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Heidelberg, Gamsiag, 24 Februar 482V
Nr. 44 * 2. Jahrgang
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Politische Übersicht.
s, Z»r Lage der Kriegsgefangenen in Seinen und Turkestan.
Nach einem Bericht aus England.
Der Friedensvertrag ist von den meisten Ländern ratifiziert.
Seine Verordnungen sind in Kraft getreten. Der Friede also her-
gestellt. Ader noch häuft Tag für Tag Leid auf Leid, überall wo-
hin wir blicken. Das Los der Kriegsgefangenen ist vielleicht das
traurigste. Noch warten Abertausende von ihnen aus die Stunde
ihrer Heimkehr, den Tag der Erlösung.
Mit bewundernswerter Kühnheit, mit beispiellosem Mut setzten
Frauen und Männer in den-Ententeländern erneut ihre ganze Macht
ein für Recht und Gerechtigkeit. Wieder sind es neden Menschen-
freunden in den neutralen Ländern englische Frauen, die —
wie kürzlich bereits bei der Hilfsaktion für die in der der Zentral-
mächte in großzügiger Weise die Initiative ergriffen haben im
Pionierdienst für den Gedanken der Menschlichkeit, die nicht ab-
lassen, immer von neuem an das Gewissen ihrer Regierungen zu
appellieren, sie an ihre Pflicht zu erinnern, an ihre Menschenpflicht
und an ihre Rechtspflicht: fordert doch Art. 160—162 des Vertra-
ges von St. Germain die Einsetzung einer Kommission, deren Auf-
gabe es sein soll, die Frage der Heimbeförderung der Kriegsgefan-
genen zu erledigen. Unter Zugrundelegung gewissenhaft geprüften
Materials hat die Womens International League for Peace and
Freedom (Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit)
Englands soeben in einer grossen Kundgebung eine dringliche Auf-
forderung an ihre Regierung gerichtet „für Heimtransport der
Kriegsgefangenen alle ihr zu Gebote stehenden Mittel mit allem
Nachdruck einzusetzen." Denn Eile tut not. Die Verhältnisse in
den Gefangenenlagern in Sibirien und Turkestan besonders find
furchtbar. Nach Feststellungen dorthin entsandter Vertreter des
Dänischen, Schwedischen und Norwegischen Roten Kreuzes, deren
Angaben von der Vorsitzenden der Womens International League
zusammengestellt wurden, befinden sich zur Zeit noch 200 000
Tschecho-Slowaken, Oesterreicher und ungar. Polen und Rumänen
in Sibirien (außch: 30 000 tschechoslowakischen Legionären, die bei
Wladiwostok zurückgehalten werden) und 40 000 in Turkestan. Viele
dieser in Sibirien Gefangenen sind bereits seit 1914 dort. Alle Be-
mühungen, sie nach dem Frieden von Brest-Litowsi zu befreien, wa-
ren vergeblich. Vergeblich waren nach dem Waffenstillstand von
1916 alle Versuche der tschecho-slvwakischen,österreichischen und un-
garischen Regierungen, des internationalen und skandinavischen
Roten Kreuzes, der X. M. C. A. in Amerika (einer Vereinigung
christlicher junger Männer, die im Dienste sozialer Hilsarbeit uner-
müdlich tätig sind) bei der Friedenskonferenz Gehör zu finden.
„So verstreicht Tag auf Tag (schreibt unsere englische Mitar-
beiterin) und die Lage der Unglücklichen wird immer unhaltbarer.
Die Lager sind ungesund, überfüllt, schmutzig und verseucht. Die
Gefangenen haben zum Teil weder Nahrung, noch Kleidung und
leiden infolgedessen grausam unter Hunger Kälte, und Krankheit.
(Eine Ausnahme bezüglich der Ernährung machen zwei Lager öst-
lich von Baikalsee, die unter Leitung der Japaner stehen). Viele
sind dauernd arbeitsunfähig. Trostlosigkeit und Verzweiflung hat
sich ihrer bemächtigt — sie haben nur einen Wunsch — daheim zu
fein. Aber noch hat die Politik der Alliierten einen eisernen Ring
um Russland geschlossen, noch gestattet sie den im Westen Gefan-
genen nicht, auf der Durchreise Polen zu betreten, jenen im Osten
noch nicht, sich in Wladiwostok einzuschiffen. „Gebt den interna-
tionalen Hilfsaktionen die Möglichkeit, dm Verlassenen und Kran-
ken mit allen Mitteln beizustehen! Oeffnet die Grenzen! Lasst die
Gefangenen passieren, gebt ihnen Schiffe und Eisenbahnen, damit
sie heimkehren! Im Namen des Rechts und im Namen der Mensch-
lichkeit beschwören wir englische Frauen unsere Regierung und
ihre Verbündeten, der Qual ein Ende zu bereiten."
Schon ist es ihnen gelungen, durch grosse Demonstrationen und
durch die Presse die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Die Ar-
beiterblätter und der „Manchester Guardian" fordern eine mensch-
liche Behandlung dieser Frage. Die Regierung kann diesen dring-
lichen Stimmen ihrer Wähler gegenüber nicht taub bleiben.
* *
Eine Frau, Mitglied der Internattonalen Frauenliga für
Friede und Freiheit, schreibt uns zu obiger Meldung:
Wir Frauen, die wir für das internattonale Rechtsprinzip em-
treten, verurteilen die Vorherrschaft des Machtgedankens, wo im-
mer er sich äußert — in den Lebensbeziehungen des Einzelnen bis
hinauf in die Politik des eigenen Staates und der Staaten unter-
einander. Dieser Gedanke ist unsere Bindung und unter Motto
»Recht geht vor Macht."
Praktische Völkerbundspolitik.
Der Parteivorstand der holländischen So -
z ia ld e m o k r a ti e hat zur Frage des Anschlusses Hollands an
de nVölkerbund einen Beschluss gefasst, der das wesentliche der in
Betracht kommenden Fragen ausserordentlich klar darstellt; er lautet:
„Der Parteirat nimmt Kenntnis von den Statuten des Völker-
bundes und dem Regierungsantrag über den Beitritt zu diesem
Bunde; er protestiert gegen den imperialistischen Geist des Friedens-
vertrages, zu dem die Völkerbundsstatuten gehören, sowie gegen die
Ausschliessung der besiegten Staaten und das ungenügende Mttbe-
stimmungsrecht der Neutralen bei dem Zustandekommen dieses Bun-
des; er anerkennt die Pflicht der Neutralen und besonders der Ar-
beiterparteien aller Länder, einen Völkerbund zustande zu bringen,
der eine wirkliche Bürgschaft für den Welffrieden bietet und das
Mittel ist, um zu allgemeiner Abrüstung zu gelangen. . . <.
Der Parieirat hält es nicht für den gebotenen Weg, daß dm
Reutralen sich dem Völkerbunde fernhalten, weil dieser dadurch
Sänzlich den heutigen Machthabern überlassen bleiben würde, und
diesem selbst dem Völkerbunde freies Spiel für ihre imperialistischen
Ziele hätten. Der Beitritt derbesiegten Staaten, das ein--
zige Mittel, um dem Bund seinen einseitigen Charakter zu nehmen
und seine Entwicklung zu einer wiklich internationalen Organisation
zu ermöglichen, würde durch ein solches Fernbleiben der Neutralen
nur erschwert werden. Insbesondere Holland würd durch ein sol-
ches Fernbleiben vom Völkerbunde, der auf die Dauer das Zentrum
des internationalen Staatenverkehrs verwend kann, mehr und mehr
aus diesem Verkehr entrückt werden, was für den wirtschaftliche»
Zur Ueberführung der Eisenbahnen in
den Reichsdienst.
Berlin, 21. Fsbr. (W.T.B.) Heute fanden unter dem Vor-
fitz des Reichsverkehrsministers Dr. Bell die abschliessenden Be-
sprechungen über den Uebergang der deutschen Eisenbahnen auf das
Reich statt. Es wurde in allen Punkten mitAusnahmeder
Finanzfragen eine Verständigung erzielt. Die Besprechungen
über die letztere wird fortgesetzt.
Verbesserung der Fischversorgung.
Berlin, 21. Febr. (W.T.B.) Das „Berl. Tagebl." meldet
aus Cuxhaven, da die Fischdampfergesellschaften als lebenswichtige
Betriebe Kohlen erhielten, ist die gesamteFischdampfer-
flotte bis auf 3 Dampfer wieder ausgefahren.
Verbreitung der Grippe.
Berlin, 21. Febr. (W.T.B.) Der „Lok.-Anz." meldet aus
Magdeburg: Hier sind in den letzten Wochen 27 Todes-
fälle an Grippe festgestellt worden. Die Erkrankungen an dieser
Epidemie find noch im Zunehmen begriffen.
Poincare zum Delegierten der
Wiedergutmachungskommisfion.
Paris, 21. Febr. (W.T.B.) Das Amtsblatt meldet, daß
Senator Poincare zum Delegierten Frankreichs in der Wieder-
gutmachungskommifsion ernannt wurde, an Stelle von Ionas.
Archangelsk in den Händen der
Bolschewisten.
Amsterdam, 21. Febr. (W.T.B.) Dem Reuter-Bureau
zufolge besagt eine drahtlose Meldung aus Moskau, Archan-
gelsk sei von den Bolschewisten genommen. Die weißen
Truppen haben die Stadt aufgegeben und sind auf die Seite der
Sowjetregierung getreten.
Noch keine Verhandlungen über den
Friedens«ertrag im amerikanischen Senat
Haag, 21. Febr. (W.T.B.) Der amerikanische Senat hat
laut „Nieuwe Courant" die Verhandlungen über den Friedens-
vertrag ausgesetzt, weil erst die Lage bezüglich der Adriafrage klar
sein muß, weil der Präsident nicht geneigt ist zu einem Kompromiß
über Artikel 10.
Fortschritt und die internattonale Stellung Hollands verhängnis-
voll werden könnte. Außerdem kann die holländische Sozialdemo-
kratische Partei ihre Wünsche über die Reorganisation des Völker-
bundes, die Revision des Friedensvertrages und die internattonale
Politik des Völkerbundes nur dann zum Vortrag bringen, wenn die
holländische Nation in ihm vertreten ist.
Aus diesen Gründen hält der Parteirat im allgemeinen Hol-
lands Anschluß an den Völkerbund für erwünscht. Er ersucht aber
die Kammerfraktton, ihre Stimmen nicht eher für den Regierungs-
antrag abzugeben, als bis über die unmittelbaren Folgen dieses An-
schlusses namentlich über die dem holländischen Volk aufzuerlegenden
militärischen Lasten nähere Mitteilungen gemacht worden sind. Der
holländischen Sozialdmeokrottschen Partei ist die Anschlußfrage vor-
nehmlich eine Frage des Mittels, um zur Abrüstung zu gelangen.
Die Erwägung aber, dass die Minderung der Kriegsgefahr, die der
Völkerbund mit sich bringt, auf die Dauer ihrem Streben nach
Abrüstung zugute kommen wird, ist ihr vornehmstes Motiv für den
Anschluß; wenn dieses Streben durch den Beitritt zum Völkerbunde
verhindert werden sollte, würde die Partei hierfür die Verantwor-
tung übernehmen können.
Weiterhin fordert der Parteirat die Kammerfraktion auf, dafür
Sorge zu tragen, daß bei der Ernennung der holländischen
Vertreter die Zweite aKmmer gefragt werde, und daß hol-
ländischerseits sofort auf Oeffentlichkeit der Völker-
bund sverhand langen gedrungen werde.
Der Parteirat ist übrigens der Ueberzeugung, daß nur durch
weitere Zunahme des Einfluss es der Arbeiterklasse
die Entwicklung des Bundes in seinem Sinne ermöglicht werden
kann, und daß nur von der Ersetzung des kapitalistischen Systems
durch den Sozialismus die Festigung des gegenseitigen Verhältnisses
der Völker auf dem Boden des Rechtes zu erwarten ist. Hierfür ist
aber das Zusammenarbeiten aller Gruppen des Proletariats im
Kampfe für den Sozialismus notwendig."
England und Rußland.
Zu den in letzter Zeit verschiedenen Meldungen, die wir über
den russischen Handelsverkehr brachten, können wir eine neue
Variation hinzugesellen:
Berlin, 19. Febr. Gestern wurde amtlich die Einleitung
von Verhandlungen mit Sowjetrutzland über die K r i e g s g ef a n-
genenfrage bekannt gegeben. Wie die „Neue Berl. Zeitung"
hört hat die deutsche Regierung sich weiter entschlossen, Verhand-
lungen über die Aufnahme des Handelsverkehrs zwischen
Deutschland und Rät erußland zu beginnen. Es sei be-
reits eine Kommission in Vorbereitung, die sich unter Führung eines
deutschen Sozialisten, in erster Linie wird der Name Eduard Bern-
stein genannt — nach Rußland begeben soll, um dort die Verhält-
nisse an Ort und Stelle zu studieren. Im Zusammenhang damit
verlautet, daß die englische Regierung bereits vor einiger Zett
Deutschland das Angebot gemacht hat, Rohstoffe nach Deutsch-
land zu liefern, die durch die deutsche Industrie zu Waren für Ruß-
land verarbeitet werden sollten. Die englische Regierung wollte
auch für die notwendigen Transportmittel Sorge tragen und bi«
deutsche Industrie für die geleistete Arbeit bezahlen. Rußland hatte
als Kompensation für die in Deutschland hergestellten englischen
Waren, Hanf, Leinen und andere Naturprodukte, an England lie-
I fern sollen. Auch die freie Durchfuhr durch bas polnische Gebiet
I wollte die englische Regierung garantieren. Die Bezahlung di«
Rußland geleistet hätte, wäre natürlich ganz auf englisches Konto
geschehen. Die deutsche Regierung habe dieses Anbeot abge-
lehnt. Die Gründe dafür sind nicht bekannt, offenbar handelte
es sich aber darum, daß die deutsche Regierung selbst die Möglich-
keit eines deutsch-russischen Warenaustausches sich nicht
nehmen lassen wollte.
Eine Note zur Verminderung des Heeresbestands.
Berlin, 19. Febr. (Wolff.) Der Präsident des Ober-
sten Rates Lloyd George, übersandte dem deutschen Ge-
schäftsträger, Herrn Sthamer, nachfolgende Note:
„Ich habe die Ehre, Ihnen zur Kenntnisgabe an die deutsche
Regierung mitzuteilen, baß die Kontrollkommis sion in
Berlin die Aufmerksamkeit des Obersten Rates der alliierten
Mächte auf die schwierige Lage gelenkt hat, in die die deutsche Re-
gierung gelangen würde, wenn die alliierten Mächte auf der stritte«
Erfüllung des Artikels 160 des Versailler Vertrages be-
stünden, nach dem die gesamte Effektivstärke derTruppen in den
deutschen Bundesstaaten bis spätestens 31. März 1920 die Zahl von
100 000 Mann, die Offiziere und die Depvternrichtungen eingerech-
net, nicht überschreiten darf. Da dieser Artikel in der Annahme
entworfen wurde, daß der Versailler Vertrag in einem viel früheren
Datum ratifiziert werden würde, hat sich der Oberste Rat dahin
entschlossen zu gestatten, daß die deutschen Streitkräfte bis zum 10.
April 1920 d. h. drei Monate nach dem Inkraftreten des Vertrages,
in Gemäßheit des Artikels 163 auf 200 000 Mann und biszum
10. Juli 1920 auf 100 000 herabgesetzt werden.
Ich habe die Ehre, Sie zu ersuchen, diese Entscheidung der
deutschen Regierung zu übermitteln."
Das neue Verforgungsgesetz für die Kriegsopfer.
Berlin, 19. Febr. (Priv.-Tel.) Das neue Versorgungs-
gesetz für die Kriegsbeschädigten und Hinterblie-
benen bringt, wie eine Nachrichtenstelle berichtet, eine Vereinheit-
lichung der ganzen Gesetzgebung. Die Unterschiede zwischen
Offizier und Mannschaften fallen gänzlich fort, auch die Un-
terschiede zwischen Kriegsdienstbeschädigung und Friedensdienstbe-
schädigung werden verschwinden. Berücksichtigt werden nur Kennt-
nisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten des Beschädigten. Hiernach wird
der Grundsatz der Erwerbsfähigkeit bemessen. Für di«
Hinterbliebenen ist der Grundsatz ausgestellt, daß die er-
werbsunfähigen Frauen, und zu diesen sollen auch die gerechnet
werden, die Kinder haben, so gestellt werden, daß sie ihren Kindern
erhalten bleiben und nicht gezwungen werden, einem Berufe nachzu-
gehen. Für die Kriegsbeschädigten wird dann noch der
rechtliche Anspruch auf Heilbehandlung gegeben, sie bekom-
men ferner Rechtsanspruch auf Ersatzglieder und orthopädische
Heilmittel. Zwischen den Einzelorganisationen der Kriegs-
beschädigten besteht ein Unterschied in der Auffassung, ob für alle
Kriegsbeschädigten die Einheitsrente gegeben werden soll oder ob
man den Beruf, die Kenntnisse und Fähigkeiten des Betreffenden
mit einsetzen soll. Es scheint, als ob in dem Gesetz der letzte Grund-
satz zur Durchführung kommen wird. Zu den Bezügen werden dann
noch Orts und Teuerungszulagen gegeben, die dem
Stand der Teuerung angepaßt werden sollen.
Keine Aufhebung des Lehrerinnen-Zölibats in Bayern.
München, 20. Februar (W.B.) Der Landtagsaus-
schuß zur Beratung des Lehrergesetzes hat die Abänderungsvor-
lage der Regierung abgelehnt, wonach den Lehrerinnen auf Grund
des Artikels 128 Absatz 2 der Reichsverfassung das Recht der Ver-
heiratung zustehen soll.
Der Prozeß Erzberger-Helfferich.
Berlin, 20. Febr. Bei Beginn der heutigen Verhandlung im
Prozeß Erzberger-Helfferich stellte Rechtsanwalt Alsberg eine Reihe
von Beweisanträgen, durch die die ll »Wahrhaftigkeit des
Nebenklägers dargetan werden sollte und die darauf hinausliefen,
daß Erzberger in den Fällen Richter, Berger, Thyssen, Wolff usw. die
Sache anders dargestellt habe, als nachher die Beweisaufnahme ergab.
Rechtsanwalt Alsberg beantragt daher, das Stenogramm, das vom
Beauftragten des Angeklagten aufgenommen worden ist. Heraufziehen
und außerdem eine Reihe neuer Zeugen zu l den, unter diesen
den früheren Reichskanzler von Bethmann-Holiwe- den Staats-
sekretär von Loebell und den Abg. Dr. Stresemann.
Rechtsanwalt Dr. Friedberg bezeichnet diese Art van Prozeß-
führung als ein mittelalterliches Inquisitionsverfahren.
Reichsfinanzminister Erzberger erklärte, er sehe im übrigen dem
neuen Material des Angeklagten mit Ruhe entgegen. Bezüglich der 40
Millionen, die der Firma Wolff zur Verfügung gestellt wurden, sei zu
bemerken, daß es sich damals um Anschaffung von Petroleum aus Holland
handelte. Wolfs übernahm die Finanzierung der Sache; eine Trans-
aktion, die vorher von Großbanken abgelehnt worden war. Zu diesem
Zwecke wurde ihm die Summe gegeben. Im übrigen verbittet sich der
Nebenkläger, daß derartige Einzelfälle seiner Tätigkeit als Reichsfinanz-
minister hier einer kritischen Betrachtung unterzogen werden sollen. Es
handle sich um Beziehungen zum Ausland, und die Art des von der
Gegenseite beliebten Vorgehens bedeute eine symptomatische Untergrabung
jeglichen Vertrauens zu der Politik des Reichsfinanzministers.
Im weiteren Verlauf der Verhandlungen wird Freiherr v. Richt-
hosen vernommen. Ueber seinen Eintritt in die Kriegs-
wo llges« lisch aft sagt dieser aus: Die Budgetkommission des
Reichstags stand auf dem Standpunkt, daß es zweckmäßig sei, wenn
Parlamentarier in die Kriegsgesellschaften hineingingen. Darauf-
hin machte mir Kommerzienrat Rechbergden Vorschlag, in die Kriegs-
wollgesellschaft einzutreten. Meine Tätigkeit im Auffichtsrat war sehr
bescheiden. Niemals ist mir der Gedanke gekommen, daß mein Besitz
an Aktien der Anhydat-Gesell schäft mich hindern könnte, in
die Kriegswollgesellschaft einzutreten.
Heifserich stellte nach weiteren Aussagen fest: Der Zeuge war
also im Aussichtsrat der Kriegswollgefellschaft, er war bei Rechberg be-
teiligt und er war schließlich auch Intendanturrat des 16. Armeekorps.
Und trotzdem hat er sich niemals Kopfschmerzen über gewisse Interessen-
komplikationen gemacht. „
Helfs erich: Hat der Zeuge jemals mit Herrn Erzberger
zusammen Geschäfte gemacht? ... -
Zeuge (empört): Ich habe niemals mit Herrw Erzberger Geschäfte
zusammen gemacht. Eine solche Zumutung ist unerhört.
Als Helsferich weitere vom Zeugen verneinend beantwortete
Frage« über Geschäfte mit der Ukraine mtd mit dem Khediven von