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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (1/2) — 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.44126#0401
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Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Ginsheim, üppingen, Eberbach, Mosbach, Buchen, Adelsheim, Boxberg,
Tauberbischofsheim und Wertheim.


Bezugspreis: Monatlich einschl. Trägerlohn 3.50 Ml. Anzeigenpreise:
Die einspaltige Petitzeile (36 mm breit) 70 pfg., Reklame-Anzeigen
<SZ mm breit) 2.20 Mk. Bei Wiederholungen Nachlaß nach Tarif.
Geheimmittel-Anzeigen werden nicht ausgenommen.
GeschastSstunben: s—llhr. Sprechstunden der Redaktion: 11 —12 llhr.
Postscheckkonto Karlsruhe Nr. 22577. Tel.-Adr.: Volkszeitung Heidelberg.
Gegen die Volkswahl des
Reichspräsidenten.
Don Dr. Die tz, Stadträt in Karlsruhe.
Oie in Artikel! 41 und 43 der Reichsverfaffung vorgesehene
Wahl des Reichspräsidenten durch das Volk auf die Dauer von 7
Jahren, zu deren Durchführung jetzt das Wahlgesetz der National-
versammlung vvrliegt, sieht äußerst demokratisch aus. In Wirklich-
keit ist diese Volkswahl in einem parlamentarisch regierten Lande
mit einem auf Grund des allgemeinen und gleichen Wahlrechts ge-
wählten Reichstag aufs äußerste antidemokratisch, ganz
gleichgültig, ob bei dieser Wahl Hindenburg oder Ebert, Wil-
helm H. oder Rost' Wolfstein als die Erwählten herauskommen. Ich
habe gegen dieses antidemokratische Experiment schon vor mehr als
einem Jahr in meinen Aufsätzen zur Badischen Verfassung im
„Volksfreund" und in meiner Verfassungsbrvschüre 27 Seite 85
entschieden Front gemacht, und ich halte es für notwendig, im letz-
ten Moment diese Warnung zu wiederholen. Nach Artikel 45—47
der Neichsverfassung hat der Reichspräsident nicht nur das Reich
völkerrechtlich zu vertreten, sondern er „ernennt mkd entläßt die
Reichsbeamten und Offiziere", er ,,hat den Oberbefehl über die ge-
samte Wehrmacht im Reiche", und er hat die Reichsexekutive ein-
schließlich der Verhängung des Belagerungszustandes.
Eine derartige Machtfülle in der Hand eines einzelnen Man-
nes als des unabhängig von 'der Volksvertretung erwählten Ver-
trauensmannes der Volksmasse ist erträglich in einem Lande, wie
den Vereinigten Staaten von Amerika, wo jede monarchistische und
militaristische Vergangenheit und Tradition fehlt und im Großen
und Ganzen seit 100 Jahren sich nur zwei historisch gewordene
Parteien bei den Wahlkämpfen gegemiberftehen. Diese Volkswahl
eines von der Volksvertretung getrennt gewählten Staatspräsiden-
ten mit diesen Machtbefugnisien wird aber notwendigerweise zu
einer Quelle bonapartiftischer u. zäsaristifcher Staatsstreiche in einem
Lande, das mitten in seinem revolutionären Lebergangsstadium ist
und in viele größere und kleinere Parteien zerklüftet ist, über denen
allen eine Jahrhunderte alte monarchistische und militaristische Tra-
dition steht, noch vollständig frisch und eng verwachsen mit den wich-
tigsten politischen und wirtschaftlichen Einrichtungen des Landes.
Da im Reichstag keine Partei die absolute Mehrheit hat, so muh
zunächst in allen Parteien nach einem Kandidaten gesucht werden,
der die Aussicht hätte, 'über den Kreis der einzelnen Partei hinaus
die Mehrzahl aller Wahfftimmen auf sich zu vereinigen. Der
Kampf für eine derart zugkräftige Persönlichkeit, die von einer oder
einigen Parteien aufgestellt wird, kann nicht geführt werden, ohne
daß die von anderen Parteien ausgestellten Gegenkandidaten aufs
schwerste bekämpft werden. Der künftige Staatspräsident wird da-
mit von vornherein persönlich durch den ganzen Wahlkampf ge-
logen und mit einem schweren Odium belastet. Gelingt es nicht
für einen Kandidaten dis absolute Mehrheit zu erzielen, so soll beim
zweiten Wahlgang die relative Mehrheit entscheiden, wobei also
unter Umständen ein Kandidat, der erheblich weniger als die Hälft«
aller Stimmen hat und der in keiner Weife den Willen der Volks-
mehrheit repräsentiert, gewählt wird. Gelingt es dagegen für einen
Kandidaten im ersten Wahlgang die absolut Mehrheit zu erzielen,
obwohl im Parlament selber keine Partei die absolute Mehrheit
hat, so erscheint der so gewählte Staatspräsident von vornherein,
genau wie einstens Louis Napoleon, als der Volksdiktator gegen-
über dem Parlament, und es ist nur die Frage einer kurzen Spanne
Zeit, bis er die ihm übertragenen Machtbefugnisse, insdHondere den
Oberbefehl über das Heer, gegen das Parlament ausübt. Daß
Nach Artikel 43 der Reichspräsident „auf Antrag des Reichstags"
durch Volksabstimmung abgesetzt werden kann, ist ein Hilfsmittel,
bas im entscheidenden Falle noch immer versagt.hat und den Staats-
streich auf der einen Seite, die Revolution auf der anderen Seite
nicht ausschälten kann. Kein wirklicher klarblickender Freund der
Demokratie kann für ein derartiges Experiment eintretenl
Es ist auch nicht wahr, daß das Erfurter Programm die So-
diäkdemokratie verpflichte, für die Volkswahl des Reichspräsidenten
einzutreten, weil im Teil 2 Ziffer 2 des Programms die „Wahl
der Behörden durch das Volk" als Parteiprogrammpunkt aufge-
stellt ist. Es ist dom Erfurter Programm nie und nirgends ringe-
fallen, als durch das Volk zu wählende „Behörde" einen einzelnen
Mannals Reichspräsidenten aufzustellen, und ihm gleichzeitig die
Machtvollkommenheiten zu übertragen, welche die Reichsverfaffung
dem Reichspräsidenten überträgt, namentlich den Oberbefehl über
das Heer. Jahrzehntelang.hat die Partei dafür gekämpft, daß das
Heer ein Parlamentsheer, ein Volksheer sein müsse. Der Reichs-
präsident nach Artikel 41 ff. der Reichsverfassung steht im schärfsten
Widerspruch mit dem ganzen Erfurter Programm. Das Erfurter
Programm sieht kollegialsiche Behörden vor, wie in Artikel 95—98
ier schweizerischen Bundesverfassung, wonach die oberste voll-
jwhende und leitende Behörde — 'der „Bundesrat" — aus 7
Dlitgliedern besteht, von denen jeweils eines auf die Dauer eines
wahres als „Bundespräsident" durch die Volksvertretung erwählt
lvird, oder wie in 8 52 der badischen Verfassung, wonach der Land-
tag alljährlich den „Staatspräsidenten" aus den Mitgliedern
t>es Staatsministeriums bestimmt. Ein Militärdiktator als Reichs-
präsident ist keine Behörde im Sinne des Erfurter Programms,
^'nen solchen durch das Volk zu wählen, heißt Parlaments- und
Kvlksrechte den schwersten Gefahren aussetzen. Selbst der Gene-
'»Istreik und die Revolution von links können einer solchen Mili-
!?rdiktatur, dem „Volkskasiertum", wie es jetzt heißen soll, gegen-
"bcr auf Jahre hinaus erfolglos bleiben.
Eine Abhilfe gegen diese schweren Gefahren kann dadurch ge-
lassen werden, daß die Wahl des Reichspräsidenten in Abünde-
der Artikel 41 ff. dem Reichstag übertragen wird, und daß
Machtbefugnisse des Reichspräsidenten, insbesondere der Ober-
fehl über das Heer, entsprechend gemindert und auf das Parla-
ment übertragen werden. Diese Abhilfe ist jetzt noch möglich, da
'e Reichsverfaffung im Wege der ordnungsmäßigen Gesetzgebung
abgeändert werden kann. Geht die Nationalversammlung ohne
^chc Abänderung auseinander, und beläßt sie es bei diesem auü-
'einokratischen Experiment, jo nimmt auch das Unheil seinen Lauf.

Hei-elberg, Mittwoch, 7. April 1920
Nr. SO » 2. Jahrgang
Der Gewaltakt der französtschen Regierung.
Frankfurt a. M., 6. April. Heute früh 5 Uhr ist in
Frankfurt das französische Besatzungskommando in Stärke
von einer Division eingerückt. Eisenbahn, Post und
Polizeipräsidium wurden sofort besetzt. Der Belage-
rungszustand wurde verhängt. Starke französische Militär-
patrouillen durchziehen die Stadt. In der Stadt selbst ist
alles ruhig. Die Behörden find in ihrer Arbeit nicht
verhindert, arbeiten jedoch unter der Kontrolle der
französischen Besatzungsbehörde. Briefzensur, Tele-
graphen- und Telephonsperre ist verhängt.
Die Besetzung Frankfurts und Darmstadts.
Frankfurt, 6. April. Hier wurde die Nachricht von der
bevorstehenden Besetzung gestern in den späten Abendstunden be-
kannt. Der Bevölkerung bemächtigte sich, wie verständlich, ein«
große Erregung, da man trotz aller Pariser Nachrichten aus den
letzten Tagen an die Verwirklichung der Besetzung nicht geglaubt
hatte. Nach der Besetzung von Hanau ist die französische Rhein-
flotMe in Hanau eingstroffen. Di« französischen Trup-
p e n, die Frankfurt besetzt haben, sind von Wiesbaden heran-
gerückt. In Wiesbaden wurde, nachdem sich gestern im Laufe des
Abends die französischen Truppen in Marsch gesetzt halten, der Be-
lagerungszustand verhängt. Die Kontrolle wird durch
Delegierte der Rheinlandsiommiffion ausgeübt, die in gleicher Weise
wie zur Fett des Waffenstillstandes amtieren.
In Darmstadt hatte der hessische Ministerpräsident llll -
r i ch bereits gestern abend die Mitteilung von der bevorstehenden
Besetzung erhalten. Infolgedessen vollzog sich die Besetzung heute
früh in aller Ruhe. Am Bahnhof und am Postgebäude wur-
den Patrouiken ausgestellt, sonst aber in den Verkehr nicht einge-
grifsen. Das Gros der französischen Truppen (5—6000 Mann)
bleibt zunächst auf den Hohen in der Umgebung der Stadt, bis die
Ouartrerfrage geregelt ist.
Besonders hervor-uheben ist in der Begründung des Ober-
kommandierenden für die Besetzung der Satz: „Die Regierung der
französischen Republik sieht sich gezwungen, sich ein Pfand zu sichern,
damit die Berliner Regierung ihrer Unterschrift nachkommt." Es
geht hieraus hervor, daß die Besetzung nicht von der Entente als
Gesamtheit ausgeht, sondern eine SvnderaktionderFran-
zvsen -ist und man wird abwarten müssen, wie sich die anderen
Ententemächte zu diesem Svndervorgehen Frankreichs stellen.
Di» Mitteilung Millercmds.
Paris, 6. April. Ministerpräsident Millerand rich-
tet« heute morgen an den deutschen Geschäftsträger folgendes
Schreiben:
In meinem Schreiben vom 2. 4. habe ich Sie gebeten, bei
Ihrer Regierung vorstellig zu werben, die dauernd in das Rrchr-
gebiet eindringenden Truppen zurückzuziehen. Jedoch ist meiner
Ditte bis jetzt kein Gehör geschenkt worden. Ich habe nun die
Ehre, Ihnen mttzutrilen, daß der Generaikommandant der Rhein-
armee dis Erlaubnis erhalten hat, die Städte Frankfurt,
Darmstadt, Homburg, Dieburg und Hanau mili-
tärisch zu besetzen. Die Besetzung wird nach vollständiger Räu-
mung des Ruhrgebiets ihr Ende finden.
Hochachtungsvoll gez. Millerand.
Paris, 6. April. Die Regierung unterrichtete die auswär-
tigen Vertreter von der Haltung gegenüber Deutschland in der
Frage des Ruhrbeckens. Millerand erklärte, die jetzt
eingetretrnen Schwierigkeiten nicht zu verkennen. Deutschland
habe jedoch die gebieterischen Bestimmungen des Vertrags von
Versailles gebrochen. Die militärische Besetzung des Ruhrgebiets
bedeute die schwerste Gefahr für die Sicherheit der Bevölkerung des
Ruhrbeckens. Das Vorgehen im Ruhrgebiet zwinge die Regierung,
militärische Vorsichtsmaßregeln zu treffen. — Das Schreiben an
die französischen Vertreter im Ausland bezüglich der Ereignisse im
Ruhrgebiet ist entschlossen gehalten. Herr Göppert bemühte sich
noch einmal, der französischen Regierung von Garantiemaßnahmen
abzuraten.
Deutscher Protest.
Berlin, 7. April. Das Reichskabinett trat gestern
zu einer Sitzung zusammen, in der die durch das französische Vor-
gehen geschaffene Lage eingehend besprochen wurde. In der Kabi-
nettssitzung kam die e i n m ü t i g eVe r ur tri l un g der franzö-
sischen Haltung zum Ausdruck. Die Reichsregierung beschloß, bei
der französischen Regierung scharfe »Protest zu erheben gegen
die willkürliche Besetzung weiterer deutscher Städte und
Gebiet«. Die deutsche Protestnote soll so schnell wie möglich, wahr-
scheinlich im Laufe des heutigen Tages, der französischen Regierung
übersandt werden.
Berlin, 7. April. Die „Nativnalzeitung" hat von neu-
traler diplomatischer Seite erfahren, daß die Besetzung Frank-
furts und der anderen Ortschaften durch die französischen Truppen
in den neutralen diplomatischen Kreisen in Berlin nicht überrascht
hat. Seit einigen Tagen mußte man mit diesem Schritt der fran-
zösischen Regierung rechnen. Es wirkt auch nicht überraschend,
wenn die französische Regierung versuchen wird, die Besetzung auf-
rechlWerhalten. Es ist aber auch festzustellen, daß in Paris
gegen diese Bestrebungen von der linken Sette her ein sehr leb-
hafter Widerstand besteht und daß auch die anderen Staa-
ten der Entente die französischen Maßnahmen mit sehr mißmutigen
Blicken betrachten. Vor drei Tagen, als Millerand die feststehende
Absicht, Frankfurt zu besetzen, der B v ts ch a ft e r ko n f e r c n z
mitgeteilt hatte, äußerten sowohl der englische wie auch der i t a-
lie nische Botschafter lebhafte Bedenken gegen den Vor-
marschplan der französischen Regierung.
Eine Note an die neu besetzte« Städte.
Berlin, 6. April. An die Bevölkerung der Städte und
Ortschaften, die von den Franzosen als Repressalie gegen unsere

Verantwort!.: Fürinnereu. Sußerepvl!tik,Volkswirtschaftu. Feuilleton: Dr.
E.Kraus; für Kommunales u. soziale Rundschau: Z.Kahn; für LokaleS:
O. Geibel; für dle Anzeigen: H. Hoffmann, sämtlich In Heidelberg
Druck und Verlag der llnterbadischen Derlagsanstalt G. m. b. H., Heidelberg
Geschäftsstelle: Schröderstraße ZS.
Fernsprecher: Anzeigenannahme 2S7Z, Redaktion 2648.

Polizeiaktion im Ruhrgebiet besetzt worden sind, hat dis Reichs-
regierung nachstehenden Aufruf gerichtet:
An di« Bevölkerung der von den Franzosen besetzten Städte!
Lim die Leiden von Hunderttausenden abzukürzen, di« im Ruhr-
gebiet der erpresserischen Räuberei von Erpresserbanden ausgelie-
sert find, hat die Reichsregierung Truppen entsandt. Die
Genehmigung der Entente war nicht erteilt worden, obwohl
die deutsche Regierung di« bitter st «Notwendigkeit mehtz-
fach eindringlich dargslegt hatte. Es sind dort noch nicht 14 00V
Mann zusammengszogen, also fast genau die Zahl, welche uns das
Abkommen mit der Entente erlaubt. Trotzdem hat Frankreich in
der Enffendung dieser Truppen einen Bruch des Friedensvertrages
und „eine Gefährdung des Weltfriedens" gesehen.
Diese Behauptung richtet sich angesichts der lächerlich kleinen Trup-
penmenge von selbst. Frankreich aber hat es mit dem Friedens-
zustand für vereinbar gehalten, blühende deutsch« Städte als Re-
pressalie zu besetzen. Unerhörter ist mit dem Weltfrieden niemals
gespielt worden, als es Frankreich tut. Die Reichsregierung weiß,
daß die Landsleute der schwerbetroffenen Städte und Landstriche
die Notwendigkeit verstehen und bestätigen, daß im Ruhrgebiet Ord-
nung geschaffen wird, damit das deutsche Wirkschaftckleben nicht aus
Kohlenmangel zugrunde geht. Daß ein hartnäckiger Feind sie zum
Opfer seiner Shylockpvlitik macht, fällt auf ihn allein zurück. Die
Reichsregierung wird alles tun, um di« Leidenszett der Rheinland«
abzukürzen. Aber sie weiß, daß sie mit der schwer geprüften über-
fallenen Bevölkerung eines Sinnes ist. Wir werden Deutschland
auch auf diesem listig angelegten Weg nicht zertrümmern lassen.
Wir werden den juristischen Kniffen und der brutalen Vergewalti-
gung den einigen Willen entgegensetzen: Ein Volk zu sein
und zu bleiben.
Berlin, 6. April 1920.
Die Reichsregierung: gez. Müller, Reichskanzler.
Die Haltung der übrigen Regierungen.
Mailand, 6. April. Der Lorriere della Sera schreibt
zu den Diskussionen über die Ereignisse in Deutschland,
welche im italienischen Ministerrat stattfanden, daß Italien
Frankreich seine diplomatische Unterstützung gewähren werde,
wenn Frankreich beschließt, militärisch vorzugehen. Eine
Beteiligung italienischer Truppen an der Besetzung deutscher
Städte wird jedoch als überflüssig betrachtet.
Brüssel, 6. April. Man glaubt, daß die belgische
Regierung gegenüber dem Vertragsbruch Deutschlands
dieselbe Haltung einnehmen wird, wie sie die Alliierten
einnehmen werden.
Paris, 6. April. Von seinem Berichterstatter in
London läßt sich der „Petit Panfien" vom 2. ds. melden,
man erkläre auf dem Foreigne office, daß die französische
Regierung, bevor sie den Befehl zum Einmarsch gab, die
Zustimmung Londons, Roms und Washington erbeten habe
mnd daß das britische Kabinett sich augenblicklich darauf
beschränke, die Situation genau zu überwachen. Er glaubt
indessen zu wissen, daß aller Wahrscheinlichkeit nach die
Eglrfche Regierung es ablehnen werde, mit Frankreich
bie vier in Frage kommenden Städte zu besetzen. Sie
werde sich aber Rechenschaft ablegen über den Ernst der
Lage und mit einem freundschaftlichen und günstigen
Auge die von Frankreich beschlossene Aktion befolgen. Man
isi hier überzeugt, daß Italien ebenso wie die Vereinig-
ten Staaten dieselbe Haltung einnehmen werde.

Politische Ueberficht
Das Programm des neuen Ernährm^sministers.
Der neuernannte Reichsernährungsmimster Dr. Hermes
äußerte sich über die Linien feines Programmes, das er in Lleber-
einstiinmung und mtt Billigung der Nationalversammlung durchzu-
führen beabsichtigt, zu einem Vertreter der Verbraucherorgamsativn
Groß-Berlins in folgender Weis«: Als früherer Letter der land-
wirtschaftlichen Abteilung im Reichswirtschaftsminifterium habe ich
immer den größten Wert darauf legen müssen, die Förderung der
landwirtschaftlichen Produktion zu ermöglichen. In allen Fragen
der Bewirtschaftung, die eine gewiss« Freiheit zulaffen, will ich der
Landwirtschaft di« nachdrücklichste Unter-
st ü tz u n g angedeihen lassen. Es ist früher vielfach stau« Kritik an
dem Ernähnmgsminifterium geübt worden und ich lege Gewicht
darauf, daß die sachlichen Gründe für die gerechte Beurteilung der
früheren Tätigkeit des Ministeriums zum Ausdruck kommen. Heut«
dielen sich, wenn auch Valutaschwierigkeiten und andere
Hemmungen noch bestehen, doch schon bessere Möglichkeiten. Wir
können jetzt dazu Übergaben, «ine vernünftige Produktionspolttik im
urrftxnsten Interesse der Volksernährung zu treiben. Wird die
Landwirtschaft unterstützt, kommen wir ihr dadurch entgegen, daß
wir die Gelegenheit zur Produktionshrbung schaffen durch Einfuhr
von Hilfsstoffen, Herstellung von künstlichem Dünger, Beschaffung
und Zuweisung landwirkschastkicher Maschinen, Regelungdet
Arbeiterfrage, dann wird es ihr möglich sein, in umfassen-
derer Weise als bisher an der Lösung der Aufgaben der Volks«»
nährung mitzuwirken. Ich hatte daher daran fest, baß nach der
Förderung der Produktion mit allem Nachdruck die Erfassung der
bewirtschafteten wichtigen Lebensmittel und ihr« Zufuhru -n g i m
Wege behördlicher Verteilung an die Verbraucher-
kreise erfolgt. Es kann niemand, der es mtt seiner Verantwortung
e rn st nimmt, heute di« Frage zur Erörterung stellen, ob die
Zwangswirtschaft aufzuheben fei. Die Notwendigkeit der
behördlichen Bewirtschaftung muß anerkannt werden. Der Land-
wirtschaft müssen wir auch dadurch entgegenkommen, daß wir ihr
eine vernünftig gerichtete Preispolitik gewslhren.
 
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