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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 21.1929

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Biermann, Georg: Oskar Kokoschka
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https://doi.org/10.11588/diglit.41323#0047

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Oskar Kokoschka

Mit Genehmigung von Paul Cassirer, Berlin

Küste bei Dover. 1926

OSKAR KOKO SCHKA VON GEORG BIERMANN
Der letzte Maßstab der Kritik ist nicht der Mensch, sondern das Werk. Raffael, Rem-
brandt, van Gogh bestehen vor der Zeit nur durch ihre Schöpfung. Gut, hier und
dort auch Einiges vom Menschen zu wissen, weil vielleicht solche Kenntnis noch tiefer
hineinführt in die Urzelle schöpferischen Auftriebs. Manchmal dagegen führt die
Kenntnis des Mensclilich-Allzumenschlichen auch auf Irrwege. Exempla docent. Kunst-
geschichte sollte nicht mit Literatur verwechselt werden.
Wesentlicher ist die Zeit. Sie formt, bildet und umschreibt das Ambiente, aus dem
dieser und jener herauswuchs, ruft, wras für künstlerische Schöpfung nicht übersehen
werden darf, öfters zum Protest als zur Bejahung auf. Denn es ist nun einmal das
Zeichen jeder großen Kunst, wenn sie nicht, wie bei den Werken des Mittelalters oder
den Göttern Griechenlands, auf einem glücklichen Boden geschlossener harmonischer
Einheit erwuchs, daß sie immer zunächst Protest gegen die eigene Umwelt ist, gegen
den Alltag, gegen Überlieferung. Beispiele, die z. B. im Sinne einer Tradition das
Gegenteil erhärten könnten, scheiden infolge ihrer Seltenheit oder der besonderen
Umstände wegen, die mit unserem Fall nicht das Geringste zu tun haben, aus.
Aber das Wunder: Das Gefühl für kommende Dinge ist beim Künstler, er ist der
Horcher in die Zeit hinein. Bei den alten Meistern (siehe etwa Greco und Rembrandt)
hat es die Kunstwissenschaft nach Jahrhunderten bestätigt, in der Gegenwart dagegen
hat der Prozeß der Erkenntnis ein anderes Tempo angenommen. Ich erinnere mich
noch sehr deutlich der ersten Kokoschka-Ausstellung in Wien vor etwa zwanzig Jahren
(Protest, Tumult und schüchterne Bejahung haben sie begleitet), aber heute, wenn bei
Gassirer wieder einmal die letzte Ernte dieses Malers gezeigt wird, geht Eesttags-
stimmung durch das Haus.
Indes, der sogenannte Sieg auf der ganzen Linie besteht für Kokoschka auch heute
noch nicht unbedingt. Es ist die Trägheit der Menschen, die so schwer vorangeht.
Diesen unbekrittelten Beifall zu erreichen, sind Tod oder Selbstmord die Voraussetzung.
Kokoschka wird — wie wir hoffen — ein seliges Ende haben.
 
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