Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim, Eppingen, Sberbach, Mosbach, Buchen, Adelsheim, Boxberg,
Tauberbifchvfsheim und Wertheim.
Monatlich einschl. Trägerlohn Z.so Mk. Anzeigenpreise:
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M mm breit) 2.20 Mt. Lei Wiederholungen Nachlaß nach Tarif.
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postscheckkonio Karlsruhe Nr. 22Z77. Tel.-Adr.: Volkszeitung Heidelberg.
Heidelberg, Dienstag, 20. April 4920
Br. 94 * 2. Jahrgang
Verantwort!.: Für innere». äußerepolltlk,Dolkswlrtschastu.Feuilleton: Dr.
E.Kraus; für Kommunales ».soziale Rundschau: Z.Kahn; für Lokale-:
O.Gelbel; für die Anzeigen: H. Hoffmann, sämtlich in Heidelberg
Druck und Verlag der Unterbadischen Verlagsanstalt G. m. b. H., Heibelberg
Geschästsstelle: Schröderstraße 39.
Femsprecher: Anzeigen-Annahme 2673, Redaktion 2648.
Schlestens Kampf ums Recht.
Demokratie und Sozialdemokratie.
Aus Leserkreisen wird uns geschrieben:
Der soeben erschienene erste Wahlaufruf der Deutschen
Demokratischen Partei „An das deutsche Volk!" (gezeich-
net: Vorstandsvpsltzender Senator Dr. Petersen) bringt u. a. auch
eine Auseinandersetzung mit der Sozialdemokratie. Wir
lassen nachstehend die einzelnen Sätze dieser Ausführungen unter
Gänsefüßchen folgen, indem wir bei jedem dieser Sätze unsere be-
treffenden Bemerkungen dazwischenschieben:
„Der Sozialdemokratie gegenüber verstehen wir die
Republik nicht als Hoffnung auf die Vorherrschaft einerKlasse,
sondern als grundsätzlich und für immer klassenfreie Vertretung des
ganzen Volkes unter gleicher Teilnahme aller Berufe; nicht
als parteipolitische Durchdringung der gangen Staatsverwaltung,
sondern als Festlegung der politischen Grundrichtung der
Regierung und im übrigen alsAuslese der fähigsten Fach-
leute."
In dem immerhin nicht unbegrenzten Matze, in welchem Vie
Sozialdemokratie wirklich die Vorherrschaft „einer" Klasse vör-
zubereiten sucht, versteht sie darunter diejenige werteschaffende,
schaffensfreudige und ernährende Klaffe der manuellen und geistigen
Arbeiter-Bienen, die nicht nur für ihren engherzig-selbstsüchtigen
Bedarf schafft, sondern auch für die Allgemeinheit der gegenwär-
tigen und künftigen Generationen! Zu dieser sog. „e ine n" Klaffe
gehören übrigens auch schon manche fast proletarisierte Schichten
des kleinbürgerlichen Unternehmertums und, wenn die irreführende
Konkurrenz anderer Parteien nicht wäre, sollten eigentlich auch
alle solche Unternehmer zu ihr gehören, welche setzt zu Zeiten all-
gemeiner Not und Knappheit sich mit einem bescheidenen Lebens-
aufwand begnügen, ohne auf übergierige und rücksichtsloss Profit-
macherei auszugehen. Denn die Sozialdemokratie verkennt in kei-
ner Weise, datz solche Träger des Unternehmungsgeistes einen
wesentlich integrierenden und nutzbringenden Teil der geschilderten
sog. „e i n e n" Klaffe bilden! Wenn aber im Gegensatz zur
geschilderten sozialdemokratischen Auffassung der sog. „einen"
Klaffe die einfach demokratische Partei, wie oben in ihrem Auf-
rufe, die „gleiche Teilnahme" (am Verwaltungswesen) „aller
Berufe" extra betont, so kann hierunter doch nur die Einbeziehung
auch der arbeitsscheuen, übermütig stolzierenden, prassenden und
protzigen Berufe der Couponschneider-Drohnen oder ihrer bezahlten
Garden und Lakaien verstanden werden!? . . . Bedenkt man We-
sen Unterschied der sozialpolitischen Staatsauffaffungen zwischen So-
zialdemokratie und Demokratie, so wird auch begreiflich werden,
weshalb die erstere sich keineswegs mit der „Festlegung" der
der politischen Grundrichtung der Regierung" allein begnügen kann.
Denn wer soll das Recht dieser sog. „Festlegung" besitzen? Soll
diese sog. „Festlegung" etwa nur mit Zustimmung auch der Droh-
nen erfolgen? Und wozu nützt die sog. „Grundrichtung der Re-
a i e r u n g" allein, wenn „im übrigen" die sog. „Auslese der
fähigsten Fachleute" dazu führen soll, datz, wie bis auf den
heutigen Tag, in fastsäm 1 lichen Aemtern genau dieselben
bezahlten, alten und nach „Gdttesgnadentum" lechzenden Agenten
und Trabanten des revolutionären Drohnen-Regimes als angeblich
die „fähigsten Fachleute" ohne,/Auslese" verbleiben, indem sie nur
mit den Lippen (bis zum nächsten Kapp-Putsche) der bekannten For-
mel gleichsam zunicken, die da lautet: „auf dem Boden der beste-
henden Tatsachen"? .... Wenn nämlich Kapp Erfolg haben
sollte, so würde ja auch sein Regime den sogen. „Boden der b e -
stehenden Tatsachen" bilden. Ist denn nicht das Hvrty-Regime
in Ungarn der dortige sogen. „Baden der bestehenden Tat-
sachen"!? ....
Des weiteren sagt der Aufruf der Demokraten: „Die A r -
beit nehmer „müssen ihr volles soziales, politisches und wirt-
schaftliches Recht erhalten, „nicht weniger, aber auch nicht
mehr. Wir wollen und dulden keine „kapitalistis che Aus-
beutung; aber wir wollen auch keine Diktatur oder Neben-
regierung einer Berufsschicht, sei sie noch so bedeutend. Unsere
Partei steht und fällt mit dem reinen demokratischen Gedanken."
Die Sozialdemokratie weiß, daß der Begriff „Arbeit-N e h -
m e r" auch denjenigen von Arbeit-G eber voraussetzt. Sie glaubt
aber, daß das Recht auf ernährende und die Allgemeinheit nutz-
bringende Arbeit jedem Menschen zusteht; so datz es keinen
Menschen geben darf, in besten willkürlichem Ermessen es stünde,
Arbeit zu „geben" oder nicht; bzw. die Gelegenheit zum Arbeiten
nur unter den ihm persönlich passenden Bedingungen zu „geben"!..
Zur durchgreifenden Beseitigung dieses Uebels (U n rechts! . . .) sicht
die Sozialdemokratie imr das Mittel der Herbeiführung eines Wirt-
schaftszustandes, bei welchem derfür dieAllgemein-
heitArbeilende (die Biene) n ur v o n d e r All g e m e i n-
heit (vom Bienenstock als solchem), d. h. also gleichsam von sich
selbst (bzw. von seiner Klasse) die G el ege n h e it u. die B e-
dingungen zum Arbeiten „nehmen" würde. Mit
anderen Worten: der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer hätten in
der Person (Instanz) der Allgemeinheit (Gesellschaft oder Staat)
zusammenzuschmelzen. Hierbei soll natürlich auch der im Lebens-
aufwand bescheidene Unternehmer ebenfalls als Arbeitnehmer
der Allgemeinheit gegenüber gestellt sein, bezw. von dieser die seinen
Verhältnissen entsprechenden, qualifizierten Bedingungen
seiner Untevnchmungs -Arbeit erhalten. Diesen, einstweilen
louch wegen des Widerstands der Demokraten) unerreichten Wirt-
schaflszustand nennt die 'Sozialdemokratie: Vergesellschafklichung der
Produktionsmittel oder die sogen. „Sozialisierung." Durch dieses
Mitte! hofft die Sozialdemokratie die „kapitalistische Ausbeutung"
tatsächlich und automatisch wirksamer zu vereiteln, als mit der
Phrase des demokratischen Ausruss, in welchem die Demokraten nur
wii Worten, und ohne hierzu die Mittel auzugeben, halb vair halb
Der Kampf um das Deutschtum tu Schlesien.
Dar Betriebsrätegesetz tritt in Kraft.
Breslau, 18. April. In der Streikangelegenheit ist heute
die Entscheidung gefallen. Die Streikleitung sandle
an die Zementarbeiter ein Telegramm mit der Aufforderung, aus-
zuharren. Morgen werden die Gruben- und Hütten-
arbeiter in den Streik treten. Der Bund der technisch-
industriellen Beamten werden sich ebenfalls anfchlietzen.
Die kaufmännischen Angestellten werden morgen be-
raten, ob sie in den Streik treten werden. Sie werden wahrschein-
lich auf Dienstag die Arbeit niederlegen. Die Franzosen drohten
den Eisenbahnern, falls sie den Eisenbahnbetrieb stillegen sollten,
die Grenzen zu öffnen und die polnischen Truppen hereinzulaffen.
Es stehen tatsächlich starke polnische Heeresmassen an der Grenze
von Posen nach Galizien. Dis Polnische Berufsvereinigung, die
den polnischen Mittelstand vertritt und in der Korfanty Führer
war, wendet sich von der polnischen Politik ab und steht geschlos-
sen hinter den Deutschen. Das entschlossene Auftreten
der Arbeiter hatte insofern schon Erfolg, als der französische Kom-
mandant die Offiziere, die sich an der Mißhandlung beteiligt haben,
veranlaßte, sich zu entschuldigen. Es wurden den Mißhandelten
ein Schmerzensgeld von 1000 bzw. 3VV0 Mk. gewahrt.
Breslau, 19. April. Die Interalliierte Regierungs- und
Plebiszttkommission in Oppeln veröffentlicht dem Ostdeutschen Nach-
richtendienst zufolge folgende amtliche Bekanntmachung: In einigen
Zeitungen wurde in den letzten Tagen das Gerücht verbreitet, datz
die Internationale Regierungs- und Plebiszitkommission für Ober-
schlesien beschlossen habe, das Inkrafttreten des Betriebsräte-
gesetzes zu verhindern. Dies ist nicht der Fall. Soweit diese
Frage erörtert wurde, widmete sich die Interalliierte Regierungs-
unb PiobMtkomnMivn, ohne dafür oder.dawider Stallung zu neh-
men. Sie gab nur die Erklärung ab, daß sie erst nachgenauer
ll nters uchung in der Lage sein werde, einen Entschluß für die
eine oder andere Frage zu finden. Die Interalliierte Kommission
desäfloß jetzt, daß das Betriebsrätegesetz in Kraft zu
treten hat. Der Termin für die bezüglichen Wahlen ist noch
nicht festgesetzt.
Die Zusammensetzung des Reichswirt-
schaftsrats.
Berlin, 19. April. Der Volkswirtschafts a u s-
schuß der Nationalversammlung schloß sich heute 'den
beendeten Beratungen über den Entwurf betr. den vorbereitenden
Reichswirtschaftsrat einschließlich des Unteraus-
schusses an. Danach wird der vorbereitende Reichswirtschafts-
rat sich wie folgt zusammensetzen. Er besteht aus 326 Mitgliedern
und zwar aus 68 Vertretern der Land- und Forstwirtschaft, 6 Ver-
tretern der Gärtnerei und Fischerei, 38 Vertretern der Industrie,
34 Vertretern des Handels, der Banken und de sVersicherungs-
wesens, 34 Vertretern des Verkehrs und der öffentlichen Unterneh-
mungen, 36 Vertretern des Handwerks, 30 Vertretern der 'Ver-
brauchswirtfchaft, 16 Bertretern der Beamtenschaft und freien Be-
rufe, 12 Vertretern der mit dem Wirtschaftsleben der einzelnen
Landesteile besonders vertrauten Persönlichkeiten, die vom Reichs-
rat zu ernennen sirnd, 18 von der Reichsregierung nach freiem Er-
messen zu ernennenden Persönlichkeiten, die durch besondere Leistun-
gen die Wirtschaft des deutschen Volkes besonders gefördert haben
oder zu deren Förderung besonders geeignet sind.
Die Konferenz in San Remo.
San Remo, 19. April. Der Oberste Rat der Friedens-
konferenz beschloß heute vormittag, die Delegation der türkischen
Regierung auf den 10. Mai d. I. zur Entgegennahme des Äer-
tragstextes nach Paris zu berufen. Heute nachmittag prüfte der
Rat den Entwurf einer Antwortnote auf die Note des Präsidenten
Wilson in der ottomanischen Frage. Dann schritt er zur Prüfung
der finanziellen Klauseln, um schließlich noch über die kurdistanische
Frage zu verhandelt
Verschärfung des amerikanischen
Eifenbahnerstreiks.
Haag, 19. April. Aus Washington wird gemeldet, daß die
Eisenbahner neben den ursprünglichen Forderungen noch weitere
erhoben haben. Die Hoffnung auf eine baldige Beilegung des
Konflikts ist aufgegeben. Auf den östlichen Bahnen hat sich die
Verkehrslage etwas gebessert.
Erzberger vom Zentrum kaltgestellt.
Laut „Berl. Tagebl." verlautet, daß der Reichsausschuß des
Zentrums sich gestern mit überwiegender Mehrheit gegen eine Kan-
didatur Erzbergers ausgesprochen habe.
Zurückziehung der französischen Truppen.
Der „Matin" meldet aus Frankfurt a. M.: Die französischen
Truppen, die die Zone besetzt haben, die sich vom Brückenkopf von
Mainz ausdehne, sei zurückgezogen worden. Es verblieben
nur einige Dragoner in Hana u. Uebcrall entdecke man
Anzeichen dafür, daß die Franzosen ihren Rückz u g vorbe-
reiteten und sic nicht mit einer längeren Besetzung
rechneten.
diplomatisch erklären, sie „wollen und dulden leine kapitalistische
Ausbeutung". Dem» die bisherige Kulturgeschichte lehrt zur Ge-
nüge, daß mit derartig phrasenartigen guten Absichten auch die
Hölle gepflastert ist! . . . Bedenkt man diesen Unterschied zwischen
leeren Versprechungen und Anftrebung praktisch wirksamer Mittel,
so wird auch begreiflich, weshalb die Herren Demokraten „keine
Nebenregierung wollen." Hiermit wirb nämlich auf den
Einfluß der Gewerkschaften geschielt; denn deren sogen. „Dikta-
tur" (?) könnte am Ende noch zwingen, von den guten Absichten der
Höllenpflasterung zu wirksamen Ausführungen der diplomati-
schen (wahltechmschen) Versprechungen zu übergehen. Die demo-
kratische „Partei steht und fällt" nämlich „mit dem reine n" (d. h.
soziallosen) „Gedanken"! ....
Sollte irgend ein naiver Wähler der vollständigen
Soziallosigkeit des „demokratischen" Gedankens noch irgend welchen
Zweifel hegen, so-wird er im Aufrufe noch durch folgenden Passus
ernüchtert, den wir wegen seiner diesbezüglichen Klarheit auch ohne
Kommentar (bezw. nur mit kurzen, eingeklammerten Notizen) wie-
dergeben: ,-Alle wirtschaftliche Hebung des Arbeiterstandes durch
Löhne oder 'Staatshilfe ist abhängig von der Ertragsfähigkeit der
deutschen Volkswirtschaft." (Bisher ist alles richtig:
man sieht noch nicht, wohin die Reise geht?) „Diese Ertrags-
fähigkeit der deutschen Volkswirtschaft beruht auf der freien"
(soziallvsen? . . .) „Entfaltung persönlicher Tüchtigkeit
und schöpferischen Unternchmungsgeistes." (Sollte unter der sogen.
Entfaltung der Ertragsfähigkeit des Unternehmungsgeistes
etwa der Profit 'des Unternehmers gemeint sein?? . .- .) „Im
Interesse de --wirtschaftlichen Gedeihens des ganzen (Profitmacher
irwcgriffen) Volkes lehnen wir jede Wirtschaftsform ab, die diese
(Profit-Unternehmer) wesentlichen Kräfte des Aufstiegs bureau-
kratisch (staatliche Ueberwachung) eineng t." (Die Profitmacher
sollen also uneingeschränkt schalten und walten!) „Die Wirtschaft
kann nur Mund bleiben, wenn für Unternehmer, Angestellte und
Arbeiter (diese kommen natürlich zuletzt . . .) lm Ertrag und wirt-
schaftlichen Erfolg der Arbeit T ü ch tigke i t, Fl e i ß und über-
legene Fähigkeiten (von wem diplomiert? . . . Oder soll
einfach die Höhe des Profits entscheiden? ...) sich belohnt sehen."
Moral: P«Gtmacher, Koupon-Schneider, Drohnen und gleich-
wertige Kategorien aller Sorten! Hinein in die Demokratische Par-
tei! Ihr seid dort mindestens ebensogut im Abrahams Schoß
wie bei den Nationalliberalen, Deutschnationalen, Kappisten, rechten
Flügel des Zentrums usw. Glückliche Reise!
Sapientisat.
Politische Uebersicht
Das neue Reichstagswahlrecht.
8t. Berlin, 19. April. 1920.
Die Nationalversammlung ist an der Arbeit, um das Wahl-
gesetz, nach dem am 6. Juni (?) der erste Reichstag der Deutschen
Republik gewählt werden soll, fertig zu stellen. Der Ausschuß hak
seine Beratungen abgeschlossen, und es ist zu erwarten, datz die Na-
tionalversammlung seine Beschlüsse ohne wesentliche Aenderungen
annehmen wird.
Der Rahmen des Reichstagswahlgesetzes ist vvrgeschrieben
durch die Verfassung vom 11. August, die bestimmt, daß alle über
20 Jahre alten Reichsangehörigen ohne Unterschieb des Geschlechts
mit gleichem Recht in direkter und geheimer Abstimmung teilnehmen
dürfen, und daß diese Wahlen nach dem Verhältniswahlsystem zu
erfolgen haben. Die Verfassung hat dainit die Grundsätze über-
nommen, die von den sozialdemokratischen Volksbeaustragten im
Revvlutionswinter 1918—19 ausgestellt worden sind. Diese Grund-
sätze sind nun nach menschlichem Ermessen für alle Zeiten in der
Verfassung verankert und bleiben ein Dokument der Rechtschaffen-
heit und der Treue zu ihrem Programm, mit der die sozialdemokrati-
schen Volksbeaustragten unter Zustimmung der erdrückenden Mehr-
heit der Arbeiterklasse zu Werke gegangen sind. Wenn der soeben
erschienene Wahlaufruf der bürgerlichen Demokraten, gegen die So-
zialdemokratie polemisierend bemerkt, die demokratische Partei wolle
keine Diktatur einer Berufsschicht, sie stehe und falle mit dem reinen
demokratischen Gedanken, so wird der darin liegende Vorwurf gegen
die Sozialdemokratie durch die Tat der Sozialdemokratie widerlegt.
Die Verfassung gibt der Gesetzgebung hinsichtlich der Ausgestal-
tung des Wahlrechts Freiheit nur in zweierlei Richtung, nämlich
in Bezug auf die Bildung der Wahlkreise und die Art der Ausfüh-
rung des Verhältniswahlsystems. Auch hier gibt es schon ein Vor-
bild in der erwähnten Verordnung der Volksbeauftragten für die
Wahlen zur Nationalversammlung. Es galt also nur, die Erfah-
rungen der Ianuarwahlen des Vorjahres sich zunutze zu machen und
aus ihnen die nötige Lehre zu ziehen.
Ursprünglich bestand die Absicht, die großen Wahlkreise, dre
durch jene Verordnung geschaffen worden sind, in kleinere zu zer-
legen. Die Verkleinerung der Wahlkreise hat den Vorteil, daß
Wähler und Gewählte in ein engeres Verhältnis zueinander ge-
bracht worden und der Einfluß der großen Parteizentralen auf die
Aufstellung der Kandidatenliste verringert wird. Man kam jedoch
von der ursprünglichen Absicht Widder ab, da sowohl die öffentliche
Verwaltung wie auch die Parteiorganisationen aus die alten großen
Wahlkreise eingestellt sind und eine Umstellung bei der Kürze der
gegebenen Zeit unmöglich ist. , „ . ,
So blieb die Ausgestaltung des Verhältniswahlsystems die ein-
zige Aufgabe, an der sich zu üben der Gesetzgebung übrig blieb Bei
den Ianuarwahlen von 1919 hatten wir von einander unabhängige
Wahlkreise und innerhalb dieser die Listenverbindung. Die 'verschie-
denen Parteien konnten miteinander Abkommen wonaä,
die verbleibenden Reststimme«, die für die Wahi eure-, weiteren Ab-
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Demokratie und Sozialdemokratie.
Aus Leserkreisen wird uns geschrieben:
Der soeben erschienene erste Wahlaufruf der Deutschen
Demokratischen Partei „An das deutsche Volk!" (gezeich-
net: Vorstandsvpsltzender Senator Dr. Petersen) bringt u. a. auch
eine Auseinandersetzung mit der Sozialdemokratie. Wir
lassen nachstehend die einzelnen Sätze dieser Ausführungen unter
Gänsefüßchen folgen, indem wir bei jedem dieser Sätze unsere be-
treffenden Bemerkungen dazwischenschieben:
„Der Sozialdemokratie gegenüber verstehen wir die
Republik nicht als Hoffnung auf die Vorherrschaft einerKlasse,
sondern als grundsätzlich und für immer klassenfreie Vertretung des
ganzen Volkes unter gleicher Teilnahme aller Berufe; nicht
als parteipolitische Durchdringung der gangen Staatsverwaltung,
sondern als Festlegung der politischen Grundrichtung der
Regierung und im übrigen alsAuslese der fähigsten Fach-
leute."
In dem immerhin nicht unbegrenzten Matze, in welchem Vie
Sozialdemokratie wirklich die Vorherrschaft „einer" Klasse vör-
zubereiten sucht, versteht sie darunter diejenige werteschaffende,
schaffensfreudige und ernährende Klaffe der manuellen und geistigen
Arbeiter-Bienen, die nicht nur für ihren engherzig-selbstsüchtigen
Bedarf schafft, sondern auch für die Allgemeinheit der gegenwär-
tigen und künftigen Generationen! Zu dieser sog. „e ine n" Klaffe
gehören übrigens auch schon manche fast proletarisierte Schichten
des kleinbürgerlichen Unternehmertums und, wenn die irreführende
Konkurrenz anderer Parteien nicht wäre, sollten eigentlich auch
alle solche Unternehmer zu ihr gehören, welche setzt zu Zeiten all-
gemeiner Not und Knappheit sich mit einem bescheidenen Lebens-
aufwand begnügen, ohne auf übergierige und rücksichtsloss Profit-
macherei auszugehen. Denn die Sozialdemokratie verkennt in kei-
ner Weise, datz solche Träger des Unternehmungsgeistes einen
wesentlich integrierenden und nutzbringenden Teil der geschilderten
sog. „e i n e n" Klaffe bilden! Wenn aber im Gegensatz zur
geschilderten sozialdemokratischen Auffassung der sog. „einen"
Klaffe die einfach demokratische Partei, wie oben in ihrem Auf-
rufe, die „gleiche Teilnahme" (am Verwaltungswesen) „aller
Berufe" extra betont, so kann hierunter doch nur die Einbeziehung
auch der arbeitsscheuen, übermütig stolzierenden, prassenden und
protzigen Berufe der Couponschneider-Drohnen oder ihrer bezahlten
Garden und Lakaien verstanden werden!? . . . Bedenkt man We-
sen Unterschied der sozialpolitischen Staatsauffaffungen zwischen So-
zialdemokratie und Demokratie, so wird auch begreiflich werden,
weshalb die erstere sich keineswegs mit der „Festlegung" der
der politischen Grundrichtung der Regierung" allein begnügen kann.
Denn wer soll das Recht dieser sog. „Festlegung" besitzen? Soll
diese sog. „Festlegung" etwa nur mit Zustimmung auch der Droh-
nen erfolgen? Und wozu nützt die sog. „Grundrichtung der Re-
a i e r u n g" allein, wenn „im übrigen" die sog. „Auslese der
fähigsten Fachleute" dazu führen soll, datz, wie bis auf den
heutigen Tag, in fastsäm 1 lichen Aemtern genau dieselben
bezahlten, alten und nach „Gdttesgnadentum" lechzenden Agenten
und Trabanten des revolutionären Drohnen-Regimes als angeblich
die „fähigsten Fachleute" ohne,/Auslese" verbleiben, indem sie nur
mit den Lippen (bis zum nächsten Kapp-Putsche) der bekannten For-
mel gleichsam zunicken, die da lautet: „auf dem Boden der beste-
henden Tatsachen"? .... Wenn nämlich Kapp Erfolg haben
sollte, so würde ja auch sein Regime den sogen. „Boden der b e -
stehenden Tatsachen" bilden. Ist denn nicht das Hvrty-Regime
in Ungarn der dortige sogen. „Baden der bestehenden Tat-
sachen"!? ....
Des weiteren sagt der Aufruf der Demokraten: „Die A r -
beit nehmer „müssen ihr volles soziales, politisches und wirt-
schaftliches Recht erhalten, „nicht weniger, aber auch nicht
mehr. Wir wollen und dulden keine „kapitalistis che Aus-
beutung; aber wir wollen auch keine Diktatur oder Neben-
regierung einer Berufsschicht, sei sie noch so bedeutend. Unsere
Partei steht und fällt mit dem reinen demokratischen Gedanken."
Die Sozialdemokratie weiß, daß der Begriff „Arbeit-N e h -
m e r" auch denjenigen von Arbeit-G eber voraussetzt. Sie glaubt
aber, daß das Recht auf ernährende und die Allgemeinheit nutz-
bringende Arbeit jedem Menschen zusteht; so datz es keinen
Menschen geben darf, in besten willkürlichem Ermessen es stünde,
Arbeit zu „geben" oder nicht; bzw. die Gelegenheit zum Arbeiten
nur unter den ihm persönlich passenden Bedingungen zu „geben"!..
Zur durchgreifenden Beseitigung dieses Uebels (U n rechts! . . .) sicht
die Sozialdemokratie imr das Mittel der Herbeiführung eines Wirt-
schaftszustandes, bei welchem derfür dieAllgemein-
heitArbeilende (die Biene) n ur v o n d e r All g e m e i n-
heit (vom Bienenstock als solchem), d. h. also gleichsam von sich
selbst (bzw. von seiner Klasse) die G el ege n h e it u. die B e-
dingungen zum Arbeiten „nehmen" würde. Mit
anderen Worten: der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer hätten in
der Person (Instanz) der Allgemeinheit (Gesellschaft oder Staat)
zusammenzuschmelzen. Hierbei soll natürlich auch der im Lebens-
aufwand bescheidene Unternehmer ebenfalls als Arbeitnehmer
der Allgemeinheit gegenüber gestellt sein, bezw. von dieser die seinen
Verhältnissen entsprechenden, qualifizierten Bedingungen
seiner Untevnchmungs -Arbeit erhalten. Diesen, einstweilen
louch wegen des Widerstands der Demokraten) unerreichten Wirt-
schaflszustand nennt die 'Sozialdemokratie: Vergesellschafklichung der
Produktionsmittel oder die sogen. „Sozialisierung." Durch dieses
Mitte! hofft die Sozialdemokratie die „kapitalistische Ausbeutung"
tatsächlich und automatisch wirksamer zu vereiteln, als mit der
Phrase des demokratischen Ausruss, in welchem die Demokraten nur
wii Worten, und ohne hierzu die Mittel auzugeben, halb vair halb
Der Kampf um das Deutschtum tu Schlesien.
Dar Betriebsrätegesetz tritt in Kraft.
Breslau, 18. April. In der Streikangelegenheit ist heute
die Entscheidung gefallen. Die Streikleitung sandle
an die Zementarbeiter ein Telegramm mit der Aufforderung, aus-
zuharren. Morgen werden die Gruben- und Hütten-
arbeiter in den Streik treten. Der Bund der technisch-
industriellen Beamten werden sich ebenfalls anfchlietzen.
Die kaufmännischen Angestellten werden morgen be-
raten, ob sie in den Streik treten werden. Sie werden wahrschein-
lich auf Dienstag die Arbeit niederlegen. Die Franzosen drohten
den Eisenbahnern, falls sie den Eisenbahnbetrieb stillegen sollten,
die Grenzen zu öffnen und die polnischen Truppen hereinzulaffen.
Es stehen tatsächlich starke polnische Heeresmassen an der Grenze
von Posen nach Galizien. Dis Polnische Berufsvereinigung, die
den polnischen Mittelstand vertritt und in der Korfanty Führer
war, wendet sich von der polnischen Politik ab und steht geschlos-
sen hinter den Deutschen. Das entschlossene Auftreten
der Arbeiter hatte insofern schon Erfolg, als der französische Kom-
mandant die Offiziere, die sich an der Mißhandlung beteiligt haben,
veranlaßte, sich zu entschuldigen. Es wurden den Mißhandelten
ein Schmerzensgeld von 1000 bzw. 3VV0 Mk. gewahrt.
Breslau, 19. April. Die Interalliierte Regierungs- und
Plebiszttkommission in Oppeln veröffentlicht dem Ostdeutschen Nach-
richtendienst zufolge folgende amtliche Bekanntmachung: In einigen
Zeitungen wurde in den letzten Tagen das Gerücht verbreitet, datz
die Internationale Regierungs- und Plebiszitkommission für Ober-
schlesien beschlossen habe, das Inkrafttreten des Betriebsräte-
gesetzes zu verhindern. Dies ist nicht der Fall. Soweit diese
Frage erörtert wurde, widmete sich die Interalliierte Regierungs-
unb PiobMtkomnMivn, ohne dafür oder.dawider Stallung zu neh-
men. Sie gab nur die Erklärung ab, daß sie erst nachgenauer
ll nters uchung in der Lage sein werde, einen Entschluß für die
eine oder andere Frage zu finden. Die Interalliierte Kommission
desäfloß jetzt, daß das Betriebsrätegesetz in Kraft zu
treten hat. Der Termin für die bezüglichen Wahlen ist noch
nicht festgesetzt.
Die Zusammensetzung des Reichswirt-
schaftsrats.
Berlin, 19. April. Der Volkswirtschafts a u s-
schuß der Nationalversammlung schloß sich heute 'den
beendeten Beratungen über den Entwurf betr. den vorbereitenden
Reichswirtschaftsrat einschließlich des Unteraus-
schusses an. Danach wird der vorbereitende Reichswirtschafts-
rat sich wie folgt zusammensetzen. Er besteht aus 326 Mitgliedern
und zwar aus 68 Vertretern der Land- und Forstwirtschaft, 6 Ver-
tretern der Gärtnerei und Fischerei, 38 Vertretern der Industrie,
34 Vertretern des Handels, der Banken und de sVersicherungs-
wesens, 34 Vertretern des Verkehrs und der öffentlichen Unterneh-
mungen, 36 Vertretern des Handwerks, 30 Vertretern der 'Ver-
brauchswirtfchaft, 16 Bertretern der Beamtenschaft und freien Be-
rufe, 12 Vertretern der mit dem Wirtschaftsleben der einzelnen
Landesteile besonders vertrauten Persönlichkeiten, die vom Reichs-
rat zu ernennen sirnd, 18 von der Reichsregierung nach freiem Er-
messen zu ernennenden Persönlichkeiten, die durch besondere Leistun-
gen die Wirtschaft des deutschen Volkes besonders gefördert haben
oder zu deren Förderung besonders geeignet sind.
Die Konferenz in San Remo.
San Remo, 19. April. Der Oberste Rat der Friedens-
konferenz beschloß heute vormittag, die Delegation der türkischen
Regierung auf den 10. Mai d. I. zur Entgegennahme des Äer-
tragstextes nach Paris zu berufen. Heute nachmittag prüfte der
Rat den Entwurf einer Antwortnote auf die Note des Präsidenten
Wilson in der ottomanischen Frage. Dann schritt er zur Prüfung
der finanziellen Klauseln, um schließlich noch über die kurdistanische
Frage zu verhandelt
Verschärfung des amerikanischen
Eifenbahnerstreiks.
Haag, 19. April. Aus Washington wird gemeldet, daß die
Eisenbahner neben den ursprünglichen Forderungen noch weitere
erhoben haben. Die Hoffnung auf eine baldige Beilegung des
Konflikts ist aufgegeben. Auf den östlichen Bahnen hat sich die
Verkehrslage etwas gebessert.
Erzberger vom Zentrum kaltgestellt.
Laut „Berl. Tagebl." verlautet, daß der Reichsausschuß des
Zentrums sich gestern mit überwiegender Mehrheit gegen eine Kan-
didatur Erzbergers ausgesprochen habe.
Zurückziehung der französischen Truppen.
Der „Matin" meldet aus Frankfurt a. M.: Die französischen
Truppen, die die Zone besetzt haben, die sich vom Brückenkopf von
Mainz ausdehne, sei zurückgezogen worden. Es verblieben
nur einige Dragoner in Hana u. Uebcrall entdecke man
Anzeichen dafür, daß die Franzosen ihren Rückz u g vorbe-
reiteten und sic nicht mit einer längeren Besetzung
rechneten.
diplomatisch erklären, sie „wollen und dulden leine kapitalistische
Ausbeutung". Dem» die bisherige Kulturgeschichte lehrt zur Ge-
nüge, daß mit derartig phrasenartigen guten Absichten auch die
Hölle gepflastert ist! . . . Bedenkt man diesen Unterschied zwischen
leeren Versprechungen und Anftrebung praktisch wirksamer Mittel,
so wird auch begreiflich, weshalb die Herren Demokraten „keine
Nebenregierung wollen." Hiermit wirb nämlich auf den
Einfluß der Gewerkschaften geschielt; denn deren sogen. „Dikta-
tur" (?) könnte am Ende noch zwingen, von den guten Absichten der
Höllenpflasterung zu wirksamen Ausführungen der diplomati-
schen (wahltechmschen) Versprechungen zu übergehen. Die demo-
kratische „Partei steht und fällt" nämlich „mit dem reine n" (d. h.
soziallosen) „Gedanken"! ....
Sollte irgend ein naiver Wähler der vollständigen
Soziallosigkeit des „demokratischen" Gedankens noch irgend welchen
Zweifel hegen, so-wird er im Aufrufe noch durch folgenden Passus
ernüchtert, den wir wegen seiner diesbezüglichen Klarheit auch ohne
Kommentar (bezw. nur mit kurzen, eingeklammerten Notizen) wie-
dergeben: ,-Alle wirtschaftliche Hebung des Arbeiterstandes durch
Löhne oder 'Staatshilfe ist abhängig von der Ertragsfähigkeit der
deutschen Volkswirtschaft." (Bisher ist alles richtig:
man sieht noch nicht, wohin die Reise geht?) „Diese Ertrags-
fähigkeit der deutschen Volkswirtschaft beruht auf der freien"
(soziallvsen? . . .) „Entfaltung persönlicher Tüchtigkeit
und schöpferischen Unternchmungsgeistes." (Sollte unter der sogen.
Entfaltung der Ertragsfähigkeit des Unternehmungsgeistes
etwa der Profit 'des Unternehmers gemeint sein?? . .- .) „Im
Interesse de --wirtschaftlichen Gedeihens des ganzen (Profitmacher
irwcgriffen) Volkes lehnen wir jede Wirtschaftsform ab, die diese
(Profit-Unternehmer) wesentlichen Kräfte des Aufstiegs bureau-
kratisch (staatliche Ueberwachung) eineng t." (Die Profitmacher
sollen also uneingeschränkt schalten und walten!) „Die Wirtschaft
kann nur Mund bleiben, wenn für Unternehmer, Angestellte und
Arbeiter (diese kommen natürlich zuletzt . . .) lm Ertrag und wirt-
schaftlichen Erfolg der Arbeit T ü ch tigke i t, Fl e i ß und über-
legene Fähigkeiten (von wem diplomiert? . . . Oder soll
einfach die Höhe des Profits entscheiden? ...) sich belohnt sehen."
Moral: P«Gtmacher, Koupon-Schneider, Drohnen und gleich-
wertige Kategorien aller Sorten! Hinein in die Demokratische Par-
tei! Ihr seid dort mindestens ebensogut im Abrahams Schoß
wie bei den Nationalliberalen, Deutschnationalen, Kappisten, rechten
Flügel des Zentrums usw. Glückliche Reise!
Sapientisat.
Politische Uebersicht
Das neue Reichstagswahlrecht.
8t. Berlin, 19. April. 1920.
Die Nationalversammlung ist an der Arbeit, um das Wahl-
gesetz, nach dem am 6. Juni (?) der erste Reichstag der Deutschen
Republik gewählt werden soll, fertig zu stellen. Der Ausschuß hak
seine Beratungen abgeschlossen, und es ist zu erwarten, datz die Na-
tionalversammlung seine Beschlüsse ohne wesentliche Aenderungen
annehmen wird.
Der Rahmen des Reichstagswahlgesetzes ist vvrgeschrieben
durch die Verfassung vom 11. August, die bestimmt, daß alle über
20 Jahre alten Reichsangehörigen ohne Unterschieb des Geschlechts
mit gleichem Recht in direkter und geheimer Abstimmung teilnehmen
dürfen, und daß diese Wahlen nach dem Verhältniswahlsystem zu
erfolgen haben. Die Verfassung hat dainit die Grundsätze über-
nommen, die von den sozialdemokratischen Volksbeaustragten im
Revvlutionswinter 1918—19 ausgestellt worden sind. Diese Grund-
sätze sind nun nach menschlichem Ermessen für alle Zeiten in der
Verfassung verankert und bleiben ein Dokument der Rechtschaffen-
heit und der Treue zu ihrem Programm, mit der die sozialdemokrati-
schen Volksbeaustragten unter Zustimmung der erdrückenden Mehr-
heit der Arbeiterklasse zu Werke gegangen sind. Wenn der soeben
erschienene Wahlaufruf der bürgerlichen Demokraten, gegen die So-
zialdemokratie polemisierend bemerkt, die demokratische Partei wolle
keine Diktatur einer Berufsschicht, sie stehe und falle mit dem reinen
demokratischen Gedanken, so wird der darin liegende Vorwurf gegen
die Sozialdemokratie durch die Tat der Sozialdemokratie widerlegt.
Die Verfassung gibt der Gesetzgebung hinsichtlich der Ausgestal-
tung des Wahlrechts Freiheit nur in zweierlei Richtung, nämlich
in Bezug auf die Bildung der Wahlkreise und die Art der Ausfüh-
rung des Verhältniswahlsystems. Auch hier gibt es schon ein Vor-
bild in der erwähnten Verordnung der Volksbeauftragten für die
Wahlen zur Nationalversammlung. Es galt also nur, die Erfah-
rungen der Ianuarwahlen des Vorjahres sich zunutze zu machen und
aus ihnen die nötige Lehre zu ziehen.
Ursprünglich bestand die Absicht, die großen Wahlkreise, dre
durch jene Verordnung geschaffen worden sind, in kleinere zu zer-
legen. Die Verkleinerung der Wahlkreise hat den Vorteil, daß
Wähler und Gewählte in ein engeres Verhältnis zueinander ge-
bracht worden und der Einfluß der großen Parteizentralen auf die
Aufstellung der Kandidatenliste verringert wird. Man kam jedoch
von der ursprünglichen Absicht Widder ab, da sowohl die öffentliche
Verwaltung wie auch die Parteiorganisationen aus die alten großen
Wahlkreise eingestellt sind und eine Umstellung bei der Kürze der
gegebenen Zeit unmöglich ist. , „ . ,
So blieb die Ausgestaltung des Verhältniswahlsystems die ein-
zige Aufgabe, an der sich zu üben der Gesetzgebung übrig blieb Bei
den Ianuarwahlen von 1919 hatten wir von einander unabhängige
Wahlkreise und innerhalb dieser die Listenverbindung. Die 'verschie-
denen Parteien konnten miteinander Abkommen wonaä,
die verbleibenden Reststimme«, die für die Wahi eure-, weiteren Ab-