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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (1/2) — 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.44126#0205
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Lagesz-itimg für msffiätiae B«-vSk?sruna der AmtMezir?e Heidelberg, Wiesloch, Ginsheim, Eppingen, Eberbach, Mosbach, Buchen, Adelsheim, Boxberg,
Tauberbifchofsheim und Wertheim


Bezugspreis: Monatlich einschl. TrSgerlohn 2.so Mk. Anzeigenpreise:
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Heidelberg, Freitag, 2V. Februar 4920
Nr. 43 » 2. Jahrgang

Verantwort!.: Für innere u. äußere Politik, Volkswirtschaft u.Feuilleton: Or.
E.Krausi für Kommunales», soziale Rundschau:Z. Kahn: für lokales!
O. Seibel, für die Anzeigen: H. Hoffmann, sämtlich in Heidelberg
Druck und Verlag der Unterbadischen Verlagsanstalt G. m. b. H., Heidelberg
Geschäftsstelle: SchrSderstraße 39.
Fernsprecher: Anzeigenannahme 2673, Redaktion 2648.

Eine neue Sozialistenpartei. —
Ein verfehlter Einigungsversuch.
Heidelberg, den 20. Febr.
In der Dienstagsnummer hat die „Volkszeitung" die Tagung
eines süddeutschen Sozialistentages gemeldet, die zu der Neugrün-
dung einer Partei vereinigter Sozialisten geführt hat.
-Wir erfahren jetzt folgende nähere Mitteilung:
Vor einigen Tagen hat in Regensburg die Bildung einer
neuen sozialistischen Partei stattgefunden. Es waren
88 Ortsvereine der Mehrheitssozialisten, 24 der Unabhängigen, 4
Gewerkschafts'ka rtelle und einige Vertreter der Kommunistischen
Partei anwesend, um sich über die praktische Durchführung der Eini-
gung aller Sozialisten schlüssig zu werden. Es wurde nach sehr
ausführlichen Besprechungen, an denen Hern-Berlin, Röll-
Marktleuthen, R i eb el i n g-Berlin und andere sich beteiligten,,
folgendes Parteiprogramm angenommen:
1. Allgemeines, gleiches, geheimes und direktes Wahl- und
Stimmrecht für alle über 18 Jahre alten Reichsangehörigen ohne
Unterschied des Geschlechtes für alle Volksvertretungen. Zweijährige
Gesetzgebungsperioden. Vornahme der Wahlen an gesetzlichen
Ruhetagen. >
2. Direkte Gesetzgebung durch das Volk, vermittelst
des Vorschlags- und Verwerfungsrechtes, Selbstbestimmung und
Selbstverwaltung des Volkes in Reich, Staat, Provinz und Ge-
meinde. Verantwortlichkeit und Haftbarkeit der Volksvertreter.
Jährliche Steuerbewilligung.
3. Die weltlich-sozialistische Einheits- und Arbeits-
schule mit Unentgeltlichkeit aller Erziehungs- und Lehrmittel.
4. Abschaffung aller Ausnahmegesetze und Verordnungen,
welche die freie Meinungsäußerung in Wort und Schrift beengen
können.
5. Abschaffung aller Gesetze, welche die Frau in öffentlich
und privatrechtlicher Beziehung gegenüber dem Mann benach-
teiligen.
6. Schaffung einer wirklichen Volkswehr. Entschei-
dung aller internattonalen Streitigkeiten auf schiedsgerichtlichem
Wege.
7. Trennung von Kirche und Staat.
8. Reform der Rechtspflege und Rechtsprechung durch vom
Volk gewählte Richter. —
9. Vergesellschaftung des gesamten öffentlichen Gesundheits-
wesens.
10. Sozialistische Steuerpolitik durch stufenweis fort-
schreitende Einkommens-, Vermögens- und Erb-
schaftssteuern. Abschaffung aller indirekten Steuern, Zölle
und sonstigen wirtschaftspolitischen Maßnahmen.
11. Unterhaltung freundschaftlicher Beziehungen zu sämt-
lichen Nationen unter Ausschaltung der Geheim-
d i p I o m a t i e.
12. Ablehnung jeder Koalition mit bürgerlichen Parteien.
Iederzeitigc Abberufbarkeit der Volksvertreter.
13. Kommunalisierung aller privatkapitalistischen In-
stitutionen der Kunst- und Bildungsbestrebungen.
Im wirtschaftlichen Teil des Programms wird die sofor-
tige Vergesellschaftung aller Produktions-
mittel auf genossenschaftlicher Grundlage be-
zirks- eventl. landesweife als Vorstufe der Sozialisierung gefordert.
Wie die Parteileitung mitteilt, stehen hinter den korporativ
übergetretenen Ortsvereinen 9000 Mitglieder, ferner die gesam-
ten bayerischen Landarbeiter. Aus den thüringischen
Staaten, Hannover, Oldenburg ,einigen sächsischen Wahlkreisen,
den beiden Mecklenburg und Vorpommern und Ostpreußen erklär-
ten sich die Vertreter für die Neugründung und wollen ben Ueber-
tritt ihrer Vereinigungen zu der neuen Partei kundgeben.
Der „Vorwärts" schreibt dazu:
In Regensburg ist, wie wir bereits berichteten, der Versuch
einer neuen sozialistischen Parteigründung gemacht worden. Sie
nennt sich „Partei Vereinigter Sozialisten Deutschlands und würde,
wenn sie sich als lehensfähig erwiese, die vierte sozialisti-
sche Richtung in Deutschland darstellen. Die Gründungs-
versammlung hat ein Programm angenommen, das für die 18jähri-
gen das Wahlrecht, Bildung einer Rätekammer als zweiter Kammer
und „sofortige Vergesellschaftung aller Produktionsmittel auf g e -
nvssenschaftlicher Grundlage fordert. Jede Koalition
mitbürgerlichenParteien wird ab gelehnt.
Diesem „süddeutschen Sozialistentag" soll ein „norddeutscher"
folgen, der in Berlin am 22. und 23. Februar stattfinden soll. Die
Gründer, soweit sie bekannt sind, entbehren in der Arbeiterbewe-
gung der Autorität, die ernstlich für eine Einigungspolitik wirken
könnte, auch spricht ihr Programm von keiner großen Erfahrung.
Vereinsmeierei führt nicht zur Einigung, sondern nur zu noch im-
mer weiterer Zersplitterung.
Die „Freiheit" verhält sich von ihrem Standpunkt eben-
falls ablehnend zu dieser Neugründung. Sie schreibt:
Aus dem aufgestellten Programm ergibt sich die Ueber-
flüssigkeit dieser Neugründung, auf die man bei aller Aner-
kennung der guten Absichten der Parteigründer Hinweisen muß.
Dieses Programm, das sich im allgemeinen im Rahmen der „for-
malen Demokratie" hält, läßt jede positive Umgestaltung vvrdurch
die Revolution aufgeworfenen Probleme vermißen. Es beschrankt
sich auf Selbstverständlichkeiten, und die Fassung läßt die Absicht
erkennen, einen Sammelhoden für die auseinanderstrebenden Ele-
mente der deutschen sozialistischen Bewegung zu schaffen.
Wir haben schon des öfteren dargelegt, daß die prinzipiellen
uftd taktischen Differenzen innerhalb der deutschen Arbeiterbewegung
notwendige Ergebnisse der Entwicklung der allgemeinen politischen
und ökonomischen Verhältnisse während des Krieges und der Revo-
lution sinh. Die Beseitigung dieser Differenzen und damit die
Einigung des deutschen Proletariats werden sich ebenfalls aus den
politischen und ökonomischen Bedingungen der Zukunst ergeben.
Diese Nevaründung kann, wenn sie überhaupt zu Ansehen gelangt,
die Zersplitterung nur vergrößern, nicht sie überwinden, denn dazu
fehlen heute noch die wesentlichsten Voraussetzungen.
Wir schließen uns diesen beiden ablehnenden Urteilen voll und
tzanz an; wir haben es auch abgelehnt, für diesen Sozialistentag

Erfundene Note.
Berlin, 20. Febr. (W.T.B.) Die Regierung demen-
tiert die aus Holland verbreitete Nachricht, daß Deutschland in
einer demnächst aufzusetzenden Note zur Abwehr bestimmter En-
tenteforderungen den Staatsbankerott erklären werde. Es
handelt sich hier um eine Erfindung.
Deschanel's Programm.
Paris, 20. Febr. (W.T.B.) In einer Botschaft an Senat
und Kammer sagte Präsident Deschanel, in her Vereini-
gung aller siegreichen Völker liege die erste Sicherheit für den Frie-
den und die Grundlage für den Völkerbund. Frankreich wolle die
Erfüllung des Versailler Friedensvertrages
mit Deutschland. Seine Politik sei die Willenskraft, die Tatkraft
und der Glaube. Die Friedensaufgabe sei im Innern nicht we-
niger schwierig als diejenigen des Krieges. Die soziale
"Gesetzgebung ist zu vervollständigen und die Konflikte zwischen
KapitalundArbeitzu verhüten. Der Bevölkerung der be-
setzt gewesenen Gebiete habe die weiteste Fürsorge zu gelten. Der
Präsident begrüßte Elsaß-Lvthringen und gedachte der Kolonien,
der adoptierten Kinder Frankreichs.
Die holländische Kammer genehmigt den
Beitritt zum Völkerbund.
Haag, 20. Febr. (W.T.B.) Nach ausführlicher Befürwor-
tung durch den Minister des Aeußern nahm die 2. Kammer mit
59 gegen 5 Stimmen den Gesetzentwurf betreffend den Beitritt
Hollands zum Völkerbund an.

irgendwelche Propaganda zu machen oder an ihm mitzuwirken.
Nicht, weil wir etwa Gegner einer Einigung wären! Wir sehnen
sie ebenso glühend herbei, wie nur einer von denen, die auf dieser
Regensburger Tagung waren! Aber diese Einigung kann nicht da-
durch kommen, daß einige Idealisten sich zusammensetzen und ein
schönes formales Kompromißprvgramm aufstellen, das einfach an
der politischen Wirklichkeit zerschellen muß! Was soll es denn im
obigen Programm heißen, wenn die schönsten Svzialisierungsgrund-
sätze aufgestellt werden und ein anderer Punkt jedes Kompromiß
mit bürgerlichen Parteien ablchnt! Ja, glauben denn die Urheber
dieses Programms wirklich, daß in Deutschland in absehbarer Zeit
der Moment kommt, wo wir ohne die Bürgerlichen Politik mache»
können, ganz von den internationalen Zusammenhängen abgesehen?
Und glauben dieselben Herren — deren allerdings naiven Idelalis-
mus wir gar nicht bezweifeln wollen — daß wir als reine Oppo-
sitionspartei außerhalb der Regierung mehr Sozialismus durch-
setzen werden, als wir jetzt in der F i n a nz p o l i t i k und im B e-
t r i ebs r ä t e g es etz als Regierungspartei erreicht haben?
Nein! Nachdem jetzt die Spaltung der Arbeiterschaft da ist,
muß sie in ernstem politischen Kampf mit Geduld durchgefochten
werden; die politisch-ökonomische Entwicklung wird zeigen, wer recht
hat und das Proletariat dann einmal wieder unter eine Fahne
sammeln! Mit Utopie und naiver Sentimentalität kann man keine
Realpolitik treiben!

Politische Übersicht.
Bittere Lehren.
Vor einigen Tagen fanden im ehemaligen Grvßherzogtum
Hessen die Kreis- und Provinzialwahlen statt. Das Hervorstechende
ist ein Verlustder Linksparteien und ein unverhältnis-
mäßig starkes Anwachsen der Deutschnationalen, Bauernbündler
und Deutschen Volksparteiler. Die Gesamtergebnisse liegen noch nicht
endgültig vor, doch ist auf Grund der Teilresültate eine Gesamtbe-
urteilung unter Berücksichtigung der allgemein in Erscheinung ge-
tretenen Rechtsentwicklung schon möglich. Wesentlich ist aber auch
die völlige Niederlage der U.S.P. Gegenüberden Stadt-
verordnetenwahlen verloren z. B. in D a r m st a d t die Mehrheits-
sozialisten 30, die Demokraten 50 uitd die U.S.P. 60 Prozent. In
Offenbach ist für sie das Resultat noch viel ungünstiger. Bei
einer Wahlbeteiligung von 40 Prozent gegenüber den Städtrats-
wahlen, während der Rückgang bei den Mehrheitssozialisten nur
15 Prozent berägt. Die vereinigten Nationalliberalen, Konser-
vativen und Bauernbündler vermochten demgegenüber ihre Stim-
men von 2752 a uf4270, also um über 50 Prozent zu steigern. Das
ist die Gefahr!
Für uns sind die Ursachen diöser Entwicklung klar. Vor Mona-
ten schon, als äußere Zeichen des Rückschlages noch nicht zutage tra-
ten, wiesen wir bereits daraufhin, daß die alles überbietende Sabo-
tage unseres Wirtschaftslebens, wie sie Unabhängige, Kommunisten,
Spartakisten, Unionisten, Syndikalisten und wer weiß sonst noch
alles für isten betrieben, einer machtvollen reaktionären Welle den
Weg bereiten würde. Jeder mit etwas naturgeschichtlicher und
volkswirtschaftlicher Bildung ausgestattete Mensch wußte, daß die
stärkere Ausprägung des „revolutionären Druckes" — wenn wir
uns des angegriffenen Wortschatzes der hyperradikalen Revolutions-
worthelden auch einmal bedienen wollen — automatisch den Gegen-
druck der anderen Seite steigern mutzte. Die fortgesetzten Störungen
des Wirtschaftslebens, das sich gerade in dem Stadium der Umfor-'
mung von der Kriegs- zur Friedenswirtschaft befand, durch Streik
rein politischen Charakters, die Putsche und Unruhen, angezettelt
von verantwortungslosen Elementen, denen die durch die bittere
Kriegsnot entkräfteten und entseelten Vvlksmassen als den vermeint-
lichen Heilbringern freudig zujubelten, sind die Ursachen, datz dem
Volk neben der politischen Befreiung nur geringe Geschenke als Ab-
schlagszahlung auf die wirtschaftliche Entfesselung gegeben werden
konnten. Und das brachte Enttäuschung für viele huftderttausende
Männer und Frauen. Verbittert, mit Haß erfüllt, wandten sie, die
sich betrogen fühlten, von ben Linksparteien ab unb flüchteten die
weitgeöffneten Arme der Reaktion. Von dort erhoffen sie die Wie-
dererrichtung des Reiches nach den Grundprinzipien der alten guten
Zeit.
Die Erkenntnis ist bitter, aber sie ist notwendig, wenn wir das
Verhängnis kämpfend abwenden wollen. Die Gefahr ist für die

Revolution und die Durchführung aller notwendigen Maßnahme»
zur Sicherung der revolutionären Errungenschaften droht von rechts.
Aber diese Gefahr ist nur die u n m i t t e l b a r e F o l g e der G e -
w a l t,m a ß n a h m e n v o n l i n k s. Und daraus müssen wir die
Folgerungen ziehen, wenn es uns ernst sein soll im Kampf um die
Befreiung des Volkes aus jeder Knechtung.
Sind wir uns klar, daß die Ursache oes Anwachsens der Reak-
tion in der falschen, jeden positiven Gedanken vermissen lassenden
Parteipolitik von links liegt, dann ist für uns auch das Geheimnis
der ersten Frontstellung gelöst. Die Folgen einer Politik zu be-
kämpfen, solange die Ursachen nicht beseitigt ist, ist ein unfruchtbares
Beginnen. Wir müssen den Baum des Uebels anderWurzel
treffen, wenn seine vergifteten Früchte nicht namenloses Unheil stif-
ten sollen. Sollen wir den Kampf gegen die Reaktion mit aller
Kraft ausnehmen, dann müssen wir die Hände freibekommen. Wo
der gemeinsame Feind steht, die Einsicht ist bei den Unabhängigen
abhanden gekommen. Durch ihre Taktik, durch ihre gesamte Poli-
tik führen sie sich uns täglich als Schädlinge der Arbeiterbewegung
vor. Schädlinge muß man bekämpfen. Daß es Zeit
ist, hohe Zeit, das beweisen die Zahlen der letzten hessischen Wahlen.

Beschleunigte Einziehung der Steuer.
Berlin, 19. Febr. Im Reichsministerium fattden gestern
Besprechungen unter Vorsitz des Reichsfinanzministers
über die Frage des Abbaues der schwebenden Reichs-
schul d statt. Wie wir erfahren, sind die Verhandlungen bisher
zu einem Abschluß noch nicht gelangt. Sie dürste bis Ende der
Woche fortdauern. Klarheit herrscht darüber, daß eine neue
Anleihepolitik eingeschlagen werden müsse, ferner sollen
Maßnahmen zur beschleunigten Einziehung der Steuern getroffen
werden.

Das Gerichtsverfahren in Leipzig.
Berlin, 18. Febr. (Priv.-Tel.) Der Oberreichs-
anwalt Zweigert wird, wie wir hören, morgen aus Leipzig
in Berlin eintreffen, um mit dem Reichsjusttzminister Schiffer
über das vor dem Reichsgericht schwebende Verfahren wegen
Kriegsverbrechen und Kriegsvergehen sich auszusprechen und die
Punkte klarzustellen, in denen Rückfragen notwendig sein dürften.
Der Oberreichsanwalt Zweigert äußerte einem
Mitarbeiter der „Vossischen Zeitung" gegenüber, gewisse Richtlinien
für das Leipziger Verfahren st ä n d e n schon f e st. Diese seien
durch das Gesetz vom 18. 12. 1919 gegeben. Im Rahmen dieses
vielleicht durch eine Novelle zu erweiternden Ge-
setzes, .das eigentlich nur für Inlands-Beschuldigte bestimmt sei.
und das übrigens eine Abänderung des Gerichtsverfassungsgesetzes
notwendig mache, werde technisch die Durchführung der bevorstehen-
den Prozesse erfolgen. Es schwebten bereits bei der Reichsanwalt-
schaft Ermittelungsverfahren.
Verhandlungen mit Sowjet-Rußland.
Berlin, 18. Febr. Mit Rücksicht auf die trostlose Lage der
deutschen Kriegsgefangenen in Rußland und die ungeklärte Lage
der russischen Kriegsgefangenen in Deutschland hat sich die deutsche
Regierung entschlossen, in Besprechungen mit dem hierzu
delegierten Bevollmächtigten der Sowjetregierung, Herrn Wig-
-or Kopp, einzutreten.
Unsere Beziehungen zur Tschechv-Slowakei.
Prag, 19. Febr. (W.B.) Der Präsident des Flachsspinnerei-
verbandes m Böhmen begab sich nach Berlin, um über die Liefe-
rung von Flachs aus Deutschland nach der Tschechv-Slowakei zu
verhandeln. 25 Prozent des eingeführten Flachses soll nach Be-
zahlung in der Tschechv-Slowakei verbleiben. Der Staatssekretär
des Innern teilt mit, daß 22 440 frühere Feinde, darunter 13 766
Deutsche, sich gegenwärtig in dem Vereinigten Königreich befin-
den und daß keine Ausweisungen stattgefunden haben.
- 'i
Das alte System.
xr. Kurt Am end, der Chefredakteur des „Bad. Staats-
anzeigers", hat sich ein Verdienst erworben, indem er in einem sehr
lesenswerten Buche — Das alte System. Ein politisches Volksbuch.
Von Kurt Amend, 180 Seiten. Kommissionsverlag der G. Braun-
schen Hofbuchdruckerei, Karlsruhe i. B. Preis steif geheftet 7,50 Mk.
— das alte System in einer scharf gezeichneten Darstellung analy-
siert. Die bestens zu empfehlende Schrift geht nach kurzer Skizzie-
rung des Wesens des alten Systems und seiner hauptsächlichen
junkerlich-militaristischen unb grvßindustriell-bürvkratischen Stützen
zu einer eingehenden Zeichnung des Hauptträgers des alten
Systems, WilhelmII. über, den sie, ihn in den Mittelpunkt des
Buches stellend, als den Repräsentanten jener einstigen Mehrheit
des deutschen Volkes bezeichnet, die durch das alte System charak-
terisiert wird. Vor allem wird bie Eitelkeit des letzten Kaisers
ins rechte Licht gerückt, die ihn immer in effektvollen Schauspieler-
vollen vor die Oeffentlichkeit treten ließ:
„als der große Monarch, als der große Feldherr, als der
große Admiral, als der große Staatsmann, als der große Pre-
diger, als der große Künstler, als der große Musiker, als der
große Volkserzieher. Aber immer war das ganze nur ein hol-
der Schein, ein leerer Wahn — nur eine Schauspielerrolle".
lieber die autokratische Betrachtungsweise des ehemaligen „Im-
perator" macht das Buch bemerkenswerte Feststellungen, indem es
vor allem auf die egozentrische Betrachtungsweise Wilhems II. auf-
merksam macht und auf sein Verhältnis zu den ehemaligen Bun-
besfürsten hinweist:
„Die Bundesfürsten wurden vom Kaiser beinahe vollständig
ausgeschaltet; und wenn es sich um einen kleinen Fürsten, wie den
Grafen zu Lippe-Biesterfeld handelte, dann scheute er sich auch
nicht, ihn in der arrogantesten Weise anzufahren und abzukanzeln.
Man muß sich heute noch wundern, baß die Bunbesfürsten sich
derartiges haben gefallen lassen. Unter ihnen waren es eigent-
lich nur der Prinzregent Luitpold von Bayern und später König
Ludwig III. von Bayern, die dem Kaiser gelegentlich mit einiger
Energie entgegentraten. Die übrigen Bundesfürsten haben sich
im allgemeinen gefügt und ein kaiserliches Regiment hingenom-
men, von dem sie sich schon lange sagen mußten und zum Teil
faktisch gesagt haben, daß dieses Regiment zu völligen Verwüstung
 
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