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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (1/2) — 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.44126#0107
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HsiKZlkerg, Mittwoch, 28, Januar ^S2V
M. 23 * 2. LaHrgang

KayMMümg ftrr VcrttäÜM Bevötteermg der Amtsbezirke AekdHverg, Wiesiech, tSinsherm, Eppinger;, Ederdsch, Mosbarj>, Buchen, ÄdciShenn, Boxberg,
Tsuberbischofsheim und WerchciM.

Derontwottk.: Für innere u. äußere Politik, Volkswirtschaft u.A«ii!leton: Dr.
LKrouö) surKommunales u. soziale Rundschau: 3. Kahn- für Lokale»»
O. (Seibel, für die Mseigen: H. Hoffmann, sämtlich in Heidelberg.
Druckrind Verlag der uWrbadlscheo Lerlagckaystali G. m. v. H„ Wdekderg.
Goschästestelle: GchrSderstraße Z«.
Fernsprecher: Anzeigen Einnahme 2sr:r, Aebaktion 2ü4«.

/


leicht nur international zu lösen sein, da auch in den anderen Län-
dern di« gleichen Spaltungserschemungen vorhanden sind. Kommt
es nicht dazu, dann ist freilich der Weg zum Aufbau eines sozialisti-
schen Deutschland ungeheuer erschwert. Denn nur in dem Matze
wie wir eine nationale Selbständigkeit und nationale Selbstbestim-
mung wiedererlangcn (und wir können es nur durch die Hilfe der
Internationale und mittels des Völkerbundes), nur in diesem Matze
können wir uns leibst auch sozialistisch bestimmen. Das ist die
große internationale Solidarität, die uns mit dem Proletariat der
ganzen Welt und dieses wieder mit uns verbindet. Wird dieser 3«°
sammenhang erkannt und gewollt, und er sollte von allen Deutscher»
gewollt werden, wie er vom Weltproletariat unterstützt werden
mützte (was die wichtigste Ausgabe unserer Diplomatie und Außen-
politik sein sollte!) — dann werden wir in kurzer 3eit wieder hoch
kommen. So lange dies aber nicht geschieht, bleiben wir der Spiel-
ball des Ententekapitalismus und sind als sozialistischer Staat auf
lange Zeit erledigt.

^ lnbenden Kreisen der westlichen kapitalistischen Demokratien, daß
?ych'^inen pv"^iftiven Gehair hat. Indem man nämlich den
Mouarcyze oefeiugrr,. o>r
A »ran den Weg fr-ti gemacht fyt e
^ Mederlage des Stiche« Kap-tz
Mleich der-Sieg der Ihr« -

imernationaler, sozialistisch-gewerkschaftlicher Solidarität des Pro-
letariats bekannt. Durch die Revolution sind die Hemmungen ge-
fallen, die bisher aus imrerpolstischen Gründen dem siegreichen Vor-
wärtsschreiten des deutschen Sozialismus «nlgegenftanden. Die
Bahn ist in Deutschland, wenn auch nicht völlig, so doch zu einem
weiten Grübe frei für die Gestaltung der Wirtschaft und der wirt-
schaftlichen Voahältnisse in sozialistischem Sinne. Somit wurde
Deutschland, zumal wenn es gelingen sollte, zugleich mit einem wirt-
schaftlichen Erstarken mit dem sozialistischen Rußland eine gemein-
same Basis weltpolitischer Handlungen zu finden, der gefährlichste
Gegner des Ententekapitals. Es war kein Zweifel, daß man in
Deutschland, unterstützt von dem großartigen Organisationstalent
und dem Arbeitseifer des deutschen Volkes, der unter gesunden Ver-
hältnissen ohne Zweifel wiederkehren wird, darangehen würde,
Deutschland zugleich mit dem wirtschaftlichen Eistarken zu einer
Vormacht des Weltfozialismus umzugestalteu. Die Erkenntnis sol-
cher Gefahr st es allem Anschein nach, welche die kapitalistischen
Ententestaaten dazu treibt, diesem wirtschaftlichen Erstarken alle
Wege zu versperren. Ma» ist feindlich gegen Deutschlatch, weil
man in Deutschland die größte Gefahr bekämpft, die mau sich in de»
herrschende« Kapitalistenstaate« denke« kann: die Gefahr des Welt-
sozialismus, der in einem sozialistischen Deutschland sei» stärkstes
»ad aneiferudes Vorbild finden würde.
Dies bedingt bitte Wandlung der Sozialdemokratie in ihrer
Stellung zur A u tzenpvki 1 ik. Wir Haden es oben gesehen:,die
Tatsache, daß die Sozialdemokratie nun nicht mehr unterdrückt«
Klasse, sondern herrschende Partei, Regierung geworden st, hat sie
gezwüngen, eine taktische Umgruppierung vorzunehmen. Die zweit«
Tatsache, daß deutscher Sozialismus heute gleichzeitig auch deutsche
Ar: bedeutet, muß auch das Verhältnis der Sozialdemokratie zu den
anderen Staaten taktisch verändern. Sozialismus und Deutsch-
land werden nun nicht mehr widersprechende und feindliche Begriff»
sein, fonderb sind identisch. Das bedeutet ein« stärkere Betonung
des Rationalen innerhalb der Parteipolitik. Damit ist keineswegs
irgend etwas gesagt gegen den Gedanken der internationalen Soli-
darität des Proletariats. Diese wirtschaftliche Internationale bleibt
stets bestehen; den« sie st nicht politischer, sondern zunächst wirt-
schaftlicher Natur. Ader wir haben keinen Grund, aus einer un-
klaren, sentimentalen Ideologie eines nur-politischen Internationalis-
mus heraus, uns mit den Kapstalstenstaaten anzufteunden. Diese
sind heute unsere Gegner in eben demselben, ja in einem noch größe-
ren Maßstab, als es je ein Kapitalist einem Proletarier gegenüber
war. Freilich: es wird schwer sein, diesen Klassenkampf des Prole-
täriers „Deutschland" gegen die Bourgeois England und Amerika
zu führen. Wir haben hier, wie in jedem Klassenkampf, nur di«
Mittel der proletarischen Solidarität. Diese Mittel zu finde» mck
richtig anzuwenden, wird eine Hauptaufgabe unsere, Außenpolitik
fei«. Vor allem wird es nötig sein, daß unter den Sozialisten der
übrige» Länder eine gründliche Aufklärungsarbeit geleistet wird.
Unsere Genossen in Frankreich, England, Amerika, Italien müssen
erkennen, daß die Frage eines Wiederaufbaus Deutschlands zugleich
eine Lebensfrage für den Weltsozialismus bedeutet. Dreser Au,-
klärung, da? muß leider betont werden, stehen große Schwierigkeiten
im Wege. EiEder grStziewst zweifellos die UneimKkeit der deut-
schen Sozialdemokratie, des deutschen Proletariats. Das sollte eine
der wichtigsten Wdrarbeitkn sein: daß das deutsche Proletariat sich
wieder zusamMenfindN. Mefe Einigung-des Proletariats wird viel-

Die Wandlung der
Sozialdemokratie.
Von R. G. Haebler.
Ift
Wer selbst das würde nicht genügen, um die Tatsache zu er-
Air«t, daß die Sozialdemokratie, nachdem sie nun einmal zur Herr-
schaft gelangte «ich: straffer ihre wirtschaftlichen Ziel« oer-
wlgtc. Der Grund liegt offenbar tiefer. Er liegt darin begründet,
^aß die gestrige Versafsuug, also auch die wirtschaftlichen Triebe der
deuügtt- deutschen Gese^aasl im Grunde einer Sozialisierung ent-
Hegcustreben. Es ist . «in« eigentümliche, paradox« Erscheinung, daß
'N diesen Zeiten, wo alles nach Sozialismus, nach Organisation der
Wirtschaftlichen, geistigen und erzieherischen Kräfte ruft, in Wirk-
üchkeU jeder Einzelne und jede Gruppe dezentralistischc
Bestrebungen verfolgt. Damit rühren wir an bas tiefste und
schwierigste Problem unjeuer Zeit. Nachdem bei uns der milita-
Uttsch-bureaukr<msche Zenkralapparat gestürzt ist, will scheinbar kein
^emsch mehr eine planmäßig« Organisation der Gesellschaft. Das
Mt nicht nur für die rein wirtschaftlichen Fragen, obwohl es hier
str de« Problem der Aufhebung oder Nichtaufhebung der sogenann-
ten Zwangswirtschaft am deutlichsten und unmittelbarsten zutage
tritt. Diese, aus rndividuaiistifchen und idealistischen finterströmun-
8«n »sturrechtlicher Ideen Herkommenbon Strömungen haben aber
auch bis weit in das Gebiet des Gestrigen hinein ihre Wirkungen;
besonders deutliches Beispiel ist die Steinersche Bewegung der
Dreiteilung des sozialen Organismus, das die
Es» Revolutionsbegriffe Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit in
krner geistreichen naturwissenschastlich-ftaakstheorerischen Verglei-
chung auf tne Gebiete des Rechts, der Bildung und der Wirtschaft
Übertragen möchte. Hierher gehört auch die Forderung der
Selb st Verwaltung, die insbesondere auf dem Gebiet der
industriellen Produktion als Betriedsräte und m der Erziehung als
Ätcrmätc «rd Lchrerräte eine sehr wichtige Rolle spielt, wie über-
haupt der ganze Rätegedankc, besonders in feiner russisch-kommu-
nistischen Ausprägung ein deutliches Zeichen der Krise ist, in der
Air ktecke«. Es ist ein Wiederaufleben individualistischer
Prsnzipien gegen den Grundgedanken sozialer Demokratie, und
ist ganz natürlich, haß alle diese bolschewistisch«, mittelÄterlich-
stärrdischen und syndikalistischen Bewegungen sich gegen die grund-
sitzkich «r mst große« OrgamsationsprobleM«« zu denkende Sozial-
demokratie weichen. Solchem Geiste muß die Sozialdemokratie tu
ihr«, auf eme zentralistische Stärkung und Zusammenfassung aller
ivirtschaftlichen Kräfte durch die Mitte! der Demokratie gerichtete«
Bestrebungen als etwas rückständiges erscheinen. Aus dieser Grund-
Ammung heraus ist der Vorwurf geboren, die Mehrheitssozialdemv-
ftatw habe di« Revolution verraten und mit dem Bürgertum einen
Pakt geschloffen. And so kommt es, daß leider (wider ihren Willen)
die Sozial dem okraü« im Kampfe steht mit den pseudorevolutionären
Elementen einer zersetzenden Politik. W^l die Sozialdemokratie
den Staat will, den geschloffenen, kraftvollen, bestimmenden, regeln-
der», sorgenden, planmäßig organisierten Staat: darum stehen gegen
die Svzcaldemokratic und damit auch die Regierung — gegen die
ganze Ideologie und. Ethik dieser Staatsidee — alle die Mächte, die
«us Gründen teils theoretischer Gemernschqftsgesinnung, teils aber
auch aus. rohem Machtwillen heraus ein? Auflösung und Zer-
schmetterung des gegenwärtigen Staates wollen. In diesem Punkte
stefsea sich die verschiedensten Geister und Strömungen. Auf dem
Gebiet der geistigen ^Kämpfe ist es das Zentrum, das die geistige
Grundlage der Einheitsschule durch die Ertrotzung des Schulkom-
btomsffes zertrümmert, anstelle einer großen, aus dem Idealismus
der Arbeit, und der Staatsgesinnung fließenden, umfassenden Er-
Behungschec und ünterrichtsgestaltung die nennende, sanatisierende
chch geistig knebelnde weltanschaulich «Differenzierung des Schul-,
st«se«s gefetzt hat, auf innerpoiittfchem Gebier sind es hie Kommu-
nisten und die dem Kommunismus Nahestehenden, welche durch
N>ikd« Streiks, durch politische Verneinung die Demokratie gefährden,
find ebenso die Konservativen, welche durch Aufreizen der Land-
wirtschaft die Grundlagen der Ernährung zerstören, durch eine
ttnipöllose Verhetzung und parteipolitische Ausnützung der lvirt-
-chaftfichen Nöte das Vertrauen zur Regierung untergraben, und
Meßt M «s insbesondere Frankreich, das durch seinen Frieden und
°ie verschiedenen Ausführungsbesttmmungen jedes Erstarten unse-
rer nationalen Wirtschaft und unserer politischen Neugestaltung zu
verhindern sucht. Und diese außenpoiit isch e Gefahr ist die
'«Klimmst«, weil wir dagegen nur wemg tun können.
tzs ist ein« rpr Grunde auffallende Tatsache, datz unsere Feinde,
^»chdrm Monarchie und Militarismus gefallen sind, dem Wieder-
vüftan des zusammengebrochenen Deutschland allerlei Hemmungen
Seiten. Man erklärt sich dies vielfach mit der Besorgnis, durch
vr» Wiederaufbau des deutschen Reiches würden die militaristischen
vich.. monarchistischen Unterströmungen wieder erstarken. Diese
dtrömpngen sind zweifellos vorhanden. Die immer deutlicher wer-
Ache Sprache konservativen Press«, gewisse Ddrgänge in der
^eichswehr, auch das Auftreten des Triumvirats Hindenburg,
Adendorfs und Helfferich vor dem Untersuchungsausschutz sind
Munich« Symptome. Aber so ist es doch nicht, datz diese Bewe-
Ang eine außenpolitische Bedeutung hätte in dem Sinne, daß die
Attente wirklichen Grund hat, »or einer gegenrevolutionären Rechts-
^Wegung in Deutschland zu zittern. Es liegt durchaus in der
Awakt der Entente«, eine siegreiche R e ch ls revo l utr o n
Aerhalb weniger Tage zu erledigen. - Das weiß man natürlich,
Ml «s aber für gut, den Völkern mit dem Gespenst eines Wieder,
siebens des deutschen Militarismus Angst zu machen. Wer die
MkNtafftät der Siegerstaäten kennt, weiß, daß mchks so sehr Wirkung
Art hat, wie dies Phantom einer Wiederherstellung des deutschen
Militarismus. Der wahre Gründ liegt tiefer. Man'erkennt m
v''» knienden Kreisen der westlichen kapitalistischen Demokratien, datz
, ötzyvicketungs^chichllich. —- offenbar^ Li« deutsche Niederlage
eü'Kapstälismus und Imperialismus nicderschlug, die. deut-
Könarchie beseitigte, die ausgebildete- Militärmacht zerstörte,
'«»esMeMfihafisordnang.
...... laNsmus.' ist', positiv gesprochen
„ ver-vs,eg. I?»r Oper des Sozialismus geworden. Nun wär
kutschland schon vor dem Krieg als die erste Macht des Gedankens

Das Befinden Erzbergers.
Berlin, 27. Ian. fieber bas Befinden des verletzten Reichs-
finanzministers Erzberger teilt der behandelnde Arzt Prof. Dr.
Flesch mit: Der Minister wurde heute früh um 9 Uhr in einem
Auwmobil in das Röntgenladoratorium der Charite gebracht, wo die
Röntgenaufnahme sofort erfolgte. Das Bild ergibt, daß die Kugel
noch in der Schulter sitzt. An eine Entfernung kann zurzeit noch
nicht gedacht werben, da der Pattem durch den starken Bluterguß
sehr geschwächt und von den heftigen Schmerzen sehr mitgenommen
ist. Die Temperatur ist günstig, sie beträgt 36,8, beachtenswert ist
nur, daß der Puls immer noch sehr hoch bleibt (118). Vorläufig ist
unbedingte Schonung geboten. Prof. Mesch hat bereits alle Vor-
sorge getroffen, datz keine Infektion des Schußkanals erfolgt.
Berlin, 28. Jan. (W.B.) Der; Zustand Erzbergers hat sich
verschlimmert. Temperatur über 37, Puis 120.
Landsberg bestätigt
Berlin, 28. Jan. (W.B.) Wie die „Voff. Zlg." erfährt, er-
klärt sich die belgische Regierung auf eine offizielle Anfrage mit der
Entsendung des Abgeordneten Landsberg als Geschäftsträger ein-
verstanden.
Der neue Reichsschatzmmister.
Berti«, 28. Ian. (W.B.) Nach einer Meldung der „Voss
Zrg." soll der frühere Reichs- und Landtagsabgeordnete Kommer-
zienrat August Neuhaus in Schwetzingen als Nachfolger des bis-
herigen Relchsschatznrimsters Dr. Mayer in Aussicht genommen
sein.
Die Auslieferung. — Eine deutsche Note.
Paris, 28. Ian. (W.B.) Dem Sekretariat der Friedenskon-
ferenz wurde gestern eine neue deutsche Note bezüglich der Auslie-
ferung der Schuldigen übergeben. Die deutsche Regierung erhebt,
darin neue Einwände gegen die Auslieferung und schlägt die Ab-
urteilung der Schuldigen in Deutschland vor, unter der Kontrolle
der Alliierten bezüglich des einzuschlagenden Prozeßverfahrens, wie
sie es schon früher vorgeschlagen habe.
Der Rat des Völkerbundes.
Paris, 28. Ian. (W.B.) Rach einer Privatdepesche der „Ti-
mes" aus London wird die 2. Zusammenkunft des Rates des Völ-
kerbundes am 11. Februar ia London stattfinden. Der Rat wird auf
dieser Tagung die Frage des ständigen Sitzes des Völkerbundes
prüfen.

Politische Übersicht.
Der Anschlag aus Lrzberger.
Ein« Kundgebung der Regierung.
Auf den Finanzminister Erzberger wurde beim Verlassen des
Moabiter Grrichrsgebäudes ein Mordanschag verübt. Der
Schuh verwundete ihn. Die Gefährlichkeit der Verwundung ist noch
nicht zu übersehen. Die Reichsregierung steht erschüttert »mb b»
siebter Empörung vor dieser verbrecheriscyen Ausjcyreltung des
politischen Kampfes, der eines ihrer Mitglieder mitten in der Durch-
führung der ihm anvertrauten schwierigen Aufgaben beinahe zum
Opfer gefallen wäre. Sie hängt den Attentäter an die Rvckschöße
keiner Partei, sie stellt aber vor aller Welt fest, daß die blutig«
Tat unmöglich gewesen wäre ohne die sinnlose unverantwort-
liche Hetze, die feit Monaten und in den letzten Monaten erst
recht gegen den Fmonzmimster getrieben wurde. Sie sieht es als
das größte Unglück unseres Volkes an, daß die größte Schicksals-
prüfung Deutschlands in einer geistigen Verfassung trifft, aus der
heraus solche Schandtaten erwachsen können. Sie hat die einzige
Hoffnung, daß der Schuh in Moabit eine allgemeine Auf-
rütte l ung bewirken möchte, damit den gesinnungslosen Hetzern,
in welchem Lager sie auch stehen mögen, klar wird, vor welchem
Abgrund wir alle stehen. Dic Reichsregierung wird nicht nur ihre
Mitglieder, sondern auch ihre Volksgenoffen gegen Gewalt und
Vergewaltigung schützen. Sie ruft unter dem Eindruck dieser Blut-
tat allen Deutschen zu, mit ihr diesen Schutz zu übernehmen.
Pie Reichsregierung: Bauer, Schisser, Dr. Bell, Dr. David,
Gehler, Giesberts, Koch, Müller, Noske, Schlicke, Schmidt.
* *
Alle Blätter mit Ausnahme der konservativen Presse sind sich
darüber einig, dah die maßlose Erzderger-Hetze der Deutsch-
nationalen die Atmosphäre zu diesem Mordanschlag geschaffen hat.
Die „K a r l s r u h e r Z e i t u n g" schreibt:
Derjenige) der die Hetze gegen Erzberger dick zu ihrem Gipfel-
punkt getrieben hak, ist Helfferich. Von ihm stammt das Wort,
daß Erzberger ein Schädling, ein Reichsverderber sei. find leider
lätzl sich unser gutmütiges deutsches Volk gefallen, daß Herr Helf-
ferich so sprechen darf, obwohl er doch seinerseits als einer der aller-
schlimmsten Reichsverderber, als einer der gefährlichsten Totengrä-
ber unseres Glückes und unserer Wohlfahrt zu gelten hat,
Schuf die reaktionäre Hetze die zur Explosion drängende Stim-
mung gegen Erzberger, so schuf die Art und Weife, wie die reak-
tionäre Presse und leider auch ein Teil der Presse der Koalitions-
parteien den Prozeß Arco-Valley behandelte, den unmittelbaren
Anreiz zur mörderischen Tat.
Eines ist ja sonnenklar: wir werden bei uns in Deutschland Zu-
stände bekommen, mit denen verglichen die früheren Zustände m
gewißen südamerikanischen Republiken noch paradiesisch anmuten,
wenn wir uns nicht endlich zu einer wirklichen Abwehr aufraffen.
Wie die wahre Triebfeder der reaktionären Verhetzung
heißt, wissen wir ja längst. Es ist A ng st u m s l i e b e G e l d. Es
ist der Derzweiflungskampf den der p r iv at w i r ts ch astl ich«
Kapitalismus, die Selbstsucht der früheren Privilegierten gegen eins
«eu« Zeit führt!
- Die Pvkftik Erzdergcrs.
Anläßlich des Erzberger-Helfferich-Prozeffes schreibt uns uns«
Berliner St.-Mitarbeiter:
Der BekibigungsprcM, den der Reichssinanzminfftkr Erzberge«
gegen den früheren VizUanzler Dr, Helfferich angestrengt hat, ist noch
«ichl zu End«, und seinem Ergebnis soll auch nicht vorgegriffen werden.
Ls handelt sich in diesem Prozesse bekanntlich um di« Frage, ob Erzberger
als Abgeordneter Politik und Geschäft in unzulässiger Weise miieinande«
vermischt hätte. DK sozialdemdkratische Parin braucht den Ausgan«
diese» Prozesses mit umso weniger Nervosität entgegenzusehen, als auch
bas ungünstige Ergebnis sie nicht berühren würde Erzderger ist be-
kanntlich nicht Sozialdemokrat, sondern Mitglied der Zentrumspattei.
Würde sich wirklich Herausstellen, daß Erzberger seinen politischen Em-
stutz zu Zwecken persönlicher Bereicherung mißbraucht hat, so würde der
moralisch« Schaden in erster Reih« seitrc Pattei tresfen, in zweiter frei-
lich auch dir deutsche Republik, an deren Spitze n»r untadelige Männer
stehen sollen.
So wenig mit diesen allgemeinen Bemerkungen dem Ausgang des
Prozesse» vorausgegrisfcn werden soll, so wenig liegt ein Anlatz vor,
nicht jetzt schon, in sein« Ursachen hineinzuleuchten. Herr Helfferich haß
diese Verhandlung nicht prvvoziett, weil er ein Fanatiker der öffentliche»
Moral ist. Als früherer Direktor der Deutschen Bank und als Reichs-
seyatzsekretär hat «r di« zahlreichen Verschlingungen zwischen Politik und
«elchäft so g«oau knnengelernk, daß einGrausen durcb die ganze kapi-
talistische Weit ging«, wenn er jetzt als hinkender Teufel alle.Dache«
ab decken wollte. Wenn sich Herr Helfferich den Fall Erzberger besonders
herausaegrissen hat, so nur deshalb, weil er hofft, auf biese Welse eine«
gefährlichen politischen Widersacher zu Strecke bringen zu können.
Herr Heisser.-,' und die ganze Lankokrati« yükten aeaen Erzberger
nicht das Allergeringste einzuwenden, so langee r n o ch ihr Mann
war. Die geschäftlichen Verbindungen, die er als Abgeordneter unter-
hielt, war^n ihven schon damals sehr genau belangt, sie fanden aber a«
ihven nichts auszüsetzrn., Erst als -Erzderger das sinkende Schiff da«
Annettoiusmus-ver.zeß, uM ganz besonders, als er Äcichssinanzmlmster
geworden war,Md h o h e,<S t c u e r a aus den Bes st-lenke, -cgMM
die deutsch-nationale Entrüstung gegen diesen Mann aufzulochen. Der
 
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