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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (1/2) — 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.44126#0247
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Wageszeituny für die tverktättge Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Ginsheim, Gppingen, Sberbach, Mosbach, Buchen, Adelsheim, Bombers
Tauberbischofsheim und Wertheim.


mden der Redaktion: 11—12 tlhr.
Eel>Äbr.: Volkszeitung Heidelberg.

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Geschäfts stunden: S— h,6 tlhr. Sprechstunden der Rebattion: 11 —12 tlhr.
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Heidelberg, Montag, 1l März 1920
7!r. S1 » 2. Jahrgang

Verantwort!.: Für innere u. äußere Politik, Volkswirtschaft ».Feuilleton: Or.
E.Kraus; für Kommunales u. soziale Rundschau:I. Kahn; für lokales!
O.Geibel) für die Anzeigen: H.Hoffmann, sämtlich in Heidelberg
Druck und Verlag der tlnterbadischen Verlagsanstalt G. m. b. H., Heidelberg
Geschäftsstelle: Schröderstraße ZS.
Fernsprecher: Anzeigen-Annahme 2673, Rebattion 2648.

Amerika und Deutschland.
Eine Denkschrift Wilsons.
Sonderfrieden mit Deutschland?
Basel, 27. Febr. (T.U.) Nach dem „Echo de Poris" tri-
»isiert W i l s v n In einer DenkschriftzurAdriafrageden
Imperialismus und die Ländergier der Verbündeten in Ausdr ük-
ten, dir in der ganzen Welt Aufsehen erregen. Er meist die
Derbündeten aus die Gefahren neuer Kriegsmöglichkeiten hin, durch
bi« die ganze Welt zu leiden haben würde. Wilson erklärt, wenn
«r mit feinem Vorschlag nicht durchdringen werde, würde er den
Friedensvertrag zurückziehen und mit Deutschland über einen Son-
derfrieden verhandeln.
Wilson wurde unterrichtet, daß man in Verbandskreisen glaube,
baß er infolge der Opposition zum amerikanischen Kongreß und in-
folge seiner Krankheit ohne Macht sei. Er würde die Verbün-
deten aber vom Gegenteil überzeugen.
Der Inhalt der Antwort Wilsons.
Haag, 27. Febr. Wie der „Nieuwe Courant" aus Wa-
shington meldet, wurde dort der Wortlaut der in der Adriafrage
ausgetaufchten Noten veröffentlicht. Die hautpsächlichste Mei-
nungsverschiedenheit zwischen Präsident Wilson und der Entente
besteht in der Fiumefrage und Albanien. In einer Note
vom 24. Februar erklärt der Präsident, daß der Vorschlag, Fiume
Mit Italien durch eine enge Landzunge zu verbinden, unan-
nehmbar sei. Bezüglich Albaniens erklärt der Präsident, daß
die Vereinigten Staaten sich einem Unrecht gegenüber den Albaniern
zugunsten der Jugoslawen ebenso energisch widersetzen, wie einem
Unrecht gegenüber den Jugoslawen zum Vorteil Italiens. Nach
Ansicht des Präsidenten haben die Schwierigkeiten zwischen den
Mohammedanern und der christlichen Bevölkerung zugenommen.
Bezüglich des Londoner Vertrages erklärt der Präsident,
das seine eine Frage, die allein die Franzosen und Engländer beur-
teilen könnten! Er lenkt die Aufmerksamkeit aus den Zusammenbruch
Oesterreichs-Ungarns und verschiedene andere Umstände, die viel-
leicht eine Aenderung im Vertrag zustande bringen könntn.
London, 27. Febr. (Wolff.) In ihrer Antwort auf die
letzte Note Wilsons ziehen Lloyd George und Millerand ihre Vor-
schläge vom 9. 12. und 2. 1. zurück. Sie ersuchten den Präsi-
denten Wilson, sich ihnen anzuschlietzen und gemeinsam die italieni-
sche und die jugoslawische Regierung einzuladen, über ein gegen-
seitiges lieber einkommen zu unterhandeln, das auf der Zurückziehung
der früheren Vorschläge beruhen soll. Sollte dieser Vorschlag schei-
tern, so müßten die Vereinigten Staaten, Großbritannien und
Frankreich neuerdings die Frage gerneinsam prüfen. Ueber den
LondvnerVertrag besagt die Antwort, daß die italienische
Regierung mit der britischen und französischen verhandelt hat, um
anstelle des Londoner Vertrages ein Reglement zu setzen, das dazu
angetan wäre, Italien und Iugo-Slawien gleichzeitig zufrieden zu
stellen. Die Alliierten wünschten dies Reglement verwirklicht zu
sehen; aber sie könnten keine Ungewißheit darüber aufkommen lassen,
daß, falls ein Reglement dieser Art, das auf einem gegenseitigen
und freiwilligen Abkommen beruhen würde, nicht Zustandekommen,
der Londoner Vertrag die einzige für sie vorhandene Alternative ist.

Politische Ueberficht
Sozialdemokratie und Abfindung Wilhelms II.
Die Stellung Dr. Südekums erschütert.
Zu den Ausführungen unseres Berliner 8t.- Korrespondenten
im Beiblatt unserer Samstag-Nummer wird uns gemeldet:
Berlin, 27. Febr. Die sozialdemokratische Fraktion der
Nationalversammlung hat sich heute gemeinsam mit der sozialdemo-
kratischen Fraktion der Preußischen Landesversammlung mit der
»on dem preußischen Finanzminister Dr. Südekum der Landes-
dersammlung unterbreiteten Vorlage über dieAbfindung des
«h«maligen Königs von Preußen und deutschen
Kaisers beschäftigt. Es kam dabei, wie wir Hören, einmütig die
Meinung zum Ausdruck, daß diese Vorlage nicht die Zustimmung
her Sozialdemokratie finden könne, sondern von ihr abgelehnt wer-
hen müsse. Die Situation hat sich dadurch so gestaltet, daß die Stel-
lung des preußischen Finanzministers Dr. Südekum nicht nur inner-
halb feiner Partei, sondern auch als Minister stark erschüttert
ist. Man dürste versuchen, die ganze Angelegenheit nunmehr int
Wege der Reichsgesetzgebung zu regeln.
Das Verfahren gegen die Kriegsbeschuldigten.
Der Entwurf des Gesetzes.
Berlin, 28. Febr. Der R e i ch s j u st i z m i n i st e r hat
her Nationalversammlung denEntwurs eines Gesetzes zur
Ergänzung des Gesetzes zur Verfolgung von Kriegsverbrechern vom
18. März 1919 zur Beschlußfassung vorgelegt. Dem Entwurf ist
her in der Angelegenheit entstandene Notenwechsel beigefügt. Be-
fiehl nach der lleberzeugung des Oberreichsanwalts kein genügender
Anlaß der öffentlichen Klage, so hat er die Asten dem 1. Strafsenat
hes Reichsgerichts mit dem Antrag auf Einst el l ung des Ver-
ehrens vorzulcgen. Beschließt der Senat die Einstellung, so hat
<r den Beschluß mit Gründen zu versehen, welche die für seine Ent-
fcheidung maßgebenden tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen
erkennen lasten. Der Beschluß ist dem Beschuldigten bekannt zu
Wochen. Lehnt der Senat den Antrag ab, so hat er die Erhebung
her öffentlichen Klage anzuordnen. Zur besseren Aufklärung der
Sache kann der Senat eine Ergänzung der Voruntersuchung oder
falls eine Voruntersuchung nicht stattgefunden hat, die Eröffnung
einer solchen oder einzelne Beweiserhebungen anordnen.
8 2 . Die Gewährung von Straffreiheit, die Verjährung der
Strafverfolgung und ein früheres Verfahren stehen einem Verfah-
ren auf Grund des Gesetzes vom 18. Dezember 1919 nicht ent-
gegen. Ist der Beschuldigte in dem früheren Verfahren rechts-
stafrig freigesprvchen worden, so verordnet der erste Strafsenat auf
Antrag des Oberreichsanwalts die Wiederaufnahme des Verfah-
ttns, falls der Beschuldigte hinreichend verdächtig ist. Das Gleiche
?'lt, wenn in dem früheren Verfahren aus eine Strafe erkannt wor-
hrn ist. bis zu der Schwere der Tal in offenbarem Mißverhältnis

Die deutsche Presse in Polen.
Bromberg, 1. März. (W.T.B.) Heute traten die Re-
dakteur« und Journalisten der deutschen Presse aus
allen Teilen der Republik Polen zusammen, um sich zu einem
Verband der deutschen Presse in Polen zusammenzuschließen. Zum
Vorsitzenden wurde der Chefredakteur Gontag (Ostdeutsche
Rundschau) gewählt.
Die ungarnische Recherchen.
Budapest, 1. März. (W.T.B.) Das ungarische Kvrrespvn-
denzbureau meldet zu der Ermordung des sozialdemokratischen Re-
dasteuers Bela Somogyi und Bela Basca, daß die mili-
tärische Anwaltschaft die b e i de n C h a u f fe u r e des Autos ver-
haftet haben, dessen Insassen, wie man annimmt, an dem Mord
beteiligt waren. (Und die Insassen? D. Schristltg.)
Der sranzöfische Eisenbahnerstreik.
Paris, 1. März. (W.T.B.) Der Ministerpräsident
Millerand erklärte heute vormittag Pressevertretern, daß sich
auf den Linien der Eisenbahngesellschast Paris-Lyon-Mit-
1 elmeer mit Ausnahme von Lyon eine Entspannung bemerk-
bar machte. Auf der Ostbahn seien alle größeren Züge gefahren
und auf der Nordbähnffei die Lage normal, mit Ausnahme einer
gewissen Streikwelle, die sich in Amiens zeige. Im allgemeinen
kann man sagen, daß 24 Stunden nach der Ausstandserklärung nur
eine teilweise Einstellung des Betriebes zu verzeichnen sei. Es haben
sich im übrigen der Regierung freiwillige Helfer zur Ver-
fügung gestellt. Millerand erklärte zum Schlüsse noch, daß tat-
sächlich einige Haftbefehle erlassen seren.
Charleroi, 1. März. (W.T.B.) Die Bahnangestell-
t e n sind hier in den Streik getreten.
Was geht in Sorvjetrutzland vor?
Newyork, 27. Febr. (Wolff.) Der Korrespondent der
„Associated Preß" in Washington telegraphiert, daß ein offi-
zielles Telegramm einen neuen Friedensvorschlag Sowjet-
rußlands an die Großmächte enthält. Die Sowjets verpflichten sich,
kn Rußland eine demokratische Politik zur Anwendung
zu bringen und eine Konstituante einzuberufen. Sie verspre-
chen überdies, das Dekrer, welches die russische auswärtige
Schuld auslöschte, zurückzuziehen und diese bis zu 60 Prozent an-
zuerkennen. Sie versprechen auch die rückständigen Zinsen
zu bezahlen. Di eSowjetregierung erklärt sich bereit zur Leistung
bedeutender Garantien, insbesondere durch Abtretung von Kon-
zessionen über reiche Platin- und Silberbergwerke an ein eng-
lisch-amerikanisches Syndikat. Dagegen verlangt Sowjetrußland
von Großbritannien wie auch von den übrigen Großmächten, jede
Einmischungin die russischen Angelegenheiten auszugeben.
Gleichzeitig gibt es dem Wunsche Ausdruck, die Bereinigten Staaten
möchten Rußland einen Kredit eröffnen, der auf bedeutenden
Konzessionen beruhen soll.
Der Prozeß Caillaur.
Gens, 27. Febr. ImPrvzeß Caillaux ist das Ver-
hör des Angeklagten gestern abgebrochen worden und
die Fortsetzung auf nächsten Dienstag verschoben. Der bisherige
Verlauf der Verhandlung war durchaus günstig für C a i l-
laux, weil die materielle Begründung der Anklage vollständig er-
schüttert wurde, sodaß der Charakter eines politischen Tendenzpro-
zestes immer mehr hervvrtritt. Der „Figaro" beginnt den auch be-
reits den Vorsitzenden des Staatsgerichtshofes, Leon Bourgeois,
wegen seiner unparteilichen Leitung des Prozesses anzugreisen.

steht. Ist das frühere Verfahren durch einen nicht mehr anfecht-
baren Beschluß beendigt worden, so ist, falls der Beschuldigte hin-
reichend verdächtig ist, die Verfolgung wieder aufzunehmen. Er-
scheint dem Oberreichsanwalt eine Wiederaufnahme des Verfahrens
oder der Verfolgung nicht geboten, so hat er die Entscheidung des
ersten Strafsenats herbeizuführen. Die Vorschriften des 8 1 gelten
entsprechend.
83. Für das Verfahren ist auch, soweit es beim Inkrafttreten
des Gesetzes vom 18. Dezember 1919 bereits anhängig war, das
Reichsgericht ausschließlich zuständig. Soweit die Unter-
suchung gerichtlich anhängig ist, hat das Gericht die Sache durch
Beschluß an das Reichsgericht zu verweisen. Der Reichsjustizmini-
ster wird ermächtigt, die erforderlichen Hilfskräfte zum Reichsgericht
zu entsenden.
Die reaktionäre Hetze.
Kassel, 28. Febr. (W.B.) Auf Befehl des Reichswehr-
ministers vom 25. Febr. wurde der Geschäftsführer des deutsch-
nationalen Volksvereins Kastel- Stadt, der Kaufmann Hermann
Erbe, in Schutzhaft genommen, weil er verdächtig ist, durch Erlaß
und Verbreitung des Flugblatts „Herzlich willkommen in der Hei-
mat. Ein Wort an die Heimkehrenden" in staatsgefährlicher Weise
gegen die Regierung gehetzt und dadurch die öffentliche Ordnung
gefährdet zu haben.
Der Straßburger Sozialistenkongreß.
Straßburg, 27. Febr. (Wolff.) Die am Donnerstag vom
Sozial) st enkvngreß ernannte Kommission für die Resolu-
ttonen bemüht sich, eine Erklärung aufzusetzen, die eine möglichst
große Zahl der Delegierten befriedigen würde. In dieser Kommis-
sion sind die Anhänger der Wiederrichtung der Internationale
(Schattierung Lvnguet) in schwacher Mehrheit. Die Anhänger Lon-
guets stimmen dem sofortigen Anschluß an die M o s k a u e r In-
te r n a t i o n a l e zu, aber sie knüpfen an den Bestritt eine wesent-
liche Bedingung, nämlich, daß die französische Sektion der dritten
Internationale Herr ihrer Patteidisziplin und ihrer inneren Politik
bleibe. Andererseits bestehen die extremsten Mitglieder der Kom-
mission aus der Einführung der Sowjets in Frankreich, auf dem
Wege über die Gewerkschaft und die Arbeiterkvrporattonen. Es
scheint, daß es schwer halten wird, eine Uebereinstimmung zu erzie-
len. Der allgemeine Eindruck geht dahin, daß die Verfechter der
Wiedererrichtung der Internationale im Schoße des Kongrestes die
Mehrheit erhalten wird.

Das Opfer der Bergarbeiter.
Von Otto H u e.
Es ist schnell gesagt: „Vier Ueberschichten im Monat!" — aber
sie verfahren, das ist sehr viel mühseliger. Würden die zweifellos
schwerreichen Besteller und Bezahler der jetzt massenhaft verbrei-
teten Zeitungsannoncen und Plakate, durch die die Bergarbeiter-
schaft in der öffentlichen Meinung infam herabgewürdigt werden
soll, auch mir die regelmäßigen Grubenschichten leisten müssen, sehr
rasch dürften sie die Haltung der Bergarbeiter und ihrer Ver-
trauensleute verstehen. Wenn die Bergleute sich, wie ihnen in jenen
Anzeigen und Plakaten nachgesagt wird, gefühllos gegenüber der
Not des Volkes verhielten, dann folgten sie allerdings dem unrühm-
lichen Beispiel der sich dabei noch „national" gebärdenden Kriegs-
gewinnler, Preistreiber und Schieber.
Die Bergleute haben im Kriege das Neußer st« ge-
leistet, ohne dafür die gebührende Entlohnung und Versorgung
zu finden. Die aus jeden Bergarbeiter durchschnittlich entfallend«
Schichtzahl ging über 330 jährlich hinaus. Alle damaligen Ver-
suche der Bergarbeiterverbände, die Entlohnung einigermaßen dem
Teuerungszustand und dem Kräfteverbrauch der Knappen anzupas-
sen, scheiterten an der Weigerung der Unternehmer, sich mit den Ar-
beiterorganisationen in Verhandlungen einzulassen. Die Ausüber
der Bergarbest bedürfen einer kräftigen, fetthaltigen Ernährung.
Daher wurden durch die über uns verhängte Hungerblockade
die Bergarbeiter besonders hart getroffen. Unfälle und Er-
krankungen nahmen nun in erschreckender Weise zu. Es ist
notwendig, hierfür einige charakteristische Belege anzuführen, damit
man im In- und Auslande erkennt, welche Leidenszeit hierdurch
für die deutschen Bergleute mit dem Kriegsausbruch einsetzte.
Die Unfallziffern stiegen nach den Berichten der Deutschen
Knappschaftsberufsgenvssenschaft von rund 164 pro 1000 Berg,
werksbeschäftigte im Jahre 1914 auf 194 in 1917. Es erhöhte sich
gleichzeitig die Zahl der schwer und tötlich Verletzten von
16,19 auf 19,34 pro 1000 „Versicherte", die Todesziffer allein
von 2,409 auf 3,945! Das gilt für den deutschen Gesamtbergbau.
Im preußischen Steinkohlenbergbau stiegen von 1913 bis einschließ-
lich 1917 die tätlichen Unfälle von 2,39 auf 4,08, im Braunkohlen-
bergbau von 2,28 auf 3,01, im Erzbergbau von 1,42 auf 2,38 pro
1000 Beschäftigte. Im Ruhrkohlenbergbau verunglückten von den
Untertagsarbeitern tölich 1914: 837 (2,98 pro Tausend), 1917 aber
1207 oder 5,06 pro Tausend! Selbst in den Vorkriegsjahren mit
den größten Massenverunglückungen Hälen wir nicht eine annähernd
so entsetzlich hohe bergmännische Todesziffer wie während des
Krieges.
Das ist nur zu verständlich, wenn man die unbeschreiblich
schlechte Ernährung unserer Bergarbeiterschast hauptsächlich infolge
der Abschneidung ausländischer Lebensmittelzufuhren in Bettacht
zieht. Die Menschen fielen schließlich sozusagen vor der Arbeit
zusammen. Die Beobachtung der Betriebsgefahren mußte so auch
immer mehr nachlassen.
Die Krankheitsberichte des Allgemeinen Knappschaftsvereins
für das Ruhrkohlenrevier (Sitz Bochum) zeigen noch deutlicher als
die Unfallziffern die Verelendung der Bergarbeiter.
Es dürste alle, die zu große Ansprüche an die Leistungsfähigkeit un-
serer Bergarbeiter stellen, interessieren, welcher Raubbau an der
Bergarbestergesundheit in der Kriegszeit getrieben worden ist. Hier
die einschlägigen Hauptaufgaben:

Mitgliedcrzahl
Krankheitsfälle
Todesfälle
davon infolge
Tuberkulose
1915:
286 671
165 706
2280
275
1916:
307 508
183 360
2867
352
1917:
347 162
235 036
4307
688
1918:
365 300
391 632
5487
792

Wieviel menschliches Elend enthüllen diese trockenen Zahlen!
In alle Welt muß man sie h inausschreien, damit alle Völker
erfahren, wie entsetzlich der Krieg nicht nur an den Schlachtfronten
gegen die Menschheit gewütet hat. Lange Jahre wird sie an den Fol-
gen des „Stahlbades" zu kränkeln haben. Nicht weniger als 3558
Ruhrbergleute mußten 1918 invalidisiert werden, sie konnten
also wegen Kräfteverfall ihren Beruf nicht mehr ausüben. Von
den 1917 zugekommenen neuen Krankheitsinvaliden standen 2624
erst im Alter von 21 bis 40 Jahren!!!! Schon so früh waren ihre
Kräfte verbraucht, weil der schweren Arbeit keine kräftigende Nah-
rung entsprach.
Ist es angesichts solcher Verelendung auch nur im geringsten
gerechtfertigt, den ausgemergelten Arbeitern auch noch vorzuwerfen,
sie „wollten nicht arbeiten", sie hätten „kein Solidaritätsgefühl",
wie das in den niederträchtigen Zeitungsanzeigen und Plakaten ge-
schieht? Jeder muß begreifen, daß eine so hart mitgenommene Ar-
beiterschaft auch viel leichter als die ungleich bester durch den Krieg
gekommenen Volksteile auf die Lockungen von politischen Wirttöpfen
hört. Zumal ja von der früheren Regierung nichts getan worden
ist für die Hebung des staatsbürgerlichen Bewußtseins dieser Masten
durch rückhaltslose Anerkennung ihrer Gleichberechtigung neben dem
Unternehmertum.
Daß es trotz aller sozialwirtschaftlichen und parteipolitischen
Schwierigkeiten doch gelungen ist, die Bergarbeiter im Interest«
unserer Kvhlenversogung von der sofortigen Verwirklichung der
Sechsstundenschicht abzuhalten und sie sogar zum Verfahren von
N v tst a n d s - Ue b e r s ch i ch t e n zu bewegen, muß jeder ehrlich«
Volksfreund den Bergarbeitern hoch anrechnen. In allen Revieren
wird schon seit Monaten Ueberzeitarbeit geleistet. Ja, die Or-
ganisattonsletter konnten feststellen, daß in Einzelfällen, sicherlich
nicht ohne Not, schon ein höchst gefährliches Maß von Nebenschich-
ten (insgesamt 37 bis über 40 Schichten monatlich!) geleistet wurde,
wodurch bie Gefahr einer unabsehbaren Krankheitssteige-
rung entstand und das Ziel, die Förderzunahme, vereitelt worden
wäre. Demgegenüber war die Verabredung einer ziffernmäßig und
zeitlich begrenzten Ueberschichtenzahl auf alle Falle vorzuziehen,
aber auch eine gewiße Bindung nicht zu umgehen. Mit aller Be-
stimmtheit haben aber sämtliche Arbeiter- und Angestelltenvertteter
in der Essener Konferenz am 16. d. M. erklärt, daß sie sich auf
eine Schichtzeitregelung, die einer Wiedereinführung der vor No-
vember 1918 herrschenden Schichtzeit die Wege öffne, nicht einlasten
würden und um die Einstellung der dahin gerichteten privatkapita-
listischen Agitation ersuchten. Die RegierunHSvirtreter, Rtichskanz-
 
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