LasesMovg für die werktätige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Gmsheim, Eppinger», Eberbach, Mosbach, Buchen, Adelsheim, Norberg
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HeiöslSerg, Kreiiag, il6. Januar 2S2V
Nr. ^3 -» 2. Jahrgang
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Reichskanzler Bauer über Vie
Vorgänge in Berlin.
Mr haben gestern in unserem Nativnaiversammlungsbericht
ft» äußerster Linrze bic Ausführungen des Gen. Bauer wieberge-
aeve». Mr zitieren seine Red« etwas ausführlicher:
- Di« neue Tagung der Nationalversammlung ist zusammenberufen,
um eft» für die Arbeiter- und Angestelltenschaft besonders wichtiges Gesetz
-u veradschieben.. Auf diese Tagung ist ein schmählicher Angriff gerichtet
worden, ein Angriff auf Parlamentarismus und Demokratie, wie er in der
Geschichte unserer Volksvertretung bisher nicht verzeichnet gewesen ist.
Dieser traurig« Ruhm fällt der unabhängigen Sozialdemokratie zu. Die
unabhängige Sozialdemokratie batte noch auf ihrer letzten Tagung den
AntiparlaMentorisnrus theoretisch adgelehnt, jetzt hat sie ihn praktisch bc-
tätiA Zum zrveiterr Maie ist ein Parlament, das hervorgegangen ist
»us hem freiesten Wahlrecht,
unter die Diktatur der Strafte gegellt
worden. Erst haben wir in München die traurigen Ereignisse erlebt,
seht hier, und diese Schande — das stelle ich vor dem ganzen Lande, vor
der ganzen Welt fest — verdankt die deutsche Republik einzig und allein
der unabhängigen Sozialdemokratie. (Sehr richtig! bei der Mehrheit:
jodender Lärm bei den Unabhängigen.) Trotz Vieser unartikulierten Laute
belle ich vor aller Welt fest: Auf die unabhängige Sozialdemokratie und
ctlein aus sie fc-iN das Blut der armen Betörten und Verhetzten. (An-
bastrnber Lärm bei den U.S.P.; Zurufe rechts: Sic fühlen sich getroffen.)
Die unabhängige Sozialdemokratie wird die furchtbaren Flecken nicht
abwaschen können. Das Kainsmal steht für immer auf ihrer Stirn. Der
Ehrgeiz von ein paar Führern hat die urteilslosen Ovfcr vor den Reichs-
tag getrieben, zu Gewalttätigkeiten gereizt und schlicnlich in den Tod
gehetzt. Keine Demagogie wird die Blutschuld jener Partei verdunkeln
können.
Am Montag ist in der „Freiheit" zum Kamps gegen die Parlamente
ousgeforden worben. Am Dienstag hieh cs in einem Aufrufe: „Laßt
Euch eine solche Gesctzcsmachcrei nicht gefallen! Zeigt der Nationalver-
sammlung, daß Ihr Such nicht zu willenlosen Objekten der Gesetzgebung
Machen laßt. Verlasst daher heute mittag 12 ilhr die Betnebe. Demon-
striert in Masten!" (Andauernde stürmische Zurufe bei der ll.S.P.) Am
Dienstag mittag versammelten sich die Massen auf den Ruf ihrer Führer,
die sich selbst wohlweislich im Hintergründe hieltcn. (Zustimmung bei der
Mehrheit.) Di« sozialdemokratische Partei vcrl«ugnerc ihr Programm
nicht. Sie hielt sich von der Demonstration fern. Auch die unabhängigen
Schreier wußten ganz genau: Wenn solche Massen unter dem Eindruck
einer unglücklichen Hetze mst dem Schlachtruf: Gegen das Parlament!
-n Bewegung gesetzt werden, dann waren Zusammenstöße unvermeidlich.
Und es kam so. Die Sichrrheitsivehr bat sich ln geradezu unglaublicher
Weise zurückgehalten. Bis zur letzten Minute Hoven die Beamten den
Befehl befolgt, nur in der äußersten Not von den Waffen Gebrauch zu
Machen. Davon baden sich zahlreiche Mitglieder aller Parteien dieses
-Hauses und zahlreiche Journalisten überzeugt. Ich hakt« es für meine
vornehmste Pflicht, im Namen der Reichsregierung und im Namen aller
derer, denen der Bürgerkrieg der schrecklichste der Schrecken ist, den Be-
amten der Siche rhcikswehr Dank und volle Anerkennung auszusprechen.
(Lebhafter Beifall.) Ader auch die Zurückhaltung der Sicherhcitswehr
bat ihre Grenzcn. Als die Kameraden der Sicherhcitswehr entwaffnet,
geschlagen, mit Füßen gcrrclen und schließlich mit den eigenen Waffen
getötet wurden, crst als die Sicherheitswehr sich aufs äußerste bedroht
sah — fie war ja nur eine Handvoll gegenüber den anstürmcnden Massen
- erst dann ist sic in Aktion getreten, und zwar mit vollem Recht und
säst zu spät. (Sehr wahr! bei der Mehrheit.) Die Regierung ist UN-
schuldig an dem vergossenen Blut.
Dieses Biut fällt aus die unabhängige Sozialdemokratie.
Zahlreich« Zeugen haben sich gemeldet, die behaupten, gesehen zu habe,»,
vaft Mitglieder der unabhängigen Fraktion, als dieses Haus den Ber-
'agmrgsairtrag adgelehnt hatte, durch Zeichen, durch Tiicherschwenken und
-um Teil auch durch Beeinflussung mit der Rede die Maste zum Sturm
ans den Reichstag ausgefordert haben. (Stürmisches Hört, hört! Großer
Tumult im stanzen Hause.) «ich sage nicht zu viel, wenn ich behaupte, daß
olle, die gestern im Hause waren, dem tapferen Verhalten der-Sicher-
bchtswehr tbr Leben verdanken. Wäre der Sturm auf das Haus geglückt,
wir hätten eine Bartholomäusnacht erlebt. (Erneuter Lärm aus der
äußersten Linken.) Von der Sichcrhcirswcbr ist ein Mann tot, «in Mann
wird bisher vermißt, außerdem sind 30 verwundet. Wir gedenken des
Toten in dankbarer Rührung, des Mannes, der in unmittelbarem Dienst
der Demokratie gefallen ist in Verteidigung des heiligsten Bolksrcchls.
Auch der vorjährigen- Toten gedenken wir in Ergriffenheit, und mir dem
stefsten Bedauern daß nicht die Verführer, sondern immer nur die Ver-
führten die Opfer sind. (Sehr richtig!) Wir hoffen, daß ihr Tod denen
die Augen öffnen wird, die sich durch abgedroschene Schlagworte zu sol-
chen Handlungen treiben ließen. Menn das Volk den Abgrund erkennt,
vem es entgegengesiihri wird, wenn jetzt ein Erwachen durch die Arbeiler-
'chaft geht, das sie den Unabhängigen verdankt, dann ist auch dieses erste
Blot nach Friedensschluß nicht umsonst gefloßen.
Wir stehen jetzt wieder vor einem mit ungeheuren Machtmitteln ein-
geleiteten Ansturm gegen unser ganzes wirtschaftliches und nationales
Leben. (Lärm bei den Unabhängigen.) Die Taktik der revolutionären Be-
(riebsräte, die in den Unabhängigen ihre Stütze haben, ist gegen ihr
stüheres Verhalten ein anderes geworden. Sie haben durch eine geheime
Organisation überall die Fäden gesponnen, und jetzt sind die Emissär«
überall am Werk nachdem in diesen Tagen in Halle eine geheime Kon-
lerenz der unabhängigen Sozialisten stattgefunden hat (Lärm bei den
Unabhängigen), die
Störung des Eisenbahnverkehrs in» ganzen Reichsgebiet
Ar Durchführung zu bringen. Aus dem Wort, das aus unabhängigem
Mrnrbe gefallen ist, daß die Eisenbahner die Hand an der Gurgel des
Staates haben, ist das jetzige Vorgehen zu eruaren. Was soll erreicht
(verden durch diese Lahmlegung ves Verkehrs? Die Kohlenzufuhren wer-
den obaeschnittcn, die Betriebe müssen sMlgelcgt werden, die Zahl der
Arbeitslosen wächst ins Ungeheure, die Lebensmittelzufuhr wird unter-
ävnben, die Säuglinge sterben in Masten dahin und dabei (Zurufe bei
"en Unabhängigen) hosten die Kommunisten, daß bei dem Wirrwarr,
daß in diesem Massensterben, in diesem Kampf aller gegen alle ihre Zeit
bekommen ist, alles zu zertrümmern und auf den Trümmern die kommu-
dchische Gesellschaft zu errichten. Es gkbt kaum ein törichteres und ver-
brecherisches Unterfangen als diese Art politischer Betätigung. (Lebhafte
'nftiirtnrung.) Jetzt, wo wir vor der Durchführung des Friedt ns Vertrages
sehen und aufs äußerste gefährdet sind, wenn wir den Vertrag nicht er-
h-en, jetzt, wo 400 Ovu Kriegsgefangene, di« jahrelange Leiben hinter
ob haben, mit Schmerz auf die Stunde warten, wo sie mit ihren Lieben
wieder zusammen sind, jetzt kommen diese von verbrecherischem Wahn aus-
Aspettschten Eisenbahner und legen den Verkehr lahm. Dann werden
d'e Gefangenen, die nicht zurückkehren können, ihr eigenes Land verfluchen,
dvs fi« <n,s ihrem Elend nicht erlösen kann. (Neue stürmisck>e Zurufe bei
d«7i Unabhängigen. Rufe aus den Reihen der Sozialdemokraten zu den
T^dpängigen: Idioten.) Sozialismus heißt Organisation und Arbeit,
Pcht Zertrümmerung. Es bedarf keines Beweises, daß die Gesamtheit
der Aatioa m ihrem Leben bedroht ist durch diese verbrecherische Agita-
und sich bei ibrer Abwehr in der Notwehr befindet. Mil den schärf-
Zum Wiederaufbau Nor-frrrrkreichs.
Berlin, 16. Jan. (W.B.) Laut „Berl. Tagbl." wird der Mi-
nister für den Wiederaufbau. Dr. Eeßler, in den nächsten Tagen
nach Paris fahren, um eine grundsätzliche Verständigung über eine
Reihe van Vorfragen für den Wiederaufbau zu Hahnen.
Anschluß Koburg an Bayern.
Berlin, 16. Ian. (M.B.) Wie dem „Lok.-Anz." aus Mün-
chen gemeldet wird, ist der S I a a t s v e r t r a g über Koburgs Ein-
schluß an Bayern perfekt.
Zur Streikbewegung.
Berlin, 16. Ian. (W.B.) Die Streikbewegung unter den Ar-
beitern geht weiter zurück. Im Ruhrrevier sind allerdings die Ra-
dikalen am Werk, um die Arbeiterschaft aufzureizen.
Zur Präsidentenwahl in Frankreich.
Paris, 16. Jan. (W.B.) Die Delegierten der Truppen des
Senats und der Kammer haben die vorbereitenden Maßnahmen zur
Wahl des Präsidenten der Republik auf Freitag 2 Uhr nachmittags
angebahnt. Es wird sich keine Diskussion entspinnen, sondern nur
das Wahlgesetz erledigt.
Große Kohlennot in Wien.
Wien, 16. Jan. (W.B.) Die Situation der Stadt Wien ist
infolge des Ausbleibens der Kohlen geradezu trostlos. Auch der
Personen- und Güterverkehr ist äußerst bedroht.
stcn Maßnahmen mutz gegen diese Treibereien vorgegangc» werden.
(Zischen bei den Unabhängigen; Ruse aus dem Hause: Strolche!) Die
Regierung kann nicht eine verschwindende Minderheit gewähren lassen,
die geradezu tollwütig gegen das Leden des gesamten Volkes wütet und
ein Trümmerfeld schasse»» will. (Zustimmung.) Wir werden darin der
Unterstützung dieses Hauses sicher sein und auch die ganze öffentliche
Meinung dabei hinter uns haben. (Stürmischer Widerspruch und Lärm
bei den Unabhängigen.) Alle diese unabhängigen und kommunistischen
Blätter (Rufe bei den U.S.P.) werden Verbote» werden! (Die nächsten
Worte des Reichskanzlers gehen unter den» Lärm verloren!) Und wir
»verden diejenigen hinter Schloß und Riege! bringen, die Bolksverhetzung
treiben und unser Volk vollständig in den Abgrund stürzen »vollen. (Leb-
hafter Beifall.), Ich bitt« Sic nochmals um Ihre Untersnihung. Wir
werben alles tun, was in unseren Kräften steht, um das Volk, die ganze
deutsche Nation vor dem Abgrund zu bewahren. (Lebhafter Bestall im
ganzen Hause, Zischen bei den Unabhängigen.)
Der Vorwärts über den Anschlag auf den
Reichstag.
Wie es kam.
Die Blutschuld der unabhängigen Drahtzieher und Helrer
wird hinreichend durch die chronologische Schildermrg der Vorfälle an
dem blutigen Dienstagnachmittag bewiesen. Diesmal »vird es den unab-
hängigen Lügenblätter»» trotz aller ihrer berufsmäßigen Gewaudtheit in
der Verdrehung solcher traurigen Ereignisse unmöglich sein, die Schuld
am Blutvergießen der Sicherheitswehr zuzuschreibeu. Dutzende von ein-
wandfreien Zeugen bestätigen nämlich übereinstimmend, daß die Schuld
ausschlieftlich «ist feiten der durch zahlreiche Reden und Ruse ans-
geketzten Menge liegt. Die Eicherheitswehr, die übrigens zahlenmäßig
außerordentlich schwach war — etwa 100 bis 150 Mann gegenüber einer
Menge von annähernd "»0 000 Menschen —, bewies eine geradezu nn-
glaublichc Geduld nicht nur gegenüber den Schmädrufen und sonstigen
Provokationen von selten der Demonstranten, sondern auch gegenüber
tätlichen Angriffen schlimmster Art. Sicherheitsbeamte, die sich in die
Menge begaben, um dies« durch freundliche Worte zu dtruhigen, wurden
überfallen und von den wildgcwordencn Männern, Frauen und nicht
zuletzt Jugendlichen
blutiggeprügelt.
Diese Vorgänge spielten sich vor den Augen zahlreicher Abgeordneten ab,
die sic von den Fenstern sowohl des Restaurants wie auch des Leseiaals
des Reichstags beobachten konnten.
Trotzdem wurde von der Waste durch die Sicherhcitswehr noch immer
lein Gebrauch gemacht. Dagegen nahm di« Menge den blutig mißhan-
delten Beamten ihre Gewehre ab, die sie geschultert trugen, soweit sie
überhaupt weiche kalken, und zerschlug diese unter lautem Gejohle. In
einer Ecke des Hauses am Portal U konnte man am Abend mehr als
zwanzigzerschlagene Gewehre liegen scheu, die man nach der
Säuberung des Platze» geborgen hatte. '
Aber nicht alle von der Menge erbeutete»» Gewehre wurden zerschla-
gen: die Demonstranten, die durch diese „Erfolge" uitternehmungslustiger
geworden waren,
versuchten in den Reichstag ei nz «dringen.
Sie schossen zu diesem Zwecke mit den erbeuteten Gewchren ans die
Sichcrheitsbeamten, die das Große Portal am Königsplatz beseht hielten.
Zwei Geschosse drangen durch das Portal, das die Wan-
delhalle des Reichstags von der Rampe am Königsptah Kennt. Ihre
Spure»» sind am Portal deutlich zu sehen. Dav eine Geschoß wurde aus
dem Teppicy der Wandelhalle gesunden. Die
Einschüsse zeigen unwiderleglich,
daft sie von unten, also aus der Menge kamen. Einer der ersten Schüsse
traf übrigens einen Sichcrheitsbeamten schwer am Kopfe. Er »vurde von
Kameraden durch die Wandelhalle des Reichstags weagctragen. Erst
dann vernahm man das Maschinengewebrseuer der numerisch außerordent-
lich schwachen Reichstagsdesatzung.
Es muft auch betont werden, daft trotz ihrer bedrohten Lage die Wehr-
männer, als sie von der Waste Gebrauch machten, ostenbar bestrebt wa-
ren, möglichst wenig Opfer zu verursachen: denn bei der Zahl der Kopf
an Kops stehender» Menge hätte ein Maschiuengewehrfeuer i« Mannshöhe
aus die Angreiser nicht ein Dutzend, sondern Hunderte von Toten iuner-
hald weniger Sekunde» gekostet. So Haden die Sicherheitsmannschaften,
auch in der größten Notwehr, eine Zurückhaltung an den Tag gelegt,
für die gerade die Demonstranten alle Veranlassung hätten, sich dankbar
r" »eiaen.
Ob auch Sicherheitsbeamte, wie vielfach behauptet wird, in die Spree
geworfen wurden und ertranken, können wir zurzeit noch nicht feststellen.
AVer die obenerwähnten Provokationen des Janhagels, der sich an der
unabhängigen Demonstration so zahlreich beteiligt hat, sind durch so diele
Zeugen festgestellt worden, daft es ein Deutet« und Rütteia über die
Frage, aus wessen Sette die Schuld an den verlorenen Menschenleben
liegt, überhaupt nicht geben kann
D?r parlamentarische
Untersuchungsausschrch.
Heidelberg, 16. Januar.
Der 2. Unterausschuß des parlamentarischen Uniersuchungs-
ausschusses hat eine Pause in seinen öffentlichen Untersuchungen ein-
treten lasten. Eine Unterbrechung war nötig geworben. Das neu
geschaffene (ttntersuchungs-) Gebilde war noch zu jung, zu unent-
wickelt, als daß cs all den Stürmen, die von innen und außen an
es heranbrausten, auf die Dauer ohne Stärkung hätte widerstehen
können. Damit ist aber nicht gesagt, daß es nun seine Unfähigkeit
dargclan habe, die Aufgaben zu erfüllen, die mm» ihm gestellt
Klärung über die Vorgänge vor und während des Krieges.
Eine große Aufgabe! Eine zu große Aufgabe für uns Men-
schen, deren Geist noch umfangen ist von dem Erlebnis eines Welt-
krieges. Und so muß denn die Untersuchung gewisse Mängel
aufweisen. Zum mindesten vermögen die Untersuchenden so wenig
wie wir alle, noch nicht o b,j e k t i v das große Geschehen zu be-
urteilen, das an uns vorübergegangeck ist; selbst dann nicht, wem»
sie die tiefsten Gedankengänge derer erfahren, die die entscheidenden
Beschlüste im Kriege fahlen. Die Untersuchenden vermögen sich
nach 2 Jahren nicht in die Lage zu versetzen, die Vernommeiken
sind nicht imstande, die Atmosphäre zu schildern, aus der die Ent-
schlüsse reisten. Man wird mir cinwcnden, daß es ja nicht die
Aufgabe des Untersuchungsausschusses sei, Urteile zu fällen, sondern
nur anfzuksärcn, zu untersuchen. Aber weiche Unteisuckung hat
nicht Urteile in ihrem Gefolge? Nicht Urteile in» streng juristischen
Sinne, aber Beurteilungen! Die Welt urteilt, urteilt über die Aus-
sagen der Vernommenen; uneilt subjektiv, oder besser: nicht so ob-
jektiv, wie ein Mensch dazu überhaupt imstande ist. Das ist der
eine Nachteil, den die Untersuchung mir sich führt.
Der andere liegt im System. Ihn hak ja auch Helfferich
in seine» Weise dargelegt. Der Untersuchungsausschuß ist eilt
Zwiltergebilbe. Er ist ein Gericht und doch wieder keines. Er
vernimmt Männer als Zeugen, die später womöglich als Angeklagte
vernommen werden. Er fördert Zeugenmaterial, das vielleicht ein-
mal bei uns oder, bei der Entente als Anklagcmaterial gegen die
Zeugen dienen wird. Das ist ein — saft möchte man sagen —
unhaltbares Beginnen. Und doch muß das junge Zwittorgebilde
von Utttersuchungsausschuß am Leben bleiben. E s m »» ß ! Wenn
ein Volk aus stolzer Höbe in den tiefsten Abgrund geführt wurde,
wenn es sich aufreibt auf der Suche nach den Schuldigen, wenn es
überschwemmt wird von angeblich austlärenben Schriften aller Art,
von Offenbarungen mehr oder minder sensationell, wenn es gewillt
ist, sich aus der Tiefe wieder emporzuarbeiten, dann verlangt es
nach Klarheit! Und Klarheit braucht es! Das ist ein zu brennen-
des Verlangen, als daß es verstummen könnte aus Furcht vor dem
Auslande, als daß cs zerschellen könnte an Schwierigkeiten, an ju-
ristischen Bedenken, an formalen Ueberlegungen.
Und so finden wir den A usweg! Die Untersuchung mutz
losgelöst werden von streng juristischer Formalität einerseits, von
Parteidoktrin anderseits. Von juristischer Formalität deshalb, weil
die strenge Jurisprudenz bas Zwittergebilbe von Untersuchungs-
ausschuß doch nicht zu verdauen vermag. Wie kann dem» auf dieses
neugeschaffene Gebilde, bas in seinem Wesen gar nicht zu erfassen
ist, ohne weiteres „sinngemäß" die Strafprozcßordnung angewandt
werden? Wie kann man Zeugen verurteilen wegen Zeugnisver-
weigerung, wenn sie Zeugnis abgeben? Es tauchen während der
Untersuchung ganz neue Rechtslage»» auf, die in unsere»» bisherigen
Gesetzen überhaupt nicht vorgesehen sind, die auch durch „sinnge-
mäße Anwendung" bestehender Gesetze nicht geklärt werden können.
Man schaffe -deshalb für den Untersuchungsausschuß*lediglich eine
Geschäftsordnung, der sich — wie in jeder Versammlung — alle
Anwesendei» zu füge»» haben. Man verpflichte bie Aussagenden.
zum Aussagen der Wahrheit und baue so das ganze System auf —
nicht auf Zwang und Zwangsmittel, sondern auf den freien Mut
und das moralische Pflichtbewusstsein der zu Vernehmenden. Und
wenn wir auch gar keine positive Tatsacken-Klärung erhalten
sollten (die erste Uittersuchungsperiode hat aber solche zur Genüge
gezeitigt), wir sehen wenigstens einmal in die Tiefen des Geistes
der Männer, die uns durch Sieg zum Untergang führten; wir wer-
den uns wenigstens darüber klar, ob sie', die das Schlechte erreichten,
wirklich nur das Beste wollten. Und frei von Pa r r e i d ek-
krin! Parteimenschen, zumal wenn sie während des Krieges im
Parlamente saßen, vermögen noch weniger ohjektiv zu urteilen, denn
gewöhnliche Sterbliche. Oder, wer merkte es den» Vorsitzenden
Warmuth nicht an, daß sein Gedankenflug nach rechts geht?.
Von der Gegenseite wird das Analoge von den links stehenden
Abgeordneten behauptet. Es soll ja noch Menschen geben, die über
den Parteien stehen — die sollen heran, sollen die Arbeit leisten,
die zum Moderaufbau Deutschlands so dringend erforderlich ist. —
Erkenne dich selbst! Laßt sie schreien jenseits unserer Grenzen!
Laßt sie mit den Fingern zeigen auf uns, die Kriegshetzer, Kriegs-
Verlängerer, auf die Besiegten! Wir wissen, daß wir bas erstere
doch nur sind, weil wir das letztere sind.
Wir wollen auswärts! Und Selbsterkenntnis sei der
erste Schritt zur Besserung. An alles wollen wir uns klammern,
was einen Ausstieg ahnen läßt, was neue Blüte bringen könnte.
Und Selbsterkenntnis kann uns aufwärts führen! K. M.
Politische Übersicht.
Die Konstituierung der Freistaates Danzig.
Besetzung durch bie Engländer am 4. Februar.
Danzig, 13. Ian. An den P a r is e r V erhan d l un -
gen betr. den Freistaat Danzig nahmen von deutsche Sette Re-
gierungspräsident Foerstcr und Oberbürgermeister Sahm teil;
außerdem waren noch zwei Vertreter von Memel zugegen. Die
alliierten und assoziierten Mächte hatten S>r Reginald Tower
entsandt. Polnische Vertreter nahmen an den Besprechungen nicht
teil. Es wurden zwei Kommissionen gebildet, die unter der Leitung
eines Beamten des französischen Auswärtigen Amtes standen, und
die über bie Souveränität des Freistaates Danzig sowie über milk-
tärische Angelegenheiten berieten.