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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (1/2) — 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.44126#0091
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Tageszeitung für die werktätige Bev-tterrmg der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim, Sppmges, Lberbach, Mosbach, Suchen, Adelsheim, Boxberg.
Tauberbifchofsheim und Wertheim.


Heidelberg, Samstag, 24. Januar 4920
Ar. 20 » 2. Lahrgang

Verantwort!.: Für Innere u. äußere Politik, Volkswirtschaft u.Ieuikleton: Or.
K.Krausr für Kommunale-u. soziale Rundschau: 2. Kahn, für Lokale« r
O. Seibel, für die Anzeigen: H. Hoffmann, sämtlich In Heidelberg.
Druck und Verlag der tlnterbobischen Verkagsanstalt S. m. d. H„ Heidelberg.
Sefchäftsstelle: GchrSderstraße Z».
Fernsprecher: Anzeigenannahme 207Z, Redaktion rsr-r.

Wirtschaftliche UrmoLlzung.
n.
Bei der Regelung unserer wirtschaftlichen Beziehungen zum
Ausland Hal der private Handel und bas private Kapital gänzlich
versagt. Ws der Handel so weit wie möglich freigeqeben wurde,
da stürzten sich die Handelskreise nicht auf das. was wir notwendig
drauchlen, sondern auf das, was den größten Gewinn drachtc.
Statt Lebensmittel wurden Orangen, Zigarren, Zigaretten und
andere Genutzmtttel und Luxusartikel yereingeschafst und darnit
der Geldkurs vollständig herunlergebracht. Durch das Loch im
Westes wurden allein für 15 Milliarden, meistens Luxuswaren,
geschafft. Als dann infolge des niederen Geldkurses nichts mehr
emgeführt werden konnte, dann begannen die gleichen Kreise das
Verschieden der Inlandswaren nach dem Ausland. Auch hier
sehen wir wieder das rücksichtslose Beiseiteschieben der Allgemein-
interessen. In diesen Kreisen, die sich gern national bezeichnen, gilt
-nur eine Parole: „Bercicherr Euch und sichert Euern
Gewinn." »stn Befolgung dieser Parole haben viele ihr Geld
in das Ausland geschafft und dadurch auch wesentlich zum Sinken
des Geldkurses beigeiragcn. Zu Tausenden halten sich Deutsche in
der Schweiz zur Erholung auf, werfen ihr Papiergeld in die Wag-
schate. mir der unser Geldkurs immer tiefer sinkt. Es ist sicher zu
nieder gerechnet, wenn wir mir 5000 Personen rechnen, die so in
der Schweiz sitzen. Es ist auch zu nieder gerechnet, wenn wir für
eine Person und Tar 150 Mk. (15 Francs) rechnen: aber schon bei
dreier Rechnung ergeben sich in einem Monat 22 Mllionen Mark,
die sit das Ausland- getragen werden. Wenn sich 99 Proz. der
Bevölkerung mit den inländischen Erholungsstätten begnügen müssen,
dann kann es bas letzte Prozent auch. Auch in diesem Punkt sollte
Mit einem scharfen Verbot durchgegriffen werden. Ebenso muß die
Einfuhr aller Artikel, die wir nicht unbedingt brauchen, verboten
werden'. Solche Verbote werden aber nur wirksam, wenn auf die
Üehertretung Zuchthausstrafe gesetzt wird.
Wenn möglich rasch die noch rückständigen Kriegsgewinn-
steuern, die Kriegüinehremkommensreuer, die Kriegsvermögens-
zuwachsabgaben und ein Teil von Reichsnvtopfern eingezogen wer-
den, so wird der Papiergelomartt auch entlastet. Es wird, wenn
die Vermögensabgabe erst einmal festgesetzt ist. mancher sein Geld
Meder vom Ausland holen und dadurch, mithelfen, den Geldkurs,
bessern. Die Durchführung der neuen Steuergesetze wird auch das
Vertraue« im Auslände wieder heben und den Geldkurs festigen.
Sin fester Geldkurs ist aber die erste Bedingung für bas Ge-
deihen unseres Wirtschaftslebens. Ob die deutsche Mark für die
Dauer 35 oder 49 Rappen wert ist, ist nicht von so durchschlagender
Bedrutuntz wie die Festigung des Geldkurses, damit man beim Ein-
kastf weitz, was man schließlich u bezahlen hat und beim Verkauf,
was man für die Waren erhält und vor allem deshalb, damit sich
der Inlandspreis unpassen kann. Aus den oben angeführten Grün-
den dürfen wir mir einem Steigert des Geldkurses rechnen. Wenn
wir aber auch alle gegebenen Mittel anwenden, um den Geldkurs
zu erhöhen, so müssen wir uns doch klar darüber sein, daß auch
damit allein der Ausgleich nicht geschaffen werden kann. Wir
müssen deshalb eine planmäßige Preispolitik, dann
aber auch die entsprechende Lohnpolitik treiben. Bei
der Preisfestsetzung darf keineswegs der- jetzige Weltmarktpreis
berücksichtigt werden, weit wir ja mir einem Steigen des Geldkurses
rechnen. Wenn z. B. 100 Kilo Getreide in der Schweiz 50 Fr.
kosten und die Mark zu 10 steht, dann würbe der Weltmarktpreis
für uns 500 Mk. sein. Steht die Mark aber zu 40, dann ist der
Preis Nur 125 Mk. Wir müssen Preis und Geldkurs niit zwei
Steine« vergleichen, die an den beiden Enden von einem über eine
Rolle gezogener'. Seil hängen. Der eine Stein hängt tief, der
an1«r< hoch, Um sie in gleiche Höhe zu bringen, muß der eine
gehoben, der andere gesenkt werden. Wir dürfen mir dm Preis-,
steigerungen und Lohnerhöhungen die Sprünge auch nicht zu groß
machen, weil sich das ganze Wirtschaftsleben dem immer wieder an-
paffen mutz. Bei der Festsetzung der Preise für die landwirtschast.
Ische« Produkte, welche noch der behördlichen Bewirtschaftung un-
terliegen, ist die allgemeine Preislage, die gestiegenen und rwch
zu.steigernden Löhne, die gestiegenenP reise für Vieh, Pferde, Ge-
räte, Saarfrüchte usw. zu berücksichtigen. Es darf aber auch nicht
außer Berücksichtigung bleiben, daß die Landwirte ihren Boden
und ihre Gebäude »och zum Friedenspreis haben und so lange sic
nicht bereit sind, den gestiegenen Bodenwert bei der Steuerein-
schätzung zu berücksichtigen, so lange darf es auch bei der Preis-
bildung außer Ansatz bleiben. Die wenigen Verordnungen, die zur
Erfassung von Getreide, Kartoffel, Milch und Fleisch noch bestehen
muffen, sind klar zu fassen. Durch einige Proben, die vor oder
wahrend der Enste gemacht werden, läßt sich der Ertrag pro Hektar
für jeden Geländeabschnin leicht feststellen und sonnt auch die Ad-
lisserungspsticht. Wo die Ablieferungspflicht trotz gerechter Preise
nicht erfüllt wirb, muh mit aller Strenge eingeschritten werden.
M« Gemeinden find für die Lieferung haftbar zu machen. Auch
die Milth- und Fettversvrgung der Städte könnte durch klare
Bestimmungen wesentlich gebessert werden. Soweit die Produtte
freigegeben sind, sollten die Städte oder Konsmnverenw mit den
landwirtschaftticken Organisationen Lieferverträge abschsießen, um
jo der Handelospekulativn enlgegenzuwirken und die Konsumenten
jo billig wie möglich zu versorgen. Auf diesem Wege laßt sich ohne
Schaden die Zwangswirtschaft, bis auf einen kleinen Rest abbauen.
Ist der letzten Zeit wurde auch wieder für eine Hebung der
Schweinezucht Stimmung gemacht. So gern, wir alle auch wieder
eist Stück Schweinefleisch hätten, so sehr müssen wir uns für das
nächste 6ahr noch gegen Hebung der Schweinezucht wenden. Was
hilft es der Volksmasse, wenn sic einmal eine kleine Portion Fleisch
erhalt und hat keine Kartoffel. Die Brotportion kann noch mcht
gebessert werden/ wohl aber die Kartoffelvvrtion, aber die Schweine
müßen wegbieiben. Ein Schwein frißt das Vielfache von dem an
RSHrwerMndesten, was es uns gibt. Die Fleischversorgung wird
nl»ch mehr in den Hintergrund treten müssen. Es gilt vor allem
das Milchvieb zu ernähren. Mit der gleichen Fuller menge er-
reichst wir in der Milchprvduktivn dreimal soviel Nährwerte, als
bei'heil Kleischprvbuktton. : -
Hebung der, iandwirsschaftlicheu Produktiv» durch Beschaffung
genügender Arbeitskräfte und künstlichem Dünger ist eine-unserer

Der Gesangenercheimtrrmsport.
Berlin, 23. Fan. Die Reichszentralstelle für Kriegs- und
Zivilgefangene teilt mir: Der auf vier Linien erfolgende Abtransport
der linksrheinisch beheimateten Kriegsgefangenen aus dem franzö-
sischen Kampfgebiet ist seit dem 20. Fan. «n vollen Gange. Aus
dem französischen Hinterlande werden Heimkehrzüge vom 25. Ian.
an und zwar alle zwei Tage ein Zugffür Mannschaften und alle vier
Tage einer für Offiziere. Da die linksrheinischen Gefangenen, die
im ftairzösischen Hinterland interniert sind, mit vier Zügen restlos
abdessrderl werden können, beginnt der Abtransport der Unteroffi-
ziere und Mannschaften, die aus dem französischen Hinterland in
das unbesetzte Deutschland heimzubesördern sind, am 29. Fan., der
der Offiziere am 1. Februar.
Holland liefest nicht aus.
Beriin, 23. Fan. In der Antwortnote Hollands betreffend
die Auslieferung des Kaisers heißt es: Weder die konstituierenden
Gesetze des Königreichs noch die hundertjährige Tradition, die von
jeher die Niederlande zur Zuflucht aller derjenigen gemacht hat, die
in internationalen Konflikten unterlagen, gestatten der niederländi-
schen Regierung, dem Wunsche der Mächte zu willfahren und dem
vormaligen Kaiser die Wohltaten dieser Gesetze und dieser Tra-
dition zu nehmen. Das Recht und die nationale Ehre widersetzen
sich dem.
Die Deutschen in der Tschecho-SLowakei.
Ministerpräsident Tusar führte u. a. i» der Kammer aus:
Wir wollen einen tjchecho-slowakischen Staat mit einein tschechischen
Einschlag und einem Geist, worin die Deutschen und die anderen
Bürger sich völlig zu Hause fühlen. Wenn der größte Teil des
deutschen Volkes in Böhmen sehen wird, daß dieser Staat Gerech-
tigkeit und Gleichberechtigung gegenüber allen tatsächlich durchführt,
dann werben sie loyale Bürger unserer Republik sein. Wir haben
ein gemeinsames großes Interesse, das Interesse des Staates, das
über allen Interessen steht. Abg. Nemoc erwiderte: Wenn wir
gegenüber unseren deutschen Mitbürgern ungerecht sein werden, so
bedrohen wir damit unsere Republik. Ich meine, daß man jetzt
von ihnen als vo» Staatsbürgern sprechen mutz, die in jeder Rich-
tung gleichberechtigt sind. Kämpfe mit den Deutschen können wir
nicht wünschen, weil wir dabei unsere ganze Energie aufbrauchen
würden. Es könnte geschehen, daß sich das große Deutschland gegen
uns stellt. Ich bin dafür, daß wir den Kampf mit den Demscheu
um die Palme der sozialen Reife und der kulturellen Vollendung
aufnehmen.
Die Botschofterkonferenz der Entente.
Der Oberste Rar har beschlossen, die bereits seit längerer Zeit
geplante Umwandlung in eine Botschafterkonferenz vor-
zunehmen und sich in seiner bisherigen Form nicyt mehr zu versam-
meln. Die neue Botschasterkonferenz, die also in Zukunft das einzige
Organ der Friedenskonferenz ist, wird aus dem Botschafter B o -
nin-Longare für Italien, Lord D e r b y für England, Wal-
lace für Amerika und Matsui für Japan bestehen. Frankreich
wird wahrscheinlich durch den Generalsekretär im Auswärtigen Amt
Palevlpguc vertreten sein. Die erste Sitzung wird am M o n-
t a g stattftnden.
Die Befugnisse dieser Konferenz werden jedoch, weit» die
Pariser Blätter gnr unterrichtet sind, ziemlich beschränk! sein. Sie
wird lediglich die Durchführu n g des V e rsailler Ver-
trages zu überwachen und gewisse Einzelfragen zu entscheiden
' haben. Dagegen werben die noch in der Schwebe befindlichen
politischen Probleme durch direkte Verhandlungen zwischen den
einzelne» Regierungen bearbeitet werden. Zu diesem Zwecke sind,
wie bereits gemeldet wurde, Zusammenkünfte zwischen den beteilig-
- ten Ministerpräsidenten vorgesehen, die abwechselnd in London und
Paris stattfinden sollen.
Lloyd George gegen Churchill.
Rotterdam, 23. Fan. Laut „Rotterdamsche Courant"
melde: der Pariser Berichterstatter der „Westminster Gazette",» im
britischen Kabinett beständen große Meinungsverschiedenheiten über
die russische Politik. Churchill sei der Führer der Kriegspartei, die.
überzeugt sei, daß der Bolschewismus allein mit den Waffen aus-
gerotter werden kann. Lloyd George dagegen der Führer der
Friedenspartei, die der Ansicht, sei, daß der Bolschewismus einen
natürlichen Tod sterben werde.

Hauptaufgaben. Unter den jetzt arbeitslosen Personen dürsten
manche sein, die bei gutem Willen auch in der Landwirtschast tätig
sein könnten. Bei richtiger Preisfestsetzung für landwirtschaftliche
Produkte können die Landwirte auch richtige Löhne bezahlen.
Nach den gemachten Ausführungen dürfte jedem klar sein, daß
wir für die nächste Zeit für Arbeiter und Angestellte ganz be-
deutende Lohn- und G'ehaltsverbesserungen verlangen müssen. Eg
wird ja dann gleich wieder geklagt werden, daß die Konkurrenz-
fähigkeit mit dein Auslände leiden werde. Der Einwand ist nicht
stichhaltig. Selbst wenn es uns gelingt, den Wert der Mark von
10 auf 40 Rappen zu erhöhen, können und müssen die Stunden-
löhne der gelernten Arbeiter nach und nach auf mindestens 5 Mk.
erhöht werden, ohne baß die Konkurrenzfähigkeit mit dem Aus-
lände darunter leidet. Wenn ein Schweizer Arbeiter 2 Frs. Stun-
denlvhn hat und die Mark gleich 40 Rappen steht, dann kann er sich
5 Mk. dafür kaufen. Die deutschen Händler und Kapitalisten müssen
eben dann darauf verzichten, aus dem schlechten Geldkurs «och extra
Nutzen zu ziehen.
Wir könnten eine Politik der Preissenkung nur dann betterben,
wenn wir uns mit allen Produkten versorgen könnten und wenn es
keine Schieber, keine Schmuggler und keine selbstsüchtigen Leute
gäbe. Da aber diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, so müssen
wir uns der übrigen Welt anpassen.
Die Neugestaltung der Löhne und Preise hat aber auch eine
Umgestaltung unserer ganzen wirtschaftlichen Struktur zur Folge,

I Das Geld verliert nicht nur beim Einkauf von Waren an Werk,
s sondern auch als Kapitalanlage. Ein Arbeiter kann bei einem
Stundenlohn von 5 Mk. unter günstigen Voraussetzungen jährlich
- 12 000 Mk. verdienen. Er ist bann einem Mann gleichgestellt,
der die Zinsen von 250 000 Mk. zu verzehren hat. Mit andere«
Worten, die wirtschaftliche Entwicklung entwertet das arbeitslose
Einkommen. Sic zwingt alte und arbeitsunfähige Kapitalrentner
zum Aufzebren ihres Kapitals, das sie ihren Kindern hintettaffe«
wollten.' Die Nachkommen müssen arbeiten, weil sie keine Rente
mehr haben. Kleine Rentner werden wieder arbeiten müssen, oder
wenn sie das nicht können, werden.sie unterstützungsbedürftig. Die
Invaliden und Unfallrenten müssen bedeutend erhöht werden, ebenso
die Pensionen der Beamten und Kriegsrcntner.
Die wirtschaftliche Entwicklung wird aber auch sonst ausgleichend
wirken. Schon in den letzten beiden Jahren mußte bei Lohn und
Gehaltszulagen bei den unteren Schichten verhältnismäßig mehr
zugelegt werden, als bei den ober», dadurch find die ungeheuer»
Unterschiede in der Bezahlung schon etwas ausgeglichen. Die Ent-
wicklung wird auf dieser Bahn weiter gehen. Es ist gewiß unmög-
lich alle Arbeiter und Angestellte gleich hoch zu bezahlen. Der Zu-
stand aber, daß in der obersten Beamtenklaffe 8 oder 10 mal soviel
bezahlt wird, als in der untersten, darf nicht mehr Vorkommen. Auch
die Unterbewertung der handwerksmäßigen Arbeit gegenüber der
Büroarbeit, muß verschwinden. Ein Mann, der sein Handwerk
richng gelernt har, ist ebenso hoch zu bezahlen, als einer der auf
einer Bürgerschule das Einjährige gemacht hat. Die wirtschaftliche
Entwicklung drängt dahin, daß nur noch der eine gesicherte Existenz
haben kann, der arbeitet. Dazu helfen auch die neuen Steuergefetze
mir, die erfreulicherweise das arbeitslose Einkommen an allen faß-
baren Stellen anfassen. Für die Arbeiterschaft gilt es aus dieser
Entwicklung die richtige Erkenntnis zu ziehen. Politisch müssen wir
unsere Kräfte zusammensassen um dein Sozialismus die Wege zu
ebnen. Wenn das deutsche Reich erst wieder eine finanzielle Grund-
lage hat, dann muß mit der Sozialisierung begonnen werden. Wen«
wir auf dem Gebiete des Wohnungswesens nicht bald durchgreifende
Schritte tun, so werden wir eine Steigerung der Wohnungsmieten
und damit der Häuscrpreise erleben, die alle bisherigen Kriegsge-
winne in Schatten stellt. Wichtiger und leichter als die Sozialisierung
einzelner Produktionszweige, ist die Sozialisierung der Wohnungen,
des Baugrundes, der Hypothekenbanken und gewisse Handelszweige.
Bo» allem müssen wir verlangen: Kohlcnhandelsmonvpoi und Ge-
treidehandelsmonopol. Der Lebensmittelhandel, Mühlen und die
Brotherstellung gehören in Gemeinwinschafr genommen. Manches
muß dabei der Staat machen. Das Meiste aber müssen Genossen-
schaften leisten, wenn die Sozialisierung auch eine wirtschaftliche
und geistige Befreiung des Volkes bringen soll. Deshalb ist es
Pflicht der Arbeiter sich genossenschaftlich zu organisieren. Die Not-
wendigkeit der gewerkschaftlichen Organisation sieht jeder denkende
Arbeiter ein, weil er sich nur auf diesem Weg seinen Anteil am Ge-
samtertrag der Volksarbeit sichern kann. Die Arbeit des Volkes in
allen Ständen richtig zr organisieren, muß unsere Aufgabe sein..
Steigerung des Bodenertrags, rationelle Verwendung der verfüg-
baren Arbeitskräfte, Maschinen und Rohstoffe, find die einzigen
Quellen aus denen wirtschaftliche Wohlfahrt fließen kann. Auch in
einem sozialen Staat und da erst recht, kann nur durch erhöhte Pro-
duktion der Wohlstand gehoben werden. Löhne und Presse sind nur
Maßstäbe für die Verteilung. Wenn wir in den nächsten Monaten
Löhne und Preise erhöhen, so können wir uns damit in die kapitali-
stische Weltwirtschaft bis zu einen: gewissen Grabe einpassen; wir
können dabei im Innern etwas sozial ausgleichend wirken, wir müs-
sen uns aber stets bewußt bleiben, daß wir als Ganzes dadurch nicht
reicher werden und den Lebensmittelmangel nicht befestigen können,
wohl aber können wir die Grundlage schaffen für zukünftigen Wohl-
stand.
Deutschland stehl an einem Wendepunkt; wenn wir alle Kräfte
anspannen, dann kann es, wenn die nächsten Monate der Lebens-
mittelnot überwunden sind, wieder vorwärts gehen, durch eine falsche
Politik und durch falsche wirtschaftliche Maßnahmen verfallen wir
sicher einer jahrzehntelangen Armut. Mit der Anpassung der Löhne
und Preise am Geldkurs und Weltniarktpreis allein ist äs noch nicht
getan. Wir müssen Waren Herstellen zum Ausführen. Wir sind
gegenüber dem Ausland bettelarm. Wir haben nichts zu geben um
Lebensmittel zu verlangen.
Die Beschaffung der Lebensmittel liegt nicht allein in der Hand
der Bauern, sondern auch bei den Arbeitern und bei der Industrie.
Durck Mebrförderung von Kali, durch Gewinnung von Stickstoff
und Salpeter erhält die Landwirtschast künstlichen Dünger und kann
ihre Produktion heben. Wenn Kohlen- und Eisenbergwerke der
Industrie Rohstoffe geben, so kann dort gearbeitet werden und wir
erhallen dafür vom Ausland Lebensmittel. Eisenbahn und Industrie
müssen vor unnötiger Stillegung bewahrt werben. Die Arbeiter-
schaft chat nicht nur bas Recht, sondern sogar die Pflicht ihre berech-
tigten Forderungen mit Nachdruck zu vertreten. Sie darf sich, aber
die Anwendung der Kampfmittel nicht von Kommunisten und Un-
abhängigen verschreiben lassen, weil von dieser Seite die Arbeiter
unter Vorspiegelung großer Lohnforderungen, für politische Zwecke
in den Streik gehetzt werden. Durch solche Unruhen wird das kaum
erwachende Vertrauen im Auslande wieder ausgetilgt. Die Lebens-
mittelnot steigt in das Unerträgliche und wir gehen mit Sicherheit
der dauernden Verarmung entgegen. Nicht durch Putsche und Kra-
walle können wir aus dieser Not herauskommen, sondern nur durch
eine planmäßige geförderte Entwicklung. Niemand kann voraus
sagen, in welchem Tempo die Entwicklung gehen wird, niemand
weiß, bei welcher Höhe der Löhne ber Gipfel erklommen ist. Das
hängt davon ab, wie hoch wir unfern Geldkurs bringen werden. Dre
Entwicklung wird aber sicher schneller oder langsamer die hwr be-
schriebene Bahn gehen und die Arbeiter müssen sich daraus ernstesten.
Von Arbeitgebern, von Gemeinde-unb Staatsregierungen und von
den politischen Parteien müssen aus dieser Entwicklung dre richtigen
Schlußfolgerungen gezogen werden.
Das Jahr 1919 hat bedeutende wirtschaftliche Umwälzungen
gebracht, das laufende wird noch größere bringen. Die wirtschaft-
liche Umwälzung ist im Gange, wenn die Arbeiterschaft auf politi-
schem, gewerkschaftlichem und vor allem aus genossenschaftlichem Ge-
biete ihre Pflicht tut, dann wirb sich die Entwicklung zum Segen des
arbeitenden Volkes gestalten.
 
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