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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (1/2) — 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.44126#0069
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TaHeSzertuug für die werktätige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim, Gppingeu, Eberbach, Mosbach, Buchen, Adelsheim, Boxberg,
Tanberbischofsheim und Wertheim.


AWWMett r Monatlich einschi. Trägerkoh» 2.S0 Mk. Avzetgenpretsr:
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2.-M. Lei Wiederholungen Nachlaß nach Tarif.
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TetLWGma«: «-'/-ü Gr. Sprechstunden der Redaktion: 11-12 Uhr.
VnWPEoirt» Kartonche Rr. 2LM. Tel.°Abr.: BoKszeitung Heidelberg.

Heidelberg, Moniag, 19. Januar 1920
Ar. IS * 2. Jahrgang

Verantwortk.: Mr innere u. äußere Politik, Volkswirtschaft ».Feuilleton: Dr.
<8. Straus, für Kommunales u. soziale Rundschau: I. Kahn; für Lokale«:
O. Grlbel; für die Anzeigen: y.Hoffmann, sämtlich in Heidelberg,
Druck und Verlag der lknterbadischen Verlagsanstalt G. m. b. H., Heidelberg.
Geschäftsstelle: Gchröderstraße 39.
Fernsprecher: Anzeigen-Annahme 2623, Redaktion 264k.

Deschanel Präsident von Frankreich.

Die Präsidentenwahl.
Berlin, 17. Ja». Aus Paris wird gemeldet: Paul Des-
chmel ist zum Präsidenten der französischen Republik gewählt
Morde».
Wien, 17. Ian. Die Wahl Paul Deschanels zum Präsi-
denten der französischen Republik erfolgte mit 734 von 889
abgegebenen Stimmen.
Nach dem Petit Parisien wird Tlemenceau in Kürze Paris
verlaßen, um in la Tranche Erbolung zu suchen und seine Me-
moiren zu schreiben. Der Premierminister will sich endgültig vom
Politischen Leben zurückziehen und sich auch künftig nicht mehr all'
den Pressefehben beteiligen.
Clemenceaus verspätete Ablehnung.
Paris, 17. Ian. Ministerpräsident Tlemenceau hat an
Leo» Bourgeois ein Schreiben folgenden Inhalts gerichtet: An den
Herm Präsidenten der Nationalversammlung! Ich gestatte mir.
Sie zu benachrichtigen, daß ich meinen Freunden das Recht, mich
als Kandidaten für die Präsidentschaft der Republik aufzustellen,
entzogen habe. Wenn sich letztere indessen nicht daran hatten und
für mich die Mehrheit der Stimmen erlangen sollten, würde ich das
mir übertragene Amt ablehnen. Genehmigen Sie die Versicherung
«einer Hochschätzung! gez. Tlemenceau.
* 2
*
Soweit die bisherigen Meldungen erkennen kaffen, hat Clemen-
ceau seine Kandidatur zurückgezogen, nachdem oas Abstimmungs-
ergebnis uoer die Aufstellung der Kandidaten vorlag. Hierdurch
war der Ausgang der Wahl zweifelhaft geworden und das konnte
der Ehrgeiz Clemenceaus nicht vertragen.

Clemenceaus Sturz.
Unser Berliner St.-Mitarbeiter schreibt uns:
Die Niederlage Clemenceaus bei der Präsidentenwahl kommt
astsr Welt als eine gewaltige Ueberraswung, als die gewaltigste
uns in Deutschland. Denn wir stehen hier vor einer Er-
scheinung, die mit der französischen Volksseele, so wie wir sie uns
dorzustellen pflegen, schwer in Uebereinsttmmung zu bringen ist.
Der alte Llemenceau war der Mmnterpräsident des Krieges und
des Sieges, er tt in einer Zeit, in der das französische Bolt der
Erschlaffung nahe war, mit brutaler Energie die Stimmung wieder
hochgerissen, er ist es, der zum Schluß das Dokument von Versailles
den Deutschen überreicht hat. Alles nationalistisch-militaristische
Empfinden konzentriert sich heute in Frankreich in den Namen Lle-
meucsau und Foch. Die Kammerwahlen waren Wahlen des Sie-
gesrausches, sie brachten einen starken nationalistischen Block und
eine schwere Niederlage der Sozialisten. Tlemenceau war die durch
Ablauf der sieben Jahr-Frist freigewvrdene Präsidentschaft Frank-
reichs angetragen worden, er hatte sie angenommen und niemand'
zweifelte zunächst daran, daß er aus der Nationalversammlung, der
Vereinigung von Deputiertenkammer und Senat, ohne ersten Gegen-
kandidaten als Erwählter hervorgehen werde.
Wenn es jetzt anders gekommen ist, so muß das als Beweis
dafür genommen werden, daß die politische Seele Frankreichs doch
viel komplizierter ist, als man bisher bei uns meist anzunehmen ge-
wohnt war. Dabei muß freilich von vornherein der Gedanke aus-
geschattet werden, als ob das überraschende Ergebnis der Nomi-
nation ein Abrücken vom Versailler Friedensvertrag und eine
Schwenkung des Kurses Deutschland gegenüber bedeutet. Die fran-
zösische Nationalversammlung will statt des eigensinnigen Greises
Tlemenceau einen mehr oder weniger nichtssagenden rein konstitu-
tionellen Präsidenten haben, der das Recht der Kammer, die Poli-
tik des Landes zu bestimmen, in keiner Weise antastet. Jeder Prä-
sident, heiße er Deschanel oder sonstwie, wird die Regierung er-
nennen müssen, die der Kammer paßt, die Kammer aber wird kslne
Regierung dulden, die nicht bereit ist, alle Früchte des Sieges zu
pflücken und aus Deutschland herauszuholen, was nur immer aus
ihm herauszuholen ist.
Trotzdem blecht es auffällig, daß der Führer der gegen Tle-
menceau gerichteten Bewegung der frühere Ministerpräsident
Briand ist, von dem man sagt, daß er sich dem rechten Flügel
-er Sozialisten wieder stark genähert habe, und der namentlich mit
dem früheren rechtssozialistischen Munitivnsminister Thomas in
enger Verbindung steht. Darin liegt ein Widerspruch gegen das
vorher Gesagte, denn die französischen Rechtssozialisten haben, we-
nigstens anfangs, an dem Friedensvertrag von Versailles nichts
auszusehen gefunden und Deutschland seine Annahme dringend an-
geraten. Dennoch ist es schwer zu glauben, daß die französischen
Rechtssozialisten für immer alles vergessen haben sollen, was sie
vor dem Kriege gepredigt haben. Man wird nicht annehmen können,
daß sie auf die Dauer eine chauvinistische Vernichtungspolitik gegen
den besiegten Gegner zu treiben gesonnen sind. Ader auch dieser
Ueberlegung muß man hinwiederum die Tatsache entgegenhalten,
daß der Einfluß der französischen Rechtssozialisten auf die Kammer
außerordentlich gering ist. Die sozialistische Fraktion hat bei den
Siegeswahlen einen Verlust von rund 30 Mandaten erlitten, und
die Rechtssozialisten spielen in ihr einstweilen eine recht geringe
Rolle. Daß aber die mit dem Bolschewismus kokettierende Frak-
tionsmehrheit Einfluß auf die Politik einer in ihrer Mehrheit höchst
bürgerlichen, höchst antisozialistischen Kammer gewinen könnte, ist
von vornherein ausgeschlossen.
So bleibt die französische Präsidentschaftswahl nur nach der
negativen Seite yin bedeutungsvoll, eben dadurch, daß nickt Clemen-
ceau Präsident geworden ist. Seine Niederlage ist zwar keine Ab-
kehr vom Nationalismus, aber doch eine Abkehr von dem nationa-
listischen, antidemokratischen Heroenkult. Auch der „Vater des
Sieges" muß sich gefallen lassen, daß er auf seine Eignung zum
höchsten Staatsamt wie jeder andere Sterbliche geprüft wird und
ein« für ihn persönlich höchst schmerzhafte Ablehnung erfährt. Was
würde bei uns über „Undank des Vaterlandes" gebrüllt werden,
wenn sich bei uns unter ähnlichen Umständen ein ähnlicher Fall er-

Der bad. Reichstagsabgeordnete^
Dr. Haas Gesandter in Belgrad?
Die Ernennung des Abg. Haas zum Gesandten in Belgrad
wird, wie wir hören, erfolgen, sobald die Ratifizierung erfolgt ist.
Eine Vertretung in Wash ngton soll zunächst nicht ernannt
weiden. Für die Besetzung des Postens in Warschau ist noch
keine Entscheidung getroffen; angeblich kommt dafür «in bekannter
Zentrumsabgevrdncter in Betracht.
Die Demission des Kabinetts Cleinerreearr
Paris, 19. Ian. (W.T.B.) Tlemenceau hat im Beisein der
Ministerien und Unterstaatssekretäre Poincares die Gesamtdemis-
sion des Kabinetts überreicht.
Dr. Luppe-Frankfurt 1. Bürgermeister
von Nürnberg.
Nürnberg, 18. Ian. (W.T.B.) Zum ersten Bürgermeister
der Stadt Nürnberg wurde heute mit 34 835 von 35 058 abgegebe-
nen Stimmen Dr. Luppe-Frankfurt gewählt.

Graf Arco begnadigt.
München, 17. Ian. Der Ministerrat beschloß, das Todes-
urteil gegen den Grafen Arco in lebenslängliche Festungshaft um-
zuwandeln. Außer der gesamten bürgerlichen Presse waren auch
das sozialdemokratische und das unabhängig« Parteiorgan für die
Begnadigung eingetreten.
Henderson verlangt Frieden mit
Sowjetrutzland.
London, 18. Jan. (W.B.) Henderson richtete ein
Schreiben an die Presse, in der er unter Bezugnahme auf
die vermutlichen militärischen Beratungen in Paris erklärt,
wenn die Regierung sich weigere, das Friedensangebot der
Sowjetregierung zu erwägen, so verwickle sie das Land in
ein großes unnötiges Abenteuer. Die Arbeiterpartei werde
sich durch politische, militärischen und geheimen Abmachungen
nicht als gebunden betrachten, da sie einen Teil einer Po-
litik bilden, gegen die sie von jeher Einspruch erhoben hat.
Henderson fordert, daß den Polen und transkaukasischen
Staaten geraten wird, Frieden zu schließen.

eignet hätte? Bei uns bersten sogar manche Leute daran, bei der
nächsten Präsidentenwahl einen der Väter der Niederlage wegen
seiner nationalistisch-militaristischen Strammheit auf den Schild zu
erheben.
Die Dummheit einer solchen Absicht wird durch die Nieder-
lage Clemenceaus geradezu in bengalische Beleuchtung gerückt. Der
Rückzug Clemenceaus aus dem öffentlichen LLben Frankreichs be-
deutet für Deutschland auf alle Fälle wenigstens in moralischer Be-
ziehung eine Erleichterung. Wir werden an der Spitze der Nach-
barrepMik nicht mehr den Mann erblicken, der uns als die Ver-
körperung des Hasses gegen Deutschland gilt. Das deutsche Volk
wird einem Präsidenten der französischen Republik, der nicht Cle-
menceau heißt, keinen Präsidenten der deutschen Republik gegen-
überstellen, der als Verkörperung des Kriegsgedankens gegen Frank-
reich gelten kann.

Deutsche Nationalversammlung.
Vormil tagssihung.
Die Beamtenteuerungszulage angenommen. — Dr. Wirth geoen
Dr. Heim.
Berlin, 17. Januar.
Der von Mitgliedern aller Parteien eingebrachle Nachtragsetat zur
Erhöhung der Teuerungszulagen für Beamte, Offiziere, Mann-
schaften usw. um 150 Prozent steht zur ersten Beratung. Angefordert
werden dafür Millionen Mark.
Reichsfinanzminister Erzberger: Ich freue mich, wenn der neue
Etat möglichst heute noch in allen drei Lesungen verabschiedet wird.
Das Reich hat allen Anlaß, kinderreiche Familien in jeder Weife zu
unterstützen. Erfreulich ist das Einverständnis der Beamten, daß mit
der Besoldungsreförm eine Steigerung der Arbeitsleistung eintreten
müsse, damit die Zahl der Beamten verringert werden kann. Es muß
auch für sie immer mehr der Achtstundentag eingefuhrt werden.
Abg. Dr. Heim (Bayer. Vp.): Spielen Sie nicht mit dem Feuer!
Der Richtpreis für Weizen ist in Frankreich viermal höher als bei uns.
Durch ungenügende Preise verringert sich die Produktion und das
Reich muß im Auslande die Prämien zahlen, die es den heimischen Land-
leuten verweigert. Sie hätten ja Ernährungsminister werden >onnen!
Finanzminister Erzberger: Verkehrs- und finanztechnische Gründe
erfordern es, daß die Verreichlichung der Eisenbahnen bis zum 1. April
1920 durchgeführt wird. Auf die Zugrifssmöglichkcit der Entente an sich
die Verreichlichung ohne jeden Einfluß. Es liegt auch nicht in der
Absicht der Reichsregicrung, die Eisenbahnen zur Grundlage von Kredit-
aktionen zu machen.
Abg. Wirth (Ztr.): Herr Dr. Heim sollte nicht immer für Bayern
Besonderheiten verlangen. Hätte Herr Dr. Heim eine Dezentralisation,
di« allen zugute käme, mit uns durchzusühren versucht, dinn würbe auch
mit diesem System etwas Ersprießliches erreicht worden sein. Der Rcichs-
finanzminister ist an sich ein Anhänger der Dezentralisation.
Abg. Wurm (U.S.P.): Mit einer Verbilligung der Preise ist nicht
zu rechnen, so lange der Landwirt über Grund und Boden unbe-
schränkter Herr ist.
Abg. Dr. Heim (Bayer. Vp,): Ich wünsche nicht den schranken-
losen Einheitsstaat.
Abg. Dr. Wirth (Ztr.): Dr. Heims Auffassung ist revolutionär
gegen die geltende Verfassung. Wozu diente seine Reise in das besetzte
Gebiet?

Abg. H echel (Dn.): In Wiesbaden hat Dr. Heim mit französische«
Offizieren verhandelt, ja sogar öffentlich mit ihnen diniert.
Abg. Dr. Heim (Bayer. Vp.): Es handelt sich um einen mir bei-
gegebenen Begl-eitoffizier.
Der Nachtragsetat wird in allen drei Lesungen sowie in der Gesamt-
abstimmung einstimmig angenommen.
Die Gesetzentwürfe zur Prüfung von Bildstreifen für Lichtspiele und
über die Beschäftigung Schwerbeschädigter gehen zur Vorberatung an
Anschüsse. .
Der Gesetzentwurf über die Gewährung von Straffreiheit an Per-
sonen aus den Abstimmungsgebieten sowie über Aenderung desdeutfch-
polnischen Beamtenvcrtrages wird in allen drei Lesungen
und in der Gesamtodstimmung angenommen.
- Um 2^ Uhr trift eine Mittagspause ein. ;
Nachmittagssitzung. H
Die Interpellation über das Rheinlandabkommen. 1
Abg. Spahn (Ztr.) begründet die Interpellation eingehend. Was
gedenkt die Rerchsregierung zu tun, um die Innehaltung
des Rheinlandabkommens gegen den hohen Ausschuß zu sichern?
Reichsminrster Koch: Beständen die Verordnungen zu Recht, so
wären die Rheinland? kein besetztes, sondern ein unterworfenes Gebiet;
sie wären eiae an Fremde aus Gnade und Ungnade ausgelieferte Kolonie.
Wir haben Protest eingelegt, wir stehen auf dem uns seierlich garantier-
ten Rechtsboden, wir können die Verordnungen als zu Recht bestehend
nicht anerkennen. (Beifall.)
Damit ist die Interpellation erledigt.
Die Sonnlagssitzung.
Das Betriebsrätegesetz angenommen.
Berlin, 18. Ian. Iu der Rattonalversammlung wurde heute die
dritte Lesung des Betriedsrätegesetzes zu Ende geführt. Da» Gesetz wurde
iu der namentlichen Gesamtabstimmung mit 21Z gegen 64 Stim-
men der Rechte» und Unabhängigen angenommen. Die
Verkündung des Ergebnisses wurde von der Mehrheit mit Beifall aus-
genommen.
Die Unabhängigen und das
Betriebrrätegesetz.
Heidelberg, 19. Januar.
In der ganzen unabhängigen Presse wird jetzt auf das fürch-
terlichste über das Betriebsrälegesetz geschimpft, gegen die Ver-
schlechterungen, die die Ausschußberattmgen hineingebracht haben
uff. Dazu ist es interessant, zu erfahren, welche Arbeit und Müh«
die unabhängigen Parlamentsvertreter sich gemacht haben, um bei
den Beratungen möglichst viel für die Arbeiterschaft herauszuschla-
gen. Wir lesen darüber in der „Fränk. Tagespo st":
Das Detriebsrätegesetz soll die soziale und wirtschaftliche Stel-
lung der Arbeiter und Angestellten im Betriebe von Grund aus
mngestalten und den Anfang machen mit der Demokratisierung der
Wirtschaft. Das Interesse der Hand- und Kopfarbeiter erforderte
daher das zäheste und leidenschaftlichste Einsetzen aller sozialdemo-
kratischen Abgeordneten, um den gewiß verbesserungsbedürftigen
Regierungsentwurf in der Nationalversammlung und im sozial-
politischen Ausschuß auszubauen und Verschlechterungen abzuwehren.
Es ist bekannt, daß schon der Reichsrat erhebliche Abschwächungen
des Entwurfs vornahm, die in der Ausschußberatung wieder beseitigt
werden mußten. Die Industrieherren, die Agrarier der Handels-
wett laufen Sturm gegen den Gesetzentwurf und die Demokraten
und das Zentrum machen dem Ansturm der Gegner des Entwurfs
bedenkliche Konzessionen. Um so notwendiger war eine energisch«
Wahrnehmung der Arbeiterinteressen durch die Vertreter beider
sozialdemokratischen Fraktionell. Ulld dieser Kampf für die Ar-
beilerinteressen wäre gerade für diejenigen um so pflichtgemäßer
gewesen, die an dem Entwurf soviel auszusehen hatten wie die
Unabhängigen. Dieser Kampf wäre auch sehraussichtsreich
gewesen, da den 11 mehrheitssozialistischen und 2 unabhängigen
Ausschußmitgliedern nur 15 bürgerliche gegenüberstanden,
die unter sich in fast keiner einzigen Frage einig
waren.
Aber die mehrheitssozialistischen Abgeordneten
blieben in dem schweren Kampf um die Interessen der Arbeiter und
Angestellten allein. Die Unabhängigen hatten nicht nur im
Wirtschaftsleben die Totstreikstakttk für eine sozialistische Erlösungs-
tat, sie streiften auch bei dem Kampf um die Betriebsräte. Nicht
einmal die Hinterbacken strapazierten sie für die Interessen der Ar-
beiter. Im Plenum der Nationalversammlung hatten dies« unent-
wegten und einzig rechtgläubigen Preiskämpfer des Sozialismus
donnernde Demagogenreden; in den Ausschüssen aber, in welchen
doch die wesentliche Durchberatung und Ausgestaltung der Gesetze
erfolgt, streiken sie. .
Im Sozialen Ausschuß, der das Betriebsräle-
gesetz in'zwei Lesungen durchderiet, saßen also 11 mehrheits-
sozialistische und 2 unabhängige Vertreter. Bei dem häufigen Fehlen
bürgerlicher Abgeordneter wären neben unseren Stimmen die zwei
unabhängigen Stimmen fast stets ausreichend gewesen, um Ver-
schlechterungen abzuwehren, wenn sie eben dagewesen wären.
Von den zwei Unabhängigen fehlten ost beide, in neun Zehnteln
der Sitzungen aber einer, und der andere kam ost eine Stunde zu
spät oder ging eine Stunde vor Schluß der Sitzungen. Fast jeder
der unabhängigen Abgeordneten gab einmal als Horchposten
eine Gastrolle. Mitgearbeitet aber hat kein einziger. Von den 235
Abänderungsanträgen, die zum Gesetz gestalt wurden, stammte kein
einziger von den Unabhängigen. Ohne Verbesserungsantrag kann
man aber doch einen Gesetzentwurf nicht verbessern. Auch an der
ostsehr stürmischen Diskussion nahmen die Unabhängi-
gen nicht teil; sie beschränkten sich lediglich einrgemale auf
nichtssagende Erklärungen.
Wohin die arbeiterschädigendc Abstinenz der Unabhängigen
führt, sei an wenigen Beispielen klar gemacht.
Nach dem Entwurf sollten in Bettieben von fünf dis 20 Ar-
beitern, von welchen mindestens drei wahlberechtigt sind, Be-
triebsobmänner gewählt werden, die mit einigen Ausnahmefällen
die gleichen Rechte wie die Betriebsräte haben sollen. In zweiter
 
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