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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (1/2) — 1920

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Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim, Eppingen, ESerbach, Mosbach, Buchen, Adelsheim, Boxberg
Tauberbischofsheim und Wertheim.

Bezugspreis: Monatlich einschl. Trägerlohn 2.Z0 Mk. Anzeigenpreise:
Oie einspaltige Petitzeile s3b mm breit) 7t) pfg., Reklame-Anzeigen
(SZ WM breit) 2.20 Mk. Bei Wiederholungen Nachlaß nach Tarif.
Geheimmittel-Anzeigen werden nicht ausgenommen.
Geschäftsstunben: 8 - V,6 Uhr. Sprechstunden der Redaktion: 11 -72 Uhr.
Postscheckkonto Karlsruhe Nr. 22577. Tel.-Adr.: Volkszeitung Heidelberg.

Heidelberg, Mittwoch, 24. März 4920
Nr. 20 » 2. Jahrgang

Verantwort!.: Für innere u. äußere Politik,Volkswirtschaft u. Feuilleton: Or.
E.Kraus,- für Kommunales u. soziale Rundschau: Z.Kahnr für Lokales:
O. (Seibel; für die Anzeigen: H. Hoffmann, sämtlich In Heidelberg
Druck und Verlag der llnterbadischen Verlagsanstalt G.m.b.H., Heidelberg
Geschäftsstelle: Schröderstraße 3S.
Fernsprecher: Anzeigen-Annahme 2673, Redaktion 2648.

Der Feind steht rechts!

Ein wichtiges sozialistisches Gesetz.
Am letzten Sonntag fand in der Schweiz, zugleich mit der
Volksabstimmung über das Verbot der Spielbanken, die Volksab-
stimmung über bas Bundesgesetz für die Regelung
des Arbeitsverhältnisses statt, ein erster kümmerlicher
Anfang des Deutschen Betriebrätegesetzes. Das endggültige Resul-
iat liegt noch nicht vor, die bisherigen Einzelm-elbungen ergaben in-
des eine Mehrheit für die Annahme des Gesetzes. Der
Gegenvorschlag der Bundesversammlung ist damit abgelehnt, wie-
der einmal ein Beweis dafür, daß repräsentativer Parlamentswille
;nd Volkswüle sich oft gar nicht decken.
Das Arbeitsgesetz enthält die Schaffung von staat-
lichen Arbeitsämtern, die die Aufgabe der
offiziellen Erforschung des Arbeitsverhältnisses
Haben. Zu ihrer Beihilfe werden Unterkommissionen, die
erdenössischen Lohnämter und Lohnausschusse
eingerichtet. Außer der Erforschun-gstä-tigkeit liegt dem Arbeitsamt
die Ausführung der Entscheide der Lohnkommissionen ob.
Die Lohnausschüsie, die die erste Instanz bilden und
rechtsverbindliche Löhire aufstellen
setzen sich aus einem neutralen Obmann und jedrei Vertre-
ter der Betriebsinhaber und der Arbeiter oder An-
gestellten, die für 3 Jahre gewählt werden, zusammen. Die Lohn-
kommission, ebenfalls paritätisch zusammengesetzt, bildet die
zw e i t e I n sta n z und hat somit d-ieendgültigeEntschei»
dang über wichtig schwebende Fragen. Es ist die Möglichkeit ge-
geben, daß diese b e i d e n L oh nstel l e n einen Antrag über
Gefamtverträge für alle Angehörigen des betreffenden
Erwerbszweigs
dem Bundesrat zugehen lasten, der dann die Kompetenz hat, sie
rechtsgültig zu erklären.
Wenn- auch durch die Gesetzgebung kein übermäßig sprunghaf-
ter Schritt getan ist, so bedeutet es doch faktisch eine wesentliche Ver-
besserung im Avbeitsverhältms. Besonders auf einen wirksamen
Fort- und Ausbau, der immer als eine Teilaufgabe dem Klassen-
kampf der Arbeiter voll und ganz überlasten sein muß, kommt es
auch hier an. Diese Folgeerscheinungen haben die Unternehme*
schon erkannt. Haben- sie es doch, fertig gebracht, ein Referendum
mit 60V00 Stimmen gegen dieses Gesetz zulammenzubringen; und
wo immer eine stattliche Reihe „Fachmänner" oder bester Unterneh-
mer aufstanden, gab es nicht einen unmöglichen, unsinnigen Antrag
der Arbeiter zu bekämpfen, sondern meistens waren gerade diese sehr
solid gefaßte Rechte der Arbeiter, die in ihrem Auswirken entschei-
dend in die Machtbefugnisse der Unternehmer eingriffen.
So haben die Schweizer Arbeiter eine Neuerung und Bester-
stellung im Arbeitsvertrag sich als Ziel! gesetzt und geltend gemacht,
daß auch sie durch die revolutionäre Umgestaltung des Wirtschafts-
lebens anderer Länder erwacht sind. Es scheint auch eine Umwand-
lung in den Kreisen der Industriellen stattgefunden zu Haden, wohl
mebr unter dem Drucke einer organisierten, entschlossenen Arbeiter-
klasse, als unter der Tatsache, daß selbst „rassenreine" Profitmen-
schen (wie ein Schweizer Blatt sich so drollig ausdrückte) plötzlich
ihr soziales Empfinden entdeckten und die erstaunlichsten Anwand-
lungen von Arbeiterfreundlichkeit bekommen., ä. 1.
* *
*
Leider ist, wie die letzten Meldungen berichten, die Abstim-
mung über das Gesetz „Arbeitsverhältnis" zu ungunsten der An-
nahme ausgefallen. Die Ergebnisse dieses Volkensscheids sind fol-
gende:
Dafür stimmten 247 870
dagegen stimmten 249 902
Nach den Kantonen verteilt heißt das: 12 annehmende und 13
verwerfende Kantone.
Die „Neue Zur. Ztg." schreibt dazu:
Wir bedauern dieses Resultat aufrichtig, und die Tatsache, daß meh-
rere romanische Kantone der welschen Verwerfungsparole nicht gefolgt
find, ist nur geeignet, dieses Bedauern zu vertiefen. Es zeigte sich, daß
die Opposition in romanischen Landen auf die Waadt beschränkt geblie-
ben war, die nach ihrer Gewohnheit keine überwältigend großen Stimm-
zahlen geliefert hat und der einzig Freiburg und Wallis als venverfende
Kantone sich beige feilt haben. Sv kann also das Hauptverdienst am
Fall der Vorlage von der Gegnerschaft in der deutschen Schweiz bean-
sprucht werden, die es verstanden hat, durch eine intensiv geführte Kam-
pagne, die auch die Landwirtschaft nicht unberücksichtigt ließ, namentlich
in den Kantonen Bern, Aargau und Zürich gewaltige Summen von Rein
in die Urne zu schassen. So wär« denn der „Lohnvogt" gebodigt wor-
ben. Auch von den Gesetzesvorlagen gift: Kavent sua lata!
Das sozialdemokratische Organ der Schweiz „Volksrech t"
bemerkt zum Eesetzverwurf:
Das Gesehchen, das einer sehr zahlreichen Kategorie von Arbeitern
und Arbeiterinnen, die noch -unter den denkbar rückständigsten Verhält-
nissen arbeiten, eine bescheidene Besserstellung ihrer Lage, den Anstoß zur
Organisierung und die Möglichkeit zu weiterem Aufstieg gegeben hätte,
wäre demnach saft bei Stimmengleichheit verworfen worden. Cs
hat einen Teufel genützt, daß die bürgerlichen Parteivorstände, Frak-
tionen und ein Teil ihrer „führenden" Presse sich für das Gesetzchen ver-
wendeten. Ihre Parteimitläuser haben versagt. Sie. die man jahrein
und -aus mit Bolschewikihaß nährte, sie hörten nicht auf die Ermahnungen
zur „positiven Arbeit am Fortschritt". Die Bauern waren auch bei der
Partie und natürlich auch jene Zehntausende von Proletariern, die im-
mer noch wie die Sklaven der Aäsaren im Heertroß der Bourgeoisie da-
herloufen. Die Verwerfung des Gesetzes zur Regelung des Arbeitsver-
hältnisses ist zur Hauptsache das Werk der bürgerlichen Landpreste aller
Parteien, und solange ein Teil der Arbeiterschaft sich immer noch von
dieser Presse leithammeln lätzt, werden eben auch noch Proletarier im
Feldlager des politischen Gegners sieben. Es sind dies dieselben Pro-
letarier, die in aller Zukunft gegen ihre eigene Klasse sich werden miß-

Umbildung der Regierung. — Mitwitz und
Trotha verhaftet.
Berlin, 24. Marz. (Prival-Telegramm.) Die sozialdemo-
kratische Fraktion steht hinter dem Abkommen, welches die Gttverk-
schasten mit der Regierung getroffen haben. Die Demission Noske
wird von ihr akzeptiert und Wels-Berlin als Reichswehrminister
vorgeschlagen. Weitere Aenderungen wahrscheinlich. Den Unab-
hängigen ist -er Eintritt in das Ministerium empfohlen. Die
Reaktion bauscht die kommunistische« Umtriebe
auf, um von dem Kampf gegen rechts ab zu lenken.
Der Generalstreik in Berlin ist ab Mittwoch aufgehoben. Lüüwitz
und Trotha sind verhaftet.
»
Wir freuen uns, feststellen zu können, daß unsere Fraktion sich
hinter die Gewerkschastsabmachungen stM. In einem Moment
wie dem gegenwärtigen ist ein enges Zusammenarbeiten- der freien
Gewerkschaften mit den sozialdemokratstchen Parteien unerläßlich.
Ob die Unabhängigen in eine Regierung eintreten werden, in der
auch Mitglieder der bürgerlichen Parteien sitzen, halten wir für
sehr zweifelhaft. Trotzdem begrüßen wir die Meldung, da sie zeigt,
daß eine positive Linksorientierung bereits Platz ge-
griffen hat. Es tut jetzt nur not, daß in der U.S.P. die einsichtigen
Elemente, die sich zu Kautsky und Hil-ferding bekennen, zum Siege
gelangen.
Immer noch ist, wie auch aus der obigen- Meldung wieder her-
vorgeht, die Reaktion am Werk. Man provoziert die Arbeiter-
schaft, hauscht die Gefahr von links ins Gespensterhaste auf, um
eine geschlossene Front der Bourgeoisie gegen die sozialistische Ar-
beiterschaft zu errichten. Mi kdem Kamps." ^su den Bolschewismus
will man den Sozialismus treffen. In^- l-..-Situation gilt es für
das Proletariat, alles Trennende hintanzuMe)>r und mit geschlosse-
ner Front den Kampf gege.d rechts aufzunehAi^.
*
Bersin, 24. März. Wahrscheinlich wird an die U.S.P.
die Aufforderung ergehen, bei der Neubildung der Re-
gierung teilzunehmen. Die in Berlin anwesenden Parteigenos-
sen des Auslandes, Henderson, Huysmans, ferner Franzosen und
Belgier, haben der Ueberzeuguug Ausdruck gegeben, daß in Deutsch-
land heute nur eine Koalitionsregierung aller Parteien mit Ein-
schluß der U.S.P. möglich sei, die auf dem Boden der Republik
stehen. Eine reine Arbeiterregierung halten sie unter den gegen-
wärtigen Verhältnissen für völlig unmöglich. Die U.S.P. zeigt
wenig Neigung, durch Eintritt in die Regierung Verantwortungen
zu übernehmen.
Der SteSvertreter der Reichswehrmirristerr.
Berlin, 23. März. General v. Seeckt ist mit der -vor-
läufigen Führung der Geschäfte des Reichswehrministers betraut
worden. Der ihm als Zivilkommissar beigegebene Unterstaatssekre-
tär Greschinski ist wegen- Unstimmigkeiten mit dem General
zurückgetreten.
Die Haftbefehle.
Berlin, 23. März. (W.B. Amtlich.) Die sofort nach
den Rädelsführern wegen Hochverrats aufgenommenen Ermitte-
lungen ergaben, daß die Täter anscheinend unmittelbar nach dem
Fehlschlagen ihres Unternehmens flüchtig gegangen sind. Haft-
befehle und Steckbriefe wurden gegen folgende Personen
erlassen: Generallandschaftsdirektor Kapp, Regierungspräsident
a. D. v. Iagow, Major a. D. Pa b st, Oberst a. D. Ä a uer,
Arzt und Volkswirt Martin S ch i e l e - Naumburg und den frü-
heren Rechtsanwalt Biedere t.
Dar Verfahren beim Reichsgericht.
Berlin, 23. März. (W.B.) Die beim Reichsgericht schwe-
bende Untersuchung wegen Hochverrats nimmt seinen Fortgang.
Reichsgerichtsrat Oehlschläger wurde zum Untersuchungsrich-
ter des Reichsgerichts ernannt. Unter den Personen-, auf welche die
Voruntersuchung inzwischen ausgedehnt worden ist, befindet sich der
frühere Unterstaatssekretär von Falkenhausen und Geh.
Reg.-Rat Doge. Die Beschlagnahme des Vermögens der An-
geschukdigten ist im Gange
Der Kampf im Ruhrgebiet.
Dortmund, 23. März. Wie aus einer Kundgebung des
Dortmunder Vollzugsausschusses hervorgeht, hat sich im Industrie-
gebiet ein politischer Zentralausjchuß des revolutionären Prole-
tariats gebildet. Dieser Zentralausschub sei im Besitze der Macht
und verfüge üb er dieKo hl enschätzeDeutschl and s.
Zur Lösung der Ernähruugsfrage wird vorgeschlagen, für jede
Tonne Kohle, die geliefert werde, ein bestimmtes Quantum Lebens-
mittel zu fordern.

brauchen lassen, wenn es nicht -gelingt, sie zu organisieren und zu politi-
sieren.
Ein neuer Beitrag zu den sozialpolitischen Deklamationen -unserer
-in ihrem Wesen reaktionären Parteien! Ihr äußeres Gehaben -und ihre
innere Wesen-emheit erinnern -stets an jenen Nigger, der im Zivilstands-
amt von Newyork erscheint mit dem Begehren, aus der Rasse der Neger
auszutreten.
Wenn man das traurige Ergebnis überblickt, das den Schwei-
zer Arbeitern ein nicht allzu großzügiges Gesetz über das Arbeits-
recht -bringen sollte, dürste ein Hinweis auf das d eutsch e B e-
t r i e b s r ä t eg e s e tz, das den deutschen Arbeitern eine solide und
ausbaufähige Basis sichert, aber leider von ihnen in seiner Bedeu-
tung nicht genügend gewürdigt wird, wohl angebracht sein.

Der gelbe Osten.
Von R. C. Haebler.
Die große Karte des kleinen Planeten, der sich Erd« nennt,
zeigt «in seltsames politisches Gesicht. Aus der einen Hälfte der
Kugel -em wildes Chaos, eine Menschheit, die sich in den grauen-
haftesten Zuckungen wälzt, aus dem riesenhaften Zusammenbruch
einer alten Zeit und Kultur in die 'Geburtswehen neuer Zeit hin-
eintaumelt, ohne sicheren Weg und Kompaß — und aus der ande-
ren Seite die schlaue Sülle einer Rass«, der alle Anzeichen auf-
steigendcr Macht eigen sind.
Wohin marschiert Japan? Noch weiß es keiner. Der
schlaue Mensch des fernen Ostens schweigt noch. Seine Hände
fasern noch am Gewebe, das er sich spinnt. Ist es ein Impe-
rialismus des Ostens allein? Oder ist es schon mehr?»
Soll der große Schlag über die gelbe Hälfte der Erde hinaus-
greifen und Weltimperialismus werden, wie der Eng-
lands? Noch wissen wir es nicht. Möge die Menschheit es nie
erleben müssen! Freilich, es hat wenig Anschein dazu, denn der
Weltkapitalismus steuert mit vollen Segeln dahin . . .
Schauen wir näher zu. Im Osten des Men Ozeans greift
die gelbe Hand Küste auf Küste. Mariannen und Karolinen, aus
denen einst schwarzweißrotes Banner wehte, v-erstückte Flagge des
zusammengedrochenen und von je politisch naiven deutscher Im-
perialismus, sind in der Hand Japans. Wie eine Barre liegen
diese Inseln zwischen Amerika und seiner Inselkolvnie Philip-
pinen. Zwischen den beiden Staaten am stillen Ozean, mitten drin
wie ein fetter Bissen, die Sandwichs-Inseln. Ein starkes ameri-
kanisches militärisches Sprungbrett. Auf den amerikanischen Inseltz
Taufende von Soldaten, stärkste Kriegsschiffe, mächtige Kohlen-
lager. Aber auf den gleichen Inseln zehntausende japanischer Ar-
beiter. Harmlose Leute? Wer die schlauen Engländer des Ostens
kennt, weiß, daß dies Wort in ihrer politischen Sprache nicht zu
Hause ist. In Sibirien hat es in Friedenszeitqr japanische Gene-
räle als Hotelbesitzer gegeben. Wer weiß, was für Leute unter
den hunderttausend gelben Arbeitern auf den paar Dutzend Inseln
sind? Dem Auge des Amerikaners bleibt der Schlitzäugige ein
Gelber; die Intelligenginerkmale der weißen Rasse gelten nicht.
lieber den Krieg nahm -die japanische Dampflchiffahrt einen
gewaltigen Aufschwung. Ihre Dampserlmien beherrschen heute
den Verkehr vom Osten nach Indien. Ihre Dampskr fahren
nach Australien. Das sind die ersten Vorposten der großen
wirtschaftlichen AngriffspolM des japanischen Kapitalis-
mus, der von Tag zu Tag mächtiger wird. Der Krieg und der
Friede -haben die japanische Industrie auf die Höhe gepeitscht.
Rohstoffnot in allen Ländern, außer Amerika. Die Börsen in
Tokio und Osaka brüten unter der Hitze dieses geschürten Feuers
eines wirtschaWchen Ausdehnungs-Wanges. Die japanischen Ak-
tien steigen auf zweihundert und dreihundert Prozent. Was heißt
das? Und wo führt das hin? Die japanische Wirtschaft will sich
den Weltmarkt erobern. Und hinter der Wirtschaft steht die Poli-
tik und die militärische Macht — und das Voik. Vor kurzem ging
durch die Presse die Meldung, die japanischen Delegierten hätten
sich auf der internationalen Arbeitskonferenz in Was-
hington gegen den Achtstundentag ausgesprochen. Es wurde
gesagt, die Entwicklung Japans sei gegenüber der Europas, aus
wri ls ch-aWch- industriell em -Gebiet noch rückständig. Europa Hobe
hundert Jahre gebraucht, um zum Achtstundentag zu kommen;
Japan könne nicht in einigen Monaten dies leisten. Man werd«
für einen Zehnstundentag eintreten. Was steckt hinter dieser Stel-
lungnahme von japanischen Ardeitervertretern? Seltsam, wenn
man gleichzeitig erfährt, daß die russische Revolution und der Bol-
schewismus auch in Japan Einzug gehalten haben, daß
infolge einer Mißernte im Jahr 1918 schwere Ausstände ausge-
brochen seien, die -einen ausgesprochen an-tikapitalistischen Charakter
gezeigt hätten und die nur durch ganz großzügige Maßnahmen der
japanischen Regierung unterdrückt wurden — Länderverteilung und
ungeheure Reisaufläufe in China. Und von diesen Dingen erfuhr
— im Jahre 1918 — die übrige Welt fast nichts! Die japanische
Presse muhte schweigen. Seltsam — zur gleichen Zeit änderte auch
die gleiche Presse ihre Stellungnahme gegen Deutschlandund
die Entente. Man hatte Sympathien für Deutschland und
hieb aus Wilson und Lloyd George. Bestanden hier Zusammen-
hänge? Keine Politik hat so viele Fragesätze wie die japanische.
Das Rätsel des Ostens. .
Die Lage gegen Osten ist also: dr-er Richtungen. Dre
eine übe" die Sandwichinfeln gegen Amerika U. S. A. Die andere
über die Karolinen gegen Australien. Nebenher wird Französisch-
Indien eingesackt und Hollands Kolonialreich erledigt.
Die Richtung gegen Westen. In langsamer, zäher
Entwicklung hat sich Japan nach Westen- in Bewegung gesetzt. Heute
herrscht Japan, dem Namen nach oder nicht, gleichgültig, in Wirk-
lichkeit herrscht es in China und in der Mandschurei und
bis weit nach Sibirien hinein — weiter als wir vielleicht heute
wissen. Was ist Rußland-Sibirien heute für das kluge Japan?
Eft, Trümmerhaufen, um den sich mystische und demagogische Poli-
tiker zanken, die Brüder Karamasosf, große Politik versuch-end.
Japan schaut zu. Wartet ad. Die Asiaten leben- nicht so rasch
wie wir zivilisierte Europäer. Sie haben Zeit. Was sind hundert
Jahre vor Buddha!
Möglichkeiten: falls Rußland-Deutschland sich wieder M po-
litischer Bedeutung aufrafft, wäre eine Art neuer Dreibund von
Berlin über Moskau nach Tokio möglich. Mit der Front gegen
England-Amerika. Denn diese beiden sind die Beorvher
Japans. Amerika, das während des Krieges Zett sand, sich zu
rüsten, ist es wohl zunächst. Aber weiter -dahm-ter, abwartend, steht
ohne Zweifel England — der Bruder Japans im Westen. Das
 
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