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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (1/2) — 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.44126#0049
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Verantwort!.: Mr innere u. äußere Politik, Volkswirtschaft ».Feuilleton: Dr.
E.Kraus; für Komm,Wales u. soziale Rundschau: I. Kak»; für Lokales:
O. Geibel: für die Anzeigen: H.Hvffmann, sämtlich in Heidelberg.
Druck und Verlag dertlnterbadischen Verlagen»slailG. m. l>. H., Heidelberg.
Geschäftsstelle: Gchröderstraße ZS.
Fernsprecher: Anzsigen-Annahme 2673, Redaktion 2644.

TagesMMns für die werktätige BevStterung der Bmtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Gmsheim, Eppirsgsn, Gberbsch, Mssbach, Buchen, Adelsheim, Boxberg
TauberbifchsfSheim und Wertheim.

HeideGerg, Mittwoch, 44. Januar 4V20
Nr. 44 » 2. LahrßauH

DezugMeick : Monatlich emschl. Träycrlohn 2.so Mk. Anzeigenpreise:
Vie sEvaftige pofttzeSe (36 mm breit) 40 psg„ Reklame-Anzeigen
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poWH-ckkonioKartsru-eNr.22.577. Tel.Ädr.: DolkszeuungHeidelberg.

Wir und der Völkerbund.

Blutiger Terror in Berlin. — Der
Kampf um die Betriebsräte.
Berlin, l3. Ian. (Eigene Drahtmeldung.) Um f>4 Uhr
ersuchte vor dem Reichstagsgebäudc demonstrierende Menge in den
Reichslag einzudringen. Die Sicherheitswache pflanzte hierauf die
Bajonette aus und versuchte die Menge zu zerstreuen. Da ihr dies
nicht gelang, machte die Sicherheitspolizei von ihrer Waffe Gebrauch
und es tam zu einer lebhaften Schiesserei, vor allen Dingen am
Eingang in die Windthorststrajzc. Der vor dem Eingang befind-
liche Rasenplatz ist mit einer großen Anzahl Toter und Schwerver-
letzter besät.
Berlin, 13. Ian. Ueber die Vorgänge vor dem Reichstags-
gebäude wird noch folgendes berichtet: Während sich der größte
Teil.der Demonstranten, nachdem sie verschiedene Abgeordnete der
unabhängigen Partei mit ihren Wünschen bekannt gemacht hatten,
wieder entfernte, blieben noch Tausende in den Zugangsstraßen wie
die Mauern stehen. Es wurden Flugblätter verbreitet, die von der
kommunistischen Partei Deutschlands (Spartakusbund) unterzeichnet
waren, die überaus scharfe Angriffe gegen Noske, Ebert, Scheide-
mann enthielten. Die Überschrift lautete: Ebert oder Ludendorff!
Zuin Schluß wurde in großen Lettern ausgefordert: Macht Euch'
bereit! Nieder mit der Militärmonarchie! Es lebe die proletarische
Diktatur! Es lebe die Räterepublik! Durch diesen Aufruf a»ge-
feuert wurden Schmähreden gegen die Nationalversammlung und
gegen die „grüne Polizei" gehalten, sodaß sich schließlich eine An-
zahl Demonstranten dazu hinreiben ließ, das Portal nach dem
Tiergarten hin zu stürmen. Trotz aller Warnungen und trotz der
ruhigen Haltung der Sicherhcitsbeamren war es nicht gelungen, die
Menge zum Auscinandergehen zu bringen. Da die Gefahr bestand,
daß die Sicherhcitsmannschast überwältigt wurde, mußte zur Waffe
gegriffen werden und man gab aus Gewehren und Maschinengeweh-
ren Feuer auf die Menge ab, sodaß eine Anzahl Personen — die
Höhe stekt noch nicht fest — getötet und verwundet wurde. Sehr
bedrohlich gestaltete sich auch die Lage für die Sicherheitsmannschaft
am Bismärckdenkmal. Die Menge siel über sie her, und einige
Sicherheitsbeamre wurden verletzt.
Berlin, 14. Ian. (W.B.) Infolge der Ausschreitungen gegen
die Nationalversammlung sind auf Seiten der Sicherheitswehr 2
Tote, 2 Vermißte, die anscheinend verschleppt worden sind, und 10
Verwundete zu beklagen. Auf Seiten der Angreifer wurden bisher
20 Tote und 40 Verwundete gezählt.
Berlin, 14. Ian. (W.B.) Der „Lvk.-Anz." meldet, daß bei
den Demonstrationen vor dem Reichstagsgebäudc bisher 31 Tote
festgestellt wurden. Die Zahl der Verwundeten ist erheblich höher.
Allein von den Beamten der Sicherheitspolrzei und Ordnungspoli-
zei wurden bisher weit über 60 Personen verwundet. Die Zahl
der verwundeten Demonstranten wird auf weit über 400 festgestellt.
Belagerungszustand über ganz
Norddeutschland.
Berlin, 14. Ian. (W.B.) Auf Grund, des Artikels 48 Abs. 2
der Reichsverfassung belr. die Wiederherstellung der öffentlichen
Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen hat der Reichsprä-
sident mir Ausnahme von Bayern, Sachsen, Württemberg und Ba-
den und die von ihnen umschlossenen Gebiete den Belagerungszu-
stand verhängt. Auf Grund des Ausnahmezustandes übernahm
Reichswehrminister Noske persönlich die vollziehende Gewalt für
Berlin und die Mark Brandenburg. Als Zivilkommissar wurde der
Berliner Polizeipräsident Ernst bestellt. Umzüge und Versamm-
lungen unter freiem Himmel sind verboten. Erneute Versuche, die
Tagung der Nationalversammlung zu stören, werden mit rücksichts-
loser Waffengewalt verhindert werden.
Berlin, 14. Ian. (W.B.) Der Reichswehrminister erläßt fol-
gende Bekanntmachung: Als Inhaber der vollziehenden Gewalt
für Berlin und Brandenburg verbiete ich auf Grund der Verfügung
des Herrn Reichspräsidenten gemäß Artikel 48 der Reichsverfassung
vom 13. Januar 1920 den Druck und Vertrieb der beiden Zeitungen
die „Freiheit" und die „Rote Fahne" im Gebiet des Ausnahmezu-
standes.

Deutsche Nationalversammlung.
Sitzungsbericht.
Berlin, 13. Januar.
Präsident F c h r e n b a ch eröffnet die Sitzung.
Vor Eintritt in die Tagesordnung erbebt Abg. Geyer (ll.S.P.)
Einspruch gegen die Besetzung des Hauses mit Maschinengewehren. Es
fei des Parlaments unwürdig, unter solchen Maßnahmen zu tagen. Das
bedeute die Wiederausrichtrmg der Militärhcrrschaft. (Lachen bei der
Mehrheit.)
Präsiden: Fehr en dach: Ich hatte weder das Recht noch einen
4niatz, die von der Regierung für notwendig erachteten Sicher-
vritsmaßnahmen zu unterbinden. — Hierauf wird in die Tages-
ordnung eingctreten.
Zweite Lesung des Betriebsrätegesetzes.
Während des Berichtes, der vom Abg. S ch n c i d c r - Sachsen
lHem.) erstattet wird, werden im Saal Gerüchte über die vor dem
Dorrst stattsindcnden Kämpfe laut, worauf die Unabhängigen, von den
ribünenbesuchern unterstützt, in wilden, lärmenden Zurufen Schließung
":r Sitzung verlangen.
Präsident Fehrenbach verläßt, als eine Fortsetzung des Berichts
Ermöglich ist, um Lhr den Präsidentensitz. Um 4.10 Uhr eröffnete
.sträsident Fehrenbach wieder die Sitzung mit ocm Ausdruck schmerz-
Ochsten Bedauerns, daß die Unruhen vor dem Reichstagsgebäude Ver-
wundungen und zwar auch solche rötlicher Art gefordert haben. Die
stchuldsrage laße sich jetzt nicht feststellen, es entspreche aber gewiß all-
U'tjqx-m Empfinden, wenn er bezüglich der Opfer die h e r z i i ch st e T ei l°
rahm« des Hauses zum Ausdruck bringe. Es komme jetzt alles
sorans an, wegen des Eindrucks im Reich und im Auslande die Rude zu
fewohren Das Wichtigste'aber sei, daß das Parlament seine Arbeiten
Ersetze '


Mkllkl! WkiWW
Unabhängige und Kommunisten rufen ihre Anhänger zu einer
„Trauer- und Protestkundgebung und zur Arbeitsruhe am mor-
gigen Donnerstag auf.
Das Andenken Karl Liebknechts und Rosa Luxem-
burgs schieben sie dabei vor, die Zertrümmerung unserer Wirt-
schaft meinen sic. Man hofft auf diesem Wege das unabhängig-
kommunistische „Räte-Uebelreich" errichten zu können, von dem die
Münchener und die Budapester Proben doch jedem vernünftigen
Arbeiter genügen könnten.
Es geht mit dem Parteikarren der hyperradikalen Herrschaften
in der letzten Zeit bedenklich rückwärts. Jetzt soll ihnen ein großer
Krach wieder aus die Beine Helsen.
Die politisch geschulte sozialistische Arbeiterschaft lehnt es ab,
sich zu solchen Zwecken mißbrauchen zu lassen. Wie bisher, so geht
sie auch in Zukunft ruhig und festen Schrittes ihren geraden und
zielklaren Weg zu „Demokratie und Sozialismus" weiter, auf dem
sie im Laufe der letzten 14 Monate ganz gewaltiges erreicht hat und
künftig noch weit gewaltigeres erreichen wird.
Sie lehnt es ab, Wirtschaft und Verkehr in einem Augenblick
zerrütten zu helfen, wo der Heimtransport unserer 350 000 in Frank-
reich gefangenen Volksgenossen nach endlos langem, sehnsüchtigem
o-edulden endlich in Angriff genommen wird, wo der Mangel an
Kohle unsere Industrie zu erorosseln uud Hunderttauiende brotlos
zu machen droht.
Sie weiß, daß niemand mehr Freude an dem Gelingen der un-
abhängig-kommunissischen Zertrümmerungspläne hätte, als die
militaristisch-schwerindustriell-junkerlicke Reaktion, die mit Sehn-
sucht auf die Zertrümmerung der deutschen Republik durch ihre
linksradikalen Antipoden wartet, um darauf dann auch nach dem
Beispiel Ungarns dasSchrcckens- und Blutregiment der schwärzesten
Gegenrevolution zu errichten.
Nicht die Arbeiterschaft, nicht der Freiheit und dem Sozialis-
mus, nein: dem Kapital und den Kapitalisten und der Wiederher-
stellung des alten monarchisch-militaristischen System dient, wer
jetzt in diesen Tagen unserer größten äußeren und inneren Not, der
republikanischen Regierung Schwierigkeiten bereitet und unsere
Wirtschaft sabotiert.
Wir vertrauen der badischen Arbeiterschaft, dah sie den ver-
schlagenen Lockrufen ihrer falschen Freunde von links kein Gehör
schenkt und am Donnerstag, wie auch weiterhin, ruhig -bei Amt
und Arbeit bleibt.
Mannheim, den 14. Januar 1920.
Der Bezirksvorstand der Sozialdcm. Partei Badens.


Abg. Henke (U.S.P.): Ich würdige die Gründe des Präsidenten,
aber ick meine, es würde den denkbar schlechtesten Eindruck auf das Aus-
land machen, wenn wir setz: in der Beratung forffahren.
Präsiden: Fehrenbach: Es gehör: aber zum Heil der Demo-
kralle, daß sich die Minderheit der Mehrheit fügt.
Abg. Geyer (ll.S.P.): In meiner Erregung bin ich nicht im-
stande, jetzt de: Beratung beizuwohnen. Es verrät Roheit an Gemüt,
jetzt zn verhandeln.
Der Verragungsamrag der Unabhängigen sticket nur die unzu-
reichende Unterstützung der Antragsteller.
Abg. Schneider (Dem.) versucht vergeblich seinen Bericht fort-
zusetzen. Die Unabhängigen lärmen fortwährend durch Schlutzrufe
und heftiges Aufschlagen mit Büchern auf die Tische.
Präsident Fehrenbach ruft dazwischen: Ig Ihr Benehmen
Achtung vor den Toten? —
Es folgen zahlreiche, oft dreimal wiederholte Ordnungsrufe. Als
der Lärm fortbauert, erklärt
Präsident Fehrenbach: Ich unterbreche die Sitzung um Z4
Stunde, und untersage den Abg. Laukam, Düweil und Geyer, an der
nächsten Sitzung teilzunehmen.
Präsident Fehrenbach eröffnet die Sitzung um 5.10 Uhr.
(Die Abg. Laukam, Düwell und Geyer sind im Saal anwesend) mit fol-
genden Worten: Als ich vorhin über die bedauerlichen Vorgänge sprach,
konnte ich nur vernehmen, daß Verwundungen, vielleicht sogar rötliche,
vvrgckommcn sind. Jetzt steht aber die betrübliche Tatsache fest, daß
vielleicht 10 Tote zu beklagen sind. Das ändert die Sachlage. Die Töten-
sind zum Teil in unser Haus gebracht worden. Angesichts dessen schlage
ich jetzt selbst vor, sich zu vertagen. Für die Opfer haben wir das schmerz-
lichste Bedauern und ich spreche den Angehörigen das tiefste Mit-
gefühl der Nationalversammlung aus. Die Mitglieder hören stehend
die Ansprache an. Hierauf wurde die Sitzung auf Mittwoch 10 Uhr vor-
mittags vertagt. Fortsetzung der zweiten Beratung des Be-
triebsrätegesetzes. Schluß 5>» Uhr.

Abflauen der Eisend ah nerstreikbervegung
Berlin, 14. Ian. (W.B.) Der Eisenbahnerstrcik staut etwas
ab. In Nordschleswig ist der Streik beigelcgt. Im Bezirk Breslau
ist die Streikgcfahr vorläufig beseitigt. Im Elberfelder Bezirk wurde
die Arbeit fast überall wieder ausgenommen.
Essen, 14. Ian. (W.B.) Die streikenden Eisenbahner haben
in einer spät abends abgehaltenen Versammlung beschlossen, im Aus-
stand weiter zu verharren.
Dortmund, 14. Ian. (W.B.) In einer Versammlung der
Eisenbahner wurde beschlossen, im Streik auszuharren.

Warum muß Deutschland in
den Völkerbund?
Von D r. Emi l.K raus, Mitglied des Landtags.
Diesen Artikel Kot der Verfasser in dem von der
R c i ch s z c n t r a l c für Heimatdicns: Laiwesab-
teilung Baden herausgegebenen Aussprache- u. Mitteilungs-
blatt „Der Wogwart" 1. Iahrg. Nr. 3 veröffentlicht.
- Angesichts der Wichtigkeit des Themas machen wir ihn hier
auch den Lesern der „Volkszeitung" zugänglich. D. Red.
Es ist eine eigentümlich tragische Ironie der Weltgeschichte:
erst erleben wir fünf Jahre furchtbarsten Weltkrieges und jetzt steht
der Völkerbund im Mittelpunkt der weltpolitischen Diskussion in
den Kabinetten, Parlamenten und Parteien aller Staaten. Doch
ist diese Erscheinung nichts Neues; stets nach Fehden und Kriegen
mir ihrem mannigfachen Leid und Elend haben sich die Völker
mehr denn zuvor nach Ruhe, Frieden, Gemeinschaft gesehnt. So
paradox es klingt: fast alle europäischen Kriege der letzten Jahr-
hunderte waren ebenfoviele Schritte auf dem Wege zu einer organi-
sierten Staaten- und Völkergemeinschaft. Nur auf dem Wege der
materiellen und kulturellen Not erwächst die Verwirklichung des
politischen Völkerbunds-, des Menschheilsgedankens. Klar und
deutlich hat dies schon vor über 100 Jahren Kant erkannt und
ausgesprochen. In seiner „Idee zu cincr allgemeinen
Geschick) le" schreibt er:
„Die Natur treibt durch Kriege, durch die überspannte und nie-
mals nachlasscndc Zurüstung zu denselben, durch die Not, die dadurch
endlich ein jeder Staat, selbst im Frieden, innerlich fühlen muß, zu
anfänglich unvollkommenem Versuch, endlich aber nach vielen Ver-
wüstungen, Umkippungen und selbst durchgängiger innerer Erschöpfung
ihrer Kräfte zu dem, was ihnen die Vernunft auch ohne soviel traurige
Erfahrung hätte sagen können, nämlich: aus dem gesetzlosen Zustande
der Wilden hinauszugehen und in einen Völkerbund zu treten."
Und an einer anderen Stelle desselben Werkes sagt Kant:
„Endlich wird selbst der Krieg allmählich nicht allein ein jo
künstliches, im Ausgange von beiden Seiten so »»sicheres, sonderm
auch durch die Nachwehen, die der Staat in einer immer anwachsendcn
Schuldenlast fühlt, deren Tilgung unabsehlich wird, ein so be-
denkliches Unternehmen, dabei der Einfluß, den jede Staatscrschüiterung-
in unseren durch seine Gewerbe so sehr verketteten Weltteil auf
alle anderen Staaten tut so merklich: daß sich diese, durch ihre eigene
Gefahr gedrungen, obgleich ohne gesetzliches Ansehen, zu Schiedsrichtern
anbicicn, und so alles von weitem zu einem künftigen g roße n
Staatskörper anschicken, wovon die Borwelt kein Beispiel aus-
zuzeigcn hat."
Gerade der Weltkrieg, der in seiner Größe und Furchtbarkeit
alle bisherige Geschichte weit hinter sich zurückläht, ist ein wichtiger
Wecker unh Künder des Völkerbundsgedankcns geworden. Am
20. August 1918 sagte der deutsche Staatssekretär Sols in einer
Rede u. a.:
„Wie vermeiden wir künftige Kriege? Wie erzielen wir die
Wirksamkeit internationaler Abmachungen auch bei einem neuen Kriege?
Wie stellen wir die Richtkombattanten sicher? Wie erspare» wir
es den neutralen Staaten in Zukunft, daß sic für ihre Friedfertigkeit
büßen müssen? Wie schützen wir nationale Minderheiten? Di«
regeln wir unsere gemeinsame Ehrenpflicht gegenüber den minder-
jährigen Rassen der Welt? Meine Herren, das sind alles brennende
Menschheilsfragen. Hinter ihnen stehtBie Stimmung von Millionen,
Himer ihnen steht unsägliches Leid, stehen unerhörte Erlebnisse. Ge-
rade unter den Kämpfern, unter denen, die gefallen sind, in allen Län-
dern, nnter denen, die Kraft, Gesundheit oder Lcbenssreude verloren
haben, hat es Tausende gegeben, Tausende, denen das Opser leicht siel,
weil sie den Glauben nicht verloren hatten, daß aus dem angesammelten
Leid, aus all der Not und Qual eine bessere Wett ersteben würde, die
ihren Kindern und Enkeln Ruhe und Sicherheit, den Böllern aber
untereinander den guten Witten verbürgte. Meine Herren, der Sie-
geszug dieser gemeinsamen Ziele ist sicher."
Während des ganzen Weltkrieges ist der Vvlkerbundsgedanke
nicht verstummt; namhafte politische Führer haben ihn in entschei-
denden Situationen immer wieder aufgegriffen. Lord Grey
nennt ihn schon 1916 einen wesentlichen Bestandteil zukünftiger
Politik; As. uith sicht in ihm das dringendste Aufbauproblcm.
Den größten Sieg aber hat der V ö l k c r bU n d s g e d a n k e
im Zrie'densvcr) rag v 0 n Vcrsaillcs errungen. Man
wird dieser Behauptung die Ungerechtigkeiten und Vergewaltigungen
dieses Friedensvertrages cntgegenhalten; man wird sagen und zu
beweisen suchen, daß die Völkerbundsakte des Versailler Vertrages
nur Schein sei, daß sie ft: Wirklichkeit einen Bund der unperialistt-
fchen Sieger gegen die wehrlosen und ohnmächtigen Besiegten
statuiere. Selbst wenn dem so wäre und trotzdem:, allein die Tat-
sache, daß dieser furchtbare Friedensvertrag von einer Völkerbunds-
akte einqelettet wird, beweist, wie mächtig der Gedanke des Völker-
bundes heute geworden ist. Wir haben also die Tatsache zu ver-
zeichnen, daß der Friedensvertrag, der das erste eigentlich große
Völkermorden beschließt, den ersten Völkerbundsvertrag enthält, den
die Geschichte kennt. Und auch die deutsche Regierung hat sich in
ihren Gegenvorschlägen trotz mancher scharfen Kritik im einzelnen,
prinzipiell zu diesem Völkerbundsvertrag bekannt und seine welt-
politische Notwendigkeit anerkannt.
2e
Aus dem ganzen Komplex der Fragen, die sich aus dieser vor-
liegenden und von uns unterschriebenen Völkerbundsakte ergeben,
sei heute nur die eine sür uns allerwichtigste beantwortet. Warum
muß Deutschland in diesen Völkerbund? Von der richtigen Beant-
wortung dieser Frage hängt ein gutes Stück unserer nächsten Zukunft
ab Wir sagen: Deutschland muß alles, was an ihm liegt, tun,
damit dieser Völkerbund zustande kommt und es in denselben aus-
genommen wird
1. weil er die einzige gegebene Möglichkeit eines Staaten-
bundes, einer interstaatlichen Organisation überhaupt ist.
Politik ist die Kunst des Möglichen. Alle politische Arbeit
mich sich möglichst an vorhandene Entwicklungstendenzen an-
 
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