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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (1/2) — 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.44126#0376
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Politische Neberficht
Sozialdemokrattsche Mikitärforderungen.
(Ergänzung unserer diesbezüglichen Samstagsmeldung.)
Der Republikanische Führerbund (R.F.B.) teilt uns mit, er
habe sich mit dem Reichswirtschaftsverband derzeitiger und ehe-
maliger Berufssoldaten (R.d.B.) „zum Schutz der Verfassung" zu
einer Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen. In Ge-
meinschaft mit dem Bezirksverband-Grob-Berlin der Sozial-
demokratischen Partei wurde folgendes Programm auf-
gestellt:
1. Sofortige Suspendierung aller kompromittierten Führer.
2. Es ist diesen Führern strengstens verboten, die Kasernen
zu betreten und Uniform anzulegen. Die in ihrem Besitz befind-
lichen Waffen sind abzuliefern.
3. Die Regierung wird ersucht, einen sofortigen Aufruf zu
erlassen zur Sammlung aller Militärpersonen, welche vor dem
Putsch und während des Putsches zu Unrecht entlasten worden sind.
4. Heranziehung der Arbeitsgemeinschaft, welche zwischen dem
Republikanischen Führerbund und dem Reichswirtschaftsverband
derzeitiger und ehemaliger Berufssoldaten gebildet worden ist, zur
Unterstützung in allen militärischen Fragen.
5. Sofortige Besetzung des Reichswehrministeriums, insbe-
sondere der Geheimregistratur, ferner aller Funken-, Flieger- und
Kraftfahrerstationen mit zuverlässigen republikanisch gesinnten Fach-
leuten.
6. Sofortige Einsetzung politischer Zivilkommissare in sämt-
lichen militärischen Dienststellen bis hinab zu den Bataillonsstäben.
Den Zivilkommistaren steht das Einspruchsrecht in allen Dingen
mit sofortiger Wirkung zu.
7. Sofortige Auflösung aller bestehenden Einwohnerwehren
und Zeitfreiwilligen-Formationen.
8. Sofortige Aufhebung der Militärgerichtsbarkeit.
Hermann Müller Reichskanzler.
Berliner Presseftimmen.
Die Morgenblätter äußern sich noch zur Regierungs-
bildung. Die Deutsche Allgemeine Ztg. bezeichnet
es auch als außenpolitisch wichtig, daß Hermann
Müller Reichskanzler geworden ist. Denn ihm danke
man die Überzeugung im Auslands, daß am deutschen
Willen keinZweifel berechtigt sei und deutsches Können
von einer Politik wie bisher am ehesten zu erwarten sei.
Das Berl. Tageblatt fordert einen besonderen
Minister des Äußern. Es spricht von einem Übergangs-
kabinett auf der Basis der Koalition.
Die Vossische Zeitung nennt die neue Regierung
ein gewendetes Kabinett Bauer. Nur für Erz-
berger und Noske seien ein paar Flicken hingesetzl
worden. Es sei milder gefärbt als die Regierung Bauer,
während das Kabinett Braun in Preußen einen
Ruck nach Links bedeute.

Die Wahl des Reichspräsidenten.
Das neue Reichswahlgesetz.
In ber öffentlichen Sitzung des Reich srats
vom Samstag nachmittag, die vom Unterstaatssekretär Moesle
geleitet wurde, wurde der Nvtetat angenommen.
Angenommen wurde ferner der Gesetzentwurf über d i e
Wahl des Reichspräsidenten. Gewählt ist danach,
wer un ersten Wahlgang mehr als die Hälfte aller gültigen Stim-
men erhält. Ergibt sich keine absolute Mehrheit, so findet ein
z w eiter Wahlgang statt, bei dem gewählt ist, wer die meisten
Stimmen erhält, so daß also im zweiten Wahlgang die relative
Mehrheit entscheidet. Bei der Ausschußberatung waren einige
Bedenken geäußert worden, unter anderm auch dagegen, daß zu
einem zweiten Wahlgang, bei dem die relative Mehrheit entschei-
det, auch neue Bewerber auftreten können. Der Ausschuß
hat indes das Gesetz unverändert angenommen, und die Voll-
sitzung des Reichsrats tat das gleiche.
Ferner kam das Reichswahlgesetz zur Annahme.
Es bestätigt sich, daß dieser Gesetzentwurf dem seinerzeit veröffent-
lichten Entwurf L entspricht. Während nach dem bei der
Wahl der Nationalversammlung zur Anwendung gelangten Ver-
fahren die Zahl der Abgg. von vornherein bestimmt war, die Zahl
der Stimmen für einen Abg. aber schwankend war, steht jetzt die
Zahl der Abgeordneten nicht von vornherein fest, wohl aber die
Zahl der Stimmen, nämlich 60000 für je einen Abge-
ordneten. Ferner werden die Reststimmen ausgenutzt, und
zwar dadurch, daß sie in eine Reichswahlliste abfließen, wobei auf
60 000 Stimmen wieder >ein Abgeordneter kommt und neben den
übrigen Wahlkreisen Verbandswahlkreise gebildet wer-
den, innerhalb deren es den Parteien unbenommen ist, mehrere
Wahlkreise für ihre Liste Wsammenzuschließen. Auf diese Weise
wird es den Parteien möglich, auch kleinere Stimmen-
mengen aus einzelnen Wahlkreisen zusammsnzufassen mit dem

Erfolge, daß ein örtlicher Abgeordneter wenigstens von mehreren
Kreisen zusammen in den Reichstag entsandt wird.
In den Ausschußberatungen sind folgende wichtige Aende
runge n vorgenommen worden: Die Kosten der Wahl waren bis-
her zum Teil aus die Länder, und zum wesentlichen Teil aus die
Gemeinden verteilt worden. Künftig sollen aber alle Wahl-
kosten vom Reich getragen werden, mit Ausnahme
derjenigen, die bei den Gemeinden erwachsen, aber auch von diesen
trägt das N eich vier Fünftel und nur ein Fünfte! tra-
gen die Gemeinden. Zweitens haben die Ausschüße die Be
stimmung der Regierungsvorlage gestrichen, wonach die Reichs
lasse den Parteien die Aufwenoungen für Herstellung der Stimm-
zettel erstatten sollte. Es erschien den Ausschüßen mißlich, die
Parteien von jeder finanziellen Haftung zu entbinden. In der An
lag-e des Gesetzentwurfes, worin die Wahlkreise und Verbands
Wahlkreise zusammengestellt sind, haben die Ausschüsse, noch die
wichtigen Aenderungen vorgenommen, daß aus ganz Bayern
und aus ganz Sachsen je ein e i n z i g e r Verbands-
wahlkreis gebildet wird. Es soll damit erreicht werden, daß
die Stimmen möglichst im Lande bleiben.
Der Sozialisierungsausfchuß.
Die Annahme der neun von den Gewerkschaften aufgestellten
Programmpunkte durch die Koalition hat die Tätigkeit ber So -
zi a l i sie r u n gs k o m m i ss i o n wieder in die Mitte des öf-
fentlichen Interesses gerückt. Die Kommission hat bisher eine
staatsrechtliche Stellung nicht gehabt, sondern war eine freie
wissenschaftliche Vereinigung. Wir erfahren nunmehr, daß das
Reichswirsschaftsministerium eine Gesetzesvorlage ausarbei
tet, die die rechtlill)e Stellung der Sozialifierungskommifsion fest-
legen wird. U. a. soll die Kommission bas Recht erhalten, Sach-
verständige unter Eid über die in den betreffenden Wirtschafts-
zweigen Herrschenden Verhältnisse zu vernehmen. Wir erfahren
weiter, daß die Sozialisierungskommission am 30. d. M. zum
ersten Male wieder zusammentreten wird.
* *
Wir haben bereits gestern in unserem Leitartikel auf den
Wiederzusammentritt dieser Sozialisierungskommission hingewiesen.
Auch wir halten es für unbedingt nötig, daß sofort ein Reichs -
gesetz die rechtliche Stellung dieser wichtigen Kommis-
sion festlegt, damit sie nicht wie bisher lediglich in der Lust hängt
und von der Gnade einzelner Minister oder gar Geheimräte ab-
hängig ist. Weiter ist zu fordern, daß entsprechend einem frühe-
ren Gutachten dieser Sozialisierungskommission möglichst rasch ein
Reichsrahmengesetz für kommunale Sozialisierung ver-
abschiedet wird, das auch für Gemeinden bzw. Gemeindeverbände
Sozialisierungskommissionen mit bestimmter rechtlicher Stellung
vorsieht. _

Ausland.
Der Eindruck französischer Kammerred.cn auf in- und
ausländische Presse.
Zürich, 27. März. (Prw.-Meld. d. Dtsch. Allg. Ztg.) Wie
aus Paris gemeldet wird, erwartet man in dortigen politischen
Kreisen infolge der Rede Barthous eine scharfe Rückwirkung
auf die Beziehungen Frankreichs zu England. Die Heftigkeit, mit
der Barthou in seinen zweistündigen Ausführungen den eng
lisch en Ministerpräsidenten angriff, erregte in der
.Kammer lebhaftestes Aufsehen, fand aber dennoch bei der Mehr-
heit des Hauses ostentativen Beifall. Die Regie
rung spresse nimmt die Rede Barthous sehr mißfällig
auf und befürchtet von ihr unerwünschte Wirkungen. Der „F i -
garo" tadelt besonders lebhaft, daß Barthou mehr an die Lei
denschaft als an die Vernunft ber Kammer appellierte. Dos eurv
päische Problem sei zu verwickelt, als daß man es durch eine ein-
fache Opposition lösen könne. Bemerkenswert ist schließlich noch,
daß Barthou für die Aufnahme der Beziehungen mit Rußland
eintrat und damit ebenfalls den Beifall der Sozialisten
erntete, wie er bei dem übrigen Teil der Rede die bürgerlichen
Parteien auf seiner Seite hatte.
Bern, 26. März. Wie der Pariser Vertreter des „Berner
Bund" meldet, herrschte in den Wandelgängen der französischer-.
Kammer nach der zweistündigen Rede Barthous der Eindruck, daß
Barthou vielleicht etwas zu weit gegangen sei und im Sinne A s -
quiths gearbeitet hab«, der für die Revision des Frie -
densv ertrags sei, die Barthou verhindern wollte. Als
Millerand später von der Bundestreue Eitglands sprach, hatte
er den Beifall derselben Kammer, die eine Stunde zuvor Barthou
applaudiert hatte. Allgemeines Schweigen herrschte, als Barthou
dann erklärte, es sei sein Recht, ein freies Wort zu reden.
Dagegen schreibt die „Times" in einem Leitartikel:
Wir können die Art, wie gewisse französische Politiker von
der deutschen Krise Gebrauch machen, lediglich beklagen. Reden,
wie die, welche Barthou gestern zu halten für angemessen hiclö>
können nur Schaden stiften. Der Schade würde ernst
ein, wenn die Engländer solche Auslastungen für die Ansichten
und Gefühle des französischen Volkes hielten. „Times" schreibt
zum Schluß, Frankreich könne erst Vergütung seines Schadens
erwarten, wenn unter Leitung der Bundesgenosten Mittet
europa wirtschaftlich wiederhergestellt s«i.

Eine Kredkttonferenz in Kopenhagen.
Christiania, 26. März. Wie „Tidens Tegn" miiteilt,
wirb bereits Ende dieses Monats in Kopenhagen eine
Konferenz über die Gewährung von Krediten an Mitteleuropa
abgehallen werden. Außer Vertretern der nordischen Staa-
te n wird auch der Leiter des englischen Kreditwesens,
Sir William G o o d e, daran teilnehmen.
Sowjetkonzessionen an die Entente.
Paris, 28. März. „Journal des Debats" veröffentlicht
folgende Meldung aus Kopenhagen: Der Präsident des Wirt-
schaftsamtes, der beauftragt ist, mit Krassinow die wirtschaftlichen
Beziehungen zu den europäischen Mächten wieder einzuleiten, er-
klärte in der dänischen Presse, die Sowjetregierung sei geneigt, den
berufenen Vertretern der Entente Vorteile in bezug auf den Berg-
bau sowie auch in industrieller und kommerzieller Beziehung zu
gewähren. Diese Vorteile würden in der Hauptsache Bergwerks-
lonzessionen und öffentlichen Transportunternehmen bestehen.
Krassinow erklärte außerdem, Rußland sei in der Lage, Europa
Rohstoffe und Fertigfabrikate zu liefern. Rußland sei im besten
Wiederausstehen, die Sowjets hätten die alten russischen Fehler
ganz und gar ausgcmerzt.
Dänische Arbeitgeberdiltatur.
Berlin, 29. März. (Priv.-Tel.) Wie der Berl. Lok.-Anz.
aus Kopenhagen meldet, werde der dänische Arbeitgeberverband
morgen die A u s s p e r r u n g von 100 000 Arbeitern zum 9. April
bekanntgeben.
Auflösung der rumänischen Kammer.
Bukarest, 28. März. Die rumänische Kammer ist aun-
gelöst worden.

Badische Politik.
Der neue badische Finanzminister.
Karlsruhe, 29. März. Wie wir hören wird die
Zentrrimspartei Staatsrat und Landiagsabg.Heinrich Köhler
mm Nachfolger des in das Reichskabinett eingetretenen
Finanzminifters Tr. Wirth für den Posten des Ministers
der Finanzen in Vorschlag bringen. — Der Bad. Beobachter
schreibt zu der Nachfolgerschaft Dr. Wirths, daß diese Frage
nach den Feievagen alsbald gelöst werden müsse. Einst-
weilen werde Staatsrat Kohler die Geschäfte übernehmen.
Dieser gehört, so sagt das Zentrumsblatt weiter, zu den
besten politischen Kräften der Zentrumsfraktion und zu den
seltenen Mitgliedern der Kammer, welche die Finanz- und
Budzetfragen vollkommen beherrschen.

Soziale Rundschau»
Ueber die Entstehung der revolutionären Betriebsräte in
Mannheim erhalten wir folgende Zuschrift aus Mannheim:
Als die Meldung über den reaktionären Staatsstreich in Berlin
bekannt wurde, versuchte die Mannheimer Parteileitung
mit der U.S.P. eine Verständigung zwecks gemeinsamer
Aktionen gegen die Reaktion zu erreichen. Die U.S.P. sind einer
solchen Verständigung ausgekniffen und schimpften später
in einer Versammlung in Gemeinschaft mit den Kommunisten nicht
etwa gegen die Reaktion, sondern die — Mehrheitspartei.
Am 16. März setzte der 24stündige Generalstreik für ganz
Baden ein. Entgegen dem Beschluß der Mannheimer Gewerk-
schaften, wonach auf einheitlicher Grundlage die verfassungsmäßig
garantierten gesetzlichen Betriebsräte ohne Rücksicht auf Partei-
zugehörigkeit gewählt werden sollten, ging ein aus U.S.P. und
K.P. und Syndikalisten zusammengesetzter revolutionärer Aktions-
ausschuß dazu über, in einem Flugblatt zur Wahl von revolutio-
nären Betriebsräten aufzufordern, trotzdem vom radikalen Deut-
schen Metallarbsiterverband genau die Stellung des Hauptvorstan-
des in der hiesigen Arbeiterpresse bekanntgegeben wurde, wonach
die Wahl von „wilden Betriebsräten" unter allen Umständen zu
unterbleiben hat. „Die Gewerkschaften haben uns nichts zu sagen,"
war die Parole und so forderte der revolutionäre Aktionsausschuß
auf, unter Anwendung der passiven Resistenz die revolutionären
Betriebsräte zu wählen und zur Anerkennung zu bringen. Fol-
gende drei Forderungen wurden aufgestellt und sollten den Unter-
nehmern aufgezwungen werden: 1. Bezahlung der Streiktage;
2. Anerkennung der revolutionären Betriebsräte; 3. Bezahlung
des vollen Arbeitsverdienstes im Falle der Krankheit und bei Un-
fällen. Der dritte Punkt war nur ein Köder, berechnet für die im
Gewerkschastsleben wenig Erfahrenen.
Zur Erreichung dieses Punktes bedarf es keiner revolutionären
Betriebsräte, keiner Gewaltandrohung und passiven Resistenz.
Dieser Punkt kann nur auf dem Wege der tariflichen Ver-
einbarung erreicht werden. Zu Punkt 1 und 2 fehlten alle
rechtlichen Voraussetzungen, um ihnen in der Oeffentlichkeit einen
moralischen Halt zu geben. Kein Wunder denn auch, daß die
übergroße Mehrheit der Arbeiterschaft und Angestellten Mann-
heims das wahnsinnige Begehren nach revolutionären Betriebs-

Der Schandfleck.
Eine Dorfgeschichte von Ludwig Anzengruber.
(7. Fortsetzung.)
3.
Der Morgenwind strich vor der Sonne her, als wollte er Busch
und Kraut wachfächeln, und ein geheimnisvolles Weben und Regen
begann in der Lust, im Dämmer schienen sich die Gegenstände auf
die Farbe zu besinnen, die sie im Lichte trugen, — der Tag brach
an. Vorüber war die Nacht, die letzte auf Erden für den alten
Mann in der Mühle, die erste für den Säugling im Reindorferhof,
dort verflackerte ein ausgebranntes Licht, hier glimmte ein ver-
wandter Funke mählich an.
Es lag noch alles in anheimelnder Stille. In den Büschen
längs des Fahrweges begann es mit ungelenkem Flügelschlag zu
flattern und in einzelnen Tönen zu zwitschern, und von gegenüber
rief eine Stimme: „Seid ihr noch verschlafen, Geflieder?" Es war
der Reindorfer, der an seinem Hoftor lehnte, er zwinkerte dabei
lustig mit den Augen, sah dann zu dem blassen, reinen Himmel auf
und rings nach den bewaldeten Hügelkämmen und tat einen tiefen
Atemzug. Ja, der Morgen, wo man so mit der lieben Gotteswelt
allein ist! —
Es dauert aber nicht so lange, als man eine Pfeife raucht, so
rufen sie einem zum Frühstück und da sitzt man wieder mitten drin-
nen . . . Sein Gesicht verfinsterte sich, er führte die Pfeife nach
dem Munde und preßte die Zähne auf die Spitze, dann trat er
zurück, schloß hinter sich das Tor und ging durch die Küche nach der
Wohnstube, an der Tür lauschte er, die Bäuerin hustete, sie war
wach, da begann auch das Kind zu schreien, unwillkürlich ballte.sich
ihm die Faust und siedig heiß schoß es ihm nach den Augen, als
solle er vor Zorn weinen, er wandte sich ab.
„Das Kleine schreit recht brav," sagte die Dirn, die am Herde
stand.
Da lehnte er seine Pfeife in den Herdwinkel und trat in die
Stube.
Er ging nach dem Fenster, die Bäuerin sah ihm mtt furchtsamen
Augen nach, sie erwartete keinen Gruß von ihm, aber sie getraute
sich auch nicht, ihn zu grüßen.

NN

Der Bauer blieb, wo er war, zog den nächsten Stuhl an sich,
setzte sich, sah auf seine Stiefelschäfte nieder und begann ohne weitere
Einleitung: „Ich bin alt und du bist nimmer jung, lärmendes Getue
und Getreide macht uns keine Aufheiterung mehr, wozu sollen wir
uns derlei ins Haus laden? Aufsehen macht es auch, wenn man das
Kind im Aufzug zur Kirche bringt, all das mag mir nicht taugen, so
will ich gleich dazusehen; heut' fährt der Herr Pfarrer gewiß wieder
vorbei nach der Mühle, und da will ich ihn abpassen und ihn bitten,
daß er zu uns kommt und das Kind im Hause taust. Sv mein' ich
könnt' alles in der Stille vor sich gehen, und brauchte nur die Ge-
vatterin und wer sonst not ist, dabei zu sein; man kann ja sagen, man
tu' so eilig, weil es mit dem Kind nicht recht richtig wär'", — er
blickte seitwärts nach der Wöchnerin und setzte halblaut hinzu -—
„wär' auch nicht gelogen, und doch die Wahrheit im Sacke behalten."
„Du sitzest soviel weit weg", klagte die Bäuerin, „daß man nicht
reden kann, ohne daß eines draußen alles hört."
„Was braucht es das Heimlichkeiten, sag' ja ober nein."
„Schau, wegen der Tauf', da tu nur, wie du dir vvrgenommen
hast, aber ich hätt noch etwas zu sagen, und das kann ich nicht laut."
Der Bauer erhob sich und trat näher.
„Du wirst wohl nicht dagegen sein, und mir wäre es ein rechter
Trost in meinem Unglück. Weißt", flüsterte die Bäuerin, indem sie
den Arm etwas hob und nm mit bem Handrücken gegen die Wiege
deutete, „wenn es aufkommt, möchte ich es gerne in die Stadt zu den
frommen Frauei, geben, damit es christlich auferzogen wird und ein-
mal felber eine werden kann. Da wäre es gut aufgehoben, der Herr-
gott möchte ihm sein Dasein nicht so übel vermerken und wohl auch ..
anderen ihre Sündhaftigkeit nicht mehr so hoch aufrechnen."
Der Dauer trat hart an das Bett.
„Sei nur nit so dumm", sagte er, „unfern Herrgott geht es nicht
so nah' an, wie mich, so wird er doch keinen Zorn auf das Kind
haben, das an allem ganz unschuldig ist; du aber verbleibst eine Sün-
derin, wenn es auch gleich eine Heilige werden möcht', und es soll
doch voerst nur eine Klosterfrau werden, und die sollen nicht alle auf
das Heiligwerden aus sein. Es ist nicht mein Kind, so red' ich ihm
auch nicht das Wort, aber die Frommheit kann man keinem anler-
nen, wie jungen Hunden das Waldaufspüren, und wenn dann plötz-
lich eines zu Jahren und z »Verstand kommt und es mag sich nicht

darein finden, dann taugt es für Erd und Himmel nicht mehr. Und
sich dabei auf gut Glück verlassen, wie es ausgeht, dazu ist heuttags
schon gar kein Zeitpunkt, wo alle Welt hinter den Kutten her ist,
früher hat man noch manches vertuschen können, jetzt aber braucht
unser Herrgott nur Leute in seinem Dienst, die ihm Ehre machen,
die anderen sollen davon bleiben. Wär' das aber auch nicht meine
Meinung, hierin tät' ich. dir doch nicht deinen Willen! Du hast ver-
weint, ich würde ja sagen, weil ich selber das Kind nicht gern vor
mir sehen möcht', und dabei hättest bu es auch aus den Augen ge-
kriegt und aus dem Sinn, und das wär' dir recht gewesen, denn mit
der Schamhaftigkeit über seine Sünden hält es der Mensch, wie die
Katze mit dem Unrat, weiß sie den nur eingescharrt, so geht sie stolz
davon, als hätte man sie nie darüber hocken gesehen. Du hättest
darauf vergessen und dir einbilden können, es wäre noch alles in
alter Gehörigkeit. Darum bleibt das Kind im Hause und dir unter
den Augen!" —
„Freilich, wenn du es willst", sagte kleinlaut die Bäuerin, „muß
es schon verbleiben, das Weggeben war auch nur so ein Gedanke von
mir."
„Dasselbe und das der Taufe wegen hätten wir also unter uns
ausgemacht, mehr hab' ich auch nicht zu sagen gehabt und so geh' ich
jetzt wieder, damit ich den Wagen mit dem Herrn Pfarrer nicht
verabsäume. Oder weißt du noch etwas?"
Die Bäuerin war trotz ihrer achtunddreihig Jahre noch immer
ein hübsches Weib, das wußte sie, auch das, daß Schmerz und Angst
ihre Züqe nicht verstelle, denn schon als Kind sagten die Leute von
ihr, sie könne so schön weinen. Der Bauer stand noch immer knapp
an ihrem Bette, er hatte beide Arme sinken lassen und zunächst ihr
befand sich seine Linke, schon lange schielte er danach, als wollte sie
des Griffes sicher sein, als er sich nun zum Gehen wandte und sie
dabei aus den Augen lassen mußte, während er den Arm ihr etwas
zurückte, da faßte sie mit beiden Händen zu, hielt ihn an der Hand
und über dem Ellbogen und suchte ihn gegen sich zu ziehen, daß er
ihr in das Gesicht sehe. „Joseph, mein Joseph", rief sie bittend.
Reindorfer aber riß sich von ihr los, wischte mit der Schürze
über den linken Iackenärmel und über die Hand und sagte: „Laß das
gut sein! Aus Angewöhnung und aus Scheu vor jedem Aussehen mag
ich mir in meinem Hauswesen nichts verändern, und so muß denn
 
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