Autzer-Rcchnungssetzung
des „im Felde stehenden Volkes in Massen". Hier setzt Wilhelm
resigniert hinzu: „Aber nicht für die Zeit nach dem
Kriege." Diese pessimistische Stimmung scheint der Verfasser
der Geheimschrift vorausgeahnt zu haben, denn er empfiehlt nun
in langer Begründung eine ganz andere Behandlung der Sozial-
demokratie, um sie der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung einzu-
leben, wegen des „großen Vorteils, den die Haltung der Sozial-
demokratie nach außen und im Innern für Deutschland gebracht
hat", wobei der Kaiser zu der Randbemerkung kam:
„Die Sozialisten kommen aus den Schützengräben aber anders
heraus, als sie hineingingen." -
Dabei stellt er dem deutschen Volke ein gar nicht allzugutes
politisches Zeugnis aus. Er unterstreicht die Originaljätze der Ge-
heimschrift: „Das Volk von einzigartiger, überlegener Waffentiich-
tigkeit ist in den Dingen der großen Politik unselbständiger und
urteilsloser geblieben als die oft und heldenhaft besiegten Feinde"
und zensiert es so:
„ist ein Erbübel der Germanen aus dem europäischen Kontinent,
das niemals sich ändern wird. Der Germane ich kein nnd wir niemals
ein Politiker werden. Darin ist ihm jeder Lateiner über. Ebenso sein
Vetter, der Angelsachse."
Zweifellos hat ihm hier seine eigene politische Fähigkeit, sowie
die politische Trägheit und der Indifferentismus weiter Arbeiter-,
kreise vorgeschwebt und deshalb unterstreicht er nicht nur den Satz,
daß die sozialdemokratischen Führer kein klares Urteil haben, wie
»veit bei den im Felde stehenden Wählern das nationale Ideal an
die Stelle des internationalen getreten ist, sondern bemerkt noch
dazu: „Ist unzweifelhaft sehr stark der Fall". Bei der allgemeinen
Urteilslosigkeit, die inter- und anti national für gleichartige
Begriffe hält, müßte man sich wundern, wenns beim Kaiser anders
gewesen wäre, der auch in der Politik nicht über dem Niveau eines
simplen Durchschnittssozialittengegners stand. Daher unterstreicht
er auch eine Stelle der Geheimschrift, die ein „schon unter Bülow
als unmöglich erwiesenes" Lavieren der Mittelparteien zwar ab-
lehnt, aber auch nicht mit den konservativen Tendenzen der Politik
brechen will, „da ein solches Wagnis aber ein monarchisch geord-
netes Staatswesen nicht eingehen, das eine im monarchischen Prinzip
feste konservative Oberschicht politisch nicht entbehren kann."
Wir kannten die Abhängigkeit der deutschen Regierung von
dieser konservativen Oberschicht schon immer und man kann sich
 
Annotationen