Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (1/2) — 1920

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44126#0327
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Tageszeitung für die werttätige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Ginsheim, Eppmgen, Eberbach, Mosbach, Buchen, Adelsheim, Borberg,
Tauberbischofsheim und Wertheim.


Lez»ssp««is: Monatlich e!nW. Trägerloh» 2.50 Mk. Anzeigenpreise:
Die einspaltige petllzene (ZS mm breit) 20 pfg., Reklame-Anzeigen
breit) 2.20 Mk. Lei Wiederholungen Nachlaß nach Tarif.
Geheimmittel-Anzsigen werden nicht ausgenommen.
Geschäfts stunden: 8 - '/,6 llhr. Sprechstunden der Redaktion: 11 -12 ikhr.
Karlsruhe Nr 22Z77. Tel.-Adr.: Volkszeitung Heidelberg.

Hei-elberg, Freitag, ^9. März ^S2S
Nr. 66 » 2. Jahrgang

Derantwortl.: Fürinnereu. äußere Politik, Volkswirtschaft u. Feuilleton: Dr.
E. Kraus; für Kommunales u. soziale Rundschau: I.Kahni für Lokale«:
O. Geidel, für die Anzeigen: H. Hofsmann, sämtlich in Heidelberg
Druck und Verlag der Llnterbablsthen Verlagsanstalt G. m. b. H., Heidelberg
Geschäftsstelle: Schrödrrstraße 39.
Fernsprecher: Anzeigen-Annahme 2673, Redaktion 2648.

Reichskanzler Bauer über die Lage.

Verfolgung der Verbrecher.
Oberreichsanwalk Leipzig. Die Reichsregierung beantragt jo-

Zusammenstöße in Berlin.
Die abziehende Marinebrigade schießt.
Berlin, 18. März. (W.B.) Die aus dem Wilheimsplatz und
Umgebung seit dem Putschversuch ausgestellt« Marinebrigade sammelte
sich heute nachmittag, um durch das Brandenburger Tor nach Döberitz
abzuziehen. Bei dem Abmarsch der Truppen nahm die unter den
Linden angesammelte Menge in -er Gegend des Hotels Adlon eine
drohende Haltung an und stieß Schimpfworte aus. Als „Schieß-
bereitschaft" kommandiert wurde, ergriff die Menge eine Panik. Alles
flüchtete in die offenen Häuser. In diesem Augenblick sielen mehrere
Schüsse, wodurch 8 Personen schwer verletzt wurden. Als ein großer
Teil der Truppen das Brandenburger Tor bereits erreicht hatte, drängte
die Menge aufs neue nach, woraus vom Brandenburger Tor eine M a -
schinengewehrsalve abgeseuert wurde. Eine größere Anzahl
Personen wurde schwer verletzt.
Berlin, 18. März. (W.B.) Nach einem wetteren Bericht soll es
in der Siegesallee nochmals zu einem Zusammenstoß zwischen
der abziehenden Marinebrigade und der Menge gekommen sein, aus der
angeblich eine Handgranate auf die abziehenben Truppen geworfen
wurde. Um !46 Uhr abends ist wieder völlige Ruhe eingetreten.
Berlin, 19. März. (W.T.B.) Das Rathaus in Schöne-
berg wurde heule von einer großen Menschenmenge angegriffen.
Drei Personen wurden verletzt. Die Einwohnerwehr mußte
das Rathaus räumen. Das Gebäude des „Vorwärts" wurde
heute vormittag von einer großen Menschenmenge belagert, die
den Abzugder Wachmannschaften verlangte. Mehrere
Soldaten, die das Gebäude verließen, wurden mißhandelt und
beraNbt. Die Lindenstraße ist jetzt hermetisch abgeschlossen.
Berlin, 19. März. (W.T.B.) Mittags kam es abermals
zu schweren Zusammenstößen am Kottbuser Tor. Ein Offizier und
drei Soldaten wurden von der Menge ins Wasser gewor-
fen. Die Menge wurde später zerstreut Es gab 15 Tote
und 20 Verletzte.
Die Lage im Reich.
Kassel, 19. März. (W.T.B.) Heute vormittag kam es hier
zu schweren Unruhen und anschließend daran zu einem
Feuergefecht zwischen den Aufrührern und Reichswchrtrup-
pen, wobei es Tote und Verwundete gab.
Berlin, 19. März. (W.T.B.) Zum Stationschef in Kiel
wurde an Stelle des Konteradmirals von Levetzvw Konteradmi-
ral Evers ernannt, dem ein Beirat aus v i e r A n g e h ö r hg e n
der Bürgerschaft verschiedener Parteien beigegeben wurde.
Kassel, 19. März. (W.T.B.) Reichsabwicklungskommissar
Grzesinsky wurde zum Reichskommissar für das Gebiet der
Reichswehrbrigade 6 ernannt.
Brandenburg, 19. März. (W.T.B.) Bei den hiesi-
ge n U n r u h e n gab es 5 tote und 12 verletzte Zivilpersonen, so-
wie 8 verletzte Kürräfsiere. Der Streik wird solange fortgesetzt,
bis das auswärtige Militär zurückgezogen ist.

Streikbeendigung.
Görlitz, 19. März. (W.T.B.) Der Generalstreik
wurde für beendet erklärt.
Hannover, 19. März. (W.T.B.) Der General st reik
ist beendet. >
Düsseldorf, 19. März. (W.T.B.) Die Streikleitung be-
schloß den Abbruch des Streikes.

d Oberreichsanwalt Leipzig. Die Reichsregierung beantragt so-
fortige Einleitung der Strafverfolgung gegen die Führer der Ber-
liner Meuterei, insbesondere gegen Generallandschaftsdirektor Kapp
aus Königsberg, General Lüttwitz-Berlin, Polizeipräsident a. D.
v. Iagow-Berlin, Hauptmann a. D. Pabst-Berlin, Oberst Bauer-
Berlin, Kapitän Trotha-Berlin, Arzt und Landwirt Schuele-Naum-
bürg, den früheren Rechtsanwalt Bredereck, zuletzt Berlin und den
Abgeordneten Traub-Berlin. Der Reichskanzler: Bauer.

Italiens Stellung gegenüber Deutschland.
Rom, 17. März. (Wolff.) Havas. „Epoca", die dem stell-
vertretenden Ministerpräfi-denten sehr nahe steht, wirft die Frage
auf, ob die letzten politischen Vorkommnisse in Berlin etwas an dem
politischen Standpunkt Italiens gegenüber Deutsch-
land änderten. Das Prinzip, so schreibt das Blatt, das Nitti
während der Londoner Verhandlungen verfolgte, werde in politi-
schen Kreisen an sich selbst, das heißt als Prinzip, als gerecht an-
gesehen. Da es ein Vorschlag zur gegenseitigen wirt-
schaftlichenAbhängigkeitderVölker sei, konnte sehr
gut es theoretisch aufrechterhalten werden. Gegenwärtig handele es
sich darum, zu wissen, ob unter den derzeitigen Umständen noch
wesentliche Bedingungen bestehen, welche eine Anwendung möglich
mache, ohne zu sehr gegen die Interessen der Alliierten zu ver-
stoßen.

Ein sozialdemokratischer Aufruf.
Stuttgart, 17. März.
An das deutsche Volk!
Arbeiter und Bürger in Stadt und Land!
Der erste Sieg gegen die reaktionären Rebellen ist erfochten!
Kapp und Lüttwitz sind bedingungslos zurückgetreten! Sie endeten,
wie sie begonnen, mit einer Lüge! Die republikanische Regierung
hat mit diesen Verbrechern weder verhandelt, noch ihnen das Ge-
ringste zugestandcn. Keine Strafe ist für diese Hochverräter zu
hart; sie wird ihnen werden. Kapp und Lüttwitz sind erledigte
Ader junkerliche und militärische Reaktionäre bedrohen noch immer
den deutschen Volksstaat. Ihnen gilt der weitere Kampf, bis auch
sie sich bedingungslos unterwerfen. Für dieses große Ziel ist die
republikanische Front noch enger und fester zu schließen. Der Ge-
neralstreik trifft bei längerer Dauer nicht nur die Hochverräter,
sondern auch unsere eigene Front. Wir brauchen Kohlen und Brot
zur Fortführung unseres schweren Kampfes gegen die alten Mächte.
Deshalb Abbruch des Generalstreiks! Dafür aber stetige Alarm-"
bereitjchast, damit im Notfall ihre Macht aufs neue eingesetzt wer-
den kann! Schärfster Kampf mit allen anderen Waffen gegen die
Reaktion! Beseitigung aller großen und kleinen Lüttwitze aus
Militär- und Zivilverwaltung! Das freche Attentat auf die revo-
lutionären Errungenschaften soll diesen Erfolg haben: Festigung
der Demokratie und Durchdringung der Republik mit sozialistischem
Geiste! Hoch die Sozialdemokratie!
Stuttgart, am Abend des 17. März 1920.
Die sozialdemokratische Fraktion der Nationalversammlung.

mg zu übernehmen. Der „Obler-
sehr versöhnliche Haltung Deutschland
' tzt, baß es am besten wäre, wen»
rsuche, die Monarchie wieder Her¬

land zusammenwirkten, so sei es nicht unmöglich, daß die andischen
mit den Bolschewisten zusammenwirken wollten. Vielleicht sei es
nur noch ein Zufall -daß Hort Hy in Ungarn die Mobilisation angevrd-
net habe und daß die Konstantinopler Regierung ein« herausfordernde
Haltung annehme. Jedenfalls aber müsse die Entente auf alle Möglich-
keiten gefaßt sein. Die „D aily News meint, daß die Schuld teilweise
den Alliierten aufgebürdet werden Müsse, denn durch ihr Zögern und durch
den endglütigen Text des Friedensvertrages habe sie die Stellung der
deutschen Regierung äußerst schwierig gemacht. Im Augenblick dürften
die Alliierten nicht intervenieren. Sie könnten höchstens di« Forderung
stellen, daß ehrliche Wahlen vorgenommen werden. Der „Daily
Chrvnicle" dagegen sagt, daß, wenn di« demokrat. Elemente Ebert,
Bauer und Noske die Macht zurückerhielten, die Entente verpflichtet fei zu
intervenieren ober selbst die Führung zu übernehmen. Der^Obfer-
v e r"", der in der letzten Zeit eine s
gegenüber eingenommen hatte, schreibt jet
das deutsch« Volk seibst die ersten Vers , ,
zustellen, unterdrücken könne. Wenn aber die vwfahr wachs«, werde bi«
Entscheidung diesmal von den Alliierten vorgenommen werben müssen, um
dieser militärischen Aktion in Deutschland ein Ende zu machen. Die En-
tente werd« dann nicht nur gezwungen jein, die Okkupation des Rhein-
lands für permanent zu erklären, sondern auch die dortigen alliierten Gar-
nisonen erheblich verstärken müssen.
Aus Amerika liegt folgende Meldung vor:
Washington, 15. März. In politischen Kreisen Wa-
shingtons erklärt man, daß nur die Wiedereinsetzung der Hohenzol-
lern aus den Thron die Vereinigten Staaten nötigen könnte, militärisch zu
intervenieren. Wilson habe die feste Absicht bekundet, mit oen Hohcnzol-
lern nichts mehr zu schaffen zu haben. Amerika steht immer noch mit
Deutschland im Kriegszustand. Zahlreiche Politiker glauben, daß die neu«
Berliner Regierung in Bälde mit den russischen Sowjets gegen die En-
tente gemeinsame Sache machen werde.
* *
*
Interessant sind noch folgend« beiden Meldungen der „Neuen Für.
Zeitung", aus betten hervorgeht, baß die führenden politischen Kreise
Frankreichs durchaus maßvoll den ganzen Ereignissen gegenüber-
stehen und sie vorerst als innerpolitische Angelegenheit Deutschlands
ansehen. ?
Paris, 14. März. (Havas.) Der B v tf ch a f t e r r at, der ge-
stern versammelt war, hörte «inen Bericht des Marschalls Doch über di«
Ereignisse der letzten zwei Wochen an und ferner «inen Bericht über die
zu verlangenden Garantien. Wegen der Unsicherheit der Lage wurden
die Besprechungen vertagt. Millerand machte in energischer Weise
den Standpunkt geltend, daß die Ereignisse in Berlin nur Deutschland an-
gehen und daß die Mächte der Systemsänderung in Deutschiand nicht
Rech nung zu tragen haben. „Wir müssen die restlose Durchführung des
Friedensvertrages verlangen unb unsere Forderungen an diejenigen rich-
ten, die die Regierungsgewakt tatsächlich in Händen haben. Unsere Sicher-
heit muß nicht von der einen oder andern Partei abhängig gemacht wer-
ben."
Paris, 15. März. (Havas.) Ueber die Besprechungen zwischen
Millerand und dem deutschen Geschätsträger Mayer ist
in der Ocffentlichkeit nichts bekannt geworden. Mayer wird Milleranb
gebeten haben, seine Regierung als die einzig gesetzliche Regierung in
Deutschland zu betrachten. Bis jetzt haben sich die Alliierten in den deut-
schen Konflikt nicht eingemischt. Es ist zu vermuten, baß sie in dieser Krise,
die sie als innerpolittsche Angelegenheit Deutschlands betrachten, nicht
Partei ergreifen werben. Sollte sich aber die Bewegung in Deutschland
als Mache der Hohenwllern Herausstellen oder sollte sich die neue Regie-
rung weigern, dem Friedensvertrage von Versailles nachzuleben, so hätten
die Alliierten das Recht, einzufchrciten, und auch die Mittel zum Einschrei-
ten würden ihnen nicht schien. Welche Regierung in Deutschland auch
immer am Ruder sein mag ,muß sie doch vor allem Garantien für die
Ausführung des Friedensvertrages geben, die ihren guten Willen beweisen.
Sie muß damit beginnen, den Alliierten moralische und materielle Wieder-
gutmachungen zu gewähren, namentlich für die Attentate, deren Opfer bi«
Mitglieder der interalliierten Kontrollkommissionen in Deutschland ge-
worden sind.
Aufruf der Reichsregierung^
Kapp und Lüttwitz sind zurückgelreten. Das verbrecherische
Abenteuer ist in Berlin beeirdet. Vor der ganzen Welt ist im Kampfe
der letzten Tage der unwiderrufliche Beweis geführt worden, daß
die Demokratie in der deutschen Republik keine Täuschung ist, son-
dern die alleinige Macht, die auch mit dem Versuch der Militär-
diktatur im Handumdrehen fertig zu werden versteht. Das Aben-
teuer ist zu Ende. Der verbrecherisch unterbrochene Wiederaufbau
von Volk und Wirtschaft muß wieder ausgenommen und zum Erfolg
geführt werden. Dazu ist vor allem nötig, daß die Arbeiterschaft
ihre starke Waffe, den Generalstreik, niederlegt! In zahlreichen
Städten ist die Arbeit bereits wieder ausgenommen, nun gilt es, alle
Teile der Wirtschaft wieder in Gang zu setzen, zu allererst die Koh-
lenförderung, ohne die es überhaupt kein Wirtschaftsleben gibt. Ar-
beiter! seid jetzt ebenso tatkräftig wie willfährig zur Stelle, wie bei
Ker Abwehr der Volksverführer! Jedermann an die Arbeit! Die
Regierung wird mit aller Kraft die Aufnahme des Wiederaufbaues
fördern, die Hochverräter, die euch zum Generalstreik gezwungen
haben, der strengsten Bestrafung zuführen und dafür sorgen, -aß
nie wieder eine Soldateska in das Geschick des Volkes eingreife»
kann. Den Sieg haben wir gemeinsam errungen. Ans Werk!
Der Reichspräsident: Ebert. Die Reichsregierung: Bauer.

Der reaktionäre Putsch im Spiegel
des Auslands.
Erst im Lauf« der nächsten Wochen unb Monate wird es dem
- brutschen. Volk klar werden, welches Verbrechen die Reaktion durch
»en Berliner Staatsstreich an ihm begangen hat. Am furchtbarsten
And die Folgen auf außenpolitischem Gebiet, das bißchen Vertrauen,
Vas wir uns nach und nach in den einzelnen Enkentestaaten wieder
erobert hatten, ist völlig verlorengegangen. Das besagen die Artikel
der ausländischen Presse, aus denen wir nachfolgend nur einige
ganz kurze Meldungen wiedergeben, die aber ein deutliches Spiegel-
bild abgcben können. Dabei ist zu bedenken, daß es in der großen
^Politik nicht nur auf das ankommt, was wirklich objektiv
kst, sondern wie die Tatsachen psychologisch gedeutet und politisch
ausgewertet werben können.
Zunächst die französische Presse. Es ist bedauerlich, daß die
«rsten Spuren einer Verständigung und Arbeitsgemeinschaft, die sich
kn den letzten Monaten da und dort zeigten, jetzt wieder völlig von
chauvinistischem Haß- und Revanchegeschrei niedergelschirien werden.
Die militaristischen Junker haben dem französischen Imperialismus
«ine furchtbare Nahrung gegeben. Und bas gerade in dem Moment,
wo in Paris die Botschasterkvnferenz zu der Frage der Ablieferung
des deutschen -schweren Artilleriematerials und zu dem Adlon-
zwischenfall Stellung nahm!
Am schärfsten äußert sich der „T e m p s". Er schreibt:
Gegenüber den Verantwortlichkeiten, die die alliierten Regierungen
heule hätten, feien diejenigen, die Napoleon III. 1866 gehabt habe, leicht
Gewesen. Brauche man da etwa noch Enqueten oder Erläuterungen, um
zu begreifen, was bie Herrschaft des Militärs in Berlin bedeute? Aber
»laude man, daß sie allein gehandelt hätten? Die Reichswehr und die
Sicherheitswehr, die die reguläre Regierung hätten verteidigen sollen,
hätten sich ohne einen Flintenschuß en bioc dem neuen Regime ange-
fchlossen. In ganz Deutschland bis zur Saar sei die Gegenrevolution zu
Gleicher Zeit ausgebrochen. Das Blatt glaubt nicht, daß untergeordnete
Personen das hätten erreichen können. Es erkennt daran die Methode
des preußischen Großen G e n e r ai st a b e s. Sei es Zufall, daß
General Hoffmann nach Berlin zurückgekehrt sei, daß General v. Lettow-
Borbeck einen Vortrag vor der patriotischen Jugend in Nürnberg gehalten
habe? Das Matt erinnert an die Rede Graf Posadowskys für die Auf-
lösung der Nationalversammlung und verwahrt sich dagegen, daß selbst
französische Sozialisten auf das deutsche Proletariat verweisen, wie Ende
duli 1914. Das sei eine schöne Hoffnung; wenn die militärischen Thefs
über diese Bewegung siegten, dann erschienen sie wie die Verteidiger der
sozialen Ordnung, und wenn sie unterliegen würden, dann sei der Bol-
schewismus als Nachbar Deutschlands etabliert. Werde er etwa die
Wiedergutmachungen, die Deutschland Frankreich schulde, bezahlen? Bor
der Schlacht von Sadowa habe Thiers in der Kammer gesagt, der größte
Grundsatz der europäischen Politik sei, daß Deutschland aus unabhängigen
Staaten zusammengesetzt sei, die unter sich förderativ verbunden wären.
Der „Temps" schließt, irbem er darauf hinweist, daß die neue Regierung
in Berlin sage, die deutsche Armee könne nicht unter 250 000 Mann
herabgesetzt werden. Deshalb müsse man unverzüglich handeln.
Man müsse den Deutschen beweisen, daß man der Stärkere sei.
Der „Figaro" meint:
Die Neutralen und selbst einige der Alliierten Frankreichs hätten
nicht aufgehört, in der letzten Zeit zu sagen: Verlangt nicht zuviel von
Deutschland, legt ihm nicht zu harte Bedingungen auf. Eure Forderun-
Gen werden unrettbar dazu führen, die gegenwärtige Regierung zu stürzen
und die militärische Partei ans Ruder zu bringen. Gerade das Gegenteil
sei eingetroffen. Man könne gewiß den Alliierten nicht zum Vorwurf
machen, daß sie sich in den letzten Monaten gegenüber ihren Feinden
von gestern zu anspruchsvoll gezeigt hätten. In der Frage der Ausliefe-
rung des Kaisers und der Schuldigen, in der Frage der Ausführung eini-
ger materieller Klauseln hätten sie freiwillig auf formelle Rechte verzich-
tet, die der Friedensvertrag ihnen gegeben habe. Man habe sogar un°
klugerweise in London davon gesprochen, den Friedensvertrag zu revidie-
ren. Das Blatt meint, es handle sich jetzt für Frankreich darum,.
Deutschland zu entwaffnen, und es dann zu zwingen, zu be -
zahlen. Wie aber erreichte man das von einem Deutschland, das von
einem Lüttwitz und einem Kapp, den wildesten Alldeutschen, beherffcht
»erde? Und wenn man es erreiche, wolle man dann, daß in wenigen
Jahren wieder K ri e g beginne. Das seien die wichtigsten Punkte für
Frankreich. Man brauche sich nicht zu beunruhigen, aber man müsse die
Alliierten befragen. Wenn die Ereignisse energische Maßnahmen
erforderten, sei nicht daran zu zweifeln, daß ganz Frankreich diese
Prüfung ohne Schwäche über sich ergehen lassen würde.
Der „M atin" versichert, daß nach dem Urteil zuständiger Persön-
lichkeiten die große Mehrheit dcs Volkes in Berlin wie im übrigen
Deutschland den Staatsstreich verurteilt und daß das Unternehmen der
Kapp und Lüttwitz scheitern werde, selbst wenn Ludendorff oder ein Hohcn-
zoller sich ihnen offen zugesellen würd«. Der „Malin" würde es deshalb
sogar für vorteilhaft halten, haß die Entente die bisherige Reichsregierung
wenigstens moralisch unterstützt.
Der sozialistische „P v p u l a i r e" stellt die Verantwortung fest,
welche di« Regierungen der Entente an der gegenwärtigen Lage tragen
und würbe es für ein Verbrechen halten, wenn sie jetzt durch eine Aus-
dehnung der Besetzung deutschen Gebiets den Berliner Militaristen in die
Hände arbeiten würden.
Viviani erklärte einem Vertreter des „P e ti t I o u r n a l" über
die Ereignisse in Berlin, daß die Bewegung von denjenigen getragen
werde, die das Kaiserreich wieder errichten wollen. Der
Zwist der zwischen dem Diktator und dem Exkanzler von Bethmann Holl-
weg ^bestehe, stehe dieser Annahme nicht im Wege. Viviani wies dann
noch auf die Gefahr hin. die die Nähe des deutschen Exkaisers zwischen
Holland und Deutschland bedeutet. Barthvu erklärte demselben Blatt«,
daß er die ganze Tragweite des Staatsstreiches noch nicht ermessen könne.
Er k„nne noch nicht sagen, ob es ein wirklicher, gut vorbereiteter Staats-
streich sei oder nur ein überraschender Handstreich. Was man sagen kann,
ist, daß diese Leute durch die allerfchlimmsten Ereignisse nicht eines Bes-
seren belehrt werden, und daß man gegenüber ihnen sich der größten
Wachsamkeit befleißigen und ihnen die Achtung vor dem Friedensvertrag
-erbringen müsse.
Weniger chauvinistisch, weil psychologisch ganz anders begrün-
det, sinh die Stimmen aus England:
Die „M orning Post sagt unter der Ueberschrift: „Wie es zu er-
warten war", sie sei nicht erstaunt über die deutsche Gegenrevolution. Die
„Daily Mai I" äußert sich in gleichem Sinne, während der „Daily
Gerald" meint, daß bie irrsinnige Politik der Alliierten als »«vermeid-
«ch« Holtz« diese Ereignisse veranlassen müßte. Die „Time s" sagt in
«neu» Leitartikel, daß di« Alliierten jetzt sehr wachsam sein müßten, denn
wen» es rukreffe, daß die Spartakisten u. di« Gegenrevolution in Deutsch-
 
Annotationen