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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (1/2) — 1920

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Hridelöerg, Donnerstag, März 1920
Nr. 60 * 2. Jahrgang

Tageszettmlg für die Verktätigr Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, GinSheim, Sppmgen, Eberbach, Mosbach, Buchen, Adelsheim, Boxbe»g,
TaubsrbischvfsheiM und Wertheim.

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Kapitalbildung und Kapital¬
beschaffung.
Denkschrift vom Unterstaatssekretär Prof. Dr. Julius Hirsch.
_ Sa -er Wochenschrift „Die Neue Zeit" (Verlag I. H. W.
Dietz, Stuttgart, Preis 50 Pf.) Nr. 23, wird eine Denkschrift
«es Uitterstaatssekretärs im Reichswirtschastsministerium Prof. Dr.
pirsch veröffentlicht, die Gegenstand lebhafter Diskussionen wer-
den dürste. Das Wirtschastsministerium steht im heißesten Kampf
Zit den Zechenbesitzern wegen der Kapitalausbringung
Vr die Ersatz- und Neubauten zur Steigerung der Kohlenförderung.
Meie Leser sind hierüber eingehend unterrichtet worden. Zu dieser
Mage nimmt in dieser Denkschrift der Unterstaatssekretär vom
Standpunkt des Volkswirts aus Stellung. Er geht davon aus, daß
»wischen der außerordentlich starken K a p it a l b i l d u ng auf der
p«en Seite und dem großen K a p i t a l d ed a r f auf der anderen
Seite eine gewaltige Lücke klafft. Die großen Gewinne, die sich
«Mmeln, befinden sich nicht in -em notwendigen Grade in den
Händen, die d i e Produktion leiten, sondern in Zwischen-
Audea, zum Teil in der Urproduktion (d. h. bei den Kohlen,
Srze, landwirtschaftliche Produtte erzeugenden Gewerben), während
öie verarbeitende Industrie Kapitalmangel hat.
Es besteht eine Scheu des Kapitals vor Neuan-
' age, es verkriecht sich vor der Steuerschraube, es dient der
äefährlicysten Hamsterei. Die Bergwerksbesitzer wollen in ver-
steckter Form die ganze Ausweitung ihrer Bergwerke in einem Jahr
«us die Verbraucher abwälzen. Mer selbst eine Kontrolle, daß diese
Kapitalanlagen wirklich gemacht werden, haben die Zechenherren
abgelehnt.
Anderseits wird jede Besserung in unserem Wirtschaftsleben,
lebe fortschreitende Ordnung im Innern die Gefahr der lieber-
ftemdung vergrößern, weil die Ausländer iyre hier angelegten
Kapitalien für nicht mehr gefährdet erachten werben.
Km Hebung der Kapitalnvt schlägt virsch nun vor, an-
icheinend fußend auf bereits reife Verhandlungen, die in der
Schweiz befindlichen Markguthaben in Form einer unkünd-
baren, hochverzinslichen Anleihe (von 6 oder 7
'Prozent) der deutschen Industrie wieder zuzu-
führen und ähnliches mit den anderen neutralen Ländern zu
vereinbaren.
Der zweite Weg betrifft die zwangsweise llebersuhrung
des privaten Kapitals zur volkswirtschaftlich produktiven
Verwendung. Er verweist auf die bereits bestehenden Ausgleich-
svnds z. B in der Stickstoffindustrie, ferner auf das Bergmann-
Heimstättenprogramm, nachdem aus der Spanne Mischen Inland-
Und Weltmarktpreis Beträge für volkswirtschaftlich-
produktive Zwecke, für Bergmannswohnungen, fortgenom-
Men werden. Ferner auf den Antrag, einen 20prozentigen Miets-
preisaufschlag für den Wohnungsneubau zu verwenden. Außer-
dem kämen die Außenhandels- und Valutaübergewknne in Frage,
die mit steigendem Export ganz gewaltige Beträge ergeben werden,
mit denen in allergrößtem Ausmaß volkswirtschaftlich-produktive
Arbeiten werden ausgenommen werden können. Zum Schluß sagt
Hirsch zusammenfassend:
Also diese Ausgaben können nur ungestört durchgeführt werden,
Menn Staatsbesitz im eigentlichen Sinne vermieden
wird. Deshalb können sie weder unmitte'bar den Reichs-
finanzbehörde überwiesen, noch der Reichs bank über-
tragen werden. Vielmehr wird die Handhabung jo sein müssen, daß
zunächst einmal Industrie und vielleicht die Banken unter einer
gewissen, aber nicht übermäßigen B e t e i l i g u n g - e r Regie-
rung eine solche Treuhandbank eröffnen und daß sich an ihr auch
die Organisationen der Arbeiterschaft in irgend-
einer Form beteiligen. Damit würde dem Ausland gegenüber die
Notwendige Gewähr für Sicherheit gegeben sein (die Beteiligung
-er Arbeiter insbesondere wegen politischer Sicherheit) und es wäre
damit die Möglichkeit geschaffen, diesem Organ als einer Zen-
trale der gemeinwirtschafilichen Institutionen
die gesamte Finanzierungsaufgabe zu übertragen. Ein solches Or-
gan würde dann, insoweit es seinen Besitz an Unternehmungen oder
Anteilen erweitert, vielleicht auch Möglichkeiten geben, gegenüber
Ueberfr e m düng der Unternehmungen zu wirken. Cs wird
weiter zu erwägen sein, ob dem Anteil eines solchen Organs an
Handelsgesellschaften in irgendeiner Form für den Fall
-er Ueberfremdung ein qualifiziertes Stimmrecht zu
geben sein würde. Es wird endlich möglich sein, durch freihändigen
Auflaus in einer solchen Unternehmung auch bei bisher rein privaten
Geschäftszweigen den Einfluß der Gemeinwirtschast zu stärken. Ein
Beirat, zweckmäßigerweise wohl zu bilden aus den Wirtschafts-
organisationen, welchen das Benennungsrecht zum vorbereitenden
Reichswirtschaftsrat verliehen worden ist, würde der deutschen Treu-
handbank zur Seite zu stellen sein.
Die in dieser Denkschrift gegebenen Anregungen von so außer-
ordentlich weittragender Bedeutung werden kritisch scharf untersucht
werden müssen. Die Industrie-, Handels- und Bankwett im In-
Und Ausland wird sich mit ihnen ebenso auseinandersetzen, wie die
sozialistischen Parteien.
Kapitalnot und Valutahebung.
lieber obige überaus wichtige Denkschrift schreibt Dr. Felix
Dinner u. a. in einer wertvollen Kritik:
„Wichtig und eigentlich entscheidend ist nun aber die Frage,
ob und in welcher Weise auf dem vorgeschlagenen Wege eine H e -
dungderdeutschenValuta erreicht werden kann. Zweifel-
los würde es auf den Kursstand der Mark im Auslande außer-
ordentlich günstig einwirken, wenn die aus den Auslands-
märkten herumschwimmenden Markguthäben oder ein erheblicher
Teil von ihnen in Form einer festen Anleihe fundiert werden könn-
ten. So weit ist der Vorschlag Hirschs zweifellos gut. Neu ist an
'dm die Verwendung der nach Deutschland zurückfließenden
Markbeträg« als Kapitalbeihilfe für geldbedürftige Unter-
«ehmungen. Gerade gegen diesen Teil des Vorschlags können aber
gewisse Bedenken nicht unterdrückt werden. Die aus dem Aus-
land« fortgenvmmenen Markbeträge können zwar dann nicht mehr
auf die Valuta, d. h. den Auslandskurs der Mark drücken, aber
Ee müssen statt dessen einen ähnlichen Druck aus die Kaufkraft

Die Entschuldigung der deutschen
Regierung.
Paris, 11. März. (W.T.B.) Der deutsche Ge-
schäftsträger Dr. Meyer überbrachte heute dem Minister-
präsident Millerand die Entschuldigung der deutschen Regie-
rung wegen des Berliner Vorfalls.
Zur Wahl des Reichspräsidenten.
Berlin, 11. März. (W.T.B.) Verschiedene Blätter
wollen erfahren haben, daß die sozialdemokratische
Fraktion der Nationalversammlung ihren bereits bei der
Verfassungsberatung formulierten, dann aber zurückgezoge-
nen Antrag, daß der Reichspräsident vom Reichstag
(und nicht direkt vomVölke) gewählt wird, wieder einzu-
bringen beabsichtigt. Es verlautet, daß eine Zweidrittel-
mehrheit für eine Verfassungsänderung gesichert ist.
Ein internationaler Kongreß der
Intellektuellen in Salzburg.
Salzburg, 11. März. (W.T.B.) Dem „Salzburger
Volksblatt" zufolge wird geplant, den amerikanischen un-
politischen Intellektuellen-Kongreß demnächst in Salz-
burg abzuhalten. An dem Kongreß soll die El arte -
gruppe mit Romain, Rolland und Henry Barbusse,
die führenden deutschen, englischen und neutralen Künstler,
sowie amerikanische Delegierte teilnehmen.
Das Beispiel der Betriebsräte.
Kopenhagen, 11. März (W,T.B.). Die National
Tiden de meldet aus Christian ia, der Landesverband
der Arbeiter stellte für die kommenden Tarifverhandlungen
folgende Forderungen auf: Die Arbeitgeber sollen das Recht
der Arbeiter anerkennen. Bei der Einstellung und Verab-
schiedung der Arbeiter haben Aufseher und Werkmeister
mitzubestimmen. Feiner sollen die Arbeiter mitbeftimmend
sein bei der Errichtung sänitäre Einrichtungen in den
Betrieben und von neuen Betrieben. Um ein Mitbestim-
mungsrecht der Arbeiter zu erhalten, sollen Betri ebsräte
errichtet werden.
Erne radikale Regierung.
Kopenhagen, 11. März (W.T.B.). „National
Tidende" meldet aus Helsingfors, es werde als ziemlich
sicher angenommen, daß es Professor Ehrich nicht gelingen
wird, eine bürgerliche Regierung zu bilden. Es sind
neue Bestrebungen im Gange, eine radikale Regierung
zu bilden, die die Aufgabe haben soll, mit Sowjet-Ruß-
land Frieden zu schließen.
Die türkische Frage. Irlands
Hornerule.
Amsterdam, 11. März (W.T.B.). In einer Rede
erklärte Asquith, die Alliierten müssenftie Türkei strafen
und verhindern, daß es ihr unmöglich werde, ihr Ver-
brechen zu wiederholen. Den Türken müsse die Regie-
rungsgewalt genommen werden. Ueber die irische Frage
sprechend, sagte Asquith, er wäre ein Verräter, wenn er vom
irischen Volke verlangen wolle, daß es sich mit einer
geringen Selbstverwaltung begnüge, als der, das ihm
das Homerulegesetz verbürge, das immer noch nicht in Kraft
getreten sei.
Amerikas Kamps um den Friedensvertrag.
Haag, 11. März. (W.T.B.) Wie der „Nieuwe Cou-
rant" aus Washington meldet, erregte Wilsons Schrei-
ben an Hitchock großes Aufsehen. Der Senat versuchte
trotzdem einen Ausgleich bezüglich Artikel 10 herbeizuführen.
Die Republikaner haben sich dem von dem Senatoren
Rout vorgeschlagenen Ausgleich bereits angeschlossen.

-er Mark im Inland« ausüben. Mit <ur-eren Worten, neue
Milliarden von Papiergeld, die bisher eine inflationi-
stische Wirkung in unserer Binnenwirtschast nicht ausüben konnten,
werden nun in die Wirtschaft hineingepumpt, wäh-
rend es doch zweckmäßiger sein würde, den im Inlande falsch
verwendeten Teil des Geldkapitals zur Deckung der an manchen
Stellen -er Wirtschaft hervorgettetenen Kapitalbedürfnisse zu ver-
wenden. Diese neu einströmenden Gelder konkurrieren nun
mit -en alten um dieselben noch nicht gesteigerten Warenmengen;
d. h. die Klein- und Mittelbetriebe, die sich bisher aus Kapital-
mangel nicht genügend Rohstoffe zur Aufrechterhaltung odm Er-
höhung ihrer Produktion kaufen konnten, werden jetzt dazu befähigt.
Die Folge davon wird sein, daß sie die Rohstoffe den bereits früher
kapitalkräftigen Unternehmungen streitig machen, -aß die
Warentruerung und Geldentwertung weiter zu-
nimmt und dadurch auch die Besserung der Valuta wieder ge-
fährdet wird. Nur in dem Falle wäre die Heranziehung der aus-
ländischen Markguthaben zur Deckung inländischer Kapitalbedürf-
nifse zu betrachten, wenn es n i ch t geii n ge n würde, die im In-
land« falsch verwendeten Geldkapitalien zur produktiven Ka-
pitalbildung heranzuziehen. In diesem Falle würden sich
die aus den alten Geldüberschüssen unbefriedigt bleibenden inländi-
schen Kapitalbedürfnisft durch Ausgabe neuer Banknoten zu decken

suchen und die befürchtete Vermehrung der inländischen Zahlungs-
mittel würde doch eintreten.
Die Aufsaugung -er ausländischen Markguthaben durch fun-
dierte Anleihen bleibt an sich zweifellos eine Maßnahme, die günstig
aus die Valuta einwirken würde. Dieser Vorteil sollte möglichst
aber nicht durch eine Verminderung der Kaufirast des
Inlandsgeldes erkauft werden, und daher würde er sich nur voll
auswirken können, wenn die aus dem Auslande hereingebrachten
Markbeträge nicht in die Inlandswirtschaft geführt,
sondern vernichtet werden würden."
Daß bei den ungeheuren Steigerungen der Warenpreise für
die kleineren Unternehmer eine schwere Kapitalsnot eingetteten ist,
zeigt sich überall. Das Kapital ist da. Wir verweisen auf unseren
Bericht über den Abschluß -er „B erl i n e r H a n d el s ges e ll -
schaf t". Wenn erst die neuen Steuergesetze voll zur Wirkung
gelangen werden, wird sich diese stellenweise Kapitalnot noch
vergrößern. Was zeigt uns hiese Erscheinung? Nichts anderes,
als daß unsere Wirtschaft mangelhaft und falsch organisiert
ist. Ein straffes sozialistisches Regiment, das zielbewußt die Be-
darfsdeckungswirtschaft herstellt, würde mit diesen Mängeln bald
aufräumen. Das ist ja unser großes Unglück, daß wir das Mittel
zur Lösung des Problems wohl kennen, aber seitens des Kapitalis-
mus, der sich auf Kosten der arbeitenden Klaffen feine Vor-
zugsstellung erhalten will. Widerstände aufgerichtet werden, ohne
Rücksicht darauf, daß die Not der Volksmaffen von Tag zu Tag
unerträglicher wird. Entweder gelangen wir baldigst zu einer sozia-
listisch orientierten Wirtschastspolitik oder wir sinken fieser und
fieser in den Sumpf.

Politische Ueberficht
Der Adlon-Skandal.
Heidelberg, 11. März.
Aus Berlin wird uns geschrieben:
Der abscheuliche Skandal, der sich in der letzten Samstagnacht
im vornehmsten Hotel Berlins abspielte, hat wenigstens e i n Gutes
gehabt: Durch ihn ist der Beweis erhracht worden, daß in der
deutschen Republik ein Mitglied eines ehemaligen Königshauses
ebenso prompt und sicher eingesperrt werden kann, wie irgend ein
anderer Staatsbürger, der mit den Gesetzen in Konflikt geraten ist.
Damit sind gewisse falsche oder zum mindesten stark übertriebene
Vorstellungen berichtigt worden, nach denen die Herren von ehedem
und anno dazumal schon wieder das Heft in Händen hätten und tun
könnten, was ihnen beliebt.
Selbst das Berliner Hauptorgan der reaktionären Kreise, der
„Lokal-Anzeiger", hat es nur zu einem ganz lahmen Protest gegen
die Einsperrung dieses Herrn aus königlichem Blute gebracht, wobei
er sich auf die Behauptungen -es Prinzen stützt, der seine Unschuld
beteuert und alle gegen ihn gerichteten Beschuldigungen als auf
einem Mißverständnis beruhend erklärt. Im übrigen sieht sich selbst
-er „Lokal-Anzeiger" genötigt, ein Wort in seinen Sprachschatz zu
übernehmen, das sonst nur in sozialdemokratischen Blättern zu lesen
war, er spricht nämlich von einem „Radaupatriotismus", vor dem
er nachdrücklichst warnt. Auch die „Deutsche Tageszeitung" schließt
sich in etwas vorsichtigerer Formulierung dieser Warnung an. Wenn
sie im übrigen die Gelegenheit für geeignet hält, auf das heraus-
fordernde Benehmen mancher französischer und belgischer Militär-
personen auf deutschem Gebiet hinzuweisen, so befindet sie sich auf
dem Holzwege, denn es wird allgemein anerkannt, daß sich die im
Hotel Adlon überfallenen Franzosen in vollkommen korrekter un-
gesitteter Weise betragen hatten. Wenn man sich durch Ausschrei-
tungen von der anderen Seite gleichfalls zu Ausschreitungen hin-
reißen läßt, hat man wenigstens einen mildernden Umstand für sich.
Ausschreitungen aber gegen Unschuldige bloß aus dem Grunde, west
sich deren Volksgenossen an anderem Ort und zu anderer Zeit gleich-
falls vergangen haben, sind Lümmeleien, die auf keine Weise zu
entschuldigen sind. Wenn ruhige und anständige Deutsche im Aus-
land zu entgelten hätten, was sich alldeutsche Offiziere während des
Krieges und nach -em Kriege geleistet haben, so dürste sich dreißig
Jahre lang kein Deutscher über die Grenzen seines Vaterlandes
hinauswagen.
Da die angegriffenen französischen Offiziere glücklicherweise
keine ernsten Verletzungen davongetragen haben, und der Haupt-
beschuldigte sofort verhaftet worden ist, darf man hoffen, daß dieser
Zwischenfall ohne allzuschlimme internationale Folgen ablaufen
wird. Man kann sich also ohne Bedenken einer Bettachtung seiner
innerpolitischen Bedeutung hingeben, die nützlich werden kann, wenn
die Regierung auf dem Wege der Energie, -en sie in diesem Fall
betreten hat, verharrt. Das lleberhandnehmen -es alldeutschen
„Nadaupattiotismus", um das vom „Berliner Lokal-Anzeiger"
übernommene Wort zu gebrauchen, ist zu nicht geringem Grade dar-
auf zurückzuführen, daß man in den Kreisen seiner Trager keine
Grenze mehr für -en eigenen zur Schau getragenen Uebermut mehr
erkannte. Wenn sich die Regierung entschloßen zergt, diesem Trei-
ben mit den ihr zu Gebote stehenden Machtmitteln Halt zu gebieten,
so wird das auf einen großen Teil jener Leute ernüchternd wirken,
zumal wenn sie sehen, daß diese Machtmittel so prompt funktionie-
ren wie das im Falle des prinzlichen Radaubruders in Erscheinung
zetteten ist. Allgemein war schon die Ueberzeugung verbreitet:
„Uns kann nichts geschehen! An uns kommen sie ja doch nicht heran!"
Diese Ueberzeugung dürfte jetzt durch das Exempel Joachim Albrecht
stark erschüttert worden sein.
Natürlich kann man und will man nicht den Prinzen wegen
dieses ordinären Kneipskandals ums Leben bringen oder lebens-
länglich einsperren. Es wird vollständig genügen, wenn er die
Strafe erhält, die für solche Fälle im Gesetz vorgeschrieben ist. In
der Republik soll es weder eine Vorzugsbehandlung, noch das
Gegenteil davon geben, sondern es soll eben gleiches Recht für alle
gelten. Dieses gleiche Recht für alle genügt schon vollkommen, um
die Herrschaften, die früher von Glanz und Glorie umgeben waren,
ihres schimmernden Scheines zu berauben. Zu sehr haben wrr schon
vergeßen, daß so ein Prinz wie der, der letzt als Mer Sauf- und
Raufbruder im Gefängnis sitzt, vor 1^ Jahren noch ein Halbgott
war, vor dem di« ganze offizielle Wett kroch und katzbuckelte und
dessen Händedruck für die Loyalen und Untertänigen Ehre und Be-
glückung war. Wie anders tzeht dies« Gesellschaft aus, seit mcm
 
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