Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (1/2) — 1920

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44126#0173
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim, Sppingen, Sberbach, Mosbach, Buchen, Adelsheim, Boxberg
Tauberbischofsheim und Wertheim.


Sezugsprei«: Monatlich etnschl. Trägerlvhn 2.5« Mk. Anzeigenpreise:
vi« einspaltige Petitzeile (36 mm breit) 40 pfg., Reklame-Anzeigen
lsz mm breit) 2.- Mk. Lei Wiederholungen Nachlaß nach Tarif.
Geheimmittel-Anzeigen werden nicht ausgenommen.
G-schäftsstunden: S-'/jS tlhr. Sprechstunden der Redaktion: 11-12 llhr.
Postscheckkonto Karlsruhe Nr. 22577. Tel.-Adr.: Volkszeitung Heidelberg.

Heidelberg, Donnerstag, H2. Februar ^920
Nr. 36 » 2. Jahrgang

Verantwortl.: Für innere u. äußere Politik, Volkswirtschaft u.Feuilleton: Dr
E. Kraus: für Kommunales u. soziale Rundschau: I. Kahn: für Lokale«.
O.Geibel: für die Anzeigen: H.Hoffmann, sämtlich in Heidelberg
Druck und Verlag dertlnterbadischen Verlagsanstalt G. m. b. H., Heidelberg
Geschäftsstelle: Echröderstraße ZS.
Fernsprecher: Anzeigenannahme 2673, Redaktion 2648.

Weltmarktpreis.
Zu der Frage, ob Anpassung der Inlandsprodukte an den
Weltmarktpreis, gehört vor allem die Erörterung: Was ist
Weltmarktpreis?
Wenn auch im allgemeinen die Preise aller Staaten eine Er-
höhung etwa um das Dreifache erfahren haben, so schlicht eine
Anpassung der deutschen Inlandsprodukte auch eine gleichzeitig«
Preiserhöhung nach dem augenblicklichen Geldentwertungsstand in
sich. Wir mühten also, um Schweizer Milch einzuführen, nicht
nur den dreifachen Friedenspreis, nämlich 50 Centimes, bezahlen,
sondern durch den heutigen Valutakurs einen Preis von 8—10 Mk.,
wobei nicht ausgeschlossen ist, dah bei weiterem Sinken der Valuta
wir, obwohl der schweizerische Preis sich nicht geändert hat, eine
sprunghafte Steigerung erfahren. So ist in Wahrheit der gefor-
derte Weltmarktpreis ein „Valutapreis". Offenbar ist es
eben verkehrt, den Valutapreis zur Grundlage der inländischen'
Preisgestaltung zu machen, wenigstens so lange als nicht ein Aus-
gleich in den Handelsbeziehungen mit dem Ausland gefunden ist
und so lange, als wir überhaupt noch inländisches gültiges Gelb
haben und der Tauschhandel nicht völlig an seine Stelle getreten ist.
Dieser Inlandswert der Mark läht sich nicht berechnen, son-
dern nur schätzen, und zwar aus der Bewertung aller für die
Schätzung unseres Geldes durch das Ausland wichtigen Momente
wirtschaftlicher, politischer und sittlicher Art, aber verändert durch
die Möglichkeit der billigeren Produktion im Inland. Denn zu-
nächst Hot die Geldentwertung noch nicht die entsprechende Steige-
rung der realen Werte im Inland zur Folge gehabt. Vor allem
sind die Grundstückswerte, Maschinen und dergleichen erst langsam
in den Strudel der Geldentwertung hineingezvgen worden.
Vergleichen wir die Waren im freien Handel bei uns gegen-
über der Schweiz, so ist nicht, wie man nach der Valuta annehmen
sollte, der 10- bis 14fache Preis in Mark, wie in der Schweiz in
Franken, zu zahlen, sondern wir zahlen nur etwa den 5-bis 7fachen.
Schuld daran ist die höhere Kaufkraft der Mark im Inland, was
wiederum auf die billigeren Produktionskosten zurückzuführen ist.
Wir müssen das größte Interesse daran haben, diese höhere Kauf-
kraft möglichst zu stützen. Gelingt es bis zum Wiederingangsetzen
unserer Wirtschaftsmaschine, diese innere Kaufkraft einigermaßen
zu halten, so kann unsere Valuta besser werden und damit unsere
Wirtschaft gesunden. Gelingt es uns nicht, so ist der schlechte Kurs-
stand unseres Geldes eine Dauererscheinung und das Papiergeld
zum Sinken bis zum reinen Papierwert verurteilt. Denn dann
wird die Valuta auch ihren Einfluß auf die Grundstückspreise und
alle anderen Preise realer Werte ausüben. Es werden die Grund-
stückspreise auf das Zehnfache steigen und damit die heutige Valuta
auf den Grund und Boden festgelegt.
Um eine solche Preisbildung sicher in der Hand zu haben,
brauchen wir für die nöligen Nahrungsmittel die Zwangswirt-
schaft. Cs ist eben verkehrt, die wichtigsten Lebensmittel dem
freien Wirtschaftsverkehr und somit der uneingeschränkten Einwir-
kung der Valuta zu überlassen. Allerdings muß eine richtigere
Preispolitik getrieben werden; es muß endlich für die zwangs-
bewirtschafteten Lebensmittel der wirkliche Inlandswert der Mark
berechnet werden. Daneben muß darauf gesehen werden, daß der
Auslandsverkauf besser in der Hand behalten wird. Die
Ausfuhr muß daraufhin aufs schärfste kontrolliert werden, daß
dem Inland die notwendigen Waren erhalten bleiben. Daher sollte
für das nächste Wirtschaftsjahr gelten: Aufrechterhaltung der
Zwangswirtschaft für die unbedingt notwendigen Nahrungsmittel,
Bewertung der zwangswirtschaftlichen Waren nach dem wirklichen
Inlandswert der Mark, strengste Ausfuhrkontrolle und Verbot jeg-
licher Ausfuhr von Waren, die im Inland bringend benötigt wer-
den, soweit es sich nicht darum handelt, Waren von gleichem Wert
in das Inland zu bringen oder Frankenschulden abzuzahlen, was
ja auch wieder eine Kräftigung unserer Volkswirtschaft bedeutet,
Einfuhrverbot für Luxuswaren.

Politische Übersicht.
Rußland und Deutschland.
Ein Vorschlag Radeks.
Der russische Bolschewist Radek, der nun wieder nach Ruß-
land zurückgekehrt ist, hat in seiner Moabiter Hast eine Denkschrift
über das künftige Verhältnis Rußlands zu Deutschland verfaßt,
die in der letzten Nummer der „Zukunft" veröffentlicht wird. Radek
sagt, Deutschland könne von Ru^and an Rohstoffen beziehen, was
es nötig habe, während Rußland aus Deutschland Techniker, In-
genieure, Chemiker, Landwirte holen könne, um seine Wirtschaft
wieder aufzurichten. Diesen würde im Rahmen der russischen Ar-
mut ein menschliches Dasein gesichert sein, allerdings nicht das Da-,
sein eines Herrenmenschen, der die bolschewistischen Russen „an
deutschem Wesen genesen lassen wolle". Ein deutsch-russisches
Abkommen müsse auf der Voraussetzung der gegenseitigen Nicht-
einmischung in die inneren Angelegenheiten des anderen Vertrags-
staates (also doch auch des Verzichts der Moskauer Regierung auf
bolschewistische Propaganda in Deutschland) begründet werden. Die
Denkschrift Radeks gipfelt in folgenden Vorschlägen:
1. Die diplomatischen Beziehungen beider Län-
der sind auszunehmen. ,
2. Beide Länder senden zunächst wirtschaftlicheSach-
ver ständige, die an die Organisation des Warenaustausches,
der Transportmittel und aller den Warenaustausch fördernden
Arbeit gehen. ,,
3. Sollte die deutsche Regierung sich zu so Selbstverständlichem
nicht aufraffen, dann gehen an die Vorfragen und Vorbereitungen
des Warenaustausches wirtschaftliche deutsche Organisatio-
nen, die sich durch ernste deutsche Vertreter mit der russischen Re-
gierung in Verbindung setzen. Ein paar Monate Gäter wird ihnen
die deutsche Regierung nachhinken. Deutsche Techniker-, Inge-
nieur-, Lhemikerverbände bilden für ihre nach Rußland über-
siedenden Mitgliedirr Beratungsstellen, die deren Inter-
essen dem russischen Staat gegenüber zu vertreten haben. Sie
organisieren auch einen objektiven Nachrichtendienst
über Rußland für Deutschland. 2 : . '

Die erste Zone Nordschleswig an
Dänemark.
Kiel, 12. Febr. (W.B.) Nach -dem amtlichen Ergebm's der
Volksabstimmung in der ersten Zone Nordschleswigs wurden
abgegeben 25 223 Stimmen für Deutschland, 74 800 für Dänemark.
Sieben Admirale auf der Liste.
Berlin, 12. Febr. (W.B.) Wegen Vergehen gegen die
Kriegsgesetze und die Kriegsgebräuche anläßlich des U-Bootkrieges
stehen auf den englischen Listen Admiral v. Tirpitz( verantwort-
lich für die Anordnung des uneingeschränkten U-Bootkrieges), aus
demselben Grunde Admiral v. Capelle, Admiral Bachmann,
Vizeadmiral Paul Behnke, Admiral Scheer, Admiral v.
Hipper und Admiral v. Müller.
Wieder ein Zeitungsverbot.
Berlin, 12. Febr. (W.B.) Wie dem „Berl. Tagbl." gemel-
det wird, wurde das Berliner Organ der kommunistischen
Partei die RoteFahne verboten.

Diese Vorschläge drängen sich ganz von selbst auf. Es ist
schwer, für die bisherige Passivität der deutschen Regierung eine
ausreichende Erklärung zu finden. Die Beziehungen Deutschlands
zu Sowjetrußland stehen dem Anschein nach noch immer auf dem
alten Fleck und unser Verhältnis ist völlig ungeklärt. Warum?
Es sieht heute aus, als ob nach Estland auch die anderen baltischen
Staaten mit Rußland Frieden schließen und den Verkehr aufnehmen
werden. Selbst Polen, das vor wenigen Wochen noch für die En-
tente einen Kreuzzug gegen den Bolschewismus unternehmen wollte,
sil durch Lloyd Georges kaltes Sturzbad sehr ernüchtert und be-
- sich offenbar ernstlich mit dem neuen Frieoensangebot der
Moskauer Regierung. Worauf wartet man in Berlin noch immer?

Der Strafantrag gegen v. Kessel.
Berlin, 10. Febr. Am Freitag hatte der Prozeß gegen
Hauptmann v. Kessel begonnen. Die sehr ausführliche, drei
Tage währende Vernehmung, in deren Verlauf es mehrmals zu
heftigen Zusammenstößen kam, ergab, daß v. Kessel ent-
gegen seiner eidlichen Aussage, die bevorstehende
Flucht Marlohs nach der Erschießung der Matrosen begün-
stigt hat. In seinem Plaidoyer hob der Anklagevertreter aber
hervor, daß v. Kessel davon durchdrungen war, daß alles, was er
tue, im vaterländischen Interesse liege und daß er dies seinen Vor-
gesetzten und der Regierung schuldig sei. Er beantragte, unter
Würdigung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden
Momente gegen den Angeklagten wegen Meineids eine Strafe von
zwei Jahren Zuchthaus, die er auf Grund des 8 157
Abs. 2 auf ein Drittel, also 8 Monate Zuchthaus, zu ermäßigen
bitte und welche in ein Jahr Gefängnis umzuwandeln sind;
außerdem die Entlassung, ferner wegen Anstiftung zur unerlaubten
Entfernung vom Heer 6 Monate Festung und wegen Herausfor-
derung zum Zweikampf eine Woche Festung, zusammen 6 Mo -
nateund 3 TageFestung.
Die Urteilsverkündigung, die heute stattfinden sollte,
mußte ausgesetzt werden, da der Angeklagte Kessel schwer er-
krankt ist. Die Verhandlung wurde daher auf den 13. Februar
3 Uhr nachmittags vertagt. Kessel wurde wegen bestehender
Lebensgefahr aus der Haft entlassen und geeigneter Pflege
überwiesen.

Der Prozeß Erzberger-Helfferich.
Berlin, 10. Febr. In der Dienstag-Sitzung wurde über
die Frage verhandelt, ob Erzberger in der Aussicht aus eine Auf-
sichtsratsstelle in der Berger-Tiefbau-Aktiengesell-
schaft in mehreren Fällen als Schiedsrichter zu Gunsten dieser
Gesellschaft bei der Verurteilung des Reiches zu mehr als 1 Mil-
lion Mark mitgewirkt habe. Weiter geht die Vernehmung des An-
geklagten Dr. Helfferich, daß Erzberger den Leiter des Unterneh-
mens -um Mitglied der Versailler Wiederaufbaukommission gemacht
habe. Erzberger erklärt darauf, daß die Prozesse zu Ungunsten
der Gesellschaft ausgefallen seien und zweitens, daß auch in ande-
ren Fällen Parlamentarier als Aufsichtsräte fungierten, z. B.
Helfferich in der Anatolifchen Eisenbahngesellschaft und feine Hal-
tung in der Stickstoffrage als Milleiter der Deutschen Bank, die
sich stark dafür interessierte.
Die Beweisaufnahme konzentriert sich um die Frage, inwie-
weit Erzberger wissentlich das Schiedsrichteramt deshalb beeinflußt
hat. Hierzu muß der Zeuge Berger die Vergütungen zitteren, die
die Gesellschaft Erzberger teils als Aktionär, teils für besondere
Mühewaltung Erzberger vergütet hat. Dann wird die Verhand-
lung auf Donnerstag vertagt.

Ausland.
Auflösung der Arbeiterräte in Rußland?
Das ukrainische Blatt „W pereb" zittert eine Meldung des
russischen Blattes „Moskawskaja Schisn", wonach die rus-
sische Svwjettegierung die Auflösung der Arbeiterräte
inganzRußland beschlossen hat. Die Arbeiterräte haben sich
in Rußland nichtbewährt.
Obwohl die Mitteilung, wie alle zurzeit aus Rußland stam-
menden Nachrichten, mit großer Vorsicht aufzunehmen ist, so kann
doch nicht bestritten werden, daß die Meldung viel Wahrschein-
lichkeit für sich hat. Nach der Aufhebung des Achtstundentages,
nach der Beseitigung der Arbeiterkontrollen in den Fabriken, mach
der rücksichtslosen Militarisierung ganz Rußlands ist es durchaus
möglich, daß die Sowjetregierung nunmehr zu dem Entschluß ge-
langt ist, auch die letzten Bollwerke der proletarischen Diktatur zu
beseitigen. Falls die Nachricht zutrifft, so müssen auch die be-
geistertsten Verfechter des Rätegedankens in Deutschland zugeben, -
daß die Diktatur der russischen Gewalthaber über das russische
Volk mehr und mebr eine verzweifelte Aehnlichkeit mit der Ge-
waltherrschaft der Machthaber des zaristischen Systems gewinnt.

Eröffnung des englischen Parlaments.
London, 10. Febr. Heute wird das Parlament eröffnet.
Die Session wird die H vm e r ul efr a g e, die Verstaat-
lichung des Bergbaues, die englische Handelspolitik und
eine Reihe Probleme der sozialen Gesetzgebung
behandeln.
„Telegraaf" meldet aus London, daß die Arbeiterfrakttvn im
britischen Parlament überraschenderweise Adamson und nicht
Henderson zu ihrem Führer gewählt hat.

Die Arbeiterpartei als Vorkämpferin des Selbstbestimmungsrecht»
der Völker.
D i e i ris ch e F r a g e.
Paris, 10. Febr. Wie aus London gemeldet wird, soll
der Wortlaut des Gesetzenwurfes über die Homer ult
demnächst veröffentlicht werden. Nach einem von der A r b ei t e r-
partei ausgearbeiteten Entwurf soll Irland eine selbstän-
dige Kolonie werden und England nur die auswärtige Politik
sowie das Kriegs- und Marineministerium leiten. Ferner schlägt
die Arbeiterpartei als provisorische Lösung die Einberufung eines
i r is ch e n P a rl a m en t s auf der Grundlage der im Jahre 1911
angenommenen Homerule vor, die bekanntlich noch nicht in Kraft
getreten ist. Dieses Parlament soll die Rolle einer Konstituante
spielen. Dieser Entwurf soll dem Kongreß der englischen Gewerk-
schaften unterbreitet werden und als Grundlage für die Abände-
rungsvorschläge dienen, die die Abgeordneten der Arbeiterpartei
gegenüber dem Hvmerule-Enttvurf der Regierung einreiche«
werden.

Die französische Arbeiterpresse.
Hilfsaktion für den „Pvpulaire".
Paris, 9. Febr. Der sozialistische Bezirksverband
desSeinedepartements beschloß gestern, auch den „P o -
pulaire", das Organ von Jean Longuet, zu übernehmen,
so daß also die Partei künftig über ein Morgenblatt „l'H uma -
nite" und über ein Abendblatt „Le Pvpulaire" verfügen wird.
Der Kongreß beschäftigte sich des weiteren mit der Frage „Zweite
oder dritte Internationale", ohne jedoch zu einem Beschluß
zu gelangen. Die Entscheidung wurde um zwei Wochen verschoben.
Seit mehreren Monaten befand sich der linksradikale „Popu-
laire" in schweren finanziellen Nöten. Er wäre bereits eingegangen,
wenn nicht der Parteivorstand — übrigens gegen eine starke Min-
derheit — beschlossen hätte, ihm zu helfen. Aber auch diese Bei-
hilfe scheint sich schnell erschöpft zu Hohen, denn in den letzten Tagen
erschienen im Blatte wiederholte Aufrufe an die Leserschaft: Für
die Rettung des „Pvpulaire"! Doch scheint auch dieser Appell
wenig geholfen zu haben, denn die acht ersten Subskriptionslisten
brachten nur die geringe Summe von etwa 10 500 Frank ein.
Der Beschluß des Bezirtsverbandes der Seine, der die Seel«
der linksraditalen Strömungen in der französischen Partei bildet,
kam also einer Rettungsaktion in letzter Stunde gleich.
Skandinavische Kritik der Auslieferung.
Stockholm, 10. Febr. „Svenska Dagbladet"
schreibt im Anschluß an die bekanntgewvrdene Auslieferungsliste:
Vollkommen wahnsinnig ist es, wenn die Entente glaubt, daß
ein Deutscher an die verehrten Nattonalhelden Hindenburg und
Mackensen Han- legen wird, um sie mit Gewalt dem Feinde aus-
zuliefern. Vor allen anderen stehen sie als Retter des deutschen
Vaterlandes vor der Barbarei des slavischen Ostens da. Der Held
von Lodz, Lowitsch und Gorlice-Tarnow müßte auf der Anklage-
bank wie ein Dieb oder Räuber zwischen ein paar Gendarmen mit
mehr oder weniger ausgeprägten Pvlizistengesichtern sitzen zum
Dank dafür, daß er Europa und Frankreich ebenso wie Deutschland
vor der schrecklichen Kosakengefahr befreit hat. Ein derartiges Bild
ist schon als Gedankenexperiment unmöglich. Es gibt keine andere
MöAichkeit, als daß die Enrente selbst ihren Wahnsinn und die
Gefahr ihrer Rachepvlitik einsieht. Ein anderer Ausgang ist
undenkbar.
Das Iungsozialiftenblatt „Politiken" führt aus: Ist es
wirklich ein neues Gewissen, was die Auslieferungsforderung auf-
stellt oder bloß eine neue Aeuherung tiefster und moralischer Motto«
des Krieges, nämlich Revanche- und Rachegesühl? Sicherlich letz-
teres! Lassen wir uns nicht durch die Darstellung einer Seite über
die Verantwortung für de« Kriegsausbruch verleiten, vor allem,
hevor wir klar erkennen können, wo die Grenze zwischen den per-
sönlichen und sachlichen Faktoren läuft und ebensowenig von Schil-
derungen über die gegen humane Kriegführungsgesehe begangenen
Verbrechen. Haben die Zentralmächte keine Gegen-
rechnung aufzustellen? Hat man die Verheerungen der zaristi-
schen Armee in Ostpreußen vergessen? Zur Beurteilung der Ver-
antwortung beider Parteien sind Untersuchung und Gericht der En-
tente vollkommen bedeutungslos, weil an ihnen von Anfang an der
Verdacht der Parteilichkeit hastet.
Lhristiania, 9. Febr. „V e r de n s ga n g" schreibt in
einem übrigens keineswegs deutschfreundlichen Artikel mit der
Uebeischrist „Die blinde Gerechtigkeit" zur Auslieferungsfrage:
Es ist schmerzlich zu sehen, daß Frankreich, welches wir be-
wundern, die kindische Auslieferungsforderung der deutschen
„Kriegsverbrecher" stellen konnte. Der Tag wird kommen, da man
auch von Friedensverbrechern sprechen wird. Europa kann sich
nicht mit so untergeordneten Fragen wie dem Verhalten jedes ein-
zelnen Generals befassen. Auch auf anderer Seite find woht
Kriegsverbrecher gewesen; wer soll die verurteilen? Die Entente
soll von der Auslieferungsforderung abstehen, ein neutraler Rich-
terstuhl ist der einzig mögliche.
Badische Politik.
Die christlichen Gewerkschaften für de» Einheitsstaat.
Karlsruhe, 10. Febr. In Offenburg hielten die
christlichen Gewerkschaften dieser Tage eine Konferenz ab, in der
auch zur Schäffung des Einheitsstaates Stellung genommen wurde.
I Folgende Resolutton wurde einstimmig angenommen: Die in Offen-
I bürg tagende Konferenz begrüßt- die Bewegung zur Schaffung eine.
 
Annotationen