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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (1/2) — 1920

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Heidelberg, Freitag, 5. März 1S20
Nr. SS » 2. Lahrgang
SSW"—1"-!l j!I li ! !l

? agesxetlung für die werktätige BeVSkkervng der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim, -Appingen, Eberbach, Mosbach, Suchen, Adelsheim, Boxverg,
Tauberbischofsheim und Wertheim
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«.Kraus,- für Kommunales u. sozial«Rundschau: I- Kahn- für Lokale«:
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Druck und Verlag der Untrrbadischen Aerlagsanstall G. m. b. H., Heidelberg
Geschäftsstelle: Gchröderstraße ZS.
Feinsprecher: Anzeigen-Annahme 2673, Redattion 264«.

Ein Vorbild.
Bismarck für die Enteignung abgesetzter Fürsten.
An dieser Stelle ist schon dargelegt worden, daß bei einer Ent-
Eignung der Hohenzvllern das volle moralische und historische Recht
*us seilen des Staates steht. Die „Tägliche Rundschau" unternimmt
*vch einen verzweifelten Versuch, um unsere Feststellungen zu wi-
derlegen, daß das Hohenzvllernvermögen zum größten Teil auf
A>sten des preußischen Staates zufammengerafft ist, indem sie eine
Aste von „rechtmäßig angetansten" Gütern der Hohenzvllern zusam-
brenstellt. Di« „Tägliche Rundschau" hat nur vergessen, uns dar-
Ther zu unterrichten, woher denn das Geld für den Antauf der
Dister stammte! Noch törichter ist der Versuch der „Tägl. Rund-
schau" es so hinzustellen, als ob die Hohenzvllern bei großen Kri-
Kn dem Staate fast ihr ganzes Vermögen geopfert hätten. Man
beht da jetzt, wo es geblieben ist! Die Monarchisten aber, die nicht
aufhören wollen, über „Unrecht" und sogar „Raub" zu zetern,
«lögen sich einmal zu Gemüte führen, was bei ähnlicher Gelegen-
heit ein Mann gesagt hat, den sie sicher nicht abstreiten und ver-
leugnen werden:
Ueber die Frage, welches Privateigentum einem kriegführenden
Monarchen nach dem Kriege bleibt, entscheidet erst der Friedens-
schluß; einen anderen Richter darüber gibt es nicht ... Ich habe
nicht gehört, daß die Vorfahren des Königs Georg, nachdem sie das
Haus Stuart vom Throne Englands vertrieben hatten, diesem
Hause durch Staatsgelder die Mittel geliefert hätten, der königlichen
Armee bei Culloden gegenüberzutreten. Ich habe nicht gehört, daß
die verschiedenen Zweige des Hauses Bourbon, deren Throne den
Staatsumwälzungen in Frankreich, in Spanien, in Neapel zum
Opfer fielen, auf Kosten dieser Länder mit Dotationen versehen
worden wären, die man die Absicht hätte haben können, ihnen zu
lasten, wenn sie fremde Legionen oder französische oder englische
"Legionen in der Fremde angeworben hätten, um sie gegen bas
-eigene Land zu führen. Noch weniger ist es mir wahrscheinlich,
daß die spanische Regierung es für ihre juristische Pflicht halten
wird, der Königin Isabella Mittel gegen sie zu liefern, und daß
von Italien her die Bourbonen in ihren Absichten durch Staats-
mittel unterstützt würden. Ich führe dies nur an, um Ihnen die
-Geringschätzung zu kennzeichnen, mit welcher wir die sittliche Ent-
rüstung aufzunehmen haben, die sich von so vielen feindlichen Seilen
geltend macht, als ob wir hier einen ungerechten, gewalttätigen M
gegen einen an sich ungerecht seines Thrones beraubten Fürsten
Äbten. Schuldig waren wir dem König Georg nichts; wir haben
«in Beispiel der Großmut im Intereste des Friedens gegeben, wie
«s in der europäischen Geschichte meines Mistens nicht vorgekom-
men ist."
So sprach, woran die Soz. Kvrr. sehr zur Zeit erinnert, im
alten preußischen Herrenhaus am 13. Februar 1869 der Minister-
präsident der Hohenzvllern Graf Otto von Bismarck-Hohenschön-
hausen über die Beschlagnahme des Vermögens des früheren Königs
von Hannover und des Kurfürsten von Hessen.
Die Vorgeschichte der Wegnahme des Vermögens der forlge-
jagten Herrscher von Hannover und Hessen durch die Hohenzvllern
ist überaus einfach. Nach dem siegreichen Kriege von 1866 ver-
handelte König Wilhelm von Preußen mit dem König Georg von
Hannover und schloß mit diesem einen Vergleich, den Fürst Bis-
marck gegenzeichnete, vom 29. September 1867, in welchem den
-abgesetzten Fürsten Entschädigung für ihr Eigentum gewährt wurde,
m. a. dem König von Hannover eine Barabfindung von 16 Mill.
'Thaiern. An demselben Tage, an dem dieser Vergleich publiziert
wurbe^ erschien eine Verordnung des Königs von Preußen, welche
bie Abfinbungssumme beschlagnahmte. Diese Verordnung wurde
später vom Abgeordnetenhaus und Herrenhaus mit überwältigender
Mehrheit genehmigt, und Fürst Bismarck fügte zu dem Schaden
der abgesetzten Fürsten den Spott, daß er nicht daran denke, das
beschlagnahmte Vermögen nutzlos siegen zu lasten und die Zinsen
aufzusammeln: . .
„In keinem Falle dürste man sich der Besorgnis hmgeben, daß
die Staatsregierung etwa beabsichtige, durch Aufsammlung von Re-
Denuen ein-e Sparkasse für die Beteiligten anzulegen: nützliche Ver-
wendungen, namentlich im Interesse der Landesteue, welche die
depvstedierten Fürsten früher beherrschten, würde sich immer finden
lasten, insbesondere in Kurhesten, wo nützliche, ja notwendige Bau-
ten ausgeführt werden könnten, deren Ausführung von der früheren
Negierung beharrlich verweigert worden sei."
Das war zunächst eine glatte Konfiskation der Einkünfte aus
dem Vermögen der abgeletzten Fürsten. Fürst Bismarck fügte hin-
zu, daß, wenn ihm genügend Gründe vorzuliegen schienen, er auch
die Substanz des Vermögens selbst wegnehmen würde. Um die
ganze Roheit seines Vorgehens zu ermessen, darf man nicht ver-
gessen, daß vorher mit dem Fürsten von Hannover «in Vergleich
abgeschlossen worden war. Durch diesen Vergleich war der frü-
Here König von Hannover veranlaßt worden, die Vermögensstücke,
die er rechtzeitig ins Ausland geschafft hatte, wieder zurückzubringen,
und als alles zur Stelle war, legten die Hohenzvllern und ihr Mi-
nisterpräsident die Hand darauf. Angeblich sollte der König von
Hannover, was er allerdings stets bestritten hat, eine hannoversche
Legion ausgestellt haben, um Preußen zu bekriegen. Nach der
Schätzung des Fürsten Bismarck war diese Legion bis zu tausend
Mann (!) stark, während das preußische Heer damals auf eine Mil-
lion zu bemessen war. Trotz dieses Krästeverhältmstes erklärte
Bismarck, datz die Notwehr dazu zwinge, den Wel-feniomgen kein
Geld in die Hand zu geben. Es sei Feigheit, sich nicht zu wchren
und nicht die Degenspitze wegzuschlagen, die auf die eigene Brust
gerichtet ist. „Ob diese Gefahr klein oder groß ist, daraus kommt
nichts an." , , „ ,
Als gegenüber diesen Argumenten der alte Zentrumssuhrer
Windthorst ein halbes Dutzend Verfastungsparagraphen ansührt«,
gegen die das Bismarckfche Vorgehen verstieße, und außerdem ein«
ganze Legion strafrechtlicher und moralischer Pflichten, die durch
sein« Methode verletzt würden, erwiderte der Ministerpräsident mit
dem seitdem wohl auf ewig berühmten Wort, er werde, wenn es
flch um die Sicherheit des inneren Friedens handle, nicht über ju-
ristische Zwirnfäden stolpern. Irgendein« juristische Pflicht zur
Abfindung eines abgesehen Königs bestehe überhaupt nicht. Die
königlich preußische Regierung hätte sich deshalb gar nicht erst
daraus eingelasten, lange zu untersuchen, wieviel di« früheren Für-

Erzberger-Helfferich-Prozeh.
3VV Mark Geldstrafe.
Berlin, 5. März. (W.T.B.) Am Schlüsse seines
Plaidoyers im Erzberger-Helfferich-Prozeß stellte der Ober-
staatsanwalt fest: zu berücksichtigtigen ist, daß dem An-
geklagten ein großer Teil des Wahrheitsbeweises
geglückt ist, wenn auch viele schwere Beschuldi-
gungen sich nicht haben rechtfertigen lassen. Ich
beantrage den Angeklagten zu einer Geldstrafe von
300 Mk. zu verurteilen. Die Staatsanwaltschaft hat auf
alle politischen Betrachtungen verzichtet. Mögen alle
Parteien, Parlamentarier und die berufenen
Vertreter der Presse ihre Folgerungen aus die-
sem Prozesse ziehen. Möge dieser Prozeß zur Reini-
gung undzurGesundung öffentlichen Lebens beitragen.
Darauf ergriff der Verteidiger Dr. Alsberg das Wort.
Einigungsvorschläge zum Streik der
Berliner Brotfabriken.
Berlin, 5. März. (W.T.B.) Inbezug auf den
Streik in den Berliner Brotfabriken ist zu melden,
daß gestern Einigungsvorschläge gemacht wurden.
jDie Lage in Straubing.
München, F. März (W.T.B.). Durch energisches
Eingreifen der Regierungskommission wurde die Ruhe
in Straubing wieder hergestellt. Die Arbeit ruht, soll
aber nach Beerdigung der Opfer wieder ausgenommen
werden.
Die ersten Heimkehrer aus
Sorvjet-Rutzland.
Berlin, 5. März (W.T.B.). Die Reichszentrale
für Kriegs- und Zivilgefangene teilt mit, daß der
erste Transport aus Sowjet-Rußland mit
600 heimkehrenden Invaliden, sowie Frauen und
Kinder au der Demarkationslinie abgegangen sind.
Das Ergebnis der Sowjetrvahlen in
Moskau.
Helsingfors, 6. März. (W.T.B.) Das Resutat
der Sowjetwahlen in Moskau ergab von 1461 Sitzen
für die Kommunisten 80°/« der Sitze, die Mensche-
wiki erhielten 43 Mandate (3"/o) und die Unab-
hängigen 121 Mandate (Z"/»).
Landarbeiterstreik in Italien.
Mailand, 5. März. (W.T.B.) Der Eorriere
della Sera teilt mit, daß in allen ackerbautreibenden
Gebieten der unteren Lombardei der Streik
ausgebrochen sei.
stenhäuser besessen hätten, sondern sie hätte die befestigten Fürsten
so ausstatten wollen, daß sie ohne beschämende Erinnerung an ihr
politisches Unglück als gefallene Dynastie eine annehmbare Existenz
führen könnten. Aber diese gute Absicht sei durch die Prätenden-
tenrolle der Welfen -vereitelt worden.
Der bekannte demokratische Abgeordnete Waldeck erklärte Bis-
marcks Vorgehen für revolutionär, und der liberale Abgeordnete
Braun fügte hinzu, es liege allerdings ein Gewaltakt vor, aber
dieser Gewaltakt sei geboten. Nur der alte Windthorst blieb aus
Treue gegen sein angestammtes Fürstenhaus dabei, daß das Geld
der Welfen ihnen zurückgegeben werden müsse und nicht dazu dienen
dürfe, Bismarck einen Geheimfonds zur Besoldung unzähliger
Spitzel an die Hand zu geben. Aber Windthorst konnte schließlich
nur sagen, daß einst die Monarchie an der Spree entgelten werde,
was man jetzt der Monarchie an der Leine und an der Fulda ange-
tan hätte. Er weissagte den Hvhenzollern, baß ihre rechtlose Ge-
waltpolitik früher oder später Schiffbruch leiden werde.
In der Tat, wenn irgendein Fürstenhaus nicht über Gewalt
und Unrecht klagen darf, so sind es die Hohenzollern, und wenn wir
jetzt gar nicht daran denken, ihnen ihr Privateigentum zu lasten,
damit sie es dann nach Belieben gegen die Republik verwenden
können, so dürfen die Hohenzvllern nicht klagen. Sie werden nur
mit der Elle gemessen, die sie selbst angelegt haben — ihnen ge-
schieht nur, was sie stets anderen zugefügt haben. Die Geschichte
des Welfenfonds genügt allein, um die Enteignung der Hvhenzollern
zu begründen._ _
Politische Ueberficht.
Streik auf mecklenburgischen Gütern.
Wie die P. P. N. erfahren, wird in M e cki e n b u r g auf
ungefähr hundert Gütern gestreikt. Die Frühjahrsbestel-
lung ist bisher dadurch nicht gefährdet worden. Die Ar-
beiter wollen an Iahresstunden 2700 leisten und 120 Ueberschicht-
stunden, während die Arbeitgeber ein« Leistung von 2900 Mun-
den verlangen. An Lohn fordern die Arbeitnehmer 5000 Mark
pro Jahr unter Anrechnung der Naturalleistungen, die
Arbeitgeber wollen etwas über 4000 Mk. bewilligen. In Rr stock
finden heute die Verhandlungen des S chl i chtungsaus s chuf-
s es statt. Die mecklenburgische Regierung ist entschlossen, die scharf-'
sten Maßnahmen zu ergreifen-, falls von einer der beiden Seiten der
Schiedsspruch nicht angenommen wird und weitergestrem werden
sollt».

„Tkn verfehlter Einigungsversuch."
Heidelberg, 3. März. '
Unter obigem Titel nahmen wir in Nr. 43 der „Volkszeitung^
vom 20. Februar zu der Neugründung der „Partei vereinigter
Sozialisten" in Regensburg Stellung. Wir anerkannten die gewiß
gute Absicht, welche die Regensburger Sozialisten beseelte, erklärte«
aber, daß nach unserer Ansicht auf diesem Wege eine Einigung un-
möglich kommen werde und daß das Programm der neuen Partei
eine große realpoWsche Naivität verrate.
Unter der Ueberschrist „Aus dem politischen Leben" gibt nun
die „Eberdacher Zeitung" vom Freitag, den 27. Febr,, ein
Eingesandt wieder, das sich mit unserer Stellungnahme zum Re-
gensburger Einigungsversuch beschäftigt und in dem u. a. folgen-
des steht:
Wenn man den Hund tritt, bellt er! So auch hier. Die Volks-
zeitung läßt durch ihre Stellungnahme zu dieser Sache genau durch-
blicken, daß sie versucht, ihre Leser und Genossen von der neuen Partei
fernzuhatten. Sie nennt dies eine weitere Zersplitterung des Prole-
tariats. Nun ja, gehetzt muß ja gleich von vornherein werden, um
das Anwachsen dieser neuen sozialistischen Partei zu vereiteln, obwohl
die M-ehrheitspartei, einzig und allein indirekt, durch ihre Tätigkeit
den Grundstein der Vereinigten Sozialisten gelegt hat. Dies beweist
ja die Teilnahme der Mehrh.-Soz. an der Bildung der „Partei ver-
einigter Sozialisten". Richt weniger wie 98 Ortsvereine der M.-S.
waren vertreten. Die Angst vor der Abschwenkung der Arbeiterschaft
bringt die M.-S. P. in Verlegenheit. Warum Genosse Rechtsanwalt
Wieland, Stockach, nachdem er die U. S. P .verlassen hat, nicht wieder
zur Mehrheitspariei übertritt, braucht nicht weiter beleuchtet zu wer-
den. Es ist nicht Mangel an Mut und Mannheit bei Gen. Wieland
vorhanden, wie es die Volkszeitung seinerzeit nannte, es werden wohl
anders Gründe vorliegen. Es kann also niemals zu einer Einigung
des Proletariats kommen, so lange die M.-S. weiter so tätig ist und
weiter so krasse Gegensätze zwischen den Parteien bestehen. Auch hier
in Eberbach wird sich die Gründung der „Pattei vereinigter So-
zialisten" in der nächsten Zeit vollziehen, der natürlich nur wirkliche
Sozialisten, die Idealismus besitzen, das Ansehen der Partei würdigen
und nicht untergraben, beitreten können. Die Zukunft wird lehren,
welches nun der beste Weg zur Einigung ist und daß dieser Partei
das Verstauen einzig und allein, auch hier in Eberbau) entgegengebracht
werden kann. Hoffen wir nun, daß sich jeder bewußte Sozialdemokrat
sagen muß, nur dieser Weg kann zur Einigung und somit zum Siege
führen.
Wir misten nicht, wer diese Zeilen in die „Eberbacher Zeitung^
lanziert hat, vermuten aber stark dahinter ein Unabhängiges
Manöver, durch welches unzufriedene unb schwunstnö« G»n»ss»»
abgesplittert werden sollen. Wir haben ja nicht den Gedanken und
die Notwendigkeit einer Einigung an sich abgelehnt, sondern nur
den Weg der neuen Parteizersplitterung, den man da gegangen ist.
Nun haben wir ja in ebendemselben Artikel zugleich mitgeteilt, daß
sowohl vom „Vorwärts" als auch von der „Freiheit" dieselbe
Stellung eingenommen wird. Am letzten Sonntag hat eine Be-
zirkskonferenz der S. P. D. Groß-Berlins beschlossen, jeden aus
der Partei auszuschließen, der sich der Regensburger Neugründung
anschließt. Dem Eberbacher Kritikus sei aber vor allem als ihn
gewiß interessierend folgendes mitgeteilt: auch die Zentrale für
Einigung der Sozialdemokratie, die als paritätische Kommission
der S. P. und U. S. P. unter dem Ehrenvorfitz Bernsteins
im vorigen Jahr vom Svzialistentag eingesetzt wurde, ist mit der
Regensburger Neugründung durchaus nicht einverstanden. Sie
verwirft diesen Weg prinzipiell, da er nur eine weitere Schwächung
der Stoßkraft der Sozialdemokratie bedeutet. Auch diese Einigungs-
zenstale, die am nächsten Sonntag in Berlin einen 2. Sozialistentag
einberufen hat, ist mit uns der Auffassung, daß eine Einigung nicht
auf dem taktisch völlig verfehlten Wege einer neuen Partei kommen
wird, sondern nur dadurch, daß alle Elemente beider Parteien, denen
es um die sozialistische Demokratie wirklich ernst ist, sich in ihren
Parteien dafür einsetzen, daß an Stelle des unsinnigen Bruder-
kampfes um Schlagworte wieder ein sachlicher, realpolitischer Ge-
meinschastskampf gegen erchts tritt, gegen den gemeinsamen Feind
des besitzlosen Proletariats.
Erzberger-Helfferich-Prozeß.
Berlin, 2. März. (Nachmittagssitzung.) Nach der Mittags-
pause ist auch Erzberger erschienen, der am Vormittag
fehlte. Es wird wieder in eine Zeugenvernehmung eingetreten.
Als Zeuge wird zunächst der Staatsminister Spahn vernommen,
der bestreitet, daß er an Gedächtnisschwäche gelitten hat und seine
frühere Auftastung aufrechterhält. Dr. Stresemann sagt aus:
Erzberger habe sich mcht an ihn gewandt, sondern Stresemann an
Erzberger, um festzustellen, ob ein Vorstoß gegen den
Kanzler vorliege. Ich bin erstaunt, daß Erzberger sich mcht
an di« Unterredung des nächsten Vormittags mit mir erinnert. Denn
sie war der Ausgangspunkt einer Reihe bemerkenswerter Aktionen
zur Beseitigung des Kanzlers. Reichspostmimster
Giesberts als Zeuge: Wie ich höre, waren in der Zett der
Friedensresolution zwei Zentrumssitzungen. Vielleicht war Ex-
zellenz Spahn in der einen Sitzung nicht anwesend. Am 2.
oder 3. Juli machte uns Erzberger von der Absicht eines Vorstoßes
Mitteilung. An den früheren Reichskanzler von Veth-
mann Holl weg richtete Dr. Alsberg u. a. folgende Frage:
Gestern ist hier von Minister David von einem Besuch bei Ihnen
berichtet worden. Konnten Sie daraus entnehmen, daß Erzberger
einen Vorstoß, wie er geschehen ist, beabsichtigt hatte. Beth -
mann Hollweg: Ich kann mich noch daran erinnern, daß die
Herren bei mir waren, um über die innere Situation Vortrag zu
halten. Ich kann nur bezeugen, daß das, was Dr. David hier
bekundet hat, nach meinen Notizen stimmt. Die Herren sahen
die Situation sehr e r n st an. Daß sie ernst war, daran ist kein
Zweifel gewesen, aber daß ich durch die Unterredung auf einen
Vorstoß Erzbergers vorbereitet worden bin, ist nicht richtig. Es
ist richtig, daß die Friedensresolution an sich auf der
Linie meiner Politik gelegen hat. Das habe ich im Ausschüsse
ausdrücklich gesagt und nur bedauert, daß die Resolution gefaßt
worden ist im Anschlüsse an eine gewisse panikartige Stim-
mung, die erregt wurde durch die Ausführungen der Sozialdemo-
kraten und durch die des Nebenklägers. Ich habe auch beklagt,
daß sie politisch ungünstig wirken könnte. Dr. H e l f f e r i ch: Haden
Ew. Erzellenz nickt davon gesprochen, daß die Situation nicht
derart sei, daß eine Resolution eingebracht werden könnte, da
sie dir Zerstörung gewisser Möglichkeiten, zum Frieden zu kommen.
 
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