Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (1/2) — 1920

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44126#0063
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

rageszertmrg für die werktätige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim, Epping en, Eberbach, Mosbach, Buchen, Adelsheim, Boxberg,
Tauberbischofsheim und Wertheim

MonallÄH eLnschl. Lräacrlohn r.soMk. Anzeigenpreise:
Vk «Lrspattige HetitzrKe (ZS nrrn breit) 40 Hsg., Rettame-Anzeigen
(VZ «Ao» breit) 2.—Mk. Äei Wiederholungen Nachlaß nach Tarif.
GcheimnMet<«nr^gen werben nickt ausgenommen.
SMGtWMchey :«-VsS tchr. Sprechstunden der Redaktion: 41-12 llhr.
PSflscheSk»n»o Karlsruhe Rr. M?7. Tel -Adr.: VolkszettmrgSeidetbertz.

Heidelberg, Samstag, ^7. Januar ^S20
Nr. ^4 » 2. Jahrgang

Derantvortl.: Für innere u. äußere Politik, Volkswirtschaft «.Feuilleton: Or.
8. Kraus: für Kommunales u. soziale Rundschau: I. Kahn: für Lokales:
O. Geibel, für die Anzeigen: H. Hoffmann, sämtlich in Heidelberg.
Druck und Verlag derLtnterbadischen Verlagsanstakt G. m. b. H., Heidelberg.
Geschäftsstelle: Gchröberstraße ZS.
Fernsprecher: Anzeigenannahme 2673, Redaktion 2S48.

Rückblick.
Kr. Heidelberg, 17. Januar.
Was wir beim Eintritt ms neue Jahr hoffen durften, ist ein-
«elreten: Der Friedensocrtrag von Versailles ist am 10. Januar
nachmittags 4X Uhr unterzeichnet worden. Wir haben aufgeatmet
nach hem alten Wahrwort: Heber ein Ende mit Schrecken, als ein
Schrecken ohne Ende. Denn bisher war die außenpolitische Situa-
tion für uns ein Schrecken ohne Ende. Wir hatten zwar den
Kricbensvertrag von Versailles unterzeichnet, aber der Vertrag war
noch nicht in Kraft getreten. „Hangen und Bangen in schwebender
Pein" war unser Los: der latente Kriegszustand bestand weiter.
Tag für Tag mußten wir neue Drohungen und Erpressungen über
uns ergehen lassen; wir tonnten nicht aufbauen, weil uns der solide
Baden fehlte. Dieser unerträgliche Zustand ist jetzt mit der Rati-
fikation zu Ende, wir wissen, wo wir für die nächsten Jahrzehnte
dran sind. Aber es allerdings ein Ende mit Schrecken. Tag
für Tag spüren wir das mehr, jetzt, wo die einzelnen Fristen des
Friedensvertrags mit unerbittlicher Härte in Kraft treten, wo die
mdeutschen Gebiete in West, Nord und Ost von unserem Staats-
körper abgetrennt werden, wo die Durchführung der schweren und
Hanen, ja z. T. unmöglichen Wiedergutmachungsbedingungen, die
Auslieferung der sog. Schuldigen u. a. m. kategorisch von uns ge-
fordert wird. Leiber ha: der größte Teil des deutschen Volkes,
angefangen von der sog. Aristokratie bis herab zum Volk, die ganze
Schwere der Zeit und die ganze Härte dieses Versailler Vertrags
nicht begriffen. Roch immer hält der Taumel wildester Lust, Aus-
gelassenheit und Genußsucht unser politisch unreifes Volt gefangen.
Man schimpft, daß keine Kohlen da sind, daß die Bahnen nicht mehr
gehen wie früher: dabei denkt man aber nicht daran, daß wir durch
den ruchlosen Krieg arm geworden sind an volkswirtschaftlichem Ka-
pital und Produttivmittein. daß wir Lokomotiven und Wagen-
material an unsere Feinde abliefcrn mußten, daß wir gezwungen
sind, jährlich 17 Millionen Tonnen Kohlen an die Eutenlestaatcn
abzugeben. Vor allem macht sich dieses taumelnde Voll nicht klar,
daß jeder unnötig ausgegebene Pfennig für Auslandsware, für
Luxus und Zigarretten unsere Valuta drückt und ein Verbrechen am
Vollsganzen bedeutet.
Jawohl, wir verstehen es, daß unser durch fünf Kriegsjahre
ausgesogenes und ausgehungertes Volk leben, genießen will; aber
es muß sich klar machen, daß es am Abgrund steht, daß es nur
wieder hoch kommen lann, wenn es freiwillig darbt und spart und
nur das Notwendigste konsumiert. Jetzt rächt sich all die schwere
Schuld des allen Systems, das keinen Werl auf freie Staatsbürger
und Persönlichkeiten, sondern auf ein guvernablcs Volk legte,
das jeden Befehl von oben gehorsam vollführte. Jetzt gilt es, unser
Volt zu politisieren, staatsbürgerlich zu erziehen.
Was nun? Deutschland beginnt eine neue Periode seiner'
Außenpolitik. Bereits in unserem letzten Rückblick*) haben wir
daraus hingewiesen, daß ihre Grundlage eine ehrliche und klare
Vv He rb u n d s p o i it i k ist. In einem besonderen Artikel**)
haben wir diesen Standpunkt zu beweisen 'gesucht. Wir hätten er-
warten dürfen, daß unsere Regierung den Zeitpunkt, in welchem
der Vertrag in Versailles ratifiziert wurde und an alle neutralen
Staaten der Appell zum Eintritt in den Völkerbund erging, dazu
benützte, in einer dem Reichstag abgegebenen Erklärung vor aller
Welt zu versichern, daß Deutschland nur in seinem, Eintritt in den
Völkerbund, in der Revision des Friedens durch diesen Völkerbund
und im Ausbau dieses Völkerbundes zu einer demokratischen politi-
schen Weltorganisation sein Heil sieht. Eine solche weithin ver-
nehmbare Erklärung hätte in allen anderen Staaten gewirkt, hätte
vor allein auf die ganze Politik der Neutralen einen ungeheuren
Andruck gemacht. Nichts derartiges ist geschehen!
Stumps, müde, protestierend hat man die Ratifikation hingenom-
men. Dabei dürfen wir nicht stehen bleiben; wenn wir hochkommen,
wenn wir in der Well wieder eine geachtete Rolle spielen wollen,
müssen wir in der Politik geistig führend vvrangehen. Die „Volks-
-eitung" wird nicht müde werden, ihre Leser immer und immer
wieder aus diesen Schwerpunkt zu lenken.
Sonst hat sich Nennenswertes in der Außenpolitik nicht er-
eignet. Die Stellung Amerikas zu Friedensvertrag und Völ-
kerbund ist immer noch nicht entschieden, auch die große amerikani-
sche Anleihe für Europa ist noch nicht perfekt geworden. In R u ß-
land haben die bolschewistischen Armeen weitere Fortschritte ge-
macht, so daß man wohl heute schon die ganze Reaktion der Denikin,
Kolffchak und Judenitsch als zusammengebrochen ansehen kann. In
Frankreich sind Senat und Dcputierlenkämmer als Assemblee
national« zusammengetreten, um. Frankreichs Präsidenten zu wäh-
len. Ob Clemcnceaus Kandidatur durchgehen wird, ist, wie wir
gestern gemeldet haben, noch in letzter Stunde durch eine Aktion
Briands fraglich geworden. (Siehe heutige Meldung über Zurück-
ziehung der Kandidatur Clemcnceaus.)
Unsere innerpvlitischc Lage hat sich in den letzten Tagen aufs
äußerste zugcspitzt; die Streikbewegung besonders der Eisenbahner
wird von demagogischen Hetzern immer mehr zu einer neuen poli-
tischen Umsturzbewegung zu machen gesucht. Und dazu nun das
neue Berliner Blutbad um die Betriebsräte. Ls kommt gar nicht
darauf an, ob jetzt der oder jener unabhängige Führer und Parla-
Mentarier bestreitet, mit den demonstrierenden Massen in Verbin-
dung gestanden oder sie zu gewaltsamem Umsturz aufgefvrdert zu
Haden — Tatsache ist, daß die Unabhängigen und ihr Organ, die
„Freiheit", fett Monaten durch Wort und Schrift in gemeiner,
wüster Hetze die Sphäre geschaffen haben, die sich früher öder später
in ueuem Terror entladen mußte. Die „Franks. Zeitung"
schreibt dazu:
„Denn jetzt die Unabhängigen als Gesamtheit leugnen, daß sie in
diesem Augenblick den Staat Umstürzen wollten, wenn sie behaupten, daß
sie nichts anderes beabsichtigten, als mit dem Rechte jedes Staatsbür-
gers für ihre Ziele zu demonstrieren, wenn sic auch den Streiks der
Eisenbahner und der anderen alle politischen Ziele abstreiten und sic
lediglich als wirtschaftliche Kämpfe ausgcfaßt wissen wollen, so mindert
das nicht ihre Schuld, sondern es steigest sie nur. Denn das ist der
schlnmnste Frevel an dem Volke: wenn man es aufreizt, ohne doch selbst
an den Erfolg zu glauben, wenn man ihm jeden Rest von Glauben an
die bestehenden Einrichtungen mit unausgesetzter wilder Verhetzung zer-
stört, ohne doch zu wissen, was man, wenn man selbst zur Macht käme,
an b«e« Stelle setzen sollte. Dieses Frevels aber haben sich unsere
Linksradikalen, Unabhängige und Kommunisten, unaufhörlich schuldig
'") Siehe'„Bolksztg." vom 2. .Jan. **) S. „Volksztg." vom 11. Ian.

Die neuen Diplomaten.
Berlin, 17. Ian. (W.B.) Zu deutschen Geschäftsträgern sind
folgende Herren ernannt worden: London Senator Sthamcr°
Hamburg, Paris Reichsminister a. D. Mayer-Graf b euren,
Brüssel Reichsmmister a. D. L a n d s b e r g, Madrid Gesandter Dr.
Rosen, Wien Gesandter von Rosenberg, Tokio Staats-
sekretär a. D. Dr. SoIfs, Rom Freiherr von Lucius, Prag
Prof. Sänger, Haag Oberst Renner. In Stockholm wird der
Gesandte von Lucius durch den Gesandten vonNadolny er-
gänzt. Der Gesandte Adolf Müller verbleibt auf seinem
Posten in Bern.
Dus Betriebsrätegesetz in 2. Lesung
angenommen.
Berlin, 16. Jan. (W.B.) Die Nationalversammlung beendete
heute nach als 13skündiger Sitzung nachts ^11 die 2. Lesung des
Betriebsrätegefetzes. Die einzelnen Paragraphen wurden im we-
sentlichen nach den Beschlüssen des Ausschusses gegen die Stimmen
der Rechten und Unabhängigen angenommen. Die 3. Lesung er-
folgt am Sonntag nachmittag 12 Uhr.
Deutscher Protest gegen die Rheinlands-
verordnungen.
Berlin, 16. Ian. (W.B.) Der Reichsmmister des Aeußern
beauftragte in einem Erlaß an den Freiherrn von Lersner in Paris,
diesen den Vertrag der alliierten und associierten Mächte eine Note
über die Verordnungsentwürfe der alliierten Rheinlandskommis-
sion zu überreichen. Diese Note, in der die Regierung feierlich Ver-
wahrung gegen die von den alliierten und associierten Mächten ge-
gebenen Verordnungen, die dem Rheinlandabkommen zuwrderlaufen,
eingelegt, wurde inzwischen von Lersner überreicht.
Das Urteil im Arco-Prozetz.
München, 17. Ian. (W.B.) Das Uneil gegen den Mörder
Eisner, den Grasen Arco lautet auf Todesstrafe ohne Aberkennung
der bürgerlichen Ehrenrechte.
Eintritt der Neutralen in den Völkerbund.
Haag, 16. Ian. Die Beitrittserklärungen von Spanien,
Schweden, Norwegen, Dänemark und Holland, die Clemenceau be-
reits empfangen Hal, sind alle unter dem Vorbehalt gegeben, daß
die Parlamente der betreffenden Länder in den Schritt einwilligen.
Die Schweiz hat bei ihrer Zusage die Aufrechterhaltung der Neutra-
lität verlangt.
Clemenceau zieht seine Präsidentschafts-
kandidatur zurück.
Paris, 16. Jan. (W.B.) Die Mitglieder des Senats und
der Kammer traten heute zu einer Vollsitzung zusammen, um die
Kandidaten für die Ptäsidentschast zu bezeichnen. Das Ergebnis
der Abstimmung ist folgendes: Deschancl 408, Clemenceau
389, Poincare 16, Ionnart 6 ,Leon Bourgeois 5, und Foch eine
Stimme. Clemenceau zog darauf seine Kandidatur für die Prä-
sidentschaft zurück.

gemacht. Ihre Kundgebungen aus den letzten Monaten und selbst noch
aus den letzten Wochen waren, wenn sie sich ernsthaft mit dem Gedanken
eines „Weitertreibens" der Revolution befaßten, auf einer, recht resig-
nierten Ton gestimmt. Sic fühlten die Revolutions-Müdigkeit
der Massen, sie sahen das wieder stark, auch in der Arbeiterschaft,
lebendig gewordene Bedürfnis nach Ordnung, sie waren sich auch nicht
unklar darüber, daß das, was dem Volke jetzt zunächst not tut, nämlich
Brot, Kohle und Arbeit, von ihnen auch nicht geliefert werden könnte.
Und die innere Verlogenheit ihrer Agitation lag eben dann, daß sie auf
der einen Seite dies alles erkannten und daß sie auf der anderen Seite
doch im gleichen Atem immer wieder die Hoffnung nährten, daß die furcht-
bare wirtschaftliche Not des Volkes den Boden reif machen würde für
einen neuen Umsturz — von dem sie dann auch nicht sagen konnten, was
er eigentlich helfen solle! Sie spekulierten aus den Zusammenbruch, för-
derten ihn durch ihre Verhetzung und sahen fatalistisch dem Schauspiel
zu, wie nichr aus ihrem planvoll bewußten Willen, sondern nur aus dem
planlos von ihnen beschleunigten Schicksal sich irgend ein Neues, Furcht-'
bares entwickeln sollte, von dem sie'selbst nickt wußten, was dann damit
anzufangen, von dem sic nur erwarteten, daß cs bas Bestehende zer-
stören würde!"
Wir haben diesen Sätzen, di« vor allem psychologisch den Nagel
auf den Kopf treffen, nichts hinzuzufügen.
Nur zwei wichtige Bemerkungen müssen wir noch machen. Di«
neue Hetze der Radikalen hat uns in der innerpolitijchen Entwicklung
wieder aufs neue mächtig zurückgeworfen. Einmal hat die Reak-
tion wieder eine gewaltige Stärkung erfahren; viele wertvollen
Elemente des Bürgertums, die uns sympathisch gegenüberstanden
und vielleicht in der kommenden Wahl an unserer Seite gekämpft
hätten, sind durch diesen ekligen Putschismus und Terror wieder
der Rechten in die Arme getrieben worden. Und dann hat die
Entwicklung zum Einheitsstaat wieder einen mächtigen Schlag er-
litten. Immer mehr heißt es gerade in Süddeutschland wieder:
„Los von Berlin" und „Baden den Badenern", weil alle
demokratisch gesinnten Nicht-Berliner nicht gewillt sind, sich fort-
gesetzt durch eine im Reichszentrum zufällig akkumulierte Mehrheit
von Radikalinskis, vermischt mit dunklen und verbrecherischen Ele-
menten, lerrorisiercn zu lassen. Der Kampf um die notwendige
Reichseinheit ist aufs neue sehr erschwert worden.
Tatsache ist, daß bei den Nationalversammlungswahren 1919
die Sozialdemokratie sich noch weit mehr Mandate hätte erobern
tönnen, wenn nicht die Dezember- und Ianuarputsche vorausge-
gangen wären. Wir befürchten, daß wir die neuesten Berliner Er-
eignisse auch bei der kommenden Reichstagswahl bitter zu spüren
bekommen werden. Dann kann sich die besonnene Arbeiterschaft
wieder bei den unverantwortlichen Radikalinskis bedanken, die Re-
volution um der Revolution willen wollen.

Politische Uebersicht
Der Reichskanzler über den Frieden.
Reichskanzler Bauer gewährte dem Berliner Ver-
treter der „Neuen Z ü r i ch e r Z e i tu n g" eine Unter-
redung. Im Verlaufe dieses Gesprächs äußerte er sich im An-
schluß an die Ratifikation des Friedens wie folgt:
Welche Stellung wir als Volk und als Regierung einnehmen wollen,
wird Ihnen bekannt sein. Wir sind entschlossen, den Versailler Vertrag
zu halten, so schwer er ist: wir wollen keine Revanchepolitik
treiben, sondern wir wollen arbeiten; wir wollen uns also bemühen,
Paragraphen für Paragraphen des Versailler Friedens innczubalten, und
das mit voller bewußter Loyalität. Wir erwarten aber auch, daß bi«
Entente loyal sein und zu einer Milderung des Versailler
Friedens bereit sein wird, so bald sich herausstellt, daß er in dieser
Form undurchführbar ist. Denn darüber wollen wir uns klar sein, wenn der
Versailler Vertrag Buchstabe für Buchstabe in dem Geiste ausgcfübrt
wird, in dem der Waffenstillstand gehandhabt worden ist, so bedeutet er
nicht den Beginn eines Friedcnszüstandes, sondern die Fortsetzung
des Krieges mit politischen Mitteln — die Fortsetzung des
grausamsten Krieges, den die Welt bisher gesehen hat. Ich vertraue,
daß die Entente nach und nach einschen und zugebcn wird, daß es in
ihrem eigenen Interesse liegt, die Friedensbedingungen zunächst in der
Praxis und dann auch in der Form zu mildern.
Keder die Maßnahme der alliierten Kommission im besetzten
Rheinland sagte der Reichskanzler:
Aus diese Weise wird das Rheinland den ganz subjektiven Verwal-
tungsmatzirahmen der Hohen Kommission unterstellt, ohne daß ihm
eine Appellativnsmögiichkcit gewährt würde. Das erinnert an die Zu-
stände, die im zaristischen Rußland herrschten. Und dieser Zustand soll
fünfzehn Jahre dauern? Die Entente wird selber einschen, daß sie Mil-
derungen eintrcten lassen muß; nickt nur aus allgemeinen rechtlichen
Gründen, sondern aus der ganz realpolitischen Erkenntnis heraus, daß
man auf diese Weise nicht dauernde Verhältnisse schafft."
Ein Reichsmimsterium für die besetzten Gebiete.
Berlin, 16. Ian. Wie wir hören, ist die Schaffung eines
besonderen R c i ch s m i n i st e r i u m s für die b e s e tz r e n Gebiete
beabsichtigt.

Kein Streik in Frankfurt.
Frankfurt, 16. Ian. Die Eisenbahner Großsranksurts,
soweit'sie im Deutschen Eisenbahnerverband organisiert sind, spra-
chen sich in einer Vertrauensmännerversammlung gegen einen Streik
als zurzeit unzweckmäßig und aussichtslos aus. Sie wollen aber
bis zur Erfüllung ihrer Lohnforderungen die Arbeiten nach Vor-
schrift in verschärfter Form durchführen.
Geßler geht nach Paris.
Berlin, 16. Ian. Der Wiedcrausbauminister Dr. Ecß -
l c r wird, wie wir erfahren, anfangs nächster Woche aus Einladung
des französischen Wiederaufbauministers Lvucheur nach Paris reisen,
um über wichtige Vorfragen des Wiederaufbaus prinzipielle
Aussprachen zu haben und die erforderliche Einigung herbcizuführen.

Einst und jetzt.
Die Haltung unserer Partei bei dem Berliner Reichstagsputsch
und besonders die Reden unserer Minister (Bauer, Heine) werden
von der U.S.P.-Presse in Verbindung mit den konservativen Zei-
tungen wesentlich gegen uns ausgeschlachtet. Bor allem wirst man
uns Verrat an den Prinzipien der alten Sozialdemokratie vor.
Was hätten wir vor 6 Jahren gesagt, als wir die Demonstrationen
gegen den Krieg und das alte System veranstalteten, wenn man
auf uns geschossen, unsere Zeitungen verboten hätte? -— so sagt man.
Die Wahrheit aber lautet anders. Vor 6 Jahren hatten wir
— so schreibt mit Recht die „Soz. Korr." — Dreiklasienparlamenl,
Gewaltherrschaft, den Militarismus der „Edelsten und Besten", die
brutale Beschimpfung des Volkes ohne jeden Grund, wie der
„Mackes" in Zabern, und wüste Schncidigkeit. Heute haben wir
den demokratischen Staat. Die Regierung ist legitimiert durch den
Willen des Volkes. Noch in diesem Jahre wird neu gewählt. Wenn
das Volk will, bekommt es eine neue Regierung. Niemand braucht
mehr zu den Waffen zu greifen, der nicht mit der Minderheit die
Mehrheit brutalisieren will. Sonst kommt jeder mit dem gleichen
Recht zu seinem gerechten Anspruch. /
Damals vor sechs Jahren hat die Sozialdemokratie Riesen-
demonstrationen veranstaltet. Stundenlang zogen die Züge durch
die Straße trotz Polizei und Militär. Aber nicht eine Fensterscheibe
ist damals zerbrochen worden. Die Partei hatte durch ihre Ordner
dafür gesorgt, daß keine unlauteren Elemente sich einmischten, oder
daß sie sofort unschädlich gemacht wurden. Die Masse selbst hielt
straffe Disziplin und war stolz daraus, nicht mit dem Rüstzeug -er
Barbaren und auch nicht mit dem Rüstzeug der modernen Kriegs-
technik zu kämpfen, sondern nur des Geistes Schwert und des Rech-
tes Panier zu schwingen. Am Dienstag vor dem Reichstag sah es
ja wohl etwas anders aus.
Damals gewaltlose Willenskundgebung gegen eine brutale
Gewaltherrschaft der Minderheit, heute eine gewalttätige Kund-
gebung der brutalen Minderheit gegen die Herrschaft der Mehrheit
— der Unterschied ist mehr als riesengroß.
Ausdehnung des Verkehrsstreiks.
Die Streikwelle wächst. Aus allen Teilen des Reiches wird steigende
Erregung und Nervosilät unler den Eisenbahnern gemeldet. Es ist ebne
Zweifel festgestellt, daß! die Unabhängigen und Kommunisten einen Riesen-
lamps in Deutschland mit allen Kräften schüren.
Das politische Verbrechertum ist am Werke, das deutsche Volk mit
Gewalt in den Abgrund zu stoßen. Im Westen haben diese Schufte be-
wirkt, dc»ß wohl Enlcntezüge durchgelasscn, daß aber L e be n sm i t t e l -
und ilchzüac sür die städtische Bevölkerung angchalten wur-
den. Auf allen Stationen ist man am Werke, die unerfahrenen Arbeiter
in den Streik zu Hetzen und den Verkehr zu stören und emzustellcn. Man
treibt offenbar zunächst auf eine Einheitsfront der Eisenbahner im
Westen hin.
Aus Frankfurt a. M. wird gcdrahtdt: Die Eisenbahnerbewegung
hat sich derartig zugespitzt, daß auch hier mit einem Streik ge-
rechnet werden muß. Die Handarbeiter verlangen sofortige Reaelung
ihrer Einkomtncnvcrhältnissc. Bedenklicher ist die Lage in den Bahn-
ämtern Wetzlar, Limburg und Gießen. Obwohl die Eisenbahn-
direktion die Einreihung dieser Orte in die Lohnklasie 1 für dringend er-
achtet, hat die iy Berlin tagende Kommission sie der Lohnklassc 3 zu-
 
Annotationen