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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (1/2) — 1920

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Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim, Gppingen, Sberbach, Mosbach, Buchen, Adelshein», Boxber-

?*N>gspreiS: Monatlich einschl. Trägerlohn 2.so Mk. Anzeigenpreise:
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Tauberbischofsheim und Wertheim.

Derantwortl.: Für innere u. äußere Politik, Volkswirtschaft ».Feuilleton: Dr.
(Z. Kraus; für Kommunales u. soziale Rundschau: I. Kahn; für Lokales!
O. Geibel; für die Anzeigen: H.Hoffmann, sämtlich in Heidelberg
Druck und Verlag der llnterbadischen Verlagsanstalt G. m. b. H„ Heidelberg
Geschäftsstelle: Schröderstraße ZS.
Fernsprecher: Anzeigen-Annahme 2673, Redaktton 2648.

Heidelberg, Mittwoch, 3 März ^920
Nr. SA » 2. Jahrgang

Anpaffung andre Weltmarktspreise.
Bon Rud. Wissell.
I.
8.^.K. In weiten Kreisen der Industrie und der Landwirt-
lchuft wird mit allen Kräften auf eine Annäherung der Inlands-
preise an die Wettmarktspreise hingearbeftet. Was das für eine
dolkswirtschastliche Pferdekur sein würde, kann im Rahmen dieses
Artikels nur kurz angedeutet werden, aber es lohnt sich, doch ein-
dies Thema in allgemeinen Zügen zu behandeln.
Im Vergleich zu der inländischen Kaufkraft der deutschen Mark
m die ausländische Kaufkraft der fremden Währung eine weit Hö-
here, als im Heimatlande. Die Gründe liegen in der Ueberschwem-
Aung des Auslandes mit deutscher Papiermark und in dem fehlen-
den Vertrauen des Auslandes in die deutsche Wirtschaftskraft. Die
Überschwemmung hat dreierlei Ursachen. Einmal ist das früher
p»n uns besetzte Ausland durch unsere Truppen mit Millionen
deutscher Mark überflutet worden. Allein in Belgien ist der Be-
trag auf 6 Millionen zu schätzen. Zum anderen hat die Steuerscheu
lv zahlreicher Besitzender deutsche Werte ins Ausland gebracht, die
«ort zur Einwechslung in die fremde Währung zum Angebot kom-
men. Und schließlich ist unsere Einfuhr weit, weit größer als die
Ausfuhr. Was wir mehr einführten ist zumeist mit deutschem Pa-
piergelde bezahlt worden. Das Riesenang bot der deutschen Mark
drückt ihren Kurs herunter, muß auf ihn drücken. So tief ist der
Wert der deutschen Mark gesunken, daß am 14. Februar 1000 Mark
deutsche Kriegsanleihe für 26,6 Gulden in Holland gekauft werden
konnte.
Die Unterbewertung der deutschen Mark führ» zu Dem beispiel-
losen Ausverkauf Deutschlands, den wir trotz der Verordnung vom
20. 12. 19 noch immer erleben. Es scheint als ob diese Verordnung
flicht mit der Entschiedenheit durchgeführt würde, wie es notwendig
ist. Mir genügt diese Verordnung absolut nicht. Ich habe in mei-
nem kürzlich durch die Presse gegangenen Artikel „Hungergewinne"
gefordert, daß die bei einer Anzahlung der Preise für die dem Aus-
land verkauften Waren und Werte an die Auslandspreise zu erzie-
lenden Konjunkturgewinne der Allgemeinheit zugute kommen sollen.
Aber diese Konjunkturgewinne werden heute überhaupt noch nicht
"n vollen Umfange ausgenüht. Dem Ausland fließt auf diese Weise
hunderte und aderhunderte von Millionengewinnen zu. Nun sagt
Man, dieser Ausverkauf Deutschlands würde mit einem Schlage auf-
hören, wenn die Inlandspreise den Weltmarttspreisen angepaht
würden. Dann würden wir auch vom Ausland die ihm zu liefern-
den Kohlen, die wir heute auf Grund des Friedensvertrages nur
Nach chen Inlandpreisen berechnen dürfen, mit viel, viel höherem
Betrage bezahlt bekommen. Als zwei der bekanntesten Wortführer
dieser Theorie seien der frühere Reichsschqtzminister Gothein und
der Agrarier Rösicke genannt. Ich will nicht bezweifeln, daß sie
wirklich meinen, auf diesem Wege dem Lande am besten zu dienen.
Aber dann mutz auch gesagt werden, datz sie dem Lande ganz un-
erwünscht einen wahren Bärendienst erweisen. Nicht nur die Fliege,
die sich auf das Gesicht seines Herrn gesetzt hatte, erschlug der Bär,
Mit der Fliege den schlafenden Herrn selbst. Wir würden im Innern
zu Zuständen kommen, die einem Totschlägen der deutschen Volks-
wirtschaft gleichkämen.
Aber nicht nur von volkswirtschaftlichen Waisenknaben wird
die Anpassung der Inlands- an die Auslandspreise gefordert, auch
von solchen Leuten, die sich schon die Wirkungen überschauen, jedoch
durch die Riesengewinne, die ihnen bei einer Anpassung erwachsen
würden, jeden volkswirtschaftlichen Ueberblick zu verlieren scheinen.
Was würde die Wirkung einer Anpassung an die Weltmarkts-
preise sein? Wir brauchen nur zu betonen, daß heute auf dem
Auslandsmarkt die Tonne Getreide nach unserem Gelde 9000 bis
10 000 Mk. kostet. Natürlich würden die Inlandspreise auf diese
Hohe steigen. Wir sehen, welche Preissteigerung die Freigabe des
Hafers bewirkt hat. Und so würde es aus allen anderen Gebieten
der Bedarfsdeckung auch sein. Wie aber würde eine solche Preis-
revolution im Innern wirken. Ja, glaubt man, datz sie eine andere
Wirkung als eine Hungerrevolution Mr Folge haben würde, die
Zwar dem Volk keine Besserung bringen würde, aber eine Verzeh-
rung des Volkes in inneren blutigen Kämpfen und den restlosen Zu-
sammenbruch unserer ganzen Volkswirtschaft. Man sagt, man müsse
Natürlich die Löhne den gestiegenen Kosten der Lebenshaltung an-
passen, dann wäre die Wirkung der Teuerung ausgeglichen. Selbst
wenn die Preise und die Löhne im gleichen Tempo steigen würden,
wäre für die Masse der Arbeiter nichts, garnichts gebessert. Witt-
den sie mehr Ware bekommen? Etwa aus dem Auslande? Wo-
mit sollten wir sie denn bezahlen? Wir haben ja nichts, womit es
geschehen könnte. Wir blieben vor dem gleichen Problem, wie jetzt,
stehen: Wie erhöhen wir unsere Produktion, um mehr Waren zum
Verteilen und zur Bezahlung der aus dem Ausland nötigen Ein-
suhren zu erhalten?
Aber die Preise und Löhne steigen nicht im gleichen Tempo.
Die Preise gehen voran und erst im breiten Abstand gingen die
Löhne nach. Neue Streiks würden die Folge sein, neue schwere
Erschütterungen unserer Wirtschaft.
Und wie würde es mit den Beamten, mit denen, die von festen
Bezügen leben, den unzähligen kleinen Rentnern, sein? Man
braucht diese Fragen nur zu stellen, um sofort zu dem Ergebnis zu
kommen, daß wir geradezu in den Strudel hineingerissen würden.
Freilich die Händler, die Produzenten, die Landwirte würden
derdinen. Verdienen würde nicht nur groß geschrieben werden,
Mit Plakatlettern würde es geschehen. Verdient würde auf Kosten
ber großen Massen, die ausgeplündert wurden bis auf den letzten
Rest. Nichts, absolut garnichts würden sie von den höheren Kvh-
senpreisen erhalten, die die siegreichen Gegner zu zahlen hätten —
vorausgesetzt, -daß wir einen Rest von Wirtschaft behielten, in der
Sohlen gefördert würden. Vorausgesetzt, datz wir nicht in inneren
Kämpfen uns verzehren, und schließlich nur ein ausgebranntes
Häuflein Asche übrig bliebe.
Ich will ganz davon absehen, auszumalen, wie ungeheuerlich
der Notenumlauf vermehrt werden müßte, wenn wirklich eine An-
passung der Preise an den Weltmarkt möglich wäre, wobei der Ar-
beiter ein Ministergehatt und mehr erhalten müßte.
Solange wir in einer sprunghaften Bewegung des Marktwer-
te» stehen, Et eine Anpassung an den Weltmarktspreis völlig unmög-
lich. Unmöglich gerade deshalb, weil jeder Versuch dazu ein wei-

Finanzmmister Dr. Wirth als Nachfolger j
Erzbergers.
Karlsruhe, 2. März. In parlamentarischen Keifen
des Landtages wird bestätigt, daß Finanzminister Dr.
Wirth zum Nachfolger Erzbergers ausersehen ist.
Ausweisungen aus der kommunistischen
Partei.
Berlin, 2. März. (W.T.). Die „Vosstsche" gibt
Mitteilung von einem Beschluß des kommunistischen
Parteitags in Durlach, wonach die Bezirke Nord,
Nordwest, Niedersachsen und Groß-Berlin als
nicht mehr zur Partei gehörig betrachtet werden. Die Be-
schlüsse der betreffenden Bezirkskonferenzen zu den Heidel-
berger Leitsätzen stünden im Widerspruch zu diesen
Leitsätzen. Bemerkenswert ist noch die Warnung des Par-
teitages vor der Auswanderung nach Räterußland.
Partei und Hohenzollernabfindung.
Berlin, 2. März. In einer gestern stattgefundenen
gemeinsamen Sitzung der sozialdemokratischen Faktionen
der deutschen Nationalversammlung und der preußischen
Landesversammlung sprach sich die Mehrheit gegen den
vorgelegten Vergleichsvorschlag aus. Es wurde beschlossen,
die Reichsregierung möge durch die preußische Staatsregie-
rung aufgefordert werden, unverzüglich ein Reichsgesetz
herbeizuführen, das die Bestimmung des Artikels 153
der Reichsverfassung zur Geltung bringt, wonach die an-
gemessene Entschädigung und die Zulässigkeit des Rechts-
weges für die Enteignung des vormaligen preußischen
Königshauses zumWohleder Allgemeinheit anders
bestimmt werden kann.
Französischer Sozialisien-Koller.
Paris, 2. März. (W.T.B.) Nach einer Meldung aus
Straßburg wurde gestern nach Schluß des sozialisti-
schen Parteitages in Straßburg der Schriftsteller
Raymund Lefebre wegen angeblicher Bedrohung des
ehemaligen Präsidenten Poincare verhaftet.
Die Brotkarte in Frankreich.
Paris, 3. März. (W.T.B.) Die landwirtschaftliche
Gruppe des Senats brachte den Antrag ein, in Frankreich
die Brotkarte wieder einzuführen.
Zur Beendigung der Eisenbahnerstreiks
in Frankreich.
Paris, 3. März. (W.T.B.) Millerand erklärte
heute Vormittag Pressevertretern, daß zweifellos von
morgen an der Dienst wieder einen normalen Lauf
nehmen werde. Die Regierung unterbreite diese Frage
noch der Kammer. Die Einschränkung hinsichtlich der
Schlußstunde von Theatern und Restaurants würde nicht
aufrecht erhalten werden, dagegen müßte die Einschränkung
in der Lebensmittelversorgung, die schon vor dem
Eisenbahnerstreik aufrecht erhalten wurde, aufrecht er-
halten bleiben. Die Delegierten der Pariser Eisenbahner-
gewerkschaften kündigten in einer Mitteilung an die Presse
an, den Kampf unverzüglich wieder aufzunehmen, im Falle
die Regierung die Freilassung ihrer verhafteten
Genossen verweigern würde.
Paris, 3. März. (W.T.B.) Nach den Erklär-
ungen Millerands über den Streik der Eisenbahner
in der Kammer nahm diese mit 503 gegen 75 Stimmen
eine Tagesordnung an, die die von der Regierung ge-
troffenen Maßnahmen zur Beilegung des
Eisenbahner ft reiks billigt.
Das Friedensbedürfnis Rußland.
Bern, 2. März. (W.T.B.) Wie aus London ge-
meldet wird, stellt ein Funkspruch der Moskauer Regierung
fest, daß die Alliierten gar nichts anderes könnten, als
einen endgültigen Frieden mit der russischen Sowjet-
regierung abzuschließen. Die russische Regiernng erklärt,
der Entsendung einer Untersuchungskommisston nach Ruß-
land keinerlei Hindernisse in den Weg legen zu wollen.
Eine Sozialisten-Mehrheit.
Helsingfors, 2. März. (W.T.B.) Bei den Kom-
munalwahlen in der Hauptstadt erhielten die'Sozialisten
genau die Hälfte aller Stimmen.
Unruhen in Japan.
Haag, 3. März. (W.T.B.) Der Nieuwe Eourant
meldet drahtlos aus London, in Japan seien sehr ernste
Unruhen ausgebrochen. (Wir wir bereits meldeten
handelt es sich um den Kampf für das allgemeine Wahl-
recht. Die Red.).

teres Sinken des Auslandswertes der Mark zur Folge Haden müßte.
Erst wenn wir erst zu sinem Beharrungszustand der Mark gekom-
men sind, können wir eine solche Anpassung vornehmen. Das wird
auch dann nur ganz, ganz langsam erfolgen können; in Pausen,
wahrscheinlich erst in langen Jahren, wird es möglich sein. Bis
dahin werden wir eine gebundene Wirtschaft nötig haben, die mit
allen Mitteln durch Vermehrung der Produktion eine Niedrigstel-
lung der Inlandspreise anistrebt.

Politische Ueberstcht
Die Plaidvyers im Erzberger-Prozetz.
Berlin , 2. März. Oberstaatsanwalt Krause führte aus:
Der Prozeß sei ein eminent politischer und auch seine Folgen seien
Politischer Natur. Die Gerichtsbehörden aber dürsten bei der
Urteilsfällung der Politik nicht den geringsten Einfluß einräumen
und nur feftstellen, ob das Strafgesetz verletzt sei. Zur Sache selbst
müsse er betonen, datz eine einheitliche fortgesetzte Handlung Dr.
Helfferichs vorliege, begangen, um Erzberger zu beseitigen. Im
Falle Thyssen sei der Nachweis erbracht, daß Erzberger seine
parlamentarische Tätigkeit mit den geschäftlichen Interessen ver-
quickt habe. Weiter kommt der Oberstaatsanwalt nach längerer
Auslassung über den Fall Pnigodin auf Grund der Vorgänge
im Jahre 1914 zum Schluß, daß er den Beweis als geführt ansieht,
Erzberger habe auch hier seine eigenen Interessen mit den allge-
meinen verquickt. Auch im Falle Berger, den er als den be-
denklichsten überhaupt betrachtet, sieht der Oberstaatsanwalt die
Verquickung politischer und der eigenen Interessen Erzbergers als
erwiesen. Im Falle Angele könne er keinen Beweis für die Ver-
quickung politischer Tätigkeit und geschäftlicher Interessen erblicken.
Im Falle Ko watsch müsse der Staatsanwalt es als erwiese»
ansehen, datz Erzberger in einer geschäftlichen Angelegenheit seinen
politischen Einfluß geltend gemacht habe. Im Falle „Anhydat -
werk e" kommt der Staatsanwalt zu dem Schluß, daß Erzberger
eine weitgehende Tätigkeit für die Firma entfaltet habe, in der er
als Aktionär beteiligt gewesen sei. Im Falle „Wolf" sei der
Beweis von dem Angeklagten nicht erbracht, ebenso im Falle
Richter. In der Angelegenheit des Viehhandelsverbandes han-
dele es sich um eine Art strafbaren Versuchs. In der Angelegenheit
der „H a p a g a kti e n" sei der Beweis der Verquickung nicht er-
bracht. Dem Falle „D r. D o n k" fehle jeder finanzielle Unter-
gründ; der Fall „T ripp e" grenze an Korruption. Im Falle der
Ein- und Ausfuhrbewilligungen sei ein Zusammenhang zwischen
der politischen Tätigkeit und den geschäftlichen Interessen Erzber-
gers nicht erwiesen. Am Schluß erklärte der Oberstaatsanwalt,
der Beweis für die Behauptung der Verquickung von Geschäft und
Politik seitens des Nebenklägers sei in einer Reihe von Fällen und
damit überhaupt erbracht.
Sozialdemokratie und Hochschule.
Zu dem schlechten Wahlergebnis des Sludentenparlamenls
schreibt Otto Straßer einen beachtenswerten Aussatz in der „Voss.
Zeitung". Einiges zu zitteren, erscheint uns unbedingt wichtig:
Wenn wir nach den Ursachen der nicht zu leugnenden Rechts-
orientierung der Studenten forschen, so dürfen wir vor
allem eines nicht außer acht lassen: Was im allgemeinen als die
Studentenschaft in die Erscheinung tritt — sei es bei den jetzigen
Wahlen, bei einer Studentenversammlung oder bei dem meist recht
lauten Auftreten von Studenten in allgemeinen Versammlungen —,
ist stets nur ein Bruchteil, kaum ein Drittel der gesamten Studen-
tenschaft, und — es sind immer dieselben. Dieselben
Kreise jener Studenten, die, mit genügenden Geldmitteln versehen,
sich Zeit zum Studium gönnen können und darum auch Zeit zu poli-
tischer Betätigung haben. Die Mehrzahl, mehr als zwei Drittel
wohl, ist dazu nicht in der Lage. Das sind lauter Leute, deren
wirtschaftliche Lage oft geradezu trostlos ist, so
trostlos, daß sich alle Nichtdazugehörigen kaum ein Bild davon ma-
chen können. Das sind die Leute in „vergilbten Militärmänteln,
ausgeblichenen Feldmützen, die abgezehrten Gestalten, die greisen-
haften Gesichter" — wie vor kurzem ein hiesiges Blatt schrieb und
sie — sie haben keine Zeit, sozialistische Redner, republikanische Mi-
nister oder jüdische Professoren anzupöbeln, keine Zeit und auch
nichtdie Absicht, es zu tun. Sie sind gehetzt von der Not,
sich endlich ihr Brot zu verdinen, endlich ihr Studium zu beenden,
sie sind verbittert und gequält, weil sie nicht mehr heraussehen aus
dem Elend, in dem sie stecken und in dem sie, wenn ihnen nicht ge-
holfen wird, untergehen.
Wenn schon infolge jener jetzt endlich gefallenen alten Vorrecht«
der wohlhabenden Schichten nur so unendlich wenig Studenten
aus Arbeiterkreisen sich unter den heutigen Studierenden
befinden, so gilt es doch zumindest, alle die der Universität, dem
sozialen Staat zu erhalten, die infolge der Verelendung weiter
Mittelftandskreise sich dem „Volk" zurechnen, gern zurechnen, weil
sie am eigenen Elend gelernt haben und eingesehen, was es heißt,
in einem kapitalistischen Staat ohne Geld zu sein. Doch sind jene
alten Vorrechte denn wirklich gefallen? Auf dem Papier vielleicht,
ja — in Wirklichkeit aber nicht im geringsten! Denn was bedeuten
die einfach unsinnig hohen Gebühren — Semesterge-
bühren von 500—800 Mk. — anders, als die vollkommene Aus-
schließung aller Un- und Minderbemittelten vom Studium zugun-
sten der Reichen!? Und alles schöne Gerede vom „Aufstieg der Be-
gabten" hindert nicht, datz durch diese -von Staatswegen erzwun-
gene Abstoßung aller wirtschaftlich Schwachen das Studium mehr,
viel mehr noch als zuvor, ein Vorrecht der besitzenden Klaffe wird.
Diese Entwicklung wird infolge der fortdauernden Geldentwertung,
des Aufzehrens der noch vorhandenen kleinen Studienmittel, bei der
immer steigenden Teuerung usw. in einer Weise sich vollziehen, daß
in Bälde die Deutsche Hochschule nur mehr von Söhnen von Ka-
pitalisten, Großgrundbesitzern, Kriegsgewinnlern und Schiebern
besucht werden kann. „
Wenn die Regierung nicht will, daß die Hochschulen Hochbur-
gen der Reaktion werden, dann muß sie schleunigst Maßnahmen
treffen, um dieser Entwicklung entgegen zu arbeiten. Ganz abge-
hvlfen wird dem Bildungsmonopol -des Reichtums nur auf dem
Wege der Einheitsschule, die unbeeinflußt von Stand und
Vermögen nur den Tüchtigsten den Zugang zu den Hochschulen er-
 
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