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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 21.1929

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Heft 2
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Giedion, Sigfried: Sitzgestaltung
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https://doi.org/10.11588/diglit.41323#0086

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Abb. 4 Marcel Breuer
Metallstuhl aus gebogenem Rohr. 1926
Wir werden gespannt verfolgen, ob man ohne Nach-
teile diesen Stuhl auch auf zwei Beine wird stellen
können.
liehe Bequemlichkeit durch ebenso einfache, wie
ausgezeichnete Anpassung an den Körper erhalten,
so daß geschmäcklerisches Herumbosseln sie nur
schlechter machen könnte.
Das neue Bauen, das ja ästhetisch duldsamer ist als
j ede frühere Epoche, empfindet diese leichten Stühle
und Armsessel, die ihr Lebenselement nicht aus
einer Form, sondern aus einer ingeniös befriedig-
ten Funktion herleiten, durchaus sympathisch.
Eine andere Frage ist es, ob dieser Weg weiter
gangbar ist. Wir glauben es nicht, denn die Eng-
länder haben auf diesem Weg so ziemlich erreicht,
was zu erreichen war. Daher der Stillstand. Auch
sind diese Stühle keineswegs billig und der indu-
striellen Herstellung nur begrenzt zugänglich.
M. E.Häfeli hat in unserer Zeit für Reformen
auf diesem Gebiet die weitaus glücklichste Hand
gehabt (Stühle llorgen-Glarus) (Abb. 2).
Der Iiolzstuhl wird nicht aussterben, aber er wird
seine Herrschaft mit dem Metallstuhl teilen müs-
sen, der heute in den Kinderschuhen steckt wie die
Lokomotiven von i83o und durch seine Elastizität
— und spätere Beweglichkeit — eine noch unab-
sehbare Entwicklung vor sich hat. Die Ahnen un-
serer heutigen Metallstühle dürften ungefähr fünf-
zig Jahre zurückliegen. Es handelt sich um die
federnden Stahlbandstühle, die heute noch überall
in den öffentlichen Anlagen von Frankreich zu
finden sind (Abb. 3). Der Vorteil des Metallstuhls

in seiner weiteren Durchbildung ist Leichtheit, Bil-
ligkeit und Elastizität. Breuer vom Bauhaus hat
bekanntlich sich zuerst systematisch mit diesen Pro-
blemen beschäftigt, und es scheint uns denn doch
ein kleiner Triumph dieses Gedankens zu sein,
wenn bereits auf dieser Ausstellung dieBreuerschen
Stühle auf ein Gewicht von 700 Gramm reduziert
werden können. Gewiß haftet diesen Stühlen noch
allzuviel vom vierbeinigen Holzstuhl an, obwohl
eine spürbare Elastizität und Anschmiegung bereits
erreicht ist (Abb. 4)-
Einen entscheidenden Schritt hat Mart Stam mit
seinem Stuhl aus Eisenrohren gemacht (Abb. 5).
Anregung: Der Autonotsitz. Stuhl ohne Hinter-
füße. Gleichsam frei schwebend, ruht er, zwei-
beinig, auf Kufen. Die Anregung ist vorzüglich,
aber die eigentliche Ausbildung wird nicht der Ar-
chitekt, sondern der Spezialist, der Ingenieur, brin-
gen. Der Architekt ist viel zu wenig mit konstruk-
tiven Prozessen dieser Art vertraut. Verlangt wird
heute von der Technik ein neues Bespannungsmate-
rial, das die frühere Federung wirklich ersetzt, so-
wie eine einwandfreie konstruktive Lösung.
Genau wie heute in der Architektur die besten
Kräfte an der Verwirklichung des Hauses für das
Existenzminimum arbeiten und aus diesem schein-


Abb. 5
Mart Stam: Stuhl aus Eisenrohren. 1927
Die Federung und Elastizität liegen im ganzen System
begründet, nicht im Einzelteil. Erst die Zukunft wird
zeigen, ob das elastische, freie Schweben des Sitzes
nicht durch andere Übelstände beeinträchtigt wird.
Bei richtiger Durchbildung scheint uns dieser Weg
durchaus entwicklungsfähig. — Konstrukteure vor!

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