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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (1/2) — 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.44126#0429
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Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim, Sppingen, Eberbach, Mosbach, Buchen, Adelsheim, Boxberg,
Tauberbifchofsheim und Wertheim.


Bezugspreis: Monatlich einschl. TrSgerlohn Z.SV Ml. Anzeigenpreise:
Die einspaltige Petitzeile (36 mm breit) 70 pfg., Reklame-Anzeigen
(»3 mm breit) 2.20 Mk. Lei Wieberholungen Nachlaß nach Tarts.
Geheimmittel-Anzeigea werden nicht ausgenommen.
SeschSftSstunden: s-'/,6ilhr. Sprechstunden derRedattion: 11-12 ilhr.
pofifcheeNont» K*ri«-riche Nr. 22577. Tel.-Abr.: Volkszeitung Heidelberg.

Heidelberg, Dienstag, ^3. April ^920
Nr. SS » 2. IaHrgang

Verantwort!.: Mr Inneren. Süßere Politik, Volkswirtschaft u. Feuilleton: Or.
tZ. Kraus,- fürKommunales u. soziale Rundschau: Z.Kahn; für Lokale-:
O.Geibelr für die Anzeigen: H. Hoffmann, sämtlich in Heidelberg
Druck und Verlag der ttnterbadischen Denagsanstalt G. m. b. H., Heidelberg
Geschäftsstelle: SchrSderstraße 3».
Fernsprecher: Anz-igen-Annahme 2673, Redaktion 264».

Der Reichskanzler gegen den franz. Gewaltakt.

Auftakt zum Wahlkampf.
Wenige Wochen nur trennen uns von den Neuwahlen zum
Reichstag. Innen- und außenpolitische Ereignisse von größter Trag-
weite haben es möglich gemacht, jenes kommende Ereignis ein wenig
in den Hintergrund treten zu lasten. Gänzlich unberechtigterweise!
Niemals wohl in der Geschichte seines Volkes ist die Gestaltung
eines Parlaments für fein Geschick und seine Entwicklung von so
großer Tragweite gewesen wie für das deutsche Volk der künftige
Reichstag. Das Parlament, das zurzeit in Deutschland maßgebende
gesetzgeberische Instanz ist, ist ein Kind der Revolution. Aus dieser
erstanden, trägt es den Namen „Nationalversammlung", wahrend
ihm das Kleid des „Reichstages" nicht recht sitzt. Das Parlament
aber, das wir uns in kurzem selbst zusammenzustellen haben, ist
das erste nachrevolutivnäre Parlament, ist der
erste eigentliche Reichstag der deutschen Republik.
„Gesellschaft ist die Beziehung der vernünftigen Wesen auf-
einander", sagt Fichte einmal, Fichte, den unsere Gegner so gern
gegen uns ausspielen, und der doch mit vollem Recht von Adler
als einer der geistigen Wegweiser auf dem Wege zum Sozialismus
bezeichnet wurde. Der vernünftigen Wesen! Als eine Uw
erzogenheit im politischen Kampf wurde es von jeher angesehen, dem
Gegner die freie Verfügung über seine Geisteskräfte absprechen zu
wollen. Und erfordert eine Nüchterne Betrachtung der Geschehnisse
der letzten Zeit, daß wir Einzelne der Träger und Verursacher des
fürchterlichen Unheils nur pathologisch, nämlich als Ver-
brecher, bewerten können. Die Beziehung aufeinander . . . wir
dürfen uns nicht mehr davor scheuen, offen auszusprechen, daß es
innerhalb des Deutschen Reiches eine Kaste gibt, mit der wir keiner-
lei Beziehungen aufrechterhalten oder anknüpfen wollen, daß es
innerhalb der Grenzen der deutschen Republik Menschen gibt, die
wir als Feinde betrachten, deren Fühlen, Denken, Wollen ein
anderes ist als das unsere, und von denen uns eine Welt trennt.
„Der Internationalismus hat Schiffbruch gelitten," so froh-
locken jene, und künden es höhnend, und ihre Pretzmeute kläfft es
jubelnd nach. Mehr als je empfinden wir heute die gewaltige,
kraftspendende und nie versiegend« Macht des internattonalen Ge-
dankens. Wir find keine Utopisten der Weltrevoution,
wir bauen unsere Zukunft nicht auf schwanker Basis einer schönen
Phantasie, eines hell leuchtenden -Luftschlosses auf, aber schon heute
empfinden wir mehr als je den reinen Gedanken der Internattonale.
Von jener Kaste in Deutschland, die sich zwar in „vornehmer"
Abgeschlossenheit vom Volke zurückzog, die nichtsdestoweniger aber
sich anmaßte, die Geschicke des deutschen Volkes, das sie gar nicht
kannte, lenken zu wollen, trennt uns mehr als die Differenz einer
anders gearteten politischen Meinung; es trennt uns von ihr, um
das üble und abgenutzte Wort zu gebrauchen, ein« Weltan-
schauung. Die Schuld, die diese Kaste in den letzten- Jahren auf
sich geladen hat, ist ungeheuer groß. Vielleicht war es ein Gutes
des Putsches der Kapp-Lüttwitz usw., daß einzelnen Teilen des
Volkes die Augen darüber geöffnet wurden, wohin der Weg ging.
Das Kabinett, das sich vor kurzem unter Mitwirkung der
Gewerkschaften neukonftituiert hat, ist das Kabinett der
Wahlen. Der Name allein bezeichnet die Größe der Aufgaben,
die zu erfüllen Pflicht der Regierung ist. Der Ausfall der franzö-
sischen Wahlen seit Beginn der französischen Republik beweist, daß
die im Kabinett vertretenen Parteien auch die Wahlen „machen".
Wie weit dies bei der kommenden Reichstagswahl der Fall sein
wird, läßt sich heute noch nicht übersehen. Es handelt sich um
weit mehr als um die Erledigung technischer Fragen. Das
Kabinett hat die große und schwere Aufgabe, die noch kein Kabinett
bisher in befriedigender Weise gelöst hat, endlich Ausdruck, Spie-
gelbilddesVolkswillenszu sein, mit dem Volke in jene
Fühlung zu treten, die allein lebhaften Widerhall am Wahltage
gewährleistet. Wir verhehlen es nicht: ein- anderes Kabinett hätten
wir lieber gesehen. An Stelle des gründlichen Systemwech-
s el s, der eine scharfe Neuorientierung gegen rechts
hätte zum- Inhalt haben müssen, ist hauptsächlich einPersonen-
wechsel vorgenommen worden, und wir können nicht behaupten,
daß unser Zutrauen zu allen im neuen Kabinett vertretenen Per»
svnen ein besonders großes sei. Wir haben nach den Erfahrungen
der letzten Zeit keine Ursache, Blankow e.chselauföie Zu-
kunft auszuschreiben. Es wird Aufgabe der neuen Regierung,
und in erster Linie unserer Genossen in ihr, sein, sich das Vertruaen
des Volkes im höchsten Maße zu erwerben, denn nur dann wird
unsere Schlagkraft bei den kommenden Wahlen eine unüberwind-
liche sein.
Immer noch führen unsere Nationalisten das große Wort.
Immer noch spielt der „bunte Rock" eine Rolle, die er nach seinen
Leistungen im Dienste des Volkes zu spicken längst nicht mehr be-
rechtigt ist. Gewisse Leute im deutschen Volke müssen sich sagen
lasten (falls sie es nicht selber einsehen): sie haben nichts mehr bei
uns zu suchen. Der Boden, der sie trägt, ist deutscher Boden, und
den haben sie verraten. Sie haben sich die redliche Mühe ge-
geben, das deutsche Volk ins tiefste Unglück zu stürzen und als es
schief ging, da haben sie als Flüchtlinge — ihrem er-
lauchten Vorbilde in Amerongen getreu — diesen
deutschen Bod« verlassen. Wir zerreißen das Tischtuch, das uns
Wit einem Ludendorff, mit einem Lüttwitz, mit einem
Traub etwa verbinden könnte, wir haben keine Gemeinsamkeit
Wit jenen Leuten, und jeder afrikanische Wilde, jeder „Barbar",
steht uns gefühls- und verstandesmäßig näher als sie.
Hören wir das Geschrei unserer „nationalen" Presse uns ein
wenig genauer an, so müssen wir feststellen, daß esdumpf klingt,
dröhnt in ihm der Nachhall der Angst vor dem wider, was da
wrnmen wird. Unsere Alldeutschen und Chauvinisten fürchten den
Tag der Neuwahlen als einen Tag d e s G e r i ch t e s, als -einen
Tag, an dem sie gewogen und für zu leicht befunden werden. Auf

Gegen die französische Militärgewalt. — Eine
gewerkschaftl. Nebenregierung wird abgelehnt.
Berlin, 12. April.
Präsident Fehrenbach eröffnet die Sitzung 3,20 Uhr und teilt
zunächst mit, daß ein Telegramm des Abg. Ulitzka eingelaufen sei, daß
die Abgeordneten aus Oberschlesien von der Entente an der Ausübung
ihres Mandats gehindert werden. (Hört, hört! Unerhört!) Ein gleiches
Telegramm ist vom Abg. Hartmann eingegangen.
Gegen diesen unerhörten Eingriff der Entente in die Rechte des deut-
schen Volkes lege ich den allerscharfsten Protest ein und bitte di« Regie-
rung, sofort die notigen Schritte zu tun. (Beifall.)
Auf der Tagesordnung steht zunächst die Entgegennahme einer Er-
klärung der Regierung.
Reichskanzler Müller:
Der Präsident hat soeben mit Recht Protest erhoben gegen das
völkerrechtswidrige Verhalten der Entente. Aehnliche Meldungen liegen
aus Masuren vor. Di« Regierung wird energisch dagegen vorgehen.
Dem übermütigen französischen Militarismus können wir nichts entgegen-
setzen als unser gutes Recht. Senegalneger liegen in der Frankfurter
Universität, die Trikolore flattert über dem Mainagu. Der Kapp-Putsch
war eine Offiziers-Revolt«, die Reichswehr hatte dadurch das Vertrauen
bei der Arbeiterschaft verloren. Die Arbeiterschaft des Ruhrgebiets
konnte nicht mehr erkennen, ob sie verfassungstreue oder reaktionäre Trup-
pen sich gegenüber hatte. Das ist die Schuld der Kapp-Tage. (Wider-
spruch und Lachen rechts.) Ohne Kapp kein Generalstreik, ohne diesen
keine rote Armee im Ruhrrevier! Die Arbeiter sind zu ihrer Arbeit
zurückgekehrt, aber der Janhagel des ganzen Ruhrreviers machte sich die
Situation zunutze. Dagegen mußte die Regierung einschreiten und so
maschiertc die Reichswehr ein. Selbst die Unabhängigen forderten den
Einmarsch des Militärs. Solange es noch eine Möglichkeit der fried-
lichen Verständigung gab, mußten wir zuwarten, aber als alle den Ein-
marsch verlangten, mußten wir vorgehen oder abdanken. Wir mußten
eimnarschieren, ohne die Einwilligung Frankreichs erlangt zu haben, das
die Aktion für unnötig und gefährlich erklärte. Die Notwendigkeit, dies
zu beurteilen, war Sache der Reichsregierung. (Beifall.) Wir haben eine
formale Unterlassung begangen. Den Weltfrieden haben wir nicht be-
droht.
Wir erheben gegen die französische Regierung Anklage,
den Versailler Frieden verletzt und den Völkerbund, noch ehe er in Kraft
trat, um jeden Kredit gebracht zu haben. Die militärische VergewMgung
Deutschlands ist eine Versündigung gegen Europa wie gegen das franzö-
sische und das deutsche Volk.
Wir wollen die Waffen im Privatbesitz im Ruhrgebiet einsammeln.
Frankreich hindert uns daran. Die -Einwohnerwehren, die keine
militärische Organisation sind, richten sich gegen Plünderung und Anar-
chie. Die Regierung hat mit -den Ländern über die Auflösung der Ein-
wohnerwehren nur verhandelt aufgrund der Forderungen der Entente,
nicht aufgrund der Forderungen- der Gewerkschaften.
Eine Nebenregierung der Gewerkschaften lehne ich ab.
(Beifall.) Mitregieren kann nur der, der die Verantwortung mit über-
nimmt. Die Gewerkschaften hatten keinerlei Forderungen ulti-
mativen Charakters gestellt. Allerdings lege ich größten Wert darauf,
die Wünsche der. organisierten Arbeiterschaft z-u hören. Nach dem Sturz
der Machtpolitiker wird das deutsche Volk eine Demokratie sein oder es
wird -nicht fein.
Frankreich hat alle- nationalistischen Instinkte wieder erweckt. Die Na-
tionalisten aller Länder leisten sich die besten Dienste. Kapp oder Doch!
Wir erlauben dem Militarismus kein Zurückkehren.
Die militärische Aktton im Ruhrgebiet geht ihrem Ende entgegen.
Damit wird hoffentlich auch die Besetzung des Maingaues ihr Ende er-
reichen. Wir wollen uns abkehren von allen Kriegsanschauungen und
allen KviegsMitteln. (Beifall.)
Präsident Fehrenbach schlägt vor, in die Erörterung morgen einzu-
treten und die übrigen Gegenstände von der Tagesordnung abzusehen.
Morgen Anfragen, Besprechung der Erklärung der Regierung ufw.
Schluß nach 4 Pt Uhr. -
Leon Bourgeois über die Bedeutung des
Völkerbunds.
Paris, 12. April. Bei Ausgang der gestrigen Völkerbunds-
sitzung wurde Bourgeois interviewt. Im Laufe des Gesprächs
wies Bourgeois daraus hin, daß der Völkerbund kein lee -
rerOrganismussei, sondern von hohem, ungeheurem Werte
und Nutzen. Der beste Beweis hierfür sei, daß sich bereits Staaten,
die sich in schwerer Lage befänden an den Völkerbund wandten. Als
Beispiel nenne er nur Rumänien. Doch, so schloß Bourgeois, fehle
es dem Bunde noch an jeglichen Mitteln, die ihm ein segensreiches
Wirken ermöglichen könnten.

der einen Seite steht die ungeheure Mehrheit des deutschen Volkes,
auf der anderen eine widerstrebende, bösartige, giftig zersetzende
Klique. Wer kann noch am Ausgang zweifeln?
Die Sozialdemokratie hat in der nächsten Zeit hohe
Aufgaben zu erfüllen. Falls sich auf irgend weicher Seite die Nei-
gung zeigen sollte, den Termin der Wahlen hinauszuschieben, so
hat sie mit aller Entschiedenheit derartige Versuche von vornherein
zu unterbinden. Darüber hinaus ist es ihre Aufgabe, ein wach-
sameres Auge auf die G -e f a h r v o n r e ch ts zu werfen, als es
bisher geschehen ist. Vieles ist versäumt worden, viel kann wieder
gut gemacht werden. Der Kampf gegen links mutz auf das durch
sachliche Erwägungen unbedingt notwendige Maß zurückgeführt wer-
den. Hierdurch bereiten wir jene E i n i gk e i t - e s Proleta-
riats vor, die herbeizuführen dringendstes Gebot der Zukunft ist.
Es gilt eine so geschlossene Konzentration der Kräfte,
wie wir sie im gleichen Umfange noch nie erlebt haben. Erreichen
wir dies — und an diesem hohen Werk mitzuarbeiten ist Aufgabe
jedes Einzelnen —, dann wird die Sozialdemokratie, alt und ver-
jüngt zugleich, siegreich aus dem Wahlkampf hervorgehen.

Der englisch-frarrzöfische Notenwechsel.
Inhalt der englischen Note.
London, 12. April. Das Reutersche Büro erfährt, daß'
die britische Antwort ans die französische Not« erneut versichert, daß
die britische Regierung entschlossen sei, die Durch-
führung des Friedensvertrages mit Bezug auf die Abrüstung,
Wiedergutmachung, Kohlenlieferungen und an-
dere ähnlicher Fragen im vollen Zusammenwirken mit den anderen
Alliierten zu erzwingen, bemerkt jedoch, daß die augen-
blickliche Meinungsverschiedenheit mit Frank-
reich nicht dis Durchführung des Friedensvertrages, sondern die
Lage betrifft, die aus dem Ansuchen der deutschen Regierung, Trup-
pen zur Herstellung der Ordnung in die nmtrale Zone senden zu
dürfen entstanden sei. Es sei bekannt, daß die von den anderen
Alliierten geteilte Ansicht der britischen Regierung die war, daß dem
Ansuchenstattgegeben werden solle, wenn Bürgschaften da-
für gegeben würden, -daß die Neutralität nach Ablauf der Aeitfrist
wieder hergestellt würde. Die britische Regierung war vollauf
bereit, diese Bürgschaften zu erzwingen. Andererseits war die
französische Regierung der Ansicht, daß die deutschen Truppen die
Erlaubnis, die neutrale Zone zu betreten, nur unter der Bedin-
gung erhalten könnten, daß die Truppen der Alliierten zur Besetzung
deutscher Städte vorrückten. Dieser Politik hätten sich die Alliier-
ten einmütig widersetzt. Daraufhin hätten die Franzosen
beschlossen, unabhängig zu handeln. Es verlautet, -daß die französi-
sche Antwort bas unabhängige Vorgehen der Franzosen rechtfertige
und erkläre, Frankreich beabsichtige, keine Aktion zu unterneh-
men, zu der es nicht vorher die Zustimmung der Alliierten erhalten
habe. Die britische Regierung ist jedoch -der Ansicht, daß die Stärke
und der Erfolg ejden Bündnisses von -der Einmütigkeit der Aktton
abhänge und- daß in Anbetracht dessen, daß mit der Möglichkeit einer
unabhängigen Aktion immer noch, gerechnet zu werden scheint, die
Lage noch geklärt werben müsse. Wie verlautet, wird, bis
in diesem Punkte völlige Verständigung erzielt ist, der britische Bot-
schafter in Paris keimn Sitzungen der Konferenz zwecks gemeinsamer
Berktungrn über Maßnahmen bezüglich Deutschlands beiwohnen,
da solche Konferenzen wertlos sind, solange einer der Alliierten un-
abhängig von den übrigen handelt.
Erteilung der Antwort auf die englische Note.
Paris, 12. April. Wie eine Note der „Agence Havas" mitt
teilt, empfing Ministerpräsident Millerand gestern abend den eng-
lischen Botschafter Lord Derby und überreichte die Antwort
derfranzösischen Negierung auf die letzte englische Note.
„Petit Parisien" will wissen, der englische Botschafter habe den
französischen Ministerpräsidenten gefragt, ob er sich nach San
Remo zu begeben gedenke. Millerand machte seine Antwort von
der Aufnahme, die seine Note in England finden werde, abhängig,
denn es fei von Interesse, daß der Zwischenfall beigelegt fck, bevor
die Verhandlungen in San Remo beginnen. Im Grundsätze aber
habe Millerand den 19. April als Datum der Zusammenkunft in
San Remo angenommen. Dieser Meldung steht eine Nachricht
des Londoner Korrespondenten des gleichen Blattes gegenüber, der
von autorisierter Seite erfahren haben will, die englische Regierung
sei entschlossen, dem Obersten Rat in San Remo die Lösung des
Konflikts zu überlassen. Wie die Morgenblätter melden , ist es
fraglich, ob Ministerpräsident MMerand schon h eute in der
französischen Kammer eine Erklärung über den englisch-fr a n-
zösifchen Zwischenfall und über die Besetzung der Main-
städte abgeben wird. Es sei wahrscheinlich, daß dies erst am Diens-
tag oder Mittwoch geschieht. Heute soll der Ministerpräsident vo>
dem Kammerschluß für auswärtige Angelegenheiten erscheinen, i n
Aufklärung zu geben.
Eine Erklärung der französischen Behörden.
Frankfurt a. M., 12. April. Auf Befehl der französi-
schen Besatzungsbehörden fall morgen die nachfolgende Erklärung
der französischen Behörden in allen Zeitungen bekannt gegeben wer-
den:
1. Dis französischen Behörden erklären die Gerüchte bckr. B e-
setzung von Aschaffenburg sowie Gefechten, die zwi-
schen der Zivilbevölkerung und französischen Truppen stattgrfunden
haben sollen, auf das Entschiedenste fürunwahr. Die französi-
schen Behörden haben niemals die Absicht gehabt, diese Stadt zu
besetzen. Sie stellt mit Befriedigung fest, daß in dem Bezirke
Frankfurt a. M., Offenbach und Hanau Ruhe herrscht
ustb daß das normale Leben seinen Fortgang nimmt-
2. Seit der Besetzung Frankfurts haben sich die französischen
Behörden damit befaßt, das Fortbestehen des wirtschaftlichen Le-
bens der Bevölkerung, welche unter -der Kontrolle der französischen
Behörden steht, sicher zu stellen. Trotz des Belagerungszustandes
steht es den deutschen Lebensmittelftellen vollständig frei, mit Ber-
lin und dem unbesetzten Deutschland die Verbindungen aufrecht zu
erhalten. Die Zufuhren aus der Schweiz, Holland usw. können uw
behindert weiter fortgehen. Der größte Teil der Kohlensendungen,
die auf dem Main kamen, ist den Fabriken zur Verfügung gestellt
worden, um Arbeitseinstellungen vorzubeugen, die besonders die ar-
beitende Bevölkerung hart betroffen hätten. Die französischen Be-
hörden werden alles daran setzen, damit die Ko hlenzu fuhr en
regelmäßig eintreffen. Aber es ist zu befurchten, daß durch die
Operationen, welche die deutsche Reichsregierung nn Ruhrkohlen-
gebiet unternimmt, die A u sdeu t u n g d er B e rgwerk e i m-
mcrschwierigerwird. Sollte die Bevölkerung Frankfurts
künftig in der Hinsicht zu leiden haben, so möge sie wissen, daß di«
franöfifchen Behörden-keine Verantwortung trifft.
 
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