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ist fertiggestellt. Er
r
Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Ginsheim, Eppingea,
Tauberbischofsheim und Wertheim.
Heidelberg, Gamstag, 3^ Januar ^920
Rr. 26 » 2. Jahrgang
Verantwort^: Für innere u. äußere Politik, Volkswirtschaft u.Ieuilleton: Dr.
E.Kraus: für Kommunales u. soziale Rundschau: F. Kahn- für Lokale«:
O.Geibel; für die Anzeigen: H.Hoffmann, sämtlich in Heidelberg.
Druck und Verlag der tlnterbadischen Verlagöanstalt G. m. b. H., Hei delberg.
Geschäftsstelle: Schröderstraße ZS.
Fernsprecher: Anzeigen-Annohme 267Z, Redastion 2648.
Ble'
Net-»
r bei
r. 36,
aber immer im Rahmen der allgemein-sozialen Konsumenteninter-
essen; so verlangt es der Sozialismus.
Auch bei uns machen sich bereits die ersten Anzeichen der kom-
menden Reichslagswahl geltend. In demagogischer Weise sucht
Tag für Tag die „Süddeutsche Zeitung" und ihre Stief-
schwester, die „Badische Post" die Sozialdemokratie für alle
unsere Not verantwortlich zu machen. Dor allem aber bemüht sich
das Zentrum wieder, irgend eine religiöse Wahlparole zu fin-
den. Jedes Mittel ist ihm gut genug. Diesmal gilts dem
Badischen Lehrervereiu. Weil er, getreu den Richp
linien des deutschen Lehrervereins auf seiner Offenburger Tagung
tm 28. und 29. Dez. 1919 die weltliche Schule und die
Einheit sschule gefordert hat, wird er jetzt in der Zentrums-
presse der „sozialdemokratischen Geistesrichtung" beschuldigt. Und
eigentümlicherweise regt sich auch die „Bad. Schulzeitung" darüber
auf, daß wir Sozialdemokraten mit Freude konstatiert haben, daß
jene Beschlüsse der Offenburger Konferenz im wesentlichen mit den
Forderungen unseres Erfurter Programms übereinstimmen. Doch
halt: dieses plumpe Manöver soll nicht gelingen. Die kommende
Landesschulkonferenz wird einwandfrei zeigen, daß sowohl die Richt-
linien des Bad. Lehrervereins als auch die Forderungen des Er-
furter Programms von allen an der Schule objektiv interessierten
Kreisen aus sozialpädagogischen und schultechnischen Gründen ge-
fordert werden, uwd daß da kein Anlatz zu politischem Gimpelfang
vorhanden ist.
Ausland.
Französisch-belgische Besprechungen.
Haag, 29. Ian. Das Zusammentreffen zwischen König
Albert von Belgien und Präsident Poincare in Hpern ist
von wichtigen politischen Besprechungen begleitet gewesen. Im
Zuge des Präsidenten fand in Gegenwart der beiden Minister-
präsidenten von Belgien und Frankreich, des belgischen Minister«
des Auswärtigen, ferner des Marschalls Fvch sowie der beiden
Gesandten eine Konferenz statt.
Offiziell verlautet über diese Zusammenkunft, daß verschiedene
wirtschaftliche, finanzielle und militärische Fragen, die beide Länder
betreffen, eingehend untersucht Korden seien, und datz der Gedan-
kenaustausch zu befriedigenden Ergebnisten geführt habe. Bel-
gien soll sich, wie es heißt, verpflichtet haben, alle entbehrlichen
Steinkohlen Frankreich zur Verfügung zu stellen. Ferner werde der
belgische Wirtschaftsminister an die Grubenarbeiter einen
Appell richten, um sie zu einer Verlängerung des Ar-
beitstages und zur Steigerung der Produktion zu veranlassen,
damit Frankreich ausgiebig geholfen werden könne.
Frankreich.
Sarbonnefitzung zu Ehren des Völkerbundes.
Paris, 29. Ian. Wie die Agence Havas meldet, wird am
kommenden Freitag nachmittag in der Sorbonne unter dem Vorsitz
von Präsident Poincare eine feierliche Sitzung zu Ehren des Vvl-
Mu-Ipreis: Monatlich einschl. Trägerlohn 2.so Mk. Anzeigenpreise:
s,/ einspaltige Petitzelle (Z6 mm breit) 40 pfg., Reklame-Anzeigen
nun breit) 2. - Mk. Sei Wiederholungen Nachlaß nach Tarif.
Geheimmittel-Anzeigen werden nicht ausgenommen.
»ZchäftSstunden: 8-'/,6 Uhr. Sprechstunden der Redaktion: rr-r2 Uhr.
^checkkvnto Karlsruhe Ar. 22877. Tel -Adr.: Volkszeitung Heidelberg.
f
Die Einberufung -er internationalen
Valutakonferenz.
Paris, 31. Ian. (W.B.) Der Finanzminister unterbreitete im
heutigen Kabinettsrat hie Grundlagen zur Einberufung einer inter-
nationalen Valutakonferenz.
London, 31. Ian. (W.B.) Es ist wahrscheinlich, datz eine
internationale Konferenz einberufen wird, um über Maßnahmen
zur Festigung -er europäischen Finanzen zu beraten. Eine sofortige
Besserung der Währung hält man für wahrscheinlich, doch ist die
Gewährung eines Kredits an alle europäische Länder nötig.
Die Reichseinkommensteuer in 1. Lesung
angenmmen.
Berlin, 30. Ian. (W.B.) Der Steuerausschuß der National-
versammlung hat heute den Entwurf des Reichseinkvmmensteuer-
gesetzes in erster Lesung angenommen.
Millerand über seine Politik.
Paris, 30. Ian. (W.B.) Die Kammer verhandelte heute die
Interpellationen über die allgemeine Politik -er Regierung. Mil-
lerand erklärte, die Kammer müsse sagen, ob sie Vertrauen zur Regie-
rung habe. Die Regierung sei entschloßen, alle Klauseln des Frie-
densvertrags von Versailles ausführen zu lasten und von Deutsch-
land zu verlangen, -atz es alle seine Verpflichtungen erfülle. Die
Rede des Ministerpräsidenten wurde mit grobem Beifall ausgenom-
men. Eine Vertrauenstagesordnung Durand wurde mit 510 gegen
70 Stimmen angenommen.
(Die Nachricht scheint uns stark chauvinistisch aufgemacht. Nä-
here Einzelheiten über die Rede Millerands müßen wir abwarten.
Die Red.)
Der Abstimmung st ermin in Nordschleswig
Flensburg, 31. Ian. (W.B.) Die internationale Kommission
hat den Abstimmungstermin für die 2. Zone endgültig auf den 7.
März festgesetzt.
Oesterreichs Kreditplan.
Paris, 29. Ian. Die österreichischen Staatssekretäre Reisch
und Löwenfel - werden Anfang kommender Woche in Paris
erwartet, um einen Plan zu einer Anleihe zu unterbreiten, über den
die Wiedergutmachungskommission entscheiden wird.
Der Friedensvertrag zwischen Estland
und Rußland.
Reval, 31. Ian. (W.B.) Der Entwurf des Friedensvertra-
ges zwischen Esthland und Sowjetrutzland if s „„ f " "
hält 16 Millionen Rubel in Gold und die Konzession für eine Bahn
von Reval nach Moskau.
Die irischen Bischöfe für die nationale
Freiheit.
London, 29. Jan. (Reute r.) Die römisch-katholischen B i-
schöfevonIrland haben eine Erklärung veröffentlicht, in der
sie die gefahrvollen Zustände, die infolge der Unterdrük-
kung und der Beschränkung der nationalen Frei-
heit e n im Lande herrschten, beklagen und erklären, der einzig rich-
tige Weg, auf dem freundschaftliche Beziehungen zwischen England
und Irland hergestellt werden könnten, sei der, dem ungeteilten Ir-
land zu erlauben, sich eine Regierungsform zu wählen.
Sberbach, Mosbach, Buchen, Adelsheim, Boxberg,
l
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Der Parteitag des Zentrums hat aufs neue erwiesen, was
jedem Kenner längst feststand, welch gewaltigen Ruck nach links
das Zentrum während des Krieges und vor allem seit der Revo-
lution getan hat. Die feudal-monarchistischen und besitzenden Kreise
haben nicht mehr die Führung in der Hand; das Zentrum hat sich
nicht nur mtt der Demokratie und Republik, mit der in der Reichs-
verfassung vollzogenen Trennung von Kirche und Staat abgefunden;
es ist in seinen wirtschaftlichen und sozialen Forderungen — mit
Nachdruck vor allem von den christlichen Gewerkschaften vertreten
— stark an die Sozialdemokratie herangeruckt. Und dem ist qut so.
Umso mehr bedauern wir es, datz der heute tatkräftigste Minister
des Zentrums, Erzberger, ein Opfer der konservativen Hetze
geworden ist. Gottlob scheint er mit dem Leben davvnzukommen.
Man mag über Erzberger denken, wie man will, man wird aner-
. kennen müßen, datz er die Energie besessen hat, die Steuerentwürfe,
die seine zögernden Vorgänger stets in ihrer Schublade verschloßen
hielten, in die Tat umzusetzen. Sein mannhaftes Eintreten für den
Einheitsstaat, die Reichsabgabenordnung und das Landessteuer-
gesetz sind unvergängliche Taten einer großzügigen Finanzreform die
auch eia politischer Gegner anerkennen muß.
Auch bei uns in Baden hat sich die Lage wieder sehr zuge-
spitzt. Einmal durch die Streikdrohungen, die unter Führung
Mannheims unsere Eisenbahner ausgegeben haben. Man kann
nu« mit den Eisenbahnern der Meinung sein, datz die Zulage bzw.
der Vorschub, den der Landtag in seiner Sitzung vom 23. d. M.
beschloßen hat, durchaus ungenügend ist, datz hier eine grundlegende
Reform Platzgreifen mutz — man wirb aber zugeben müßen, daß
der Landtag wenigstens den Willen gezeigt hat, den Forderungen
entgegenzukommen und datz er in der kurzen Zeit einfach nicht mehr
tun konnte. Denn darüber müßen unsere Eisenbahner doch auch
einmal nachdenken: keine verantwortungsvolle Volksvertretung (erst
recht nicht eine sozialistische!) kann Ausgaben beschließen, für die
keine Deckung da ist: Da s w ä re B a n k ero ttpo li t ik! (Dgl.
dazu auch die durchaus zutreffenden Ausführungen des Genoßen'
Abg. Maier in der gestrigen Nummer der- „Volkszeitung .) Es
ist nur zu begrüßen, daß unser Finanzmini st er Dr. Wirth
energisch allen Versuchen der Eisenbahner entgegentrttt, Landtag
und Regierung zu terrorisieren. Das Koalftionsrecht in Ehren! —
Rückblick.
Kr. Heidelberg, 31. Januar.
! Zwei Wochen politischer Hochflut liegen wieder hinter uns.
.^geleitet wurden sie durch die französische Präsidentenwahl. Die
^Überraschung, mtt der ihr Ergebnis — der Sturz Elemenceaus und
ie Wahl Deschanels — uns Deutsche traf, war wieder einmal
M Zeichen dafür, wie wenig wir noch die Demokratie, die Psyche
. ss französischen Volkes verstehen. Fast aber scheint es, daß auch
->eses Ereignis der französischen Politik uns nicht zur Einsicht! bringt,
«ts ob wir zu jenen gehörten, die nichts vergeßen haben und nichts
*rnen. Denn anstatt einzusehen, daß es einfach eine infame jvur-
Mrstische Lüge ist, vom reaktionären Frankreich zu reden, das von
?Ner militaristischen Diktatur beherrscht nur auf unser Verderben
6>Me, sondern daß in Frankreich alte echte demokratische Strömun-
Attr am Werke sind, die wir nur geschickt gebrauchen müßen, um in
Nir positives Verhältnis zu unserem westlichen Nachbar zu kommen
> anstatt all das einzusehen, glaubt man wieder jenen gut bezahl-
et chauvinistischen Korrespondenzmeldungen, die alle auf denselben
Grundton gestimmt sind: es war ja zu erwarten, daß Clemenceau
fllcht mehr gewählt wird; aber im Verhältnis Frankreichs zu uns
bat sich nichts geändert; Frankreich ist und bleibt unser Erbfeind;
auf den Buchstaben wirb es den Friedensvertrag durchzuführen
wchen.
Wie liegen denn nun die Dinge in Wirklichkeit für den objek-
iven uninteressierten Betrachter? Clemenceau ist gestürzt worden,
»eß sich die französische Demokratie nicht auf die Dauer durch
diesen Diktator knebeln laßen will. Ein so radikaler Demokrat und
Republikaner er früher innerpvlitisch war — vor allem bei der
Präsidentenwahl Poincares — so reaktionär und nationalistisch
War seine Außenpolitik. Ihm verdankt Frankreich den endlichen
Sieg. Aber jetzt ist der Krieg vorbei, jetzt wollen die innerpoliti-
lchen Kräfte sich wieder frei ausleben. Als ein Sieg der radikalen
Demokratie muß die Wahl Deschanels gewertet werden, das zeigte
sich am besten bei dem Vertrauensvotum für den Ministerpräsi-
denten Millerand: es wurde ihm gegen die Royalisten und
gemäßigten Demokraten von dem demokratischen Zentrum, den
Linksrepublikanern und einigen Sozialisten zuteil. Wenn wir nun
auch in der Außenpolitik Frankreichs vor allem uns gegenüber nicht
wfort eine grundsturzende Wandlung erleben, so ist doch zu beachten,
daß immer mehr Stimmen auch in Frankreich laut werden, die eine
Revision des Friedensvertrages fordern, die nur in einem wirt-
schaftlichen Zusammenarbeiten mit Deutschland das Fundament
einer guten Zukunft für beide Länder sehen. Es wird wesentlich
von der innerpolitischen Entwicklung Deutschlands, von der Außen-
politik unserer Regierung und der Arbeit unseres neuen Gesandten
in Paris abhängen, wie stark diese Strömungen in der nächsten Zeit
sich auswachsen werden.
Eine ähnliche bedeutsame Wendung scheint sich in der Entente-
politik, die ja in diesem Fall wesentlich die Politik Englands ist,
gegenüber Sowjetrutzland zu vollziehen. Nachdem die ungeheuren
Koalitionskriege der Kvltschak, Denikin und Judenitsch gegen die
russische Revolution ergebnislos, ja mit schmählichen Niederlagen
geendet hatten, versucht man es jetzt auf andere Weise. Man hat
die Blockade aufgehoben und ist bereit — man folgt hier nur einem
ökonomischen Zwang — mit Rußland die alten Handelsbeziehungen
wieder aufzunehmen. Die alte Geschichte von dem Fuchs, dem die
Trauben zu sauer waren. Man versucht jetzt wieder eine friedliche
Durchdringung des russischen Marktes mit englischem Kapital; in-
folge ihrer innerwirtschaftl. Schwierigkeiten ist die Sowjetregierung
prinzipiell dem nicht abgeneigt u. damt im Wesen bereit ihr Prin-
zip -er gewaltsamen Weltrevolutionierung aufzugeben. Allerdings
ist heiVvrzuheben, datz die englische Politti nicht ganz eindeutig er-
schernt; andere Meldungen besagen, daß Polen und die Ukraine
als Sturmtruppen gegen Rußland vorgeschickt werden sollen. Macht-
Politischer Imperialismus und „friedlicher" liberaler Kapitalismus
-- die beiden Grundtendenzen der gegenwärtigen Weltgeschichte —
ringen auch hier miteinander.
In Ungarn hat die konservativ-klerikale Reaktion, nachdem sie
Monatelang mit dem furchtbarsten Terror gegen alle freiheitlichen,
demokratischen und sozialistischen Elemente gewütet hat, ihr ersehn-
tes Ziel errungen: eine agrarisch-christliche Mehrheit hat am letzten
Sonntag den Sieg in den Nationalversammlungswahlen davon-
vetragen. Die Sozialdemokratie, durch die terroristische Reaktion
physisch und psychisch erschöpft, hat sich der Stimme enthalten. D i e
Wiedererrichtung der Monarchie ist in greifbare
Nähe gerückt. Sie ist sicher, wenn die Entente ihre Zustimmung
gibt.
In unserer innerpvlitischen Lage hat sich die Spannung eher
verschärft als abgeschwächt. Die Streikbewegung, die von neuem
die Eisenbahner und Kohlenbergarbeiter ergriffen hat, droht unser
Wirtschaftsleben dem völligen Zusammenbruch preiszugeben. Denn
gerade Kohle und Verkehrswirtschaft sind die beiden Angelpunkte,
«m die sich unser ganzes industrielles Wirtschaftsleben dreht. Es
ist ein trauriges Zeichen für die sozialistische Unreife und Ungeschult-
heit der Arbeitermasten, datz gerade die Kohlen- und Eisenbahn-
'vrbetter ihre ökonomische Monopolstellung für englische Zwecke
auszunühen streben, ohne sich darum zu kümmern, datz sie damit
der ganzen übrigen industriellen Arbeiterschaft die Existenzmöglich-
keit untergraben. Das hat mit Sozialismus nichts mehr zu tun;
hier tauchen Probleme auf, die Marx nicht gesehen hat und die der
Bearbeitung durch hen Marxismus harren. Die Preissteigerung,
Teuerung, Geldentwertung sind Etappen der großen sozialen Revo-
lution, die der Weltkrieg eingeleitet hat. Aber wir dürfen uns
trotz allem nicht den klaren Blick trüben laßen: Die Grundlage einer
besseren Zukunft, ob kapitalistisch oder sozialistisch, ist gesteigerte
Güterproduktton. Unsere Arbeiter sollten sich ohne Ausnahme dar-
über klar sein, daß wir auf alle Fälle produzieren müßen und daß
Man nach gänzlichem Zusammenbruch höchstens Armut und Not
sozialisieren kann. Unsere Parlamente aher und Regierungen
wüsten, ehe es noch ganz zu spät ist, zu der Einsicht kommen, daß
"ur geregelte planmäßige Wirtschaft uns retten kann. Plan-
wirtschaft — soweit möglich auf sozialistischer, wo nicht, auf
privatkapitalistischer aber gemeinwirtschaftticher Grundlage — mutz
die Forderung unserer Partei sein. Und davon dürfen wir uns
«ichts abhandeln lassen. Wir müßen die bürgerlichen Parteien Sa-
ra zwingen, diesen Weg zu gehen; nur so dürfen wir die Verant-
wortung in der Koalitionsdemokratie weiter tragen.
Politische Übersicht.
Besserung im Befinden Erzbergers.
Der weitere Verlaus des Helfferichprozesses.
Berlin, 30. Ian. (Priv.-Tel.) Während noch gestern mtt
der Möglichkeit gerechnet werden mutzte, daß der Helfserichprozeß
vertagt werden müsse, ist es jetzt wahrscheinlich geworden, daß die
Verhandlung eine Unterbrechung nicht erfährt. Im Befinden des
Reichsministers ist seit gestern eine wesentliche Besserung
eingetreten. Der W u n -verlauf ist, wie beim Verbandwechsel
sich herausstellte, günstig, der Krästezustand des Pattenten Hal
sich gehoben, sodaß bald eine völlige Genesung des Mini-
sters zu erwarten ist. Wen« auch der Minister in den nächsten Ta-
gen selbstverständlich noch nicht an Gerichtsstelle wirb erscheinen
können, so dürfte er in absehbarer Zeit doch soweit wieder herge-
stellt sein, daß er der Verhandlung beiwohnen kann. In der näch-
sten Woche soll nach dem Beschluß des Gerichts August Thyssen
durch den Berichterstatter vernommen werden, sodaß schon dadurch
mehrere Tage in Anspruch genommen werden.
Keine unbegründeten und unbefristeten Zeitungsverbote mehr.
Berlin, 29. Ian. (W.B.) Nachdem Verleger und Buch-
drucker in den letzten Tagen Aussprachen über die Praxis der Zei-
tungsverbote mtt dem Reichskanzler hatten, empfing der Reichs-
kanzler gestern einen Ausschuß der Berliner Pressekonferenz und
den Vorsitzenden des Bezirksverdandes Berlin-Brandenburg vom
Reichsverband der deutschen Preße, die ihm die Bedenken der Jour-
nalisten gegen die bisherige Praxis vvrtrugen. Die Aussprache kam
entsprechend den schon gegebenen Zusagen der Reichsregierung zu
dem Ergebnis, daß in Zukunft die Aeitungsverbvte befr i st e t und
begründet erfolgen sollten und als Beschwerdei n st änz
Ausschüße des Reichsrates mit der endgültigen Entscheidung betraut
werden.
* * *
Wir verstehen nur nicht, was der Reichsrat verfassungsrechtlich
mit der ganzen Angelegenheit zu tun haben soll. Nach unserer An-
sicht wäre es das Gegebene, einen Ausschuß des Reichs-
tages zu bilden, der nicht mehr Beschwerdeinstanz für Preßever-
bote sein dürfte, sondern der bei allen Verboten vorher beratend ge-
hört werden müßte. So verlangt es die Demokratie und das Recht
der freien Meinungsäußerung.
Ein Kreditabkommen mit Schweden und Dänemark?
Haag, 28. Jan. „Nieuwe Rotterdamsche Eourqnt" hört,
daß über ein Kreditabkommen entsprechend dem Borbilde des hol-
ländisch-deutschen Revolving-Kredits zwischen Schweden, Dänemark
und Deutschland gegenwärtig verhandelt wird. Danach würde es
sich um die Gewährung eines von Staat zu Staat gegebenen Kre-
dites auf langjährigeDauer unter Garantie einer deutschen
Treuhandgesellschast handeln, die wahrscheinlich mit der für
Holland zu bildenden, verbunden sein wird.
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ist fertiggestellt. Er
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Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Ginsheim, Eppingea,
Tauberbischofsheim und Wertheim.
Heidelberg, Gamstag, 3^ Januar ^920
Rr. 26 » 2. Jahrgang
Verantwort^: Für innere u. äußere Politik, Volkswirtschaft u.Ieuilleton: Dr.
E.Kraus: für Kommunales u. soziale Rundschau: F. Kahn- für Lokale«:
O.Geibel; für die Anzeigen: H.Hoffmann, sämtlich in Heidelberg.
Druck und Verlag der tlnterbadischen Verlagöanstalt G. m. b. H., Hei delberg.
Geschäftsstelle: Schröderstraße ZS.
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Net-»
r bei
r. 36,
aber immer im Rahmen der allgemein-sozialen Konsumenteninter-
essen; so verlangt es der Sozialismus.
Auch bei uns machen sich bereits die ersten Anzeichen der kom-
menden Reichslagswahl geltend. In demagogischer Weise sucht
Tag für Tag die „Süddeutsche Zeitung" und ihre Stief-
schwester, die „Badische Post" die Sozialdemokratie für alle
unsere Not verantwortlich zu machen. Dor allem aber bemüht sich
das Zentrum wieder, irgend eine religiöse Wahlparole zu fin-
den. Jedes Mittel ist ihm gut genug. Diesmal gilts dem
Badischen Lehrervereiu. Weil er, getreu den Richp
linien des deutschen Lehrervereins auf seiner Offenburger Tagung
tm 28. und 29. Dez. 1919 die weltliche Schule und die
Einheit sschule gefordert hat, wird er jetzt in der Zentrums-
presse der „sozialdemokratischen Geistesrichtung" beschuldigt. Und
eigentümlicherweise regt sich auch die „Bad. Schulzeitung" darüber
auf, daß wir Sozialdemokraten mit Freude konstatiert haben, daß
jene Beschlüsse der Offenburger Konferenz im wesentlichen mit den
Forderungen unseres Erfurter Programms übereinstimmen. Doch
halt: dieses plumpe Manöver soll nicht gelingen. Die kommende
Landesschulkonferenz wird einwandfrei zeigen, daß sowohl die Richt-
linien des Bad. Lehrervereins als auch die Forderungen des Er-
furter Programms von allen an der Schule objektiv interessierten
Kreisen aus sozialpädagogischen und schultechnischen Gründen ge-
fordert werden, uwd daß da kein Anlatz zu politischem Gimpelfang
vorhanden ist.
Ausland.
Französisch-belgische Besprechungen.
Haag, 29. Ian. Das Zusammentreffen zwischen König
Albert von Belgien und Präsident Poincare in Hpern ist
von wichtigen politischen Besprechungen begleitet gewesen. Im
Zuge des Präsidenten fand in Gegenwart der beiden Minister-
präsidenten von Belgien und Frankreich, des belgischen Minister«
des Auswärtigen, ferner des Marschalls Fvch sowie der beiden
Gesandten eine Konferenz statt.
Offiziell verlautet über diese Zusammenkunft, daß verschiedene
wirtschaftliche, finanzielle und militärische Fragen, die beide Länder
betreffen, eingehend untersucht Korden seien, und datz der Gedan-
kenaustausch zu befriedigenden Ergebnisten geführt habe. Bel-
gien soll sich, wie es heißt, verpflichtet haben, alle entbehrlichen
Steinkohlen Frankreich zur Verfügung zu stellen. Ferner werde der
belgische Wirtschaftsminister an die Grubenarbeiter einen
Appell richten, um sie zu einer Verlängerung des Ar-
beitstages und zur Steigerung der Produktion zu veranlassen,
damit Frankreich ausgiebig geholfen werden könne.
Frankreich.
Sarbonnefitzung zu Ehren des Völkerbundes.
Paris, 29. Ian. Wie die Agence Havas meldet, wird am
kommenden Freitag nachmittag in der Sorbonne unter dem Vorsitz
von Präsident Poincare eine feierliche Sitzung zu Ehren des Vvl-
Mu-Ipreis: Monatlich einschl. Trägerlohn 2.so Mk. Anzeigenpreise:
s,/ einspaltige Petitzelle (Z6 mm breit) 40 pfg., Reklame-Anzeigen
nun breit) 2. - Mk. Sei Wiederholungen Nachlaß nach Tarif.
Geheimmittel-Anzeigen werden nicht ausgenommen.
»ZchäftSstunden: 8-'/,6 Uhr. Sprechstunden der Redaktion: rr-r2 Uhr.
^checkkvnto Karlsruhe Ar. 22877. Tel -Adr.: Volkszeitung Heidelberg.
f
Die Einberufung -er internationalen
Valutakonferenz.
Paris, 31. Ian. (W.B.) Der Finanzminister unterbreitete im
heutigen Kabinettsrat hie Grundlagen zur Einberufung einer inter-
nationalen Valutakonferenz.
London, 31. Ian. (W.B.) Es ist wahrscheinlich, datz eine
internationale Konferenz einberufen wird, um über Maßnahmen
zur Festigung -er europäischen Finanzen zu beraten. Eine sofortige
Besserung der Währung hält man für wahrscheinlich, doch ist die
Gewährung eines Kredits an alle europäische Länder nötig.
Die Reichseinkommensteuer in 1. Lesung
angenmmen.
Berlin, 30. Ian. (W.B.) Der Steuerausschuß der National-
versammlung hat heute den Entwurf des Reichseinkvmmensteuer-
gesetzes in erster Lesung angenommen.
Millerand über seine Politik.
Paris, 30. Ian. (W.B.) Die Kammer verhandelte heute die
Interpellationen über die allgemeine Politik -er Regierung. Mil-
lerand erklärte, die Kammer müsse sagen, ob sie Vertrauen zur Regie-
rung habe. Die Regierung sei entschloßen, alle Klauseln des Frie-
densvertrags von Versailles ausführen zu lasten und von Deutsch-
land zu verlangen, -atz es alle seine Verpflichtungen erfülle. Die
Rede des Ministerpräsidenten wurde mit grobem Beifall ausgenom-
men. Eine Vertrauenstagesordnung Durand wurde mit 510 gegen
70 Stimmen angenommen.
(Die Nachricht scheint uns stark chauvinistisch aufgemacht. Nä-
here Einzelheiten über die Rede Millerands müßen wir abwarten.
Die Red.)
Der Abstimmung st ermin in Nordschleswig
Flensburg, 31. Ian. (W.B.) Die internationale Kommission
hat den Abstimmungstermin für die 2. Zone endgültig auf den 7.
März festgesetzt.
Oesterreichs Kreditplan.
Paris, 29. Ian. Die österreichischen Staatssekretäre Reisch
und Löwenfel - werden Anfang kommender Woche in Paris
erwartet, um einen Plan zu einer Anleihe zu unterbreiten, über den
die Wiedergutmachungskommission entscheiden wird.
Der Friedensvertrag zwischen Estland
und Rußland.
Reval, 31. Ian. (W.B.) Der Entwurf des Friedensvertra-
ges zwischen Esthland und Sowjetrutzland if s „„ f " "
hält 16 Millionen Rubel in Gold und die Konzession für eine Bahn
von Reval nach Moskau.
Die irischen Bischöfe für die nationale
Freiheit.
London, 29. Jan. (Reute r.) Die römisch-katholischen B i-
schöfevonIrland haben eine Erklärung veröffentlicht, in der
sie die gefahrvollen Zustände, die infolge der Unterdrük-
kung und der Beschränkung der nationalen Frei-
heit e n im Lande herrschten, beklagen und erklären, der einzig rich-
tige Weg, auf dem freundschaftliche Beziehungen zwischen England
und Irland hergestellt werden könnten, sei der, dem ungeteilten Ir-
land zu erlauben, sich eine Regierungsform zu wählen.
Sberbach, Mosbach, Buchen, Adelsheim, Boxberg,
l
l
Der Parteitag des Zentrums hat aufs neue erwiesen, was
jedem Kenner längst feststand, welch gewaltigen Ruck nach links
das Zentrum während des Krieges und vor allem seit der Revo-
lution getan hat. Die feudal-monarchistischen und besitzenden Kreise
haben nicht mehr die Führung in der Hand; das Zentrum hat sich
nicht nur mtt der Demokratie und Republik, mit der in der Reichs-
verfassung vollzogenen Trennung von Kirche und Staat abgefunden;
es ist in seinen wirtschaftlichen und sozialen Forderungen — mit
Nachdruck vor allem von den christlichen Gewerkschaften vertreten
— stark an die Sozialdemokratie herangeruckt. Und dem ist qut so.
Umso mehr bedauern wir es, datz der heute tatkräftigste Minister
des Zentrums, Erzberger, ein Opfer der konservativen Hetze
geworden ist. Gottlob scheint er mit dem Leben davvnzukommen.
Man mag über Erzberger denken, wie man will, man wird aner-
. kennen müßen, datz er die Energie besessen hat, die Steuerentwürfe,
die seine zögernden Vorgänger stets in ihrer Schublade verschloßen
hielten, in die Tat umzusetzen. Sein mannhaftes Eintreten für den
Einheitsstaat, die Reichsabgabenordnung und das Landessteuer-
gesetz sind unvergängliche Taten einer großzügigen Finanzreform die
auch eia politischer Gegner anerkennen muß.
Auch bei uns in Baden hat sich die Lage wieder sehr zuge-
spitzt. Einmal durch die Streikdrohungen, die unter Führung
Mannheims unsere Eisenbahner ausgegeben haben. Man kann
nu« mit den Eisenbahnern der Meinung sein, datz die Zulage bzw.
der Vorschub, den der Landtag in seiner Sitzung vom 23. d. M.
beschloßen hat, durchaus ungenügend ist, datz hier eine grundlegende
Reform Platzgreifen mutz — man wirb aber zugeben müßen, daß
der Landtag wenigstens den Willen gezeigt hat, den Forderungen
entgegenzukommen und datz er in der kurzen Zeit einfach nicht mehr
tun konnte. Denn darüber müßen unsere Eisenbahner doch auch
einmal nachdenken: keine verantwortungsvolle Volksvertretung (erst
recht nicht eine sozialistische!) kann Ausgaben beschließen, für die
keine Deckung da ist: Da s w ä re B a n k ero ttpo li t ik! (Dgl.
dazu auch die durchaus zutreffenden Ausführungen des Genoßen'
Abg. Maier in der gestrigen Nummer der- „Volkszeitung .) Es
ist nur zu begrüßen, daß unser Finanzmini st er Dr. Wirth
energisch allen Versuchen der Eisenbahner entgegentrttt, Landtag
und Regierung zu terrorisieren. Das Koalftionsrecht in Ehren! —
Rückblick.
Kr. Heidelberg, 31. Januar.
! Zwei Wochen politischer Hochflut liegen wieder hinter uns.
.^geleitet wurden sie durch die französische Präsidentenwahl. Die
^Überraschung, mtt der ihr Ergebnis — der Sturz Elemenceaus und
ie Wahl Deschanels — uns Deutsche traf, war wieder einmal
M Zeichen dafür, wie wenig wir noch die Demokratie, die Psyche
. ss französischen Volkes verstehen. Fast aber scheint es, daß auch
->eses Ereignis der französischen Politik uns nicht zur Einsicht! bringt,
«ts ob wir zu jenen gehörten, die nichts vergeßen haben und nichts
*rnen. Denn anstatt einzusehen, daß es einfach eine infame jvur-
Mrstische Lüge ist, vom reaktionären Frankreich zu reden, das von
?Ner militaristischen Diktatur beherrscht nur auf unser Verderben
6>Me, sondern daß in Frankreich alte echte demokratische Strömun-
Attr am Werke sind, die wir nur geschickt gebrauchen müßen, um in
Nir positives Verhältnis zu unserem westlichen Nachbar zu kommen
> anstatt all das einzusehen, glaubt man wieder jenen gut bezahl-
et chauvinistischen Korrespondenzmeldungen, die alle auf denselben
Grundton gestimmt sind: es war ja zu erwarten, daß Clemenceau
fllcht mehr gewählt wird; aber im Verhältnis Frankreichs zu uns
bat sich nichts geändert; Frankreich ist und bleibt unser Erbfeind;
auf den Buchstaben wirb es den Friedensvertrag durchzuführen
wchen.
Wie liegen denn nun die Dinge in Wirklichkeit für den objek-
iven uninteressierten Betrachter? Clemenceau ist gestürzt worden,
»eß sich die französische Demokratie nicht auf die Dauer durch
diesen Diktator knebeln laßen will. Ein so radikaler Demokrat und
Republikaner er früher innerpvlitisch war — vor allem bei der
Präsidentenwahl Poincares — so reaktionär und nationalistisch
War seine Außenpolitik. Ihm verdankt Frankreich den endlichen
Sieg. Aber jetzt ist der Krieg vorbei, jetzt wollen die innerpoliti-
lchen Kräfte sich wieder frei ausleben. Als ein Sieg der radikalen
Demokratie muß die Wahl Deschanels gewertet werden, das zeigte
sich am besten bei dem Vertrauensvotum für den Ministerpräsi-
denten Millerand: es wurde ihm gegen die Royalisten und
gemäßigten Demokraten von dem demokratischen Zentrum, den
Linksrepublikanern und einigen Sozialisten zuteil. Wenn wir nun
auch in der Außenpolitik Frankreichs vor allem uns gegenüber nicht
wfort eine grundsturzende Wandlung erleben, so ist doch zu beachten,
daß immer mehr Stimmen auch in Frankreich laut werden, die eine
Revision des Friedensvertrages fordern, die nur in einem wirt-
schaftlichen Zusammenarbeiten mit Deutschland das Fundament
einer guten Zukunft für beide Länder sehen. Es wird wesentlich
von der innerpolitischen Entwicklung Deutschlands, von der Außen-
politik unserer Regierung und der Arbeit unseres neuen Gesandten
in Paris abhängen, wie stark diese Strömungen in der nächsten Zeit
sich auswachsen werden.
Eine ähnliche bedeutsame Wendung scheint sich in der Entente-
politik, die ja in diesem Fall wesentlich die Politik Englands ist,
gegenüber Sowjetrutzland zu vollziehen. Nachdem die ungeheuren
Koalitionskriege der Kvltschak, Denikin und Judenitsch gegen die
russische Revolution ergebnislos, ja mit schmählichen Niederlagen
geendet hatten, versucht man es jetzt auf andere Weise. Man hat
die Blockade aufgehoben und ist bereit — man folgt hier nur einem
ökonomischen Zwang — mit Rußland die alten Handelsbeziehungen
wieder aufzunehmen. Die alte Geschichte von dem Fuchs, dem die
Trauben zu sauer waren. Man versucht jetzt wieder eine friedliche
Durchdringung des russischen Marktes mit englischem Kapital; in-
folge ihrer innerwirtschaftl. Schwierigkeiten ist die Sowjetregierung
prinzipiell dem nicht abgeneigt u. damt im Wesen bereit ihr Prin-
zip -er gewaltsamen Weltrevolutionierung aufzugeben. Allerdings
ist heiVvrzuheben, datz die englische Politti nicht ganz eindeutig er-
schernt; andere Meldungen besagen, daß Polen und die Ukraine
als Sturmtruppen gegen Rußland vorgeschickt werden sollen. Macht-
Politischer Imperialismus und „friedlicher" liberaler Kapitalismus
-- die beiden Grundtendenzen der gegenwärtigen Weltgeschichte —
ringen auch hier miteinander.
In Ungarn hat die konservativ-klerikale Reaktion, nachdem sie
Monatelang mit dem furchtbarsten Terror gegen alle freiheitlichen,
demokratischen und sozialistischen Elemente gewütet hat, ihr ersehn-
tes Ziel errungen: eine agrarisch-christliche Mehrheit hat am letzten
Sonntag den Sieg in den Nationalversammlungswahlen davon-
vetragen. Die Sozialdemokratie, durch die terroristische Reaktion
physisch und psychisch erschöpft, hat sich der Stimme enthalten. D i e
Wiedererrichtung der Monarchie ist in greifbare
Nähe gerückt. Sie ist sicher, wenn die Entente ihre Zustimmung
gibt.
In unserer innerpvlitischen Lage hat sich die Spannung eher
verschärft als abgeschwächt. Die Streikbewegung, die von neuem
die Eisenbahner und Kohlenbergarbeiter ergriffen hat, droht unser
Wirtschaftsleben dem völligen Zusammenbruch preiszugeben. Denn
gerade Kohle und Verkehrswirtschaft sind die beiden Angelpunkte,
«m die sich unser ganzes industrielles Wirtschaftsleben dreht. Es
ist ein trauriges Zeichen für die sozialistische Unreife und Ungeschult-
heit der Arbeitermasten, datz gerade die Kohlen- und Eisenbahn-
'vrbetter ihre ökonomische Monopolstellung für englische Zwecke
auszunühen streben, ohne sich darum zu kümmern, datz sie damit
der ganzen übrigen industriellen Arbeiterschaft die Existenzmöglich-
keit untergraben. Das hat mit Sozialismus nichts mehr zu tun;
hier tauchen Probleme auf, die Marx nicht gesehen hat und die der
Bearbeitung durch hen Marxismus harren. Die Preissteigerung,
Teuerung, Geldentwertung sind Etappen der großen sozialen Revo-
lution, die der Weltkrieg eingeleitet hat. Aber wir dürfen uns
trotz allem nicht den klaren Blick trüben laßen: Die Grundlage einer
besseren Zukunft, ob kapitalistisch oder sozialistisch, ist gesteigerte
Güterproduktton. Unsere Arbeiter sollten sich ohne Ausnahme dar-
über klar sein, daß wir auf alle Fälle produzieren müßen und daß
Man nach gänzlichem Zusammenbruch höchstens Armut und Not
sozialisieren kann. Unsere Parlamente aher und Regierungen
wüsten, ehe es noch ganz zu spät ist, zu der Einsicht kommen, daß
"ur geregelte planmäßige Wirtschaft uns retten kann. Plan-
wirtschaft — soweit möglich auf sozialistischer, wo nicht, auf
privatkapitalistischer aber gemeinwirtschaftticher Grundlage — mutz
die Forderung unserer Partei sein. Und davon dürfen wir uns
«ichts abhandeln lassen. Wir müßen die bürgerlichen Parteien Sa-
ra zwingen, diesen Weg zu gehen; nur so dürfen wir die Verant-
wortung in der Koalitionsdemokratie weiter tragen.
Politische Übersicht.
Besserung im Befinden Erzbergers.
Der weitere Verlaus des Helfferichprozesses.
Berlin, 30. Ian. (Priv.-Tel.) Während noch gestern mtt
der Möglichkeit gerechnet werden mutzte, daß der Helfserichprozeß
vertagt werden müsse, ist es jetzt wahrscheinlich geworden, daß die
Verhandlung eine Unterbrechung nicht erfährt. Im Befinden des
Reichsministers ist seit gestern eine wesentliche Besserung
eingetreten. Der W u n -verlauf ist, wie beim Verbandwechsel
sich herausstellte, günstig, der Krästezustand des Pattenten Hal
sich gehoben, sodaß bald eine völlige Genesung des Mini-
sters zu erwarten ist. Wen« auch der Minister in den nächsten Ta-
gen selbstverständlich noch nicht an Gerichtsstelle wirb erscheinen
können, so dürfte er in absehbarer Zeit doch soweit wieder herge-
stellt sein, daß er der Verhandlung beiwohnen kann. In der näch-
sten Woche soll nach dem Beschluß des Gerichts August Thyssen
durch den Berichterstatter vernommen werden, sodaß schon dadurch
mehrere Tage in Anspruch genommen werden.
Keine unbegründeten und unbefristeten Zeitungsverbote mehr.
Berlin, 29. Ian. (W.B.) Nachdem Verleger und Buch-
drucker in den letzten Tagen Aussprachen über die Praxis der Zei-
tungsverbote mtt dem Reichskanzler hatten, empfing der Reichs-
kanzler gestern einen Ausschuß der Berliner Pressekonferenz und
den Vorsitzenden des Bezirksverdandes Berlin-Brandenburg vom
Reichsverband der deutschen Preße, die ihm die Bedenken der Jour-
nalisten gegen die bisherige Praxis vvrtrugen. Die Aussprache kam
entsprechend den schon gegebenen Zusagen der Reichsregierung zu
dem Ergebnis, daß in Zukunft die Aeitungsverbvte befr i st e t und
begründet erfolgen sollten und als Beschwerdei n st änz
Ausschüße des Reichsrates mit der endgültigen Entscheidung betraut
werden.
* * *
Wir verstehen nur nicht, was der Reichsrat verfassungsrechtlich
mit der ganzen Angelegenheit zu tun haben soll. Nach unserer An-
sicht wäre es das Gegebene, einen Ausschuß des Reichs-
tages zu bilden, der nicht mehr Beschwerdeinstanz für Preßever-
bote sein dürfte, sondern der bei allen Verboten vorher beratend ge-
hört werden müßte. So verlangt es die Demokratie und das Recht
der freien Meinungsäußerung.
Ein Kreditabkommen mit Schweden und Dänemark?
Haag, 28. Jan. „Nieuwe Rotterdamsche Eourqnt" hört,
daß über ein Kreditabkommen entsprechend dem Borbilde des hol-
ländisch-deutschen Revolving-Kredits zwischen Schweden, Dänemark
und Deutschland gegenwärtig verhandelt wird. Danach würde es
sich um die Gewährung eines von Staat zu Staat gegebenen Kre-
dites auf langjährigeDauer unter Garantie einer deutschen
Treuhandgesellschast handeln, die wahrscheinlich mit der für
Holland zu bildenden, verbunden sein wird.