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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (1/2) — 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.44126#0272
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Badischer Landtag.

Eise abschließende Abrechnung mit den Deutschnationale«.
Der heutige dritte Tag der Finanzdebatte zeiitgte eine hoch-
politische Debatte, so baß die allgenreine Beratung erst nächste
Woche zu Ende gesührt werben kann. Der deutsch nationale
Abg. Mager, der aus den Dingen trotz seiner Gegenrede nichts
gelernt hat ohne etwas vergessen zu haben, räkelte und mäkelte an
der heutigen Lage unseres Landes und seiner Wirtschaftslage, ohne
auch nur irgendwie der von der Vergangenheit übernommenen Last
zu erwähnen, wie dies der Pharisäerstellung der schuld-belasteten
Deutschnationalen entspricht. Wenn er auch in außenpolitischer Hin-
sicht Assistenz.sand im neuen Mitglied der Zentrumsfraktion Herrn
Abg. Dr. Baumgärtner, der ihn dafür gleich dem demokrati-
schen Herrn Holbermann allerdings in innerpolitischer Hinsicht
zerzauste, so blieben doch, wie der sozialdemokratische Redner kon-
statieren konnte, die Deutschnationalen als Hingerichtete aus dem
Kampfplatz. In wirtschaftspolitischer Hinsicht durch die von hohem
Verantwortungsgefühl getragenen Ausführungen des Ministers
Remmele, in allgemein politischer Hinsicht durch die glänzende
Rhetorik des Finanzministers Dr. Wirth und in außenpolitischer
Beziehung durch die von völkerverbindenden Idealen getragene
Rede des Abg. Genossen Maier-Heidelberg zerschlagen, lagen
die deutfchnationalen Nörgeleien zerfetzt am Boden.
Nichts blieb nach dem zweiten Rebetournier über als das
gleiche Ergebnis wie am ersten Tag, an dem auch die kommende
Woche nichts ändern bürste, nämlich das Bekenntnis des Vertrauens
der überwältigenden Mehrheit der Volksvertretung zur badischen
Volksregierung, bereu Leistungen bei aller Einzelkritik anerkannt
werden, indem sie mit festem Willen dem Aufbau des
Volks st aates und damit des Vvlkswohles zusteuert — mögen
auch die Schwierigkeiten noch so groß sein. Und dieser Wille zum
Neuaufbau wird auch draußen im Lande seine Wirkung nicht ver-
fehlen und hoffnungerweckend in düsterer Gegenwart, die wir der
einstigen Herrschaft der fetzigen Opposition verdanken, seine Früchte
zeitigen.
*
IS. öffentlich« Sitzung.
xr. Karlsruhe,^ März.
Präsident Kopf eröffnet die Sitzung um 8.20 Uhr und teilt mit,
daß der Vertrauensmäimerausschuß beschloß, den ersten vier Rednern
unbeschränkte Redezeit zu gewähren und die folgenden Redner auf 10
Minuten Redezeit zu beschränken.
Abg. Mager (D.N.): In dem Augenblick als mit Kriegsfchluß
der Weltmarkt geöffnet war, hätte man zu dem Entschluß kommen müssen,
mit der Kriegswirtschaft restlos zu brechen. Statt dessen begann der
Streit der Meinungen um die Wirtschaftsweise. Redner meint, die Linke
sollte dem „V o l k s f r e u n d" wegen eines landwirtschaftlichen Artikels
vom 3. März in dem er die landwirtschaftliche Produktion bespricht, auf
die Bude steigen. Der Landwirt muß für seine Leistungen entsprechend
bezahlt werden. Die Regierung hat nicht den Mut gehabt, bei Kriegs-
schluß mit der Zwangswirtschaft zu brechen. Abg. Weißmann: Was
wäre dann heute?) Durch die Revolutionswirtschast ist der Glaube an
die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verloren gegangen (Zwischenruf
links: Ist ja gar nicht war, wie selbst Herr Stresemann sagt.) Der Vor-
wurf der Mißwirtschaft ist begründet. Beim Nachtrag kann man nicht
vom prüfen reden, sondern nur vom kritisieren. Die Forderung an das
Reich ist als eine zweifelhafte Forderung zu begleichen. Wir bekämpfen
diese Wirtschaft, die durch die Steuerpolitik die Sozialisierung durchzu-
setzen sucht. Unsere badischen Bahnen werden die ersten im Reiche sein,
die wieder zur Rentabilität kommen werden. Wir sind keine Gegner der
llebergabe an das Reich; aber wir wollen ihren vollen Wert inklusive der
kommenden Gewinnchancen ersetzt haben. Unsere Partei ist lediglich die
Vertreterin der politischen Ansicht, die das Heil unseres Volkes nicht durch
die Worte Parlamentarismus und Demokratie kommen sieht. Alle Par-
teien wollen jetzt bauernfreundlich sein. Die Folgen werden zeigen, welche
Partei richtig handelte. Wir werden auf gesetzlichem Wege erreichen, was
wir wollen. Bei einer Revolution der Kommunisten wären nach allge-
meiner Ansicht unsere Köpke am wenigsten in- Gefahr; die Köpfe der Lin-
ken würden dagegen am ersten rollen. (Heiterkeit.) Beim Hoch des Fi-
nanzministers auf die Republik stimmte nur die Linke einstimmig bei; Ue
Mitte dagegen nur vereinzelt.

Finazminister Dr. Wirch:
Ich habe die Republik hochleben lassen und werde es jederzeit wieder-
holen. Als Minister habe ich den Eid auf die Verfassung geleistet und
deshalb die Republik hochleben lassen. Ich habe mich über die Leben-
digkeit gewundert, mit der Herr Mager den Besitz gegen die Steuer-
eingriffe verteidigte. Auch der Besitz muß «in Opfer auf den Altar des
Vaterlandes ablegen. Ich habe nie eine so oberflächliche Kritik gehört,
als die des Herrn Mager. In der Kommission wurden alle von ihm an-
geschnittene Fragen gründlich behandelt; da habe ich ihn nicht gesehen.
(Sehr richtig.) Sein mehr liebenswürdiger Kollege Habermehl ist in der
Kommission mit uns marschiert: der Deutschnationale gegen den Deutsch-
nationalen. „Der große Bewunderer des Fürsten Bismarck" hält eine
Rede gegen die Verreichlichung eines riesigen Wirtschaftskörpers (Zwi-
schenrufe des Abg. Mager.) Sind Sie doch nicht so aufxeregt! Wir
drängten nicht nach der Verreichlichung; aber wir wünschten nicht einen
Spruch des Staatsgerichtshvses, sondern wollten verhandeln, wobei alle
Instanzen und Organisationen beigezogen wurden. Die Schuld unserer
Eisenbahnen spielt bei der Notwendigkeit einer baldigen Verreichlichung
keine Rolle. Haben wir im vorgelegten Staatsvertrag nicht Erfolge auf-
zuweisen, hat die alte Obrigkeitsregierung gegenüber Preußen solche Er-
folge gehabt? Wir wollen das Reich retten und wir haben seine Einheit
gerettet. Der große Gedanke der Wirsschaftsdemokratie wirb sich ver-
wirklichen, wenn auch lange Zeit vergehen wird. Wenn auch die Durch-
setzung der politischen Demokratie ein Jahrhundert brauchte. Nichts ist
ärmer an Gedanken, außer der Rede des Herrn Mager (Heiterkeit), als
di« Ansicht, daß Macht uns retten kann. Freiheit, Ehrsamkeit, Betrieb-
samkeit wird uns einer guten Zukunft entgegenführen. (Beifall.)

Minister Remmele:
Die Volksregierung setzte die Mittel für das Landespreisamt in das
Budget. Die alte Obrigkeitsregierung tat dies nicht. Dies zur Informa-
Ilon des Herrn Mager. Das Kabinett hielt es für notwendig, die Sum-
men ins Budget einzustellen, im Gegensatz zur früheren Wirtschaft, -die
auf Kriegskredite arbeitete. Die Verantwortung für die Folgen einer
freien Wirtschaft können wir nicht übernehmen. Wie notwendig es ist,
aber auch in Einzelfällen Macht anzuwenden, zeigt Iöhlingen, wo wir
nur hierdurch Kartoffeln herausbekommen konnten. Statt dem Soll
lieferte diese Gemeinde 8 Zentner ab. (Unerhört.) Wer droht, den
Zwangswirtschaftsgesetzen nicht zu folgen, gegen den schreiten wir ein.
(Zwischenruf rechts: Nur bei den Bauern.) Wenn Sie die Angriffe der
Linken wegen unseres Vorgehens auch gegen links gelesen hätten, könnten
Sie das nicht sagen. Das Ministerium verfolgt sowohl die Nichtabliefe-
rungen, wie auch die Vergehen der Wirte. Es ist also nicht so saumselig
als vielfach dargestelft wird. Von dem Tage ab, wo die Höchstpreise für
Wein aufgehoben werden, wird der Wein nur für 5—6 Mk. das Viertel-
liter zu bekommen sein und nach 6 Wochen werden, wie in der Pfalz, die
Weinwirsschaften geschlossen sein, weil der Wein aufgekauft ist. Außer-
dem hat der kleine Mann jetzt seinen Wein verkauft und der Wem der
Grossisten würde bei Aufhebung der Höchstpreise nach außerhalb fließen.
Ein Tag wird von Abgeordneten verlangt, daß der Zwischenhandel aus-
geschlossen wird; am anderen Tag wird über den Ausschluß des Handels
geklagt. (Abg. Großhans: Agitationspolissk.) Damit erwirbt sich
das Parlament beim Volk kein Vertrauen. Es liegt uns durchaus fern,
unbesonnen die Landwirtschaft zu belästigen. Denn wir wollen ihre Ar-
beitsfreude aufrecht erhalten.
Bei der Staatsvereinfachung ist es, solange wir die Uebergangswirt-
schaft haben, unmöglich, die Landwirtschaft vom Ministerium des Innern
wegzunehmen. Bei der in den nächsten Tagen vorzulegenden neuen G e-
meindcordnung kann ja die Frage der Berwaltungsreform mit an-
geschnitten werden. Die Vereinfachung der Staatsverwaltung darf nicht
zu einem komplizierten Apparat führen. Wenn alle Teile ihre Pflicht
erfüllen, können wir den Aufbau des Staates vornehmen. Herr Abg.
Mager wünscht, wir sollten die Lebensmittel für die ärmere Bevölkerung
zu Marktpreisen aufkausen. Wer ist heute nicht ärmere Bevölkerung?
Auch die landwirtschaftlichen Orgamsatwnen verlangen eine zwangsweise
Verteilung der Düngermittel. Also auch hier verlangt man Organifa-
lionsausnahmen, weil das Angebot nicht ausreicht durch di« Wirkungen
des Krieges. Das Elend ist heule in der ganzen Welt verbreitet. Es
hat zur Ursache den Weltkrieg und werden verschuldet hat, darüber ist ja
genug gesprochen worden. Die Mehrheit des Volkes steht auf dem Stand-
punkte unserer Politik. (Beifall.) . ,
Abg. Dr. Baumgärtner (Ztr.): Die Zahlen beweisen, daß die
Offiziersverluste im Kriege gewaltig waren; begreiflicherweise wesentlich
höher als die Mannschaftsverluste. Dir Schuld am Kriege ist nur zum

geringsten Teile dem deutsche« Volke und zu kleine« Teile der deutschen
Regierung zuzuschreiben. (Beifall rechts.). Derjenige, der dem deutschen
Volke oder der deutschen Regierung den größeren Teil der Kriegsschuld
zuschreibt, handelt nicht national. Um den Staatswagen nicht in den Ab-
grund fahren lassen, haben die drei Mehrheitspartcien den Staatswagen
übernommen. Die Zeiten sind vorbei, wo ein starker Mann über den
Willen des Volkes Hinwegschreiten konnte. Deshalb treten wir für die
Demokratie ein. Wir versteycn unter Demokratie nicht Massenhcrrschast,
sondern die Herrschaft gewissenhafter Persönlichkeiten, weshalb die christ-
liche Schule erhalten bleiben muß. Gegen eine schäbige Kampfesweise,
wie die der „Süddeutschen Zeitung" gegen Minister Wirth müssen wir
protestieren. Die hohen Weltmarktpreise konnten wir nicht aufbringen;
deshalb müssen wir die heimische Produktion fördern.
Abg. Maier-Heidelberg (Soz.):
Ich möchte zunächst die falsche Deutung meiner Rede durch den Abg.
Hertle zurückweisen. Ich sagte nur, daß jede Gesetzesverletzung ob durch
Diebstahl oder durch Nichtablieferung bestraft werden muß. Ebenso muß
ich die Mißdeutung des Herrn Mager dahin richtig stellen, daß ich sagte,
wenn wir Zeit gehabt hätten bei der Revolution die Bevölkerung über die
Schuldigen aufzuklären, dann hätte kein Mensch die Massen vor Rache
abhalten können. Ich selbst stemmte mich gegen diejenigen, die ihren
Rachedurst befriedigen wollten. Uns Sozialdemokraten verdanken Sie
(zur Rechten), daß sie geschützt wurden. Die Zwangswirtschaft ist auch
heute noch eine Notwendigkeit. Mit was sollen die Massen kaufen, wenn
die Preise immer höher werden und Sie (zur Rechten) gegen jede
Lohnerhöhung stemmen? Gegenüber Herrn Dr. Baumgärtner möchte ich
sagen, daß wir unsere Ansicht zur
Kriegsschuld
immer sachlich erörtert haben. Die eigentliche Ursache ist der Kapitalis-
mus und Imperialismus, wie wir immer feststellten. Noch während der
Balkanwirren machten wir in Basel den verzweifelten Versuch, den Aus-
bruch des Krieges — trotz Kriegsursachen — zu verhindern. Wir sind
jedoch von den Vertretern des Ehristentums, aller Staaten, im Stiche
gelassen worden. Nachdem die Ententevertreter ihren Sozialisten erklären
konnten, Deutschland hat den Krieg erklärt, konnten sie das Rad nicht
mehr aufhatten. Bei uns hat man das verlogene Weißbuch
vorgelegt. Hätten wir damals die Wahrheit gekannt, so hätten wir 1914
gemacht, was wir 1918 nicht gemacht haben. Denn selbst der Bürger-
krieg hätte uns nicht soviel als der Weltkrieg gekostet. Wir haben immer
den Friedensschluss verlangt. (Zwischenruf im Zentrum: Wir auch.)
Nein; Sie traten erst nach dem Kanossagang Erzbergers dafür ein und
die „Kölnische Volkszeitung" setzte ihre Politik noch lange fort, die keine
Friedenspolitik war. Unsere Partei hat jahrzehntelang für den Frieden
gekämpft und sie hat Has meiste Recht, nach den Schuldigen zu suchen.
Wir ergreifen jede Hand, die mit uns daran arbeitet, ein Morden wie
in den 4ZH Jahren für alle Zeit unmöglich zu machen. (Lebhafter Beifall
bei den Sozialdemokraten.)
Abg. Holdermann (Dem.) bespricht die Verschuldung vieler Ge-
meinden an die Schweiz. Der Religionsunterricht muss wie bisher seinen
Platz in der Schule haben. Ich stelle fest, daß die Kirche unter der Re-
publik sich hat freier entfalten dürfen als je zuvor und ihr der Staat auch
in materieller Hinsicht entgegenkam. Der Krieg ist nicht das Stahlbad
und der Jungbrunnen, als der er von gewisser Seite dargestellt worden
war, sondern er ist ein Verwüster. Die Zwangswirtschaft ist heute not-
wendig; doch soll sie nur so lange aufrechterhalten bieiben, als sie ein
Erfordernis ist, da sie demoralisierend wirkt. Ich gehörte zu denjenigen,
die gegen die Beschaffungszulage stimmten. Aber es ist ein Unterschied,
ob man eine einzelne Vorlage ablehnt oder das Ganze, wie es die rein
negative Politik der Deutschnationalen tut, die keine Vorschläge enthält,
wie es bester gemacht werden kann. Dies ist nicht konservativ, ist nicht
staatserhaltend. Wenn die deutschen Monarchien ohne Sang und Klang
fielen, dann muß etwas Furchtbares geschehen fein (Sehr richtig!), um
unser treues, ruhiges Volk andere Wege zu weisen, nachdem das alte
Ideal völlig zerbrach. Die Deutschnationale Volkspartei scheint vielfach
vergessen zu haben, daß sie sich auch den Namen Christliche Volks-,
Partei gab.
Präsident Kopf teilt mit, daß ein Antrag des Abg. Schöpfle
(D.N.) und Gen. betr. Abgabe der ganzen Häute an die Bauern einging.
Zur Finanzdebatte sind noch 16 Redner gemeldet.
Nach einer persönlichen Bemerkung des Abg. Dr. Glöckner (Dem.)
und des Abg. Dr. Baumgärtner (Ztr.) wird die Sitzung geschlossen.
Räch st e Sitzung: Dienstag nachmittag )H4 Uhr. — Tages-
ordnung: Interpellationen und Fortsetzung der Ftnauzdebatte.
Schluss der Sitzung: 1.10 Uhr.
Zur Aenderung der Kirchenstcuergcsetzc.
nahm der Verfassungsausschuß des Badischen- Landtags am Freitag
nachmittag nochmals insofern Stellung, als er den gedruckt vor-
liegenden Bericht des Abg. Mayer- Karlsruhe (deutschnatl.) der
Schlußprüfung unterzog. Dabei drang die s o z i a l d e m. Frak-
tion vor allem daraus daß ihre Anträge, die sie in früheren
Sitzungen zur Frage der Steuerrechte der Kirchen und zur neuen
Erhöhung der Kirchensteuer gestellt hatte, ausführlicher, als dies
im Bericht Mayers geschehen war, Erwähnung und Ausnahme
fanden Einer dieser Anträge verlangte Wegfall der Höchstgrenze
für die Besteuerung der Mitglieder von Religionsgemeinschaften,
damit die letzteren ihre finanziellen Bedürfnisse ohne Inanspruch-
nahme des Staates selbst decken könnten. (Der Antrag war mit allen
gegen die sozialdem. Stimmen abgelehnt worden.)
Ein weiterer Antrag eines Mitgliedes der sozialdemokratischen
Fraktion bezweckte Fortfall der Bestimmung, daß auch Aktiengesell-
schaften und sonsttge juristische Personen, wie z. B. die Druckereien
sozialdem. Blätter, zu den Baukosten kirchlicher Gebäude heran-
gezogen werden können. (Der Antrag wurde nach ausführliche:
Diskussion zurückgezogen.>
Der Verfassungsausschuß erkannte die Berechtigung des Ver-
langens der sozialdetn. Fraktion an und beschloß demgemäß, nach-
dem sie am Bericht Mayers noch einige redaktionelle Aenderungen
vorgenommen hatte.

Badische Politik-
„Totengräber des Reiches."
Ausnahmsweise taucht in einem lichten Moment der „Südd.
Zeitung" der preußischen Junker der Gedanke auf, daß vaterländi-
sches Interesse und Iunkerinteresse denn doch zwei -verschiedene
Dinge sind und daß insbesondere monarchistische Bestrebungen und
nationales Wohl sich wie Wasser und Feuer scheiden. Leider er-
streckt sich jedoch diese Erkenntnis nicht aus die Gesamtheit der
deutschna-ttonalsmonarchsistisch-militaristtschen Politik, sondern nur
auf ein ganz kleines Teilgebiet, das den deutschnationalen Bestre-
bungen zuwiderläuft (anderswo urteilen die Herren milder), näm-
lich auf die royalistischen Bestrebungen in -- Bayern, über die das
deutschnationale Blatt schreibt:
Es hat sich unter Führung eines bekannten bayerischen Mag-
naten eine bayerische Royalistenpartei gebildet, welche die Er-
richtung eines Königreichs erstrebt, in das auch, Deutsch-Oester-
reich eingeschlossen sein soll. Es sind ganz sicher nicht bloß
royalistische Bestrebungen, die hinter diesem Plan stecken. Der
Flachs zu den Fäden, die hier gesponnen wurden, lag längst be-
reit, und diese Svndcrbündelei gewisser bayerischer Kreise ist kein
Novum. Der Urbayer selbst würde nach den Erfahrungen der
Revolution heute lieber wie morgen wieder den König zurück-
holen, und diese durchaus erklärliche Stimmung nützt die Roya-
listenpartei für ihre persönlichen Zwecke aus. Was kommen wird,
macht ihr wenig Sorge; sie starrt auf den Kirchturm, ohne auch
nur einigermaßen das hinter liegende Gelände zu berücksichtigen.
Sie will einen innerhalb des deutschen Reichsverbandes unmög-
lichen Thron errichten und schafft «ine Ruine.
Die „Süddeutsche Zeitung" erinnert anschließend hieran an
die Folgen dieser Politik für die anderen süddeutschen Länder, in-
dem sich Baden, Württemberg und Hessen mit der Pfalz zusammen-
schließen würden, um dann zutreffend auf die Genugtuung hinzuwei-
sen, die die Entente (soll wohl heißen Frankreich, da in der Entente
auch andere Strömungen vorhanden sind) über diese bayerische
Politik empfindet, über die sie folgendes Urteil fällt:
Die edlen Bajuwaren, die den erwähnten Plan ausgeheckt
haben, gesellen sich zu den Totengräbern des Reiches; sie arbei-
ten seinen Todfeinden in die Hand, bei denen sie auf den leisesten
Wink tatkräftigst Unterstützung finden. Sie ist ihnen vielleicht
schon angeboten worden. Nur wenn Deutschlands Stämme und

Staate« fest Zusammenhalte», wen« sie trotz der Zuckungen iw
Innern einig bleiben, kann die Zukunft für Deutschland sich wie-
der freundlich gestalten. 9m andern Falle ist ihm der Untergan«
sich« — der Untergang für alle Zeilen. Das vergesse man auch
in Bayern nicht.
Wir nehmen von diesem Urteile gerne Kenntnis. Wir freu«»
uns der Einsicht der Deu-tschnationalen, daß Deutschland einig blei'
den muß. wir teilen die Anschauung, daß ein innerhalb des deud
scheu Reiches errichteter Thron eine Ruine schafft — solange jedoch
die Deutschnationalen selbst mit ihrem Tun und Treiben eine Politik
pflegen, die sie nach ihrer soeben kundgegsbenen UeberzeugunS
Deutschlands „Untergang für alle Zeiten" bringen muß, könne» wir
nicht anstehen, den Vorwurf, den sie den Bayern machen, auf
selbst zurückzuschleudern, nämlich „Totengräber der Reiches" Ml seM-
Schlechte Bedienung der Presse.
Am Donnerstag nachmittag wurde im Landtag der Staate
vertrag über die Uebernahme der bad. Bahnen an das Reich S*
die Abgeordneten verteilt. Obgleich ein Beauftragter der Pari«'
mentsberichterstatter sofort beim Finanzministerium die UeberlaksunS
von Eremplaren der Druckschrift für die Presse erbat, ist diese bst
Freitag abend nicht in den Besitz derselben gekommen, obgleich
für si-e sehr wichtig war, sich über den Inhalt des Staatsvertrag*
zu informieren, der bereits in den Landtagsverhandlungen erörtert
wurde. Man muß sich fragen, warum die Presseabteiluag de*
Ministeriums des Innern nicht für eine schnelle Bedienung de*
Presse besorgt war.

Aus dem ParLeileben.
Vorschläge zum Ausbau der Parteiorganisation.
Wir geben folgende interessanten Vorschläge aus der „V v l k s*
wacht" unseren Lesern wieder und erwarten die Zustimmung d*r
Genossen:
Nur Arbeit kann uns helfen. Diese Mahnung ist in allen 3^'
tungen zu lesen. Gründliche Arbeit der Arbeiterparteien und der
Gewerkschaften auf volkswirtschaftlichem Gebiet mit Beziehungen
aller geeigneten Kräfte, Demokratisierung und Befestigung der Ge-
heimdiplomatie in der Führung der einne Partei, Befreiung vo*
dem Aberglauben am Schlagworte bei der andere» Partei, ver-
mehrte Mitarbeit und erhöhte Denkarbeit der Massen, tieferes St»'
dium der Führer, die sich mehr noch als bisher ihrer sozialpolitische*
Tätigkeit zu widmen hätten. Das sind die unumgänglichen Bedin-
gungen, an die jetzt der Fortschritt des Sozialismus geknüpft ist-
Auch für die Arbeiterparteien -bedeutet die Revolution eii^
neue Zeit; sie stehen vor schwereren Ausgaben als früher: anfte*^
der Kritik die Umgestaltung von Gesellschaftsordnung und Staat!
anstelle der obrigkeitsstaatlichen Parteileitung ein demokratisch^
Ausbau der Partei. Da ist geistige Arbeit notwendig, und sie wir*
immer mehr wie früher nur die Leistung einzelner genialer Köpft-"
der Marx, Engels, Bernstein und anderer. — In der Naturwisftm
schäft und Technik geben die seltenen besten Köpfe die Richtlinie»'
aber erst die wissenschaftftche Mitarbeit aller geistigen Rangstufe*
hat ihre gewal-rige Entfaltung gesichert.
Von der im ganzen meisterhaft bisher geführten bürgerlich?*
Politik Englands sagte 1915 Bernard Shaw: England weiß sich **
Notfall ohne große Männer besser zu helfen, als andere Nation?*
mit großen Männern. Daher ist neben der agitatorischen Arb?*
die Organisation der geistigen Arbeit zur Vorbereitung des Sozi»'
kismus die wichtigste Aufgabe der Partei. — Oft macht sich geltem»
daß die Abgeordneten und Vertreter in den verschiedenen Körp^
schäften zwar vielleicht Sachverständige auf einem Gebiet sind, da«
sie aber viele Fragen zu beurteilen haben, die sie nicht verstehen E
in denen sie einfach den Wessungen der Parteileitung folgen.
auf dem Gebiet, in dem Parteileiter, Minister, Abgeordnete sacv
verständig sind, darf eine wichtige Entscheidung nicht ihrer äuge*'
blicklichen Ansicht allein überlassen bleiben oder auf Parteitagen de*
zufällig gewaytten Delegierten. Heute gibt die Stellung der
zialdemokratie oft den Ausschlag. Daher sollten parteigenössisA
Minister vor allem sachverständige Parteigenossen um ihre AnsiA
fragen können und einem weiteren Kresse in der Partei von
tigen Gesetzesvorlagen oder Anordnungen rechtzeitig vorher Kew*'
ms geben. Grundlegende Fragen müssen lange, ehe sie auf
Tagesordnung der Körperschaften erscheinen, von einem größere*
Kreis Sachverständiger durchgesprochen werden. Mehr Bora»^
sicht, weniger Taktil.
Auch wenn man die Beteiligung an Regierung und parkaM«"
tarischer Arbeit heute verwirft, bleibt die geistige Vorbereitung
Uebernahme der Macht unerläßlich. Eine vorläufige Räteorga*
sation kann wohl die Schulung der Arbeiterschaft nach Berufen Ulf-
Betrieben als Vorstufe der Sozialisierung durchführen. Sie bed*
abeb der Ergänzung durch Ausschüsse, die in demokratischer wie m*
senschastlicher Arbeit die allgemeinen volkswirtschaftlichen und k*
turwissenschaftlichen Aufgaben der Gegenwart in Angriff nehm?.
Auch in England „ist die Eignung- der Arbeiterpartei (zur DurchstG
rung ihrer Ziele) nicht deswegen zu bezweifeln, weil es ihren Ac.
gliedern und Anhängern an Fähigkeiten fehlt, sondern wegen
Unsicherheit, ob sie die verfügbaren geistigen Hilfsquellen nutzbar »
machen vermag". (New Statesman, 17. Januar 1920.)
Deshalb sei folgendes vor geschlagen: Die Parteivereine,-,
einer Stadt wählen einen volkswirtschaftlichen und einen kulturw"
senschaftlichen (für Schulen und Kunst) Ausschuß, ferner einen
ichutz zur Vertretung der Kvnsumenteninteressen (zur Kontrolle A
Beschaffung und der Preise des Lebensbedarfs). Die Lohn- * «
Arbeitstagen. die Betriebs- und Berufsfragen im einzelne« A
hören nicht in diese Ausschüsse, sie werden schon in Gewerkschaft
und Rätevrganisativnen behandelt. Die politisch-taktischen Smu^
der Partei regeln Vorstand und Parteileitung. Wohl aber ft* ,
allgemeine Fragen zur Sprache kommen! Zum Beispiel Pi
wirtschaft undHebung der Valuta, Preisregelung durch §
lisierung der Aus- und Einfuhr und durch staatliche Vermstü
des landwirtschaftlichen Bedarfs; Verfahren zur Einleit*^,
der Sozialisierung; Landwirtschaftliche Fragen; BeM* ff
lung der Gewerbefreihest usw. — Jeder Ausschuß tritt nach
alle zwei bis drei Wochen zusammen. Die Fragen und VorswG^
der Tagesordnung werden teils frei von den Mitgliedern bestacht
teils von den übergeordneten Ausschüssen festgesetzt; sie werde*
Tage vorher veröffentlicht. Die Redezeit muß beschränkt '^r
jedes Mitglied aus dem Wahlkreis, das länger als ein Jach
Partei zugehört, hat Zutritt und auf sein Verlangen wird ihm
Regel für bestimmte Gegenstände der Tagesordnung becm^r
Stimme gewährt. Auch Sachverständige, die nicht Parteimtg*
find,- die aber nicht feindlich dem sozialistischen Gedankenkreis^-
genüberstehen, können zugezogen werden. Halbjährlich erfolgt
wähl mit Listen, für die der frühere Ausschuß -empfehlen darf-
Ausschuhmitglieder, die an mehr als der Hälfte der Sitzungen^j-
genommen haben, können wiedergewählt werden. Zum einem
tel ergänzt der Ausschuß sich selbst nach freier Wahl,
Sitzungen verschiedener Ausschüsse können stattfinden. Etwa
mal monatlich treten die Kreiskonferenzen der Ausschüsse 1 Oje-
men. Hierzu wählen die Unterausschüsse entsprechend der ^jt-
derzahl der Vereine ihre Vertreter. Die Sitzung ist für Pa^
glieder öffentlich. sft*
Zur nächst höheren Einheit, zum Bezirksauss wLssOie-
die Ausschüsse der einzelnen Wahlkreise entsprechend ihrer «k
derzahl im Wahlkreis wahlberechtigt, und zu ein Drittel
sich selbst durch freie Wahl. Er tritt etwa alle zwei Monates,
men, setzt die wichtigsten in den Unterausschüssen ded* er
Fragen und was ihm sonst gut scheint, auf die Tagesordn
gibt sein Gutachten mit Stimmenmehrheit ab. in
Die oberste Einheit bilden die R e i ch s a u ss ch ü sI » M
je ein Mitglied der Bezirksausschüsse gewählt wird, uno h«r
außerdem durch freie Wahl ergänzt. Ueber die Derhan ,Htsft*
oberen Ausschüsse werden gedruckte und in den Unteraus,^
 
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