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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (1/2) — 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.44126#0231
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Tageszeitung für die werttätige BevStterrmg der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim, Typingen, Gberbach, Mosbach, Buchen, Adelsheim, Boxberg,
Tauberbischofsheim und Wertheim

Bezugspreis: Monatlich einschl. TrSgerlohn 2.S0 Mk. Anzeigenpreise:
vir einspaltige Petitzeile (ZS mm breit) 40 pfg., Reklame-Anzeigen
(SZ mm breit) 2.- Mk. Le! Wiederholungen Nachlaß nach Taris.
Geheimmittel-Anzeigen werden nicht ausgenommen.
GeschLftsstunden6 llhr. Sprechstunden der Redaktion: 11-12 ilhr.
Postscheckkonto Karlsruhe Rr.22Z77. Tel-Adr.: Volkszeitung Heidelberg.

Heidelberg, Donnerstag, 26. Februar 4920
Nr. 48 » 2. Jahrgang

Verantwortl.: Für innere u. Süßere Politik, Volkswirtschaft ».Feuilleton: Or.
E.Kraus: für Kommunales u. soziale Rundschau: Z. Kahn: für Lokale«:
O. Gei bel> für die Anzeigen: H. Hoffmann, sämtlich in Heidelberg
Druck und Verlag der llnterbadischen Verlagsanstalt G. m. b. H., Heidelberg
Geschäftsstelle: Gchröberstraße 39.
Fernsprecher: Anzeigenannahme 2673, Redaktion 264«.

Mehr Interesse für -re Bei-
behaltung der Zwangswirtschaft.
Von A. Weißmann, Mitglied des Bad. Landtags.
Als vor nunmehr 20 Jahren der alte Liebknecht starb, erzählte
die Parteipresse, daß eines seiner letzten Worte gewesen sei: Nur
nicht in die Defensive drängen lassen, immer in der Offensive blei-
ben! Wenn man das derzeitige gleichgültige Verhalten weiter
Schichten der sozialdemokratisch und freigewerkfchaftlich organisier-
ten Arbeiterschaft Badens in der gewiß nicht nebensächlichen Frage
der Beibehaltung oder Aufhebung der Zwangswirtschaft beobach-
tet, hat man allerdings den beklagenswerten Eindruck, daß sie sich
, schon seit Monaten in die Defensive hat drängen lassen. Die Offen-
sive haben dft anderen, die Produzenten, die badischen Landwirte
und ihre zur Zeit recht gut funktionierenden Organisationen er-
griffen. Wir in den Städten schimpfen auf die Regierung und die
„elenden" Kommunalverbände und sehen ruhig zu, wie draußen
auf dem Lande die Stimmung für die Aufhebung der Zwangs-
wirtschaft im Wachsen begriffen ist und dazu führt, daß die gefaßten
Resolutionen für ihre restlose Beseitigung immer zahlreicher werden.
Im badischen Mittellande ists etwas ruhiger, aber im Ober-
lande hält der neue Verein mittlerer und kleinerer Landwirte Sonn-
tag für Sonntag gutbesuchte Versammlungen ab und im Hinterlande
erörtert man mit demselben Eifer ständig das Thema: Auswüchse
in der Zwangsbewirtschaftung ländlicher Erzeugnisse. Natürlich
will man letzten Endes nicht nur die Auswüchse, sondern die ver
haßte Zwangswirtschaft überhaupt beseitigen. Und unter dem Bei-
fall sämtlicher anwesenden Landwirte wagte jüngst in einer über-
füllten Versammlung in Adelsheim der deutschnationale Landtags-
abgeordnete Bürgermeister H e r t l e - Sachsenflur die unwahre
Behauptung, alle Berufsgruppen hätten durch die Revolution tat-
sächliche Vorteile erreicht (Streikrecht der Beamten, Achtstundentag
der Arbeiter), nur die Landwirtschaft sei leer ausgegangen! Dabei
tauschten die Städter täglich herzensgern mit den „leerausgegange-
nen" Landwirten und wüßten sicherlich, daß sie sich alsdann
wohler befänden, wie in der gegenwärtigen schwierigen Zeit beim
Streikrecht und beim Achtstundentag. Das ist es eben, was wir
bei der jetzigen Bauernbewegung beklagen, es fehlt häufig und
gar oft gänzlich das Verständnis für die tatsächliche Situation
der städtischen Konsumenten. Der Landwirt sieht in den Städten
nur die gefüllten Cafes und Kinos, die tanzlustige Jugend und die
angeblichen arbeitsscheuen Arbeitslosen und weiß nicht und kennt
nicht das Ernährungselend in seiner krassen Form, wie es in fast
allen Schichten der städtischen Bevölkerung — mit Ausnahme
jener Kreise, die immer und bei allen Gelegenheiten über gefüllte
Geldbeutel verfügen — anzutreffen ist. Er geht nicht in die Seiten-
gassen der Städte, in die Beamten- und Arbeiterwohnungen und
lernt nicht die dutzendfachen Nöte der städtischen Hausfrauen, wenn
sie für ihre Angehörigen die Mahlzeiten Herrichten sollen, in der
Nähe und aus eigenem Schauen kennen. Es ist doch überaus be-
zeichnend für die wirklichen Verhältnisse nicht nur in den großen,
sondern auch in den kleineren und mittleren Städten Badens, wenn
auf der jüngst in Karlsruhe abgehaltenen Schulkvnferenz der Karls-
ruher Stadsschularzt Dr. Paul, ohne Widerspruch finden zu
können, feststellen mußte: Mehr als 50 Prozent aller
Volksfchüler sind tuberkulös! Hört ihrs, badische
Landwirte, die Hälfte der badischen Vvlksschüler sind infolge der
furchtbaren Hungerblockade und der andauernden Entbehrungen
seit bald sechs Jahren lungenkrank, schwindsüchtig und vielleicht für
immer dem Siechtum geweiht. Warum, so frage ich, läßt man
solche eindringlichen Mahnrufe auf dem Lande unbeachtet? Warum
erwähnt man in den Resolutionen für die Aufhebung der Zwangs
Wirsschaft, die man fast jeden Tag nach Karlsruhe an die Adresse
der badischen Regierung sendet, mit keinem Sterbenswörtchen das
sichere Schicksal der städtischen Verbraucher, wenn die Zwangs-
bewirtschaftung des Getreides, des Fleisches, der Milch und der
Kartoffeln ebenfalls noch aufgehoben wird?! Denn darüber sollte
man sich auch in den Städten klar sein: Es tritt eine maßlose
Preissteigerung^ dem Augenblick ein, in welchem in Baden
und im Reiche die Zwangsbewirsschaftung aufgehoben wird. Das
gab erst vor kurzem sogar der händlerische württembergische Land-
tagsabgeordnete Körner zu, als er in einer landwirtschaftlichen
Versammlung bei Heilbronn u. a. ausführte:
„Solange wir noch Zwangswirsschaft haben, ist denen, die
das Geld nicht haben, wenigstens noch ein Minimum an Lebens-
mitteln garantiert; wird sie aufgehoben, ist die direkte Folge die,
daß, wer kein Geld hat, nichts bekommt, weil d i e
anderen bereits alles auf gekauft haben."
Natürlich würde diesem direkten Aufkauf der Lebensmittel der
Städter auf dem Lande eine wilde Jagd in den Dörfern voraus-
gehen, und der totale Zusammenbruch unserer Ernährungswirt-
schaft wäre die zweifellose Folge.
Wollen dies die Landwirte? Ich anerkenne, nicht alle! Aber
ein Teil von ihnen sicher. Und ganz unverblümt erklärte mir schon
im vorigen Sommer ein anderer ländlicher Abgeordneter des badi-
schen Landtags: „Sehen Sie, die Bauern wissen, daß die jetzigen
Zeiten nicht ewig dauern; es kommt einmal wieder Getreide aus
dem Auslande, es wird mehr angebaut, wie während des Krieges
und da sagen sie sich: Wird die Zwangswirsschaft aufgehoben, dann
sind uns die höheren Preise wenigstens noch auf längere Zeit ga-
rantiert." Dies mag tatsächlich der Gedankengang vieler Land-
wirte sein, und daher ihr nie erlahmender Eifer bei der Beseitigung
der von ihnen als unerträglich empfundenen Zwangswirtschaft.
Unerträglich? Gewiß, wir Sozialdemokraten verstehen es, wenn
der Bauer klagt, alle Stände, Arbeiter, Gewerbetreibende, Indu-
strielle usw. sind von den hemmenden wirtschaftlichen Schrauben
des Krieges befreit worden, nur wir sollen uns täglich in die eigene
Wirtschaft hineingucken lassen, sollen ständig von unseren, manchmal
selbst knappen Vorräten abgeben. Aber die Landwirtschaft
und ihr Betrieb ist heute nicht mehr die Sache eines
einzelnen Standes, sondern der Gesamtheit und
darum — und nur im Interesse der Allgemeinheit — muß sich
der Landwirt gewisse Zwangsvorschristen gefallen lassen.
Hat er Grund, dies allzusehr zu bereuen?! Auch hier muß
mit einem glatten Nein! geantwortet werden. Man hat aller-
seits Verständnis, daß auch ihm eine bessere Bezahlung, wie allen

Die Not der deutschen Tabakbranche.
Berlin, 26. Febr. (W.B.) Die gesamten Berliner Zigar-
ren-Fabriken haben jetzt ihrem Personal ebenfalls zum 31.
März gekündigt. In Berlin werden dadurch laut „Lok.-Anz."
10 000 Arbeiter und Angestellte erwerbslos, in den an-
deren deutschen Fabriken 30 000.
Eine englische Anleihe sür Polen.
London, 26. Febr. (W.B.) Die englische Regierung gewährte
Polen einen Kredit von 2 Mill. Pfund Sterling,
der sür Ankauf von Lebens mittel, Eisenbahnma-
terial usw. bestimmt ist.
Ein Attentat in Fiume?
Berlin, 26. Febr. (W.B.) Nach dem „Berl. Tagbl. gibt der
Triester „Picolo" aus Fiume das Gerücht von einem Attentat auf
den Prinzregenten und den neuen Ministerpräsidenten wieder, wo-
nach beide verletzt sein sollen. Eine Bestätigung liegt bis-
her nochnicht vor.
Asquith in das Unterhaus gewählt.
London, 26. Febr. (W.B.) Asquith wurde ins Unterhaus
gewählt. Bei der Wahl im Paisleoy erhielt Asquith 14 694,
der Arbeiterkandidat Biggar 11840 und der Unionist Mac-
lean 3778 Stimmen.
Amerika und der Friedensvertrag.
Washington, 26. Febr. (W.B.) Der Senat beschloß, am
D o nn e r s t a g den F r i e d e n s v er tr ag wieder zu behandeln
und alle anderen Fragen zurückstellen, bis der Friedensvertrag
endgültig erledigt ist.

anderen Berufsständen, für seine Produkte und für seine Arbeit
gebührt. Er erhält bei der diesjährigen Ernte für einen Zentner
Weizen 50 Mk., für Roggen 45 Mk., fir Hafer und Gerste 40 Mk.,
für den Zentner Kartoffeln 20 Mk. usw. Diese Mindestpreise sind
ihnen gesichert und im Herbst wird ihm, nach der festen Zusage
der Neichsregierung, je nach der allgemeinen Gestaltung der Preis-
verhältnisse, noch ein Zuschlag gewährt. Da ist es gewiß recht
und billig, wenn die städtische Bevölkerung, wenn die gesamten
Nichsselbstversorger des Landes von dem Landwirt verlangen, daß
er sich einstweilen mit der Zwangswirtschaft noch abfindet. Kann
sie abgebaut werden, besitzen wir wieder genügend Lebensmitel,
dann setzen die Verbraucher der Aufhebung keinen Widerstand ent-
gegen.
Aber in wirtschaftlichen Fragen ist es bekanntlich mtt dem
guten Zureden nicht getan; hier entscheiden andere Faktoren. Und
so erscheint es mir notwendig, daß der intensiven Agitation der
badischen Landwirte f ü r die Aufhebung der Zwangswirsschaft jene
der städtischen Bevölkerung gegen die Aufhebung gegenüber ge-
stellt werden muß. Die badischen freien Gewerkschaftskartelle, die
zahlreichen Organisationen der Beamten und Angestellten, die Mit-
glieder der städtischen Konsumvereine und sonstigen Organisationen
der Verbraucher müßten jeder Resolution, welche der Zwangs-
wirsschaft den Garaus machen will, eine solche mit ihrer absoluten
Beibehaltung auf dem Fuße folgen lassen. Vor einigen Wochen
erklärten Vertreter des Mannheimer Eewerkschaftskartells der Re-
gierung kategorisch, daß sie die strikte Beibehaltung der Zwangs-
wirsschaft fordern und das Karlsruher Gewerkschaftskartell hat
erst dieser Tage eine längere Densschrift über das Elend der Fleisch-
versorgung eingereicht. Was bedeuten aber diese zwei Stimmen
gegen die Sturmflut der ländlichen Kundgebungen für die Auf -
Hebung der Zwangswirtschaft?! Wo bleiben die übrigen Konsu-
menten Badens?
Selbstverständlich lösen alle Petitionen und Eingaben an die
Regierung und an den Landtag nicht die unendlich schwierigen
Probleme der derzeitigen und künftigen Ernährungsverhältnisse und
ich möchte einer solchen Massenherstellung von Petitionen und Ein-
gaben keineswegs das Mort reden, aber in der Presse und in Ver-
sammlungen von städtischen Einwohnern sollte doch der ländlichen
Bevölkerung immer wieder und eindringlicher denn je vor Augen
geführt werden, daß die Aufhebung der Zwangswirtschaft zur Zeit
einfach undenkbar ist und die schwersten politischen Er-
schütterungen in Gefolge haben müßte. Gerade diese un-
bedingte Begleiterscheinung unterschätzen die meisten Landwirte
durchaus. Sagte doch esst jüngst der ebenfalls deutschnationale
Landtagsabgevrdnete Fischer in einer Versammlung der Tabak-
bauern der Lahrer Gegend, als er den Streik der Tabakpflanzer
empfahl, u. a.: „Wenn etwa Soldaten in die Tabakdörfer gelegt
werden und es wird geschossen, dann erklären wir der Regierung:
Wir garantieren nicht dafür, daß nicht auch die Bauern schießen,
denn auch sie haben das Schießen gelernt!" So spielen
manche Anhänger der Aufhebung der Zwangswirsschaft mit der
Gefahr des Bürgerkriegs. Da scheint es angebracht, diesen
Leuten mit aller Deutlichkeit klarzumachen, daß auch die Städter
ein Recht auf Existenz haben. Das braucht nicht zu einem latenten
Kampfe mit der Parole: hie Stadt, hie Land! zu führen. Aber
auf die Dauer kann solchen ständigen Hinweisen auf die Gefahren
der Beseitigung der Zwangswirsschaft der Erfolg nicht versag: sein.
Deshalb der Mahnruf an alle Beamten und Arbei-
ter, sowie an die übrigen Städter: Setzt euch ener-
gischer wie bisher für die Beibehaltung der Zwangs-
wirtschaft ein! Geschieht es nicht, habt ihr eines Tages die
finanziellen und sonstigen Nachteile zu tragen.

Politische Ueberficht
Die gesprengte Gerlach-Versammlung.
DieS ch u ldigen noch nicht ermittelt,
fieber die Untersuchung in der Angelegenheit der gespreng-
ten Versammlung des Bundes Neues Vaterland erfährt
bas „B e r l i n e r T a g e b l a t t":

Die Namen der festgestellten Personen sind: die Leutnants Fich-
ner, Sohm, Meier, Fahlberg; ferner -er Fahnenjunker v. Winterfeld,
der Wzefeldwebel H. Fichner, Obermatrose Kraft, die Freiwillige»
Krause, v. Massvw, Seekadett Lilie, Gefreiter Hoffmann, die Schütze»
Brunke, Schröder und Helfferich sowie die Musketiere G. Fichner und
Kleist.
Es ist jedoch verfrüht, die hier Genannten ohne weiteres als Schul-
dige zu bezeichnen, das sie ausnahmslos auf -er Straße von der
Sicherheitswehr sestgestellt worden sind. Erst die bereits eingeleitete
Untersuchung wird die Schuld oder Nichtschuld dieser Personen
ergeben müssen. Die -ei den Baltikumsoldaten festgestellte
teilweise Bewaffnung ist darauf zurückzuführen, daß zwar in den
meisten Fällen die Entwaffnung der Mannschaften schon beim
Abtransport nach den Demobilmachungsorten vorgenommen wurde,
endgültig aber erst bei -er Entlassung erfolgte. Es be-
finden sich jedoch im Lager Döberitz eine größere Anzahl Ange-
hörige der ehemaligen russischen Westarmee, die, da
sie sonst völlig mittellos -aständen, nocy nicat entlassen sind. Für
diese Mannschaften wurde als E n t lass u n g s t e rm i n der 15.
März vorgesehen. Daß die meisten dieser Leute noch mit Waffen ver-
sehen sind, ist möglich, da der Uebertritt über die Reichsgrenze nicht i»
geschlossenen Formationen, sondern ost in kleinen Gruppen erfolgte, die
sich ohne Kontrolle durchs Land schlugen, bis sie Aufnahme im Lager
fanden. Nach diesem Vorfall, wegen dessen auch -er Polizeipräsident
von Berlin energisch bei -er preußischen Regierung vorstellig geworden
sst, dürfte die restlose Entwaffnung nunmehr schnellstens durchgeführt
werden.
Um in Zukunft solche Vorfälle mit Bestimmtheit verhindern zu kön-
nen, ist, wie uns mitgeteilt wird, die Kriminalschutzmannschaft
zu schwach, da nur nichtuniformierte Schutzleute in Versammlungen
entsandt werden können. Da ferner die Versammlungen in geschlossenen
Räumen nicht der Anmeldepflicht unterliegen, ist in vielen
Fällen die Polizei gar nicht in der Lage, festzustellen, welche Versamm-
lungen jeden Abend stattfinden. Es werden jedoch, um die Möglichkeit
derartiger Vorkommnisse, soweit es angeht, auszuschließen, Beratungen
zwischen den Polizei- und Sicherheitszentralstellen stattfinden, in denen
außer den technischen Fragen auch erwogen werden soll, ob etwa die
Verlegung größerer Bereitschaften in die Nähe der Versammlungslokal«
oder die Aufstellung von Wachen in den Versammlungen selbst nicht dem
Versammlungsrecht zuwiderlaufen.
Das Problem: Willensfreiheit.
Teil!. DerWille.
N o ske in seiner Rebe vor den Funktionären inHamburg,
19. Febr. 1920:
. . . Alles das, wofür wir uns während bes Sozialistengesetzes
eingesetzt haben, ist auf politischem Gebiete jetzt durchgeführt. Wir
haben bas freieste Wahlrecht für alle Körperschaften, ferner die
Sicherheit, daß jeder Mann seine Meinung in Wort und Schrift
in freiestem Maße Ausdruck geben kann. Voraussetzung aber ist,
daß der Wille der Mehrheit von der Minderheit respektiert wird.
TeilII. DieFreiheit.
Wir lesen im „Vorwärts" vom 24. Febr.:
Eine auffällige Auss chreitung, die sich am Mon-
tag vormittag zugetragen haben soll, wird uns von zweiAugen-
zeugen berichtet: Ein Mas ch i ne n g e we h r z u g zog mit
Musik -en Kurfürstendamm entlang. Die Rogimentskapelle spielte
mehrfach „D e u ts ch l a n d, D eu ts ch la n d ü b e r a l l e s". Ein
vorüberfahrender Kutscher machte hierüber eine abfällige Be-
merkung und wurde dafür von dem die Musik dirigierenden Tam-
bour mit dem Tambourstock so h e ft i g i n s G ef i ch t g e sto ß e n,
daß er blutete. Ein unbekannt gebliebener Mann in Feldgrau, der
dieses Verhalten kritisierte und sagte, daß man es dem „Vor-
wärts" melden müsse, aber weiter mit der Musik mitging, wurde
in Moabit hinter dem Kriminalgericht von zwei Soldaten des
Zuges unter dem Vorwand verhaftet, daß er Waffen bei sich
trüge. Der Mann bestritt das und wurde nun in das Kasernement
Seydlitzstraße abgeführt. Durch das offenstehende Kasernentvr
b e o b a ch t e t e n d i e A ug en z e u g en, wie dieser Mann nun-
mehr von demselben Tambour sowie anderen hinzukommenben Sol-
daten gleichfalls heftig geschlagen wurde. Als die
Täter sich beobachtet sahen, ließen sie schleunigst das Tor schlie-
ßen.- Eine amtliche Aufklärung über den Vorgang war zu spä-
ter Stunde Nicht mehr zu erhalten. Eine genaue Untersuchung des
Vorfalls und Bestrafung der evtl. Schuldigen scheint dringend ge-
boten. >
kk
Wir zweifeln nicht daran, daß es unserem Genossen Noske
mit seinen Ausführungen in Hamburg ernst war. Tagtäglich aber
zeigen die Tatsachen, daß die Reaktion mit den gemeinsten Gewalt-
mitteln die Demokratie totzuschlagen sucht, ohne daß man gegen sie
mit der gleichen Schärfe vorgeht wie gegen links. Man muß sich
nicht wundern, wenn dadurch die Radikalisierung oder politische
Gleichgültigkeit der Massen immer mehr Fortschritte macht! Wir
sind für freie Meinungsäußerung für Jedermann. Wenn man aber
mit Gewalt, die Mehrheit des Volkes zu terrorisieren sucht, so muß
man wieder mit Gewalt antworten, nur nach rechts ebenso wie
nach links! Und heute scheint uns die größere Gefahr von rechts
zu drohen!

Wiederaufnahme der Beratungen im Reichsschulausschuß.
Berlin, 24. Febr. Der Reichsschulausschuß trat
am Dienstag zu einer Konferenz unter dem Vorsitz des Reichsmini-
sters des Innern Koch zusammen. Privatdvzent Dr. Schwarz
vom Reichsministerium des Innern berichtete über die Vorbereitun-
gen der Reichsschulkonferenz, die bekanntlich vom 7. bis 17. April
im Reichstagsgebäude stattfinden soll. Die Zahl der Vertreter ist
auf ungefähr 500 festgesetzt. Die Verhandlungen und Abstimmun-
gen können keinen für die Regierung bindenden Charakter tragen,
werden aber für die kommende Schulgesetzgebung als wertvolles
richtunggebendes Material dienen. Betreffend den
Wegfall des Einjährigenzeugnisses wurden Vor-
schläge angenommen, wonach die in der Militärordnung vorge-
sehenen Prüfungen nicht mehr abgehalten werden. Zur Frage des.
Zölibats der Lehrerinnen wurde folgende Entschließung
ausgenommen: Der Reichsschulausschuß hält es für dringend not-
wendig, daß die Frage der Verehelichung von Beamtinnen baldigst
durch Reichsgesetzgebung geregelt wird, bis dahin wird den finter-
richtsverwaltungen der Länder empfohlen, für ihren Amtsbereich
eine vorläufige Regelung für Lehrerinnen unter Würdigung der
Bestimmungen der Reichsverfassung zu treffen.
 
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