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Tauberbischofsheim und Wertheim.
Heidelberg, Montag, 1l9. April 1920
Nr. 90 * 2. Jahrgang
Derantwortl.: Für innere u. äußerepolitik,Volkswirtschast u. Feuilleton: Dr.
E.Kraus,- für Kommunales «.soziale Rundschau: Z.Kahn: für Lokale-:
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Hochschule und Reaktion.
Kr. Heidelberg, den 19. April.
In unserer Freitagnummer haben wir den Antrag zum Ab-
druck gebracht, den unsere Fraktion im Landtag bezüglich unserer
Hochschulen eingebracht hat. Da nachgewiesenermaßen unsere Uni-
versitäten immer noch starke Hochburgen der Reaktion sind und der
Geist der neuen Reichsverfassung bis jetzt nur sehr spärlich in ihre
Hörfäle eingedrungen ist, sollen bet der Aufnahme (Immatrikula-
tion) die Studierenden daraus hingewiesen werden, daß das neue
Deutschland, in das sich auch die Hochschule als organisches Mied
der Volksbildung einzufügen hat, eine demokratische Republik ist,
daß man von den angehenden Führern des Volkes Achtung vor den
Grundsätzen der Verfassung erwartet und bah auch für die Hoch-
schule der Grundsatz der Reichsverfassung gilt, datz nämlich der
Unterricht im Geist der Völkerversvbnung und Völkerverständigung
zu erteilen ist. Wenn unsere sozialdemokratische Fraktion durch
ihren Antrag aufs Neue auf diese elementaren Grundsätze der
Reichsverfassung hingewiesen u. ihre Durchführung für die badischen
Universitäten in der vorgeschlagenen Form verlangt hat, so hat sie
dazu nicht nur ihre guten Gründe und ihr gutes Recht, sondern sie
hat nur ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit getan als Partei,
die ehrlich hinter den republikanischen und pazifistischen Grundsätzen
der deutschen Verfassung steht. Datz sie damit besonders bei den Re-
aktionären an unseren Hochschulen in ein Wespennest stechen wird,
war ihr von vornherein klar. Man wird ihr Vergewaltigung der
Wissenschaft und freien Meinung vorwerfen, wird das Selbstver-
waltungsrecht der Universitäten geltend machen u. a.
Aus der Reihe der Stimmen, die bis jetzt in der rechtsstehen-
den Presse über unseren Antraglaut geworden sind, sei heute eine
Zuschrift abgedruckt, die dem „M an nheimer Generalan-
zeige r" aus Hochschulkreisen zugegangen ist, und die derselbe in
seiner Freilagabendausgabe Nr. 165 veröffentlicht. Sie hat folgen-
den Wortlaut:
Mit einem neuen Versuch die freie Meinungsäußerung zu beschrän-
ken, tritt die sozialdemokratische Fraktion des bad.
Landtages hervor. Sie hat, wie g-nneldet wirb, folgenden A n -
trag eiugebrachl:
Das Unterrichtsministerium möge anvrbnen, datz dir Studierenden
der drei Hochschulen des badischen Volkes bei jeder Immatrikul a-
tion vom Rektor darauf hingewiesen werden: „Nach Artikel 1 der
Reichsversassung ist Deutschland eine Revublik; die Staatsgewast geht
vom Volke aus. Das gleiche gilt für Baden. Die Hochschule ermattet,
daß die Studierenden in Reden und Benehmen Achtung vor
den Grundsätzen der Verfassung zeigen."
Bis zum 9. November 1918 war Deutschland eine Monarchie.
Haben die Republikaner sich vor dem Umsturz irgendwelchen
Zwang angetan? Haben sie damals in Reden und Benehmen irgend-
welche Achtung vor den Grundsätzen der monarchischen Verfassung ge-
zeigt? Es ist ihnen nicht eingefallen. Auch die sozialistischen Studenten
haben ganz offen und ungescheut gegen die Monarchie Propaganda ge-
trieben. Und keinem Rektor einer deutschen Hochschule ist es eingefallen,
den Versuch zu machen, ihnen einen Maulkorb anzulegen. Die demokra-
tische Republik aber sucht kultusmimsterielle Anordnungen herbeizuführen,
damit ihr unbequeme Meinungsäußerungen eingeschränkt oder unterbunden
werden. Aber es wird nicht gelingen. Wir halten es für ausgeschlossen,
daß ein Rektor einer deutschen Hochschule sich dazu hergeben wird, eine
Handlung zu begehen, die auch nur im entferntesten einem politischen Ge-
wissenszwang ähneln möchte. Und es ist sicher, datz die Studenten sich
ihr Recht aus freie Betätigung ihrer politischen lleberzeugungen und
Gesinnungen nicht verkürzen lassen werden.
Wir Verstehen ja den fanatischen Hatz, mit dem gewisse so-
zialistische und demokratische Kreise die geistigen und politischen Bewegun-
gen an den deutschen Hochschulen verfolgen. Die deutschen Hochschulen,
Lehrer wie Studenten, sind, von verschwindenden Minderheiten abgesehen,
nicht entzückt von dem Wandel der Dinge in Deutschland. Die Stätten,
an denen die geistigen Führer Deutschlands herangebildet werden, haben
keine Wärme für die Errungenschaften der Rovemberumwälzung. Es ist
der schlimmste Schlag, der die sozialistische Republik treffen konnte, datz
die deutschen Hochschulen nicht für sie streiten. Man kann nicht sagen,
datz das geistige Deutschland aus leiten der sozialistischen Republik
steht, aber man weitz, datz in der Jugend unserer Hochschulen, die politisch
wohl nicht unreifer ist als die der sozialistischen und demokratischen Ver-
eine, ein Geist leidenschaftlicher und entschlossener Opposition gegen die
Ideen des S. November aufwächst. Und das ist vielleicht die g r v tz t e
Gefahr, die der Novemberumwälzung droht. Und darum diese un-
ablässigen Verfolgungen, Drangsalierungen und Knebelungen. Erreichen
wird man durch sie nichts. Im Gegenteil. Jeder neue Anschlag gegen
die Hochschulen und ihre Jugend wird das Verhältnis zwischen Deutsch-
lands geistiger Jugend und der sozialistischen Republik nur
verschlechtern, die Spannung mehren. Die deutschen Hochschulen sind für
die sozialistische Republik verloren, mit Gewalt wird man sie nicht zur
Liebe zwingen.
Die Feststellungen dieser Zuschrift find für uns äußerst inter-
essant und her beste Beweis für die dringende Notwendigkeit des
sozialdemokratischen Antrages und seiner Verwirklichung. Hier wird
zugegeben und zwar mit einer anzuerkennenden Offenheit, daß die
Hochschulen im Großen und Ganzen von -dem grundlegenden Wan-
del der Dinge in Deutschland unberührt geblieben; daß diese Stät-
ten, wo, wie der Verfasser selbst sagt, „die geistigen Führer Deutsch-
lands hevangebilöet werden", sich heute noch nicht erwärmen kön-
nen für die Errungenschaften des 9. November 1918, ja, daß sie
in entschlossener Kampfstellung gegen den demokratischen und soziali-
stischen Geist stehen. Ja, der Einsender gibt sogar unumwunden
und sicher im vollen Bewußtsein der Tragweite seiner Behauptun-.
gen zu, daß von der Hochschule her dem neuen Deutschland die
schwerste Gefahr drohe und selbstbewußt und der Zustimmung seiner
Kollegen sicher triumphiert er: „Die deutschen Hochschulen sind für
die sozialistische Republik verloren"!! . . .
Nun vergleiche man mit diesen dankenswerten Tatsachenfest-
stellungen die Angriffe, die in derselben Zuschrift gegen die sozial-
demokratische Zuschrift und ihren Antrag gemacht werden. Wir
wessen es auf das schärfste zurück, daß wir mit unserem Antrag die
freie Forschung der Dozenten oder die freie Meinungsäußerung der
Stundenten beschränken wollten. Sondern entsprechend dem Art.
148 d e r neuen R e i ch s v e r f a s s u n g, wonach jeder Schüler
nach Beendigung der Schulpflicht einen Abdruck der Verfassung er-
Jnterpellation einer französischen Sozialisten
über den Ausnahmezustand in Els.-Lothringen.
Paris, 18. April. Der sozialist. Abg. Erneste Lafeut
brachte in der Kammer eine Interpellation ein über den
noch immer aufrecht erhaltenen Ausnahmezustand
in Elaß-Lothringen, besonders über die polizeilichen und
gerichtlichen Unterdrückungen elsaß-lothringischer
Arbeiter.
Die Lage in Irland.
London, 18. April. Die Lage in Irland bleibt im
wesentlichen die gleiche. Es vergeht kein Tag, ohne daß
Anschläge oder Attentate gemeldet werden. Bei Kerrsy
wurde die Leiche eines Polizeiagenten gefunden, die von
Kugeln durchlöchert war. Das Gericht, das mit der Unter-
suchung des Todes des Bürgermeisters von Cork beauftragt
rst, fällte einen Urteilsspruch, in dem der englische Premier-
minister Lloyd George, Lord French und andere hochstehende
Persönlichkeiten des vorbedachten Mordes angeklagt
werden. Das Gericht setzt sich ausschließlich aus Irländern
zusammen.
Die Konferenz in San Remo.
San Remo, 17. April. Millerand, Marschall
Foch, LeValassey, Matsuu und Veneziles kamen
um 8.45 Uhr hier an. Nitti hieß Millerand willkommen.
Als sie den Bahnhof verließen, wurde ihnen von der Menge
Ovationen dargebracht. Die Stadt ist sehr belebt, Straßen
und Hotels mit den Fahnen der Alliierten geschmückt. Nitti
und Millerand hatten eine längere Unterredung. Der
amerikanische Gesandte Underwood Johnson erklärte,
er befinde sich nur vorübergehend in San Remo und
werde sich nach einem kurzen Besuch bei Nitti und Saialoja
nach Nom begeben.
Paris, 18. April. Vor seiner Abreise nach San
Remo empfing Millerand die Sonderberichterstatter von
Havas und Reuter. Er betonte, daß er die Erklärung
Lloyd Georges in Marseille voll und ganz billige. Er
sei sicher, daß, nachdem die englische und französische Regie-
rung ihren Standpunkt klar auseinander gesetzt hätten, man
zur Aufrechterhaltung der Entente cordiale kommen werde,
die die beiden Länder vor dem Siege so eng vereinte.
Paris, 18. April. Nach einer Meldung des Temps
aus San Remo sind die Südslawen noch nicht in San
Remo eingetroffen. Die Adriafrage könne ohne sie nicht
gelöst werden.
Streikandrohung in Stockholm.
Stockholm, 18. April. Falls zwischen den Vertretern
der Arbeitgeber und Arbeitnehmer bis 1. Mai keine
Einigung erzielt ist, wird der Generalstreik erklärt,
an dem 32000 Arbeiter und Beamte teilnehmen werden.
Ausgang des Eisenbahnerstreiks in Amerika.
New york, 18. April. Im Westen der Vereinigten
Staaten haben die Eisenbahner die Arbeit fast ganz
wieder ausgenommen. Im Osten ist der Reiseverkehr
beinahe wieder normal. In Chicago erhielten die Arbeiter
den Befehl, die Arbeit wieder aufzunehmen unter Androhung
des Ausschlusses der Gewerkschaften. Reuter meldet:
In Philadelphia, dem Mittelpunkt der Ausstandsbewegung,
sind viele Angestellte zur Arbeit zurückgekehrt, nachdem
ihnen versprochen worden war, daß keine Maßregelungen
stattfinden werden. Auch in anderen Eisenbahnmittelpunkten
mehrt sich die Zahl der Arbeitswilligen. Heute wurde in
einer Versammlung der Aus st and für beendet erklärt.
HM, sollen die Studenten bei der Immatrikulation darauf hingewie-
sen werden, daß wir jetzt in einem neuen, demokratisch-republikani-
schen Staate leben und daß man auch von denen, die nicht auf dem
Boden der überwiegenden Mehrheit des Volkes stehen, mindestens
verlangen kann, daß sie die Verfassung respektieren und in Reden
und Benehmen Achtung vor ihren Grundsätzen zeigen. Wo liegt
hier eine Vergewaltigung vor? Das ist doch nur das Elementarste,
was man von einem gebildet sein wollenden Menschen mit etwas
staatsbürgerlicher Erziehung verlangen kann.
Und weiter: Die Unkverisiät ist doch nicht nur eine freie stille
Stätte der Gelehrtenforschung, die von den betreffenden Gelehrten
aus eigenen Mitteln unterhalten wird, sondern sie ist eine Erzie-
hungsstätte, eine Schule, die vom Volke bezahlt wird und auf wel-
cher die zukünftigen Führer und „Leuchten" des Volkes wie Beamte,
Lehrer, Juristen, Künstler, Techniker usw. erzogen und herangebildet
werden sollen. Und mehr wie bisher sollen ja die weitesten Schich-
ten auch des handarbestenden Volkes an der, Hochschulbildung betei-
ligt werden. Angesichts dieser Tatsache hat doch das Volk, das sich
die Verfassung -er Demokratie mit ihrem starken sozialen Einschlag
nach dem jämmerlichen Zusammenbruch der monarchistischen Kriegs-
politik gegeben hat, ein heiliges Recht darauf, daß auch die Hoch-
schule im Geiste dieser Verfassung lehrt und erzieht, objektiv und
unbeschadet der wissenschaftlichen Forschung. Die Lehrer der Hoch-
schulen sind als Lehrer und Bildner -es Volkes betrachtet, Diener
und Beauftragte des Volkes, und nicht umgekehrt hat das Volk sich
den Launen reaktionärer Professoren zu fügen. Wer sich nicht jo
einstellen kann, wer sich in eingebildetem Standesdünkel über das
Volk und seinen Willen erhaben fühlt, wer sich berufen glaubt, an
der Hochschule als der Hochburg alter konservativer Ideale eine
Oppositionstruppe gegen Demokratie und Sozialismus erziehen zu
müssen — der mag auf manchen Gebieten ein ganz biederer Gelehr-
ter und Forscher fein, auf der Hochschule des deutschen Vvlksstaates
ist für ihn kein Platz mehr. Man möge es nicht auch aus der Hoch-
schule soweit kommen lassen, daß die Arbeiterschaft, die auch ihres
slechtes aus die Hochschule sich allmählich bewußt wird, ihr Recht
in gewaltsamer Weise geltend machen mutz.
Also: freie Meinung und freie Forschung, aber Achtung vor
Inhalt und Geist der Verfassung, objektive Beurteilung von Revolu-
tion und Sozialismus, Erziehung im Geiste des Volkswillens: das
sind unsere Forderungen an die Hochschule!
Politische Ueberficht
Unterdrückung des republikanischen Führerbundes.
Der Republikanische Führerbund schreibt der „Freiheit":
Der Herr Reichspräsident hat sich vor einigen Tagen in einem Er-
iah gegen die Politik im Heere ausgesprochen. Dieser
Erlaß wird ähnlich wie der bekannte Juli-Erlaß des ehemaligen
Reichswehrmimsters Noske von den militärischen Dienststellen wie
folgt ausgelegt: Mtz
Am 9. 4. 20 gab der Adjutant der Kommandantur des Trup-
pen-UebungsPlatzes Neu ha mm er (Queis) in einer Versamm-
lung der dortigen Ortsgruppe des Republikanischen Führerhundes
folgendes bekannt: Die Werbung für den Republikanischen Führer-
bund wir bestraft. Offiziere und Unteroffiziere, die dem Republi-
kanischen Führerbund beitreten, werden sofort ohne jeden Anspruch
aus Abfindung entlassen. Die Kommandantur ist vom Generalkom-
mando (General Graf von Finkenstein) angewiesen, jede Werbung
mit allen Mitteln zu unterdrücken, da der Republikanische Führer-
bund unter dem Einflüsse der Kommunistischen Partei stehe.
Aehnliche Befehle wurden erlassen von dem Kommandeur
einer Reichswehrbrigade inMecklenburgvonOerhen und
dem zuständigen Wehrkreiskommando in Iüterbo k.
Der Republikanische Führerbund muß mit Bestimmtheit an-
nehmen, daß die in diesen Tagen sich häufenden Verbote des Re-
publikanischen Führerbundes ein bestimmtes System verraten, dessen
Fäden im Reichswehrministerium zufammenlaufen. Der Beweis ist
schon ^dadurch erbracht, daß die diesbezüglichen Befehle der verschie-
denen militärischen Dienststellen das gleiche Datum tragen.
Ja, wer regiert denn nun eigentlich bei uns in Deusschlaich?
Die Generäle und reaktionären Geheimräte, die erlassene Gesetze
und Verordnungen nach ihrem Gusto auslegen oder die demokrati-
schen vom Volk bechtstrqgten Minister? Wenn auch der Kamps der
einzelnen Parteien nicht in die Truppen hineingetragen werden soll,
jo muh sie doch eine Truppe der Demokratie sein uttd das ist es, wo-
für der Republikanische Führerbund kämpft. Wir erwarten, daß
hier unverzüglich nach dem Rechten gesehen wird.
Spaltung im rheinischen Zentrum.
Köln, 15. April. Ein vorläufiger Vorstand, dem Namen
von Klang aus Rheinlands Zentrum angehören, erläßt
einen Aufruf an die christlichen Gesinnungsgenossen zur Bildung
eines festen Blocks der ChristlichenVolkspartei. I»
dem Aufruf wird gesagt, man könne nicht länger zusehen, wie im
Zentrum eme Linksrichtung zur Herrschaft gelangt, die eine Um-
orientierung im Sinne liberal-soziaiistischerTendenz
bedeute. Die v e r h ä ng n i sv o l l e P o l i tik, die das Zentrum
unter Führung Erzbergers 1917 begann, rmd die in der inne-
ren Politik zum Bündnis mit der Sozialdemokratie führte, fei tief
bedauerlich. Heule stehe man vor einer Kette von Enttäuschungen,
heute stehe alles auf dem Spiele! Der Aufruf fordert als die
Richtlinien einer christlichen Politik neben einer Anzahl
kultureller, wirtschaftlicher und politischer Forderungen die Ab-
le hnu n g e i n es d e u ts che n Ei nh ei t s st a a 1 e s, der rück-
sichtslos alle gesetzgebende und anordnende Gewalt zentralisiere.
Vielmehr -sei volle Selbständigkeit der einzelnen gleichberechtigten
Gliedstaaten zu fordern.
Ein Umfall.
Zu dem- letzterfolgten Antrag von beutschnationaler Seile, der
die Hinausschiebung der Reichstagswahlen bezwecken soll, schreibt
die Berliner „Freiheit": ,
Die Deutschnationale und die Deutsche Volkspattci haben mit
ihren agitatorischen Anträgen auf sofortige Wahl, die nicht etwa
aus wirklicher Ueberzeugung für die Wahrung der Verfassung, son-
dern lediglich Parteirücksichten entsprangen, sorgsam die
Stimmung für den Putsch der Kappisten vorbereitet. Sie haben
den Hochverrätern die Parole mit auf den Weg gegeben, schleunigste
Neuwahlen, mit der diese die Bevölkerung und große Kreise der
Arbeiterschaft zu gewinnen suchte. Wer jemals an der Aufrichtig-
keit dieser Forderungen gezweifelt hat, und geglaubt hat, daß die
Reaktionäre diese Forderung nicht aus bloßem Agitation^- und
Parteiinteresse erhoben, der wird heute eines besseren belehrt.
Durch den verldrenen Kapp-Putsch und das mißglückte Ho-ch^
Verratsunternehmen ist die Situation für die Deutschnationalen und
die Deutsche Volkspartei äußerst ungünstig. Bei den Wahlen wird
das deutsche Volk und vor allem die Arbeiterschaft mit ihnen Ab-
rechnung halten. Sie tun deshalb heute bereits alles, um ihre Ur-
heberschaft zu leugnen und den Putsch in Vergessenheit zu bringen.
Aber die Frist scheint ihnen zu kurz. Deshalb beantragte vorgestern
der deutschüationale Abgeordnete Dietrich im Ausschuß der
Nationalversammlung die Hinausschiebung d e r W a h -
l e n. Die „Post" windet sich nun am Donnerstag früh in einem
Leitartikel um diese höchst fatale Angelegenheit herum. Sie kann
Herrn Dietrich „v erstehe n" und würde gar zu gern auch für-
weitere Verschiebung der Wahlen eintrelen. Aber noch scheint es
ihr zu früh so unverhüllt die Karten aufzudecken und in der vollen