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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (1/2) — 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.44126#0423
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Tageszeitung für L r crc^tätige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim, Eppingen, Eberbach, Mosbach, Buchen, Adelsheim, Boxberg,
Tauberbischofsheim und Wertheim.

Bezugspreis: Monatlich einschl. Trägerlohn 3.5V Mk. Anzeigenpreise:
Die einspaltige Petitzeile (36 mm breit) 70 pfg., Reklame-Anzeigen
(93 mm breit) 2.20 Mk. Bei Wiederholungen Nachlaß nach Tarif.
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Geschäftsstunden: 8-'/,6llhr. Sprechstunden der Redaktion: ri-72llhr.
Postscheckkonto Karlsruhe Nr. 22577. Tel.-Adr.: Volkszeitung Heidelberg.

Heidelberg, Montag, ^2. April ^920
Nr. 84 » 2. Jahrgang

Derantwottl.: Für innerem äußere polit!k,Dolksw!rtschafiu. Feuilleton: Dr.
tZ.Kraus; fürKommunales u. soziale Rundschau: Z.Kahn; für Lokale»:
O. Gelbeft für die Anzeigen: H. Hoffmann, sämtlich in Heidelberg
Druck und Verlag der ilnterbabischen Derlagsanstalt G. m. b. H., Heidelberg
Geschäftsstelle: Schröderstraße 39.
Fernsprecher: Anzeigen-Annahme 2673, Redaktion 2648.

Der Militärputsch.
Von Ca l Legten.
n.
Von der U.S.P. und der Berliner Gewerkschaftskommissicm
waren in diesen Tagen Forderungen aufgestellt, die zu erfüllen
waren, wenn der Generalstreik abgebrochen werden solle. Da beide
Organisationen erklärten, von weitergehenden Zielen, wie Dik-
tatur des Proletariats und politische Räteorgani-
sation zunächst absehen zu wollen, so blieben schließlich nur
Forderungen, die auch von den Gewerkschaftszentralen und dem
D.D.B. vertreten wurden. Sv konnten die Verhandlungen mit
allen am Generalstreik beteiligten Organisationen wieder ausgenom-
men werden. In deren Versauf wurde von der U.S.P. verlangt,
daß nicht die bisherige Regierung wieder in ihr Amt eintreten solle,
sondern daß eine reineArbeiterregierung einzusetzen sei.
Zu einer solchen würden eventuell auch die Christlichen Gewerkschaf-
ten und die Hivsch-Duuckerschen Gewerkvereine heranzuziehen sein.
Beide Organisationsgruppen halten bereits am 13. März erklärt,
sich restlos dem Generalstreik anzuschließen. Die Gewerkschafts-
zentralen waren bereit, diese Forderung mitzuverteten, unter der
Voraussetzung, daß die Arbeiterregierung im Einverständnis mit
den Regierungsparteien zu errichten sei. Nur dann wäre sie
existenzfähig und existenzberechtigt. Die über diese Frage geführten
Verhandlungen mit den Fraktionen des Reichstages verliefen er-
gebnislos.
In den bekannten 8 Punkten waren die Forderungen der am
Streik beteiligten Organisationen zusammengefaßt. Neben diesen
wurde die N i chlw i e d e r k eh r ei nige r M i n i st e r der bis-
herigen Regierung verlangt. Die Verhandlungen über di« 8 Punkte
mit den in Berlin anwesenden Reichs- und preußischen Staatsmini-
stern und Vertretern der Regierungsparteien, „ begannen am 18.
März in den Abendstunden, wurden am 19. März abends fortgesetzt
und kamen am 20. März morgens 5 Uhr zum Abschluß. Es fehlte
nicht an heftigen Zusammenstößen, jedoch waren die beteiligten
Kreise im allgemeinen zu einer Verständigung geneigt, die in einer
Form erfolgte, die den Abbruch des Generalstreiks möglich machte.
Die Vertreter der am Generalstreik beteiligten Organisationen hal-
len geduldig dis ganze Nacht hindurch auf den Abschluß der Ver-
dernd in den Weg treten. Die Straßen Berlins waren am 22. März
morgens 7 Uhr wurde von allen Beteiligten der Abbruch des Gene-
ralstreiks beschlossen. Nur die U.S.P. weigerte sich, den Aufruf zu
unterzeichnen. Ihre Zentral«,, so erklärten ihre Verteter, müße erst
in besonderer Sitzung Stellung nehmen. Dieses Verhalten wurde
von den der U.S.P. angehörenden Gewerkschaftsvertretern
äußerstscharfgerügt.
Der Generalstreik wäre gemäß diesem Beschluß am Montag,
22. März, abgebrochen worden, obgleich die Zentralstreikleitung
und eine Komitee revolutionärer Arbeiter" zu seiner Fortsetzung
aufforderten. Da mußte wieder einmal die Militärverwaltung hin-
dernd in den Weg treten. Die Straßen Berkins waren am 22. März
in ein Heerlager verwandelt. In den Vorstädten kämpften Regie-
rungstruppen gegenbewaffnetsArbeiter. Diese hatten
zu den Waffen gegriffen, um den Kapputsch abzuwehren. Zum
Dank dafür stellte man sie nun vor dieStandgerichte, die
von den Befehlshabern der Truppen eingesetzt wurden. Dieselben
Truppen, die bei dem Einmarsch der Daltikumer völlig versagt hat-
ten, waren mit einem Male zur Stelle, um gegen die Arbeiterschaft
zu kämpfen. Mit vollem Recht erklärten diese, daß sie nicht die ent-
setzliche Not eines achttägigen Generalstreiks ertragen hätte, um
wieder vom Militär drangsaliert zu werden. Sofort eingeleitete
Verhandlungen mit dem Reichskanzler Bauer führten zu einem gu-
ten Ergebnis. Die Truppen wurden zurückgezogen, die Standge-
richte, resp. der verschärfte Belagerungszustand aufgehoben,
Verhandlungen wurden eingeleitet zur Einstellung der organisierten
Arbeitnehmerschaft in die Sichecheits- und neu zu schaffende Orts-
wehr. Nunmehr konnte der Generalstreik endgültig abgebrochen
werden. Der Beschluß wurde am 22. März nachts 12 Uhr gefaßt.
Jetzt unterzeichnete auch die Zentrale der U.S.P. den Aufruf, so
daß eine weitere Gegenaktion der Zentralstreikleitung völlig bedeu-
tungslos wurde.
Mit dem Abschluß des Kampfes war die Aufgabe der Zentrale
für die Streikführung nicht erfüllt. Ihr traten nunmehr auch die
Christlichen und Hirsch-Dunckerschen Gewerkschaften bei. Sie hat
bei der Neubildung der Regierungen im Reich und in Preußen mit-
gewirkt; sie hat begonnen, die 8 Punkte durchzuführen; sie hat we-
sentlich Einfluß auf die Beilegung des Konfliktes im Ruhrrevier
ausgeübt. Sie bildet heute die Stell« zur Einigung derge-
samten Arbeitnehmerschaft. Wird sie dies bleiben und
ihre Aufgaben erfüllen können? Die Frage ist bei den widerstreiten-
den Meinungen und Interessen nicht glatt zu beantworten. Sie kann
es bleiben, wenn an den bisherigen Vereinbarungen allseitig festge-
halten wird. Ohne grundsätzliche Anschauungen, ohne weitergehend«
politische Pläne preiszugeben, soll zunächst gemeinsam für die Durch-
führung der 8 Punkte gearbeitet werden. Geschieht dies ohne Hinter-
gedanken, so wären wir sicher einen Schritt vorwärts gekommen
zum Ausgleich der Gegensätze in der Arbeiterklasse. Zu dem Aus-
gleich der erfolgen muß, wenn wir unser Wirtschaftsleben wieder
aufrichten wollen. Aber, wenn auch diese Einigung nicht voll er-
reicht werden sollte, wißen wir nach den Vorgängen in diesen März-
wochen eines sicher: eine reaktionäre, eine militaristische
Regierung kommt in Deutschland nicht wieder. Gegen diese wird
die Arbeitnehmerschaft sich immer jo zujammensinden, wie es in die-
sem Abwehrkampf geschehen ist.
Folgen der Haftentlassung.
Aus Wilhelmshaven wird dem „Vorwärts gemeldet:
Die aus der Schutzhaft entlassenen Offiziere fühlen sich
wieder stark und beginnen unter den Truppen eine bedenkliche
Agitation, die leicht zu großem Unglück führen kann. Das
Etaiionskommando dürste zuscharfenGegenmaßnahmen
gezwungen werden, wenn die Offizierswühlereien in der Truppe m
dieser Weise fortgesetzt werden. Der Reichsregierung ist
Mitteilung gemacht worden.

Protest gegen die Auflösung der
Einwohnerwehren.
Karlsruhe, 10. April. Am 9. 4. abends wurde von den
Einwohnerwehren Karlsruhe und Mannheim nachstehendes Tele-
gramm an den Reichskanzler abgeschickt. Die Mitglieder der Ein-
wohnerwehren Karlsruhe und Mannheim bitten den Herrn Reichs-
kanzler, nachdrücklichst gegen die Aufhebung der Einwohnerwehren
Protest einzulegen. Di« Einwohnerwehren find s. Zt. auf ausdrück-
lichen Aufruf der Reichsregierung gebildet worden, um Ruhe und
Ordnung aufrecht zu erhalten. Andere Ziele verfolgen sie nicht
und können sie auch vermöge ihrer Organisation gar nicht verfolgen.
Die Unterstellung, daß die Einwohnerwehren einer erneuten Mo-
bilisation gleichbedeutend sind und eine militaristische Gefahr für
unsere früheren Gegner in sich bergen, ist absurd und völlig unbe-
gründet. Die Einwohnerwehren gewährleisten Aufrechterhaltung
von Ruh« und Ordnung und vor allem gegen Plünderungen. Des-
halb müßen sie weiter bestehen.
Der englisch-französische Gegensatz.
Paris, 11. April. Millerand empfing gestern nachmittag
Lord Derby und überreichte ihm die Antwortnote der französischen
Regierung auf die englische Note.
Paris, 11. April. Der Berichterstatter des „IntraNsigsant"
meldet aus Mainz: 500 Mann belgischer Träppen werden heute
Arion verlassen, um sich nach Mainz zu begeben, von wo sie nach
dem neubesetzten Gebiet gelejtet werden.
Paris, 11. April. Der britische Botschafter begab sich heute
vormittag zum Quai d'Orsay, wo er Millerand die Antwortnote
der britischen Regierung übergab. Nach dem zu Tage getretenen
Eindruck ist di« Not« von versöhnlichem Geist« getragen, sodaß ge-
hofft werden kann, daß >die Schwierigkeiten beseitigt werden können
und die Rückkehr des englischen Vertreters zu den Verhandlungen
der Botschafterkonferens erfolgen kann.
Frankreichs Absichten.
Haag, 12. April. Di« HaaFche Post vom 10. April schreibt
zu der Haltung Frankreichs: Verschiedene Symptom« deuten darauf
hin, daß das offiziell« Frankreich den Bolschewismus und Sparta-
kismus in Deutschland unterstützt in der Hoffnung, auf diese Weise
Deutschland gänzlich zu Grunde zu richten, ohne Rücksicht auf die
Folgen für gang Europa.
Renner und Nitti.
Wien, 11. April. Staatskanzler Renner erklärte in einer
Unterredung einem römischen Korrespondenten aus die Frage betr.
Südtirols, er hätte dieses Thema nicht zur Sprache bringen können,
da er nicht zur Einleitung einer Revision des Friedensvev-
trages in Rom sei, sondern um diesen nach Möglichkeit zu
erfüllen. Nitti habe von sich aus davon gesprochen und was
er sagte, habe ihm größt« Freude bereitet. Italien komm«
den deutschen Bewohnern des oberen Etschtales sehr großher-
zig e n 1 g e g e n und s« bestrebt seine Versprechungen auch zu er-
füllen-.
Englische Ersatzwahlen.
London, 11. April. Bei der Ersatzwahl in Stockport
wurden Greeword (Koalitionsunionist) mit 22 847 und Fil-
des (Koalitionsliberaler) mit 22 386 Stimmen gewählt. Sir
Leo Money (Arbeiterpartei) erhielt 16 042, Perry (kons. Ar-
beiterp.) 14 434, Kinfeld (llnabh.) 2644, Ter rett (ftnabh.
5543 und Olbrien (Republikaner der irischen Arbeitern.) 2334
Stimmen. Bei der letzten Wahl -waren Koalitivnsliberale ohne
Gegenkandidat« gewählt.
London, 11. April. (Reuter.) Bei der Ersatzwahl in
Dartford wurde Mills (Arbeiterpartei) gewählt. Bei der
letzten Wahl- war der Koalitionsliberale gewählt worden.
Eine vernünftige amerikanische Stimme.
Haag, 11. April. Wie der „Nieuwe Courant" aus Wa-
shington meldet, sagte Staatssekretär Colby Jour-
nalisten mit Bezug auf die deutsche Protestnote gegen den französi-
schen Vormarsch, es liege auf der Hand, daß es für diedeut-
scheRegierung unmöglichsei, Frieden und Ordnung wie-
der herzustellen, wenn jedem Versuch dazu mit ungerechtfer-
tigtem Mißtrauen entgegengetreten werde und neue llnter-
-rückungsmaßregeln die Folge seien.
Provokatorische Kontribntions - Forderungen.
Frankfurt a. M., 10. April. Dem Ober bst rger-
m e ist« r ist von dem französischen General Dem « tz, dem Kom-
mandeur der 97. Division folgendes Schreiben zugegangen: Aus
Anlaß des am 7. April aus einen französischen Soldaten erfolgten
Angriffes, in dessen Verlauf Waffen, «in Fahrrad und Aus-
rüstungsgegenständ« in Verlust geraten sind, habe ich Ihnen ener-
gisch« Nachforschungen vorgeschrieben. Ich hatte
Ihnen für die Wiederbeischaffung der oben angeführten Gegenstände
ein Frist gesetzt, die am 9. April, um 6 Uhr abends, abgelaufen war.
Die Gegenständ« sind nicht wieder beschafft worden. Infolgedessen
lege ich der Stadt Frankfurt folgende Kontribution auf: 10
Revolver oder automatische Pistolen, zu entnehmen den von den
Waffonhändlern abgelieferton Beständen, mit 50 Patronen für jede
Waffe, 10 mu« Fahrräder, Fahrradbereifung. 10 000 Mark in
Gold. Diese Kontribution ist bis zum 10. April, abends 6 Ahr,
zu entrichten . (gez.) Demetz.
Der Magistrat hat eine Belohnung von 20 000 Mk. für
die Wiedererlangung der Gegenstände ausgesetzt, da für
diesen Fall ausdrücklich zugesagt worden ist, daß di« obige Kontribu-
tion dann inFortsall kommen soll.
Frankfurt, 10. April. General Demetz hat dem Ober-
bürgermeister heute mitgeteilt, daß im Hinblick auf das ruhige Ver-
halten der Bevölkerung di« Kontributton von 10 000 Goldmark er-
lassen werde.

Politische Ueberficht.
Protest der Eisenbahner gegen die Gewaltherrschaft.
Frankfurt a. M., 10. April. Die fünf Eisenbahner-
organisationen, Gewerkschaftsbund deutscher Eisenbahn-
beamten, Gewerkschaft deutscher Lokomotivführer, Deutscher
Eisenbahnerverband, Allgemeiner Eisenbahnerverband und
Gewerkschaft deutscher Eisenbahn- und Staatsbedienstete
haben folgendes Telegramm an den Präsidenten der Eisen-
bahndirektion gerichtet mit dem Ersuchen, es an die Be-
satzungsbehörde weiter zu geben:
Die unterzeichneten Organisationen der Eisenbahn-
beamten und -Arbeiter als die gewerkschaftliche Vertretung
der organisierten Eisenbahnbeamten und -Arbeiter des Eisen-
bahndirektionsbezirk Frankfurt a. M. erheben hiermit feier-
lichen Protest gegen den ihnen heute morgen bekannt-
gegebenen Befehl, nach dem sich das gesamte Personal als
requiriert im Dienste der französischen Besatzungstruppen
zu betrachten haben. Die Eisenbahnbeamten und -Arbeiter
erklären, daß sie nur Befehle ihrer vorgesetzten
Dienstbehörde entgegenzunehmen und auszufiihren sich
verpflichtet fühlen. In der Ausführung der von der recht-
mäßigen deutschen Regierung gegebenen Weisung, Ruhe
und Ordnung zu wahren und das Unglück nicht noch mehr
zu vergrößern, werden die Eisenbahnbeamten und -Arbeiter
ihren Dienst als deutsche Eisenbahner im Interesse der Be-
völkeruug ohne Einschränkung weiter versehen. Sie
müssen es aber ablehnen, hierzu mit militärischen Macht-
mitteln einer fremden Truppe sich zwingen zu lassen und
fordern deshalb von der zuständigen Besatzungsbehörde, daß
sie diese als Requirierung bezeichnete Maßnahme zurück-
nehmen und die Eisenbahndienststellen und Gebäude von
militärischen Besatzungen befreit.
In dem Aufruf an die Bevölkerung heißt es, daß sich
die militärische Besetzung nicht gegen die arbeitsame Be-
völkerung richte. Zu der arbeitsamen Bevölkerung rechnen
sich auch die Eisenbahnbeamten und -Arbeiter, die deshalb
die Requirierung als eine besonders gegen sie gerichtete und
ihr Ehrgefühl verletzende Maßnahme empfinden. Die Or-
ganisationen erachten es für ihre Pflicht, darauf aufmerksam
zu machen, daß di« Requirierung des Eisenbahnpersonals
und ihre Unterstellung unter den Militärwillen, die Besetzung
der Dienstgebäude und Dienststellen mit bewaffneten Militär-
personen zu einer täglich sich mehrenden Unruhe und
Erbitterung der Eisenbahnerschaft Veranlassung gibt.
Die Erfüllung der gestellten Forderung ist daher unbedingt
nötig, um Ruhe und Ordnung besonders in dem lebens-
wichtigen Eisenbahnbetrieb aufrecht zu erhalten.
Die Auflösung der Einwohnerwehr.
Zum Verbot der deutschen Einwohnerwehren schreibt die „9k.
Zürcher Zeittmg" einen längeren Artikel, den wir an dieser Stell«
auszugsweise wiedergeben:
Als infolge des Waffenstillstandes ein großer Teil der deutschen
Truppen hatte nach Hause entlassen werden müssen, versuchten die An-
hänger des alten Regime, neben der noch bestehenden regulären Arme«
ein neues, halb bürgerliches Heer zu schaffen, dem gewisse Funktionen des
ehemaligen Militärs übertragen werden könnten. In den Städten und
auf dem Lande wurden „Bürger"- oder „Einwohnerwehren" gebildet, die
Aufstände verhindern und den regulären Truppen Unterstützung leihen
sollten. Die Initiative dazu ging von den obersten Führern der alten
Armee aus, bas Kommando wurde in die Hände von Reserve- oder zur
Disposition gestellten Offizieren gelegt. In Berlin erhielt z. B. jedes
Quartier seine „Wehr"; es gab eine „Einwohnerwehr Potsdamerplah",
eine „Lützowptatz" usw. Alle Whrer wurden direkt den militärischen Be-
hörden unterstellt. Im Falle von Unruhen fällt den Einwohnerwehren
die Ausgabe zu, Bahnhöfe und öffentliche Gebäude zu besetzen. Selbst-
verständlich wurden sie durchaus aus „zuverlässigen Elementen" im Sinn«
der Kresse, die bei ihrer Gründung Gevatter gestanden, zusammengesetzt.
So gehören in Berlin fast alle Studenten zu der Wehr. Für gewöhnlich
tragen die Mitglieder keine Uniform; dagegen Haden sie das Recht, einen
Revolver mit sich zu führen. , ...
Man wird sich, wenn man diese Umstände in Betracht zieht, kaum
darüber wundern, daß diese Einwohnerwehren bei dem Putsch der Kapp-
Leute sich nicht durchweg als regierungstreu erwiesen haben. In einzel-
nen Städten schlugen sie sich auf di« Selle der Ausrührer, in andern waren
sie mindestens nicht gegen die Putschisten zu verwenden.
Während bisher unseres Wissen die Alliierten niemals offiziell gegen
dies« Institution Protest eingelegt haben, ist gestern der deutschen Regie-
rung von der interalliierten Kommission eine Note überreicht worden,
wonach auch die Einwohnerwehren unter die Kategorie der militärischen
Einrichtungen fallen, die vom 10. April an aufzulösen sind.
Für die Gründe, die für die Alliierten zu diesem Schritt maß-
gebend waren, glaubt die „N. Z. Zig." annehmen zu können, daß
besonders Frankreich den geistigen Einfluß der an der Spitze stehen-
den Offiziere des Ancien regime, die den Revanchegeist lebendig zu
erhalten suchen, fürchtet. Schließlich wird noch die Ansicht vertreten:
baß verminderte Garantien gegen lokale, von links ausgehende Putsche
einem Erstarken der militärischen Organe in Deutschlind vorzuziehen sind.
Erst die Zukunft wird lehren können, ob diese Rechnung richtig ist.
Bayern gegen die Auflösung der Einwohnerwehren.
München, 9. April. (Priv.-Tel. d. Frks. Ztg.) Gegen die
Auflösung der Einwohnerwehr erheben sich in Bayern die stärksten
P r o t este. Die Kreisleitung der Einwohnerwehren von Ober-
bayern «Märt ttr «inem Telegramm an den Reichskanzler und an
den bayrischen Ministerpräsidenten die Forderung zur Zeit für voll-
kommen undurchführbar. Auch der bayrische Bürger-
bIvck erklärt, daß die Erfüllung dieses Ansinnens den völligen
Ruin des Vaterlandes besiegeln würde. Die Deuts che demo--
 
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